… ist heute unser Thema. Drei (von acht) Düften harren noch einer Rezension – eigentlich wollte ich sie alle zusammen vorstellen, mit Chronic habe ich allerdings schon den Rahmen gesperrt, ergo gibt es nächste Woche den Abschlussartikel zu den Schweden von 19-69.
Im Hanfhimmel – Chronic
„Chronic ist eine Anerkennung für den Hanfanbau der 90er Jahre in Südkalifornien. Der Duft ist laubig, lebhaft und grün. Die Duftnoten enthalten bittere Grapefruit, einen Cannabisakkord und Moos.
Johan Bergelin: „1996 war Kalifornien der erste Staat in den USA, der medizinisches Cannabis legalisierte. Wenn man jedoch hinter die Kulissen blickt, gab es schon immer eine Geschichte von Hanfanbauern und Hanfbegeisterten, die ihr Leben der Verfeinerung des Krauts widmeten. Chronic ist ein Begriff für Cannabis und spielt ebenso auf das Debutalbum von Dr. Dre The Chronic an. The Chronic wurde 1992 veröffentlicht, in demselben Jahr wie die Unruhen in Los Angeles.“
Die Duftreise von Chronic: Mr. Gong
Wir haben das Jahr 1993 und ich gehe den Abbot Kinney Boulevard in Venice mit meinem Hund Sniffer entlang. Nicht einmal ein Jahr sind die Unruhen her und es ist eine kühle Januarnacht. Als ich rechts in den Palms Boulevard abbiege, höre ich den hämmernden G-Funk-Beat der Subwoofer. Ein hochglanzpolierter Coupe DeVille ’74 mit Chromfelgen fährt vorbei. Weiche, flauschige Würfel hängen am Rückspiegel und auf dem personalisierten Nummernschild steht „legal“. Ich treffe zufällig meinen alten Bekannten Jack. Dunkelrot schwitzend sitzt er auf seinem grün metallischen Trike, voll ausgestattet mit der kalifornischen Bärenflagge, Gettoblaster, langen Rückspiegeln und einer schwarzen Hupe. Nachdem ich ihn eingeholt habe, erfahre ich, dass mein Freund seinen alten Handel aufgegeben hat und nun ein ernstzunehmender Grünaktivist ist und sein eigenes Gewächshaus in der Electric Avenue hat. Er begann mit Tomatenpflanzen und entwickelte sich zu einem erstklassigen Grasspezialisten unter Anleitung des berüchtigten Headshop-Besitzers Mr. Gong. „Alles dreht sich darum, die Molekularstruktur der Stammkultur zu vervollkommnen, um die Kunst der Sativa beständig auf ein neues Level zu bringen“, erklärt er.Mit etwas Glück könnte man einen besonders potenten Hybriden in den nächsten paar Tagen ernten. Mit seiner neuen Berufung kommt jedoch auch das Risiko, von Mitbewerbern oder bösartigen Nachbarn verpfiffen zu werden. Jack macht klar: „Die Jungs in Blau waren extrem aufmerksam in der Gegend, seitdem das Muscle Beach Building zwischen der 18th und 19th Avenue dichtgemacht wurde. 1500 Pflanzen wurden konfisziert und ließen die Umgebung tagelang nach Bubblegum riechen. Schau mal, wer inzwischen da ist, wenn nicht Venices Bester Mr. Gong selbst. „Hey Mann, wie geht‘s euch allen“, keuchte er und trug einen Weidenkorb in einer Hand. Der Pager an seinem Gürtel piepste, aber er ignorierte ihn. „Gott sei Dank habe ich meine Homies, die an diesem Morgen für mich aufpassten und mir die Zeit gaben, die Aktion abzuschließen. Ich rannte mit den Pflanzen raus, ließ aber meine Spezialdüngermischung zurück und du weißt, diese kleinen Babys wollen essen.“ Mr. Gong hebt einen der dürren Klone aus dem Korb heraus, die in rote Plastiktöpfe gepflanzt wurden, und atmet das Aroma ein. Dann befördert er eine Purpfeife aus der Brusttasche seiner Gartenweste, zündet sie an, atmet aus und erzeugt große Rauchwolken. „Heilige Muttergottes. Dieses Chronic ist der Hammer.““
Die Ingredienzen:
Kopfnote: Petitgrain, Bitterorange, Grapefruit, Muskatellersalbei
Herznote: Virginia-Zedernholz, Cannabis, Ambra
Basisnote: Patchouli, Vetiver, Kaschmirholz, Moos, Moschus
Parfümeur: Dario Volpones
Chronic – eine Ode an eine Superzüchtung, einen Hanfhybrid aus Indica und Sativa. Ich habe nachgelesen: Chronic scheint eine Wuchtbrumme zu sein – die Pflanze bietet hohe Erträge bei dennoch exzellenter Qualität und einem hohen THC-Gehalt. Ursprünglich entstand sie aus einer Mischung aus Northern LIghts und AK47, wurde mittlerweile aber schon weiter verbessert und veredelt. 2001 fand sie (selbstredend lobende) Erwähnung bei Dr. Dre in seinem Album The Chronic, seitdem wird wohl in Hip-Hop-Kreisen das Wörtchen „Chronic“ generell für potente, sprich: starke Cannabissorten verwendet.
