Ganz frisch eingetroffen bei Aus Liebe zum Duft sind die vier Duftkompositionen dark, light, them und us des britischen Labels Neandertal, das sich zum einen unserer Vorgängerspezies verschrieben hat. Zum anderen befasst sich Neandertal mit elementaren Fragen des Lebens und unseres Daseins als Spezies Mensch. Wohin geht unsere Reise? Was macht uns aus? Was sind unsere Ursprünge? Neandertal verknüpft also philosophische mit archäologisch-anthropologischen Ansätzen und versucht all dies auch noch olfaktorisch umzusetzen.
Als wäre all das nicht schon genug, gibt es auch noch einen ästhetischen Aspekt, den das Duftlabel respektive der Gründer und Künstler Kentaro Yamada berücksichtigt. Die Flakons der Kollektion von Neandertal besitzen nämlich die formschöne Optik eines urzeitlichen Steinwerkzeugs und erinnern an Faustkeile.
Dark – die dunkle Seite
Keinen Bezug zur bekannten Netflix-Serie hat unser erster Neandertal-Duft dark, der nicht nur in farblichen Kontrast zu seinem Duftbruder light steht, sondern sich auch inhaltlich und olfaktorisch deutlich voneinander unterscheiden soll. Darüber hinaus sollen beide Duftkompositionen – wie auch die in meinem nächsten Artikel folgenden them und us – die Grenzen der Parfümerie austesten und sich in gewisser Weise gegen Konventionen und Normen stellen.
Als Paar sprechen Neandertal Dark und Light die Vergänglichkeit der Welt um uns herum an; den Aufstieg und Fall verschiedener Arten, Kulturen und Zivilisationen. Sie sind auch eine Erinnerung daran, dass unsere alltägliche Erfahrung von Zeit, Raum und Geschichte auf unsere eigene, menschliche Erfahrung der Welt beschränkt ist.
Für die olfaktorische Umsetzung der Duftkomposition dark holte sich Kentaro Yamada den Parfümeur Euan McCall mit ins Boot. Unser erstes Neandertal-Parfum hier im Duft-Tagebuch besteht aus den Ingredienzien Blattgrün, Ingwer, Rosa Pfeffer, Grapefruit, Kiefer, Weihrauch, Geranium, Kümmel, Seegras, Vetiver, Patchouli, Adlerholz (Oud), Ambra, Moschus, Leder, Sandelholz, Tabak und Labdanum (Zistrose).
Die wilde Seite der Vorzeit
Wow! dark ist vom ersten Sprühen an ein Statement. Dunkel, erdig, rauchig, wild und ungezähmt. Wir kämpfen uns durch dichten Wald. Feucht ist die Luft, kühl und auch ein wenig stickig. Der Regen hat eben erst aufgehört. Leichte Nebelschwaden durchziehen das Dunkel unter dem Blätterdach, das nur wenig Licht durchlässt. Der Duft von nasser Erde liegt in der Luft, von totem Holz, von Moosen und Laub. Von Ferne lässt sich der Rauch eines Lagerfeuers wahrnehmen. Lodernd, glimmend. Es verheißt Wärme und Schutz. Doch im Moment ist das unwichtig. Denn wir sind auf der Jagd …
Dunkle Laubnuancen treffen in dark auf eine erdig-feuchte Holzigkeit, die von rauchig-ledrigen Akzenten begleitet wird. Hier und da blitzt ein Hauch von Zitrusfrucht oder eine Prise Pfefferschärfe auf. Vetiver, Patchouli, Weihrauch und Adlerholz sind sicherlich die Hauptakteure, die Anführer dieses überaus komplexen und engmaschigen Neandertal-Spektakels. Doch sind auch die anderen Ingredienzien essenziell. Sie sind diejenigen, die die olfaktorische Herde beisammen halten, die der Kreation eine Form geben und ihre Ausdrucksstärke unterstreichen.
dark erzählt seine eigene Geschichte. Keine blitzblanke Instagram-taugliche Hochglanz-Story, sondern eine vom rauen Kampf ums Überleben in der Wildnis. Es ist eine erdig-ledrige Duftkomposition, die vom ersten Moment an laut und ungestüm ist. Ein Rebell, ein Kracher. Sicherlich kein Duft für alle und jeden, sondern für solche, die Parfums mit Ecken und Kanten lieben, die wilde Düfte bevorzugen und keine Angst davor haben, ein Statement zu setzen. Eine außergewöhnliche Duftkomposition, die dem etwas rauen und ungezähmten Image der Neandertaler durchaus gerecht wird.
light – auf Dunkel folgt Licht
Die Messlatte liegt hoch. Ich bin gespannt, ob light das Niveau, die Ausdrucksstärke und Kreativität von dark beibehalten kann. Unsere zweite Kreation stammt aus der Duftfeder von Chris Maurice, der für light die Ingredienzien Hinoki-Scheinzypresse, Koriander, Galbanum, Veilchenblätter, Iris, Metallische Noten, Ambra, Patchouli, Leder, Zedernholz und Moschus vereinte.
Neandertal light steht in starkem Kontrast zu Neandertal dark und stellt eine Reise dar, die Konzepte der olfaktorischen Dissonanz erforscht. Das strahlende und ausladende Neandertal light konzentriert sich auf die Gegenwart und besitzt als solches eine lineare und harmonische Struktur.
Die Urzeit modern interpretiert
Grüne Holznuancen eröffnen light und sorgen für eine leuchtende und knarzig-herbe Blattsaftigkeit mit krautigen Akzenten. Eine metallische Kühle untermalt die Duftkomposition aus dem Hause Neandertal, glänzend wie ein stählernes Schwert, das im Morgengrauen auf seinen Einsatz wartet.
Meine Schwertassoziation passt zugegebenermaßen nicht unbedingt zu den Neandertalern, denn das Bearbeiten von Metall fand schließlich erst viel später statt. Zu einem Zeitpunkt, zu dem die Neandertaler bereits lange ausgestorben waren und der Homo sapiens die vorherrschende Hominidenart war. Doch soll light ein „modernes Portrait des Neandertaler-Mysteriums“ sein und in eine zeitgenössische Version passt auch durchaus ein stählernes Schwert, wie ich finde. 😉
Die Iris pudert die Kreation unterdessen ab und besänftigt die dominanten grünlichen Nuancen ein wenig. Patchouli, Leder und Zedernholz hingegen wirken wie ein duftender Energieschub und intensivieren light einmal mehr. Ambra sorgt im Ausklang für einen Hauch Wärme und Moschus für ein Gefühl von Behaglichkeit.
light ist tatsächlich vollkommen anders als dark. Es ist eine helle und grünlich-krautige Kreation mit wurzelig-holzigen Nuancen, metallischen Untertönen auf einem Grund aus feinem Irispuder. Nicht ganz so eckig und kantig wie der Vorgänger, aber auch kein gefälliger Duft. light von Neandertal ist ebenso wie dark ein Eau de Parfum, das Grenzen austestet und zum Nachdenken anregen will. „Experiment gelungen“ würde ich sagen. 🙂
Wer von Euch kennt die Neandertal-Kreationen bereits und wie findet Ihr sie?
Wie üblich kommt Ihr hier direkt zu den beiden heute vorgestellten Duftkompositionen:
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