… sehr zu meiner Freude, meine Lieben! Kennt Ihr Gravel? Wenn nicht – solltet Ihr! Ich nenne den Duft schon seit Jahren mein Eigen, habe ihn, nachdem die Marke vom Markt verschwunden war, wie meinen Augapfel gehütet – und bin so froh, dass sich jemand nun diesem kleinen Juwel angenommen hat … Aber – der Reihe nach …
Ein Mann, ein Stein, ein Duft – Gravel
Der Mann hinter Gravel war ursprünglich Michael Knudsen. Der gebürtige Schwede wanderte in den goldenen Zwanzigerjahren als junger Mann in die USA aus, den Verheißungen der weiten Welt, vor allem aber vermutlich auch dem „amerikanischen Traum“ folgend. Den Fotos nach zu urteilen haben wir es mit einem sehr attraktiven Vertreter seines Geschlechts zu tun, charismatisch war Knudsen wohl auch, weswegen er schnell in seiner neuen Heimat Fuß fasste und in diversen Filmproduktionen mitspielte. Das brachte ihn in Kontakt mit der Welt des Film- und Showbusiness‘, dem Glamour und dem Mondänen, er knüpfte viele Kontakte zu Persönlichkeiten und Bekanntheiten, was seine geschmacklichen Vorlieben prägen sollte. Will sagen: Knudsen hatte einen Hang zum Schönen, einen erlesenen Geschmack. Und er liebte Düfte.
Zur damaligen Zeit war es mitnichten die Regel, dass Männer Parfums trugen, die, selbstredend mit einigen Ausnahmen, eigentlich der Damenwelt vorbehalten waren. Knudsen entwickelte schnell die Vision, einen eigenen Duft zu kreieren. Das Ziel: seinen eigenen Hintergrund, seine Geschichte und Erfahrungen mit einfließen zu lassen, seine europäischen Wurzeln sowie sein neues Leben oder Lebensumfeld. Der Duft sollte demnach charakteristisch sein, gleichermaßen klassisch wie innovativ. Darüber hinaus einzigartig – einmal geschnuppert, nie wieder aus der Nase beziehungsweise aus dem Kopf zu bekommen. Knudsen hatte zu dieser Zeit bereits einige einflussreiche Bekannte und Freunde, seine Vision unterstützte vor allem seine gute Freundin Hazel Guggenheim (Malerin, Schwester von Peggy Guggenheim), die mit ihm in New York das Konzept seines ersten und einzigen Duftes erarbeitete.
Knudsens Anspruch war hoch, das führte wohl zu einem sehr kraft- und zeitraubenden Entwicklungsprozess, während dem sein Duftprojekt mehrmals kurz vor dem Scheitern stand. Als sein Duft endlich fertig war, stand er vor einem Problem, das heutzutage im Nischenduftbereich ebenfalls noch existent ist: der Herstellungspreis seines Duftes lag deutlich über dem „normaler“ Parfums, weswegen eine Vermarktung im klassischen Sinne nicht durchführbar war. Falls sich der eine oder die andere fragt: der Duft kommt selten genug direkt vom Hersteller zum Händler, der dann wiederum an den Endkunden und Benutzer verkauft. Meistens sind noch „Stellen“ zwischengeschaltet, meist zumindest ein Vertrieb, der sich wiederum auch um Marketing kümmern muss im jeweiligen Land, um PR, darüber hinaus „Klinken putzen“ muss bei den Händlern und so weiter. Ist die Herstellung eines Duftes, generell eines Produktes überdurchschnittlich teuer, lohnt sich das oftmals für die Vertriebe nicht und der eine oder andere Hersteller sitzt mit einem eventuell sogar exzellenten Produkt da, dass er nicht an den Mann und/oder die Frau bekommt, weil er es nicht (selbst) ins Außen tragen kann. Knudsens Marke Gravel kann somit als eine der ersten Nischenduftmarken bezeichnet werden, da er den Vertrieb seines Duftes selbst in die Hand nahm, ergo einen Direktvertrieb installierte und an den von ihm selektierten Handel, an ausgewählte Händler verkaufte.