Der gute alte Hanf – was lässt sich nicht alles daraus machen … Er ist eine uralte Kulturpflanze, aus der sich auch bauen lässt, die sich zum dämmen eignet (yep, gerade selbst so vollzogen), von Seife über Kleidung bis hin zu diversen Nahrungsmitteln lässt sich alles daraus herstellen. Und man kann eben auch seine Wirkstoffe, von denen man längst noch nicht alle kennt, einsetzen. THC beispielsweise, um Schmerzen zu lindern – eines der ersten krankheitstechnischen Einsatzgebiete, bei dem man eine Wirksamkeit von Cannabis in den letzten Jahren durch Studien eindeutig belegen konnte. Cannabidiol, ein weiterer Wirkstoff, kann je nach Dosierung sowohl anregend als auch beruhigend wirken, entspannend, was ebenfalls einige Anwendungsmöglichkeiten bietet. Bahnbrechend auch die Geschichte um Charlotte’s Web, eine spezielle Züchtung für ein Mädchen, das an schwerer Epilepsie litt, die trotz diverser Medikamente mit zum Teils gravierenden Nebenwirkungen nicht in den Griff zu bekommen war – heute haben sich dank Cannabis ihre Anfälle von Dutzenden täglich auf eine handvoll im Monat gebessert. Mittlerweile gibt es darüber hinaus wenige Studien, die im Tierversuch eine Wirksamkeit von Cannabis auf Krebszellen zeigten – allerdings weiß man leider noch viel, viel zu wenig über die einzelnen Wirkstoffe der Pflanze, um hier in nächster Zeit bahnbrechende Fortschritte zu machen. Warum eigentlich? Politisch Lied, garstig Lied. Man hat sich irgendwann eben einfach mal dazu entschlossen, dass man diesem Hippiekraut, genauso wie im übrigen auch diversen anderen Hippiedrogen, ohne vorher genauer hinzusehen jegliche therapeutische Wirksamkeit abspricht und es als „Droge“ verbietet.
Im englischsprachigen Raum ist das alles zumindest sprachlich prägnanter: „drugs“ wird sowohl für Medizin als auch für Drogen verwendet. Und letztendlich ist es eben auch das, wir sprechen von Wirkstoffen. Stoffe, die wirken können und somit auch Nebenwirkungen haben können. Die Dosis macht das Gift, das müsste Paracelsus gewesen sein. Diesem Thema nimmt sich duftend bereits die wundervolle Kollektion von Joseph Quartana (bekannt auch durch Six Scents), Les Potions Fatales, an – Giftblumen/-pflanzen, die in geringen Mengen aphrodisierend, berauschend und irgendwann aber dann auch tödlich wirken. Es gibt diverse Medikamente, die Straßennamen haben. Weil es sie für bestimmte Krankheiten und Krankheitsbilder auf Rezept gibt, sie aber auch als Drogen konsumiert werden. Vielen ist das nicht klar. So wissen die meisten Menschen beispielsweise auch nicht, dass Methylphenidat, besser bekannt unter dem Produktnamen Ritalin, welches bei ADHS eingesetzt wird, ein Amphetaminverwandter ist. In anderen Ländern sind für ADHS-Patienten auch Amphetaminderivate zugelassen. Wer sich berauschen will, kauft auf der Straße Speed oder Crystal Meth, beides Amphetamine.
