… widmen wir uns heute und morgen – zwei Weißblühern, meine Lieben – das wird dem einen oder anderen sicherlich ein bisschen Angst machen 😉 Tuberose und Gardenie stehen im Fokus der beiden Düfte, jene zwei Vorzeigeblumen, wenn es um weißblühende ebensolche geht.
Eine wie keine – die Tuberose. Regelmäßige Leser kennen die alte Leier – ich und die Tuberosen … Früher hielt ich es mit Coco Chanel, die irgendwann einmal etwas in der Art verlauten ließ, dass Frauen nach Frauen und nicht nach Blumen duften sollten. Es gab alles Mögliche in meinem Duftsortiment, aber, mit Ausnahme von einigen wenigen Rosen (oder kam das auch danach?) keinerlei Blühendes. Bis, ja bis mich Serge Lutens bekehrte, mit Worten wohlgemerkt. Ich las irgendwo einige Worte von ihm, er verglich die Tuberose mit den Fleurs du Mal von Baudelaire. Hat gereicht bei mir, für mich. Jene Schönheit, die in Baudelaires lyrischem Hauptwerk meist schon am Vergehen ist, die Morbidität. Die Ergriffenheit bei der Betrachtung oder überhaupt: dem, unabhängig vom wahrnehmenden Sinn beziehungsweise Sinnesorgan, Genießen von Schönheit, für das die Spanier das hübsche Wörtchen „duende“ haben. Und die Wehmut, die einen überfällt bei dem meist fast zeitgleichen Gedanken, dass Schönheit, egal in was entdeckt, vergänglich ist – die Japaner haben in ihrer Ästhetik dafür den Terminus „Mono no aware“, die Herzzerreißende der Dinge – hochspannend. Ich schweife ab, meine Lieben, und doch habt Ihr vermutlich spätestens jetzt begriffen, warum mir gar nichts anderes übrig blieb, als die Tuberose lieben zu lernen.
Und so ging es mir mit den Blumen in den Flakons wie mit dem Whisky. Ich startete im „Hardcore“-Bereich. Bei Whisky war der Türöffner für mich die schottischen Straßenköter, wie ich es immer liebevoll ausdrücke, die Torfbomben von der Insel Islay, die mein Herz im Sturm eroberten. Eigentlich bin ich diesbezüglich auch an der Türe stehen geblieben – ich liebe Whisky, trinke aber so gut wie ausschließlich Islay-Single Malt, da ich Whisky ohne Torffeuer nicht ertragen kann. Bei den Blümelein habe ich mir mit der Tuberose die Männerfresser-Femme Fatale herausgesucht, die Königin der Weißblüher, diejenige, die am meisten spaltet aufgrund ihres prägnanten Duftes. Narkotisierend – im Guten wie im Bösen. Tuberose kann man nur lieben oder hassen, das betrifft so gut wie alle Tuberosendüfte, einige zarte und zurückhaltende Interpretationen ausgenommen. Was die Gardenie angeht, verhält es sich mit ihr recht ähnlich, es gibt nur wenige zahme Interpretationen dieser Blume.
Flor y Canto hatte ich bereits vor vielen Jahren, genauer gesagt Ende 2012 vorgestellt – und bin gespannt, ob ich immer noch so begeistert von ihm bin wie damals, denn in der Zwischenzeit ist viel Wasser den Bach herunter und ich habe viele, viele Düfte getestet … Boutonnière No. 7 kenne ich noch nicht, der landete, soweit ich mich erinnere, damals schon nicht mehr bei uns im Sortiment und ich habe ihn auch zwischenzeitlich nicht getestet.
Ein Opfer für die Götter – Arquiste Flor y Canto
„August, 1400, Tenochtitlan, Mexico. On the most fragrant festival in the Aztec calendar, the rhythm of drums palpitates as a wealth of flowers is offered on temple altars. Billowing clouds of Copal act as a backdrop to the intoxicating breath of Tuberose, Magnolia, Plumeria and the intensely yellow aroma of the sacred Marigold, Cempoalxochitl. Five Mexican flowers offered on temple altars believed by the Aztecs to be the intoxicating scent of Xochiquetzal, the goddess of beauty. Natural, opulent & explosive.“
Mitten in Mexiko liegen die Überreste von besagtem Tenochtitlan: seit 1987 zählen die Fundamentreste, von denen bis zum heutigen Tage gerne mal noch ein paar ausgegraben werden, zum Weltkulturerbe. Tenochtitlan, die Stadt des Ténoch, war die Hauptstadt der Azteken während deren gesamter Herrschaftszeit, die von Anfang des 14. Jahrhunderts bis ins späte 16. Jahrhundert reichte. Bei deren Entdeckung im 16. Jahrhundert lebten dort über 100.000 Menschen, was Tenochtitlan zu der größten Stadt auf dem amerikanischen Kontintent als auch zu einer der weltweit größten Städte der damaligen Zeit machte. Es ist die Rede vom Azteken-Kalender und dem Rhythmus von Trommeln, der die Fülle eines Blütenmeeres heraufbeschwört – kein Wunder, der August, zumindest die erste Hälfte des Augusts ist „das kleine Totenfest“ oder auch Geburt, Kommen der Blumen, Blumenopfer genannt, Tlaxochimaco. Totenfeste gab es etliche in der Welt der Azteken – und auch in der Kultur der kastilischen Eroberer hatte der Tod eine bisweilen ähnliche Bedeutung, insofern verwundert es auch nicht, dass sich in der mexikanischen Kultur bis heute der Día de los Muertos gehalten hat.