1957 war Knudsens Gravel endlich fertig und verkaufsbereit und er wollte die ersten hergestellten Flakons an einen NBC-Redakteur verschenken – einen Marketing-Grundkurs hätte er wohl mit Bravour bestanden 😉 Allerdings kam er auf dem Weg zum Redakteur an F. R. Tripler vorbei, einem der exklusivsten Herrenausstatter Manhattans und betrat das Geschäft, um seinen Duft anzubieten. Es muss wohl gegen Jahresende gewesen sein, denn man belächelte ihn nur, wie er so kurz vor Weihnachten mit einem derartigen Anliegen kommen könne, man würde jetzt nichts mehr neu ins Sortiment übernehmen war die Aussage – bis sich der Einkäufer für die Drogerieartikel einschaltete, neugierig geworden. Nachdem er Gravel getestet hatte, zog dieser umgehend ein – der Beginn einer langen Erfolgsgeschichte.
Gravel – A Man’s Cologne, alleine der Name ist für mich herrlich. Auch hier – perfektes Marketing. Diese Einfachheit in der Aussage – denkt doch mal an BMW, „Freude am Fahren“, ich will gar nicht wissen, wie viel diese drei Worte gekostet haben … Wenn es interessiert – hier ein guter Artikel zu den Slogans der Autohersteller, interessant im Hinblick auf Markenpräsentation. A Man’s Cologne – das suggeriert nicht nur, dass der Träger ein Prachtexemplar ist, sondern auch, dass er eigentlich nichts anderes, vor allem aber keinen anderen Duft benötigt als diesen einen, der sein Wesen, seine Persönlichkeit und seinen Charakter perfekt unterstreicht. Und dann noch dieser Flakon … Ich bin ein Fan, yep.
Sein Duft wurde für Knudsen zum Lebensinhalt. Er wurde weltweit in vielen exklusiven Geschäften angeboten, darüber hinaus entwickelte sich ein regelrechter Mythos um ihn, was zu einer breiten Berichterstattung in den Medien führte: Dave Garroway in der NBC Today Show, Hermione Gingold, Jack Parr, Johnny Carson und viele mehr berichteten über Gravel, der immer mehr Liebhaber gewann. Viele davon kauften gleich mehrere der begehrten Fläschchen, um „Durststrecken“ zu vermeiden, falls ihr neuer Holy Grail einmal nicht verfügbar sein würde – das führte dazu, dass Gravel maßgeblich am Boom der Herrendüfte in der USA in den Sechzigerjahren beteiligt war.
Knudsen produzierte seinen Duft bis an sein Lebensende selbst – er starb im Alter von 98 Jahren 2009. Damit verschwand Gravel vom Markt und wurde zur gesuchten Rarität – Ihr kennt das ja, als Liebhaber fängt man dann an zu suchen und zu horten … Zwei Liebhaber des Gravel Colognes wollten sich allerdings nicht mit dieser Situation zufrieden geben, dass „ihr“ Duft nun nicht mehr erhältlich ist – bei Georg und Christian Blessing, Vater und Sohn, keimte der Wunsch, nicht nur eine Familienration Gravel zu „bunkern“, sondern der Marke erneut Leben einzuhauchen, sie wiederzubeleben. Die Suche nach den Erben der Markenrechte als auch die nachfolgende Überzeugungsarbeit, die Marke zu reanimieren und damit ein Stück amerikanischer Geschichte zu verkaufen, zog sich über Jahre hin. Zu jedem Zeitpunkt stand der Wunsch im Vordergrund, wie die Inhaber bestätigen, die Marke Gravel Cologne wieder in ein familiär geprägtes Umfeld zu übergeben, das den Idealen Knudsens und den Werten der Marke Gravel entspricht. Die Bemühungen der Blessings waren schlussendlich erfolgsgekrönt – und Gravel endlich wieder auf dem Markt.
Der Name im übrigen stammt von den kleinen Kieseln, die in jedem Flakon des Signature-Duftes zu finden sind und, so sagt man, einen Teil seines speziellen Duftes, seines Duftgeheimnisses als auch seiner Farbgebung ausmachen. Knudsen sammelte die Kiesel wohl sein ganzes Leben von Hand.
Im Blog hatten wir damals vor Jahren bereits eine Gastrezension von Dr. John King zu Gravel veröffentlicht – 2009, lang ist es her. Ich werde den Signature für Euch dennoch erneut rezensieren, einfach deshalb, weil es anlassbezogen passt, denn, aufgepasst, Gravel haben soeben zwei neue Düfte lanciert, die wir uns dieser Tage gemeinsam ansehen werden: Across the Ocean und American Dream, wobei die Namensgebung, Ihr werdet es Euch schon denken können, eine Hommage an Knudsens Lebensweg ist.