Meines Erachtens nach ist es ein fataler Fehler gewesen und ist es bis heute noch, dass man diverse „Drogen“ als solche gebrandmarkt hat und nicht schon viel früher deren therapeutische Potentiale erforscht hat. Es gibt so viele Krankheiten, auf die wir trotz zum Teil erheblicher Anstrengungen keine Antwort, für die wir keine Lösung, keine Heilung gefunden haben. Und es gibt noch viel mehr Krankheiten, an denen wenig bis nicht geforscht wird und die nicht richtig medikamentös behandelt werden (können). MDMA, besser bekannt unter dem Namen Ecstasy und ebenfalls ein Amphetaminderivat, hat beispielsweise, wie man seit geraumer Zeit weiß, ziemlich gute Ergebnisse bei der Behandlung der Postraumatischen Belastungsstörungen bewirken, einer Erkrankung, die zu den am schwierigsten zu behandelnden psychologischen Erkrankungen gehört, weil sie in vielen Fällen kaum behandelbar ist beziehungsweise sich eine Therapie auch mit medikamentöser Unterstützung über Jahre, manchmal Jahrzehnte ziehen kann und bei weitem nicht immer erfolgreich ist im Sinne einer eingetretenen Heilung. In der Schweiz therapieren zwei Ärzte, Peter Gasser und Peter Oehen, Menschen mit LSD – sehr erfolgreich und weltweit einzigartig. Menschen, bei denen vorherige Therapien nicht angeschlagen haben bei schweren Depressionen, Angststörungen, Suchterkrankungen und vielem mehr. Mittlerweile denkt man auch im Hinblick auf LSD an weitere Einsatzgebiete, seht hier diesen Artikel in der Zeit, ein Interview mit einem Professor für Pharmakologie. Das sind nur einige wenige Beispiele, die Liste ist beliebig erweiterbar. Wer sich für das Thema interessiert, dem kann ich nur das Werk Drogen – die Geschichte eines langen Krieges von Johann Hari ans Herz legen. Dort lässt sich wunderbar nachvollziehen, wie willkürlich die Einteilung in „Genussmittel“ und „Drogen“, ergo in „legale“ und „illegale“ Drogen war und ist und wie sie überhaupt zustande kam. Und wer dann weiterlesen möchte, kann sich gleich noch Haris letztes Buch, Der Welt nicht mehr verbunden: Die wahren Ursachen von Depressionen – und unerwartete Lösungen zu Gemüte führen, ebenfalls sehr empfehlenswert.
Zurück zum Hanf bzw. Cannabis und den Düften – Chronic ist nicht der erste Duft von 19-69, der sich mit dem Thema beschäftigt, siehe Purple Haze. Und es ist auch nicht der erste Duft, der dieses Motiv behandelt, bei weitem nicht. Wie schon in der Rezension zu Purple Haze angemerkt, ist der wohl bekannteste Cannabis-Duft-Vertreter Nasomattos Black Afgano, es gibt aber noch diverse andere Düfte, die sich dem Hanf widmen: der tolle Smoke for the Soul von by Kilian zum Beispiel oder die beiden neuen Schönlinge von BOIS 1920, Cannabis und Cannabis Fruttata, Junky von Maison d’Écrivains, Topia von Atelier PMP, Cannabis von Il Profumo, Lenglings No. 3 namens Tempesta, Diane Pernets In Pursuit of Magic und Marijane von Alyssa Ashley fallen mir zu dem Thema ein, darüber hinaus findet sich auch in Absolument Absinthe eine nette Cannabisnote.
Dennoch – ich denke, Cannabis bleibt ein Thema, wird noch weiter zum Thema werden, erst recht, weil es immer mehr in den Fokus rückt hinsichtlich seines potentiellen therapeutischen Nutzens. Deshalb rechne ich auch mit weiteren Cannabisdüften, mit denen sich darüber hinaus ja trotzdem immer noch ein bisschen provozieren lässt, wohoo … 😉
Hatten wir es bei Purple Haze mit einem Duft zu tun, der sich eher mit den Endprodukten auseinandersetzte, mit Haschisch, Weed, dem Rauch(en) derselben, haben wir hier mit Chronic die Pflanze im Blick. Grün, leise metallisch, herb-bitter, laubig-waldig zeigt sich der Duft. Das Leuchten des Grüns ist überaus aromatisch, wirkt auf eine Weise frisch, aber gleichzeitig matt und sieht sich untermalt von pudrigen, dunklen, an Kakao erinnernden Noten, die größtenteils auf das Konto unseres Patschulis gehen. Das führt auch dazu, das mich Chronic überaus angenehm an ein Wunschkind von Serge Lutens‘ Borneo 1834 und BOIS 1920 Cannabis erinnert – letzteren werde ich Euch demnächst noch vorstellen.
Überflüssig zu erwähnen – Chronic ist unisex, wobei er sicherlich im Allgemeinen mehr Männer als Frauen ansprechen wird. Er ist markant und charakterstark, dennoch ein Universaltalent und das ganze Jahr über tragbar, ich sehe hier noch nicht einmal eine bestimmte jahreszeitliche „Festlegung“.
Wie sieht es aus, meine Lieben? Black Afgano-Träger unter Euch? Sonstige olfaktorische Hanfprodukte in Eurem Sortiment?
Ein schönes Wochenende wünscht Euch
Eure Ulrike
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