Der Tod als selbstverständlicher Bestandteil des Lebens stellt einen wichtigen Aspekt jener Tradition her, die im Kern aztekische Wurzeln hat – das ist meines Erachtens nach auch angedeutet in dem Produktfoto zu Flor y Canto, welches einem Vanitas-Gemälde gleichkommt. Huber und Flores-Roux beschenken uns mit einem üppigen, ob seiner exotisch-narkotisierenden Wirkung bestens zu rauschenden Festen passenden Bouquet: Wolken von Copalharz ziehen als Kulisse für den berauschenden Hauch der Tuberose auf, für die Magnolie, Plumeria und das intensive gelbe Aroma der heiligen Tagetes, Cempoalxochitl. Nebenbei bemerkt: Xochiquetzal, „Blumenfeder“, war nicht nur die aztekische Göttin der Schönheit und der Blumen, sondern auch der Liebe, der Spiele, der Tänze, des Mondes und der Erde, falls ich nichts vergessen habe.
„… und ach, was soll ich sagen… Tuberose, Magnolie, Frangipani und Tagetes vereinen sich in Flor y Canto laut der Zutatenliste, vielleicht auf einer kleinen Harzbasis, die ist mir aber ehrlich gesagt völlig egal im Moment: Diese Tuberose, diese Tuberose… Weiß, wächsern, fleischig, verlockend – das ist Sünde und Sinnlichkeit in Reinform. Was für eine Männerfresserin, denke ich mir schmachtend – und zücke gleich wieder den Handrücken. Opulenz, weißblühende, reinweiße, zuckerwattige, cremige und… gefährliche, denn diese Tuberose hat es in sich. Das ist eine jener Baudelaire-Tuberosen, die an dessen opiumberauschte Frauen denken lässt. Das ist – nagende Versuchung und… Gift. Irgendwo. Aber eines, das man sehenden Auges verzehren möchte. Austrinken, Schluck für Schluck. Sich hineinwerfen. Magnolie? Ja, verhalten, wässrig im Hintergrund. Frangipani – hätte auch Ylang sein können, ein die Süße, die verruchte, der bisweilen minzig-pilzig anmutenden Tuberose verstärkend. Dieser Nektar ist – Sucht.
In der aztekischen Sprache bedeutet „in Xocbitl in Cuicatl“, „Flor y Canto“ – Blume und Lied und ist eine Metapher für die Poesie. Poesie hatten wir jetzt schon – ich sage: Baudelaire, alleine schon wegen der Tuberose. Aber – diese Brennen, es könnte auch Neruda sein. Allerdings… je länger ich dieser Tuberose folge, je länger ich ihr folgen muss, desto… leiser wird sie – wie ein Hauch der Erinnerung. Sie ist – verhangen, fern, aber dennoch nah, irgendwann. Wie übriggeblieben nach lodernder Leidenschaft, verheißungsvoll, süß und zart. Und erinnert mich insofern an ein ganz bestimmtes Gedicht von Baudelaire, das ich Lyriknerd Euch nicht vorenthalten möchte – Das Haar„
Hui, schwärmerisch. Ich hatte sie auch mal, diese Tuberose, die meiner Reduzierwut (ganz ohne Kondō) zum Opfer gefallen ist – weil, ja weil ich wirklich viele viele Tuberosen habe und längst nicht alle so würdige, wie ich sollte (oder besser: kann). Ich hätte sie ruhig behalten können, vielleicht auch sollen … Auf der Haut angekommen, zeigt sie sich als dieselbe Schönheit, derentwegen ich sie mir unbedingt kaufen musste damals. Eine herrliche, große, weiße, verschwenderisch großblütige, im allerbesten Sinne narkotisierende, sinnliche und die Sinne raubende Schöne. Wächsern, cremig, verhalten pudrig und wundervoll, lockend, verlockend, reizend, von einer fremdartigen, zarten und eher an Nektar denn an Honig erinnernden Süße, die betört. Vor allem aber – nicht totschlägt. Ja, Flor y Canto ist irgendwo ganz hinten versteckt indolisch, sprich: Tier. Unschuldig ist das hier nicht, auch wenn es sich in strahlendem Reinweiß präsentiert. Dennoch leicht, unbeschwert auf eine Art, auf EINE Art.
Ein immer noch und immer wieder überaus wundervoller Vertreter der Tuberosenfraktion ist Flor y Canto – aber eben: eine Tuberose, das ist nicht zu leugnen. So … Love it or hate it, was anderes bleibt Euch eh nicht übrig 😉
Einen schönen Freitag Abend wünscht Euch
Eure Ulrike
Schreibe den ersten Kommentar