Heute beginne ich mit Across the Ocean.
Von einem, der auszog – Across the Ocean
„Ein intensiver und vielschichtiger Duft, der in der Kopfnote von weichen holzigen Noten bestimmt ist. Rose, Guajakholz und Moschus nehmen uns anschließend mit auf eine Reise auf den luxuriösen Überseedampfern, die einst zwischen der alten Welt, Europa und den USA fuhren.
Gravel-Düfte sind die Essenz eines ereignisreichen und langen Lebens. Unverwechselbar und charismatisch wie der Gründer Michael B. Knudsen (geb. 1911), der aus Europa über den Ozean reiste (Across the Ocean), um dort seinen amerikanischen Traum (American Dream) zu verfolgen und schließlich das erste Herren-Parfum der USA kreierte (A Man’s Cologne). Sein außergewöhnliches Leben in den Metropolen der USA und seine europäischen Wurzeln haben Knudsen über Jahrzehnte hinweg zu unvergleichlichen Parfum-Konzepten inspiriert.
Das besondere Etwas erlangt jeder Gravel-Cologne-Duft durch die Zugabe von Steinen (engl. Gravel) die über den Reifungsprozess eine warme Farbnote abgeben und den Geruch abrunden.“
Von Schweden aus startete Knudsen in sein neues Leben: nach Amerika zog es den jungen Mann, der den Verheißungen des amerikanischen Traums folgte – für ihn sind sie aufgegangen. Across the Water bezieht sich mit seinem Namen unverkennbar auf den Anfang jener Reise, den Beginn von Knudsens neuem Leben – der Überfahrt nach Amerika.
Die Ingredienzen:
Kopfnote: Bergamotte, Zitrone, Kaschmirholz, Adlerholz (Oud)
Herznote: Rose, Tonkabohne
Basisnote: Guajakholz, Vanille, Moschus
Ich bin erleichtert, hatte ich doch eigentlich befürchtet, dass uns ein aquatischer Duft erwartet hinsichtlich des Namens – das scheint, zumindest anhand der Zutaten, nicht der Fall zu sein – und würde meines Erachtens nach auch nicht zur Marke passen, einmal abgesehen davon, dass es bereits wirklich viele aquatische Düfte gibt …
Across the Ocean startet spannend – und bleibt es auch. Pudrig ist das erste Wörtchen, das mir im Kopf herumschwirrt, allerdings eine „dumpfe“ oder vielmehr matte Pudrigkeit. Während ich noch deren Ursprung suche (die Rose vermutlich, in Kombination mit einigen anderen Bestandteilen), erklimmen die Hesperidenfrüchtchen die Bühne. Zitrisch-prickelnde, saftig-säuerlich erfrischende und dynamische Noten, nicht im Alleingang, sondern wundervoll gepaart mit balsamischen Hölzern und sacht-rauchigem Oud. Das funktioniert ziemlich gut, wenngleich die Kombination nicht besonders häufig ist. Warum eigentlich nicht? Ich liebe diese Paarung, die sich unter anderem in Xerjoffs Fars findet oder in Accendis‘ Aclus. Sie trägt Across the Ocean eine ganze Zeit, wobei im späteren Verlauf die Pudrigkeit erneut in den Vordergrund rückt. Rosen, dezent fruchtig und samtig, verhalten gesüßt von Vanille und Tonka, getragen von balsamischem, warmem, würzigen Guajakholz und weichgezeichnet von einem Quentchen Moschus.
Across the Ocean wohnt dank der Rose in der Tat eine gewisse aquatische Fruchtigkeit inne, darüber hinaus eine pudrige, aber vollkommen männertaugliche Süße – das Versprechen eines neuen Lebens, eines „süßen“ 😉 Alles in allem ist er modern interpretiert, aber dennoch auf eine Art klassisch, ein Immergeher mit Charakter für Männer so gut wie jeglichen Alters. Als Frau darf man ihn sich allerdings ebenfalls stibitzen, er dürfte vielen Damen auch stehen.
Ich bin gespannt, wie es dieser Tage weitergeht mit dem zweiten Neuling von Gravel – bis dahin alles Liebe und einen schönen Sonntag Euch –
Eure Ulrike
Schreibe den ersten Kommentar