Missionsarbeit…

… leisten mag ich heute, und zwar für etwas auf den ersten Blick ganz und gar unolfaktorisches, nämlich für ein Buch und die dazugehörige Literaturverfilmung, die soeben im Kino angelaufen ist.

Von was ich spreche? Von „Die Eleganz des Igels“ sowie dem cineastischen Pendant „Die Eleganz der Madame Michel“.

Das vielfach preisgekrönte und bisher in 27 Sprachen übersetzte Werk von Muriel Barbery, die Philosophie studierte und an einem Lehrerausbildungsinstitut unterrichtete, dreht sich um eine urfranzösische Institution – die Conçierge. Ein im Aussterben begriffener Berufsstand, der so viele französische Autoren inspirierte, die, je nach Gusto, die sich heute als „Gardienne“ Bezeichnenden als Wachhund oder auch (Haus)Drachen darstellten, als leise Heinzelmännchen oder dauermürrische Misanthropen. Barberys Conçierge gehört scheinbar zu letzteren und hört, wenn sie denn hören mag, auf den Namen Renée Michel. Sie ist, wie wir erfahren dürfen, Witwe, klein und unscheinbar, vierundfünfzig Jahre alt und lebt seit siebenundzwanzig Jahren in der Rue de Grenelle 7 in Paris. Ihr Wohn- und Arbeitsort ist ein Appartementhaus der Luxusklasse, von Reichen besiedelt.

Renée organisiert, putzt, hausmeistert, leert Briefkästen und sorgt dafür, das alles beim Rechten bleibt. Ist unsichtbarer Geist und wird von allen übersehen. Dabei verbirgt sich auf den zweiten Blick mehr hinter der schnöd-schroffen grantigen Hausmeisterin, ein Blick, den sie den anderen tunlichst zu verwehren trachtet: Renée ist ein Schöngeist. Hinter der Fassade des Bruddels, Schmuddels und Muffels verbirgt sich ein überaus graziler Geist, welcher dem Körper einer grauen Maus innewohnt. Ihre Hausmeisterwohnung in der untersten Etage ist Renées Elfenbeinturm, in dem sie ihren Leidenschaften frönt: Renée ist überaus gebildet und liest stapelweise Bücher, hat ein ausgeprägtes Faible für russische Literatur – ihr Kater heißt Leo nach Tolstoi –, für Philosophie, besonders für die Phänomenologie. Sie ist Cineastin, liebt klassisches japanisches Kino und hat eine Schwäche für erlesene Zartbitterschokolade – was sie alles bestens vor der Außenwelt zu verstecken weiß, bisher.

Bis zu jenem Tage nämlich, in dem ein neuer Appartementbesitzer das Appartement des soeben verstorbenen Gastrokritikers bezieht – Monsieur Kakuro Ozu. Dieser wohlerzogene höfliche und stille Neue ist feinsinnig und intelligent genug, Renée alsbald auf die Schliche zu kommen… genauso wie die 11jährige Paloma, die ebenfalls mit ihrer Familie das Haus bewohnt und beschlossen hat, an ihrem 12. Geburtstag Selbstmord zu begehen, weil sie ihrer Familie und dem Leben überdrüssig geworden ist.

Aus der seltsamen Konstellation, der subtilen Verbrüderung dieser drei Sonderlinge spinnt Barbery ein feines Netz: Ein modernes Märchen, leise und poetisch die Geschichte dreier Einzelgänger erzählend, die sich erkannt und gefunden haben – inmitten einer oft oberflächlichen, materialistischen, häufig kalten, anonymen und schnelllebigen Zeit. Wohltuend, weil keine Milieustudie darstellend und ohne übertriebenen moralischen Zeigefinger auskommend erzählt uns Barbery hier einfach nur eine Geschichte, die Seelenbalsam bietet.

Der Film nun, der verständlicher, aber lange nicht so schön „Die Eleganz der Madame Michel“ heißt – „Die Eleganz des Igels“ war ein Ausspruch Palomas, ihre Charakterisierung von Renée – ist, ersten Kritiken nach zu urteilen, sehr gelungen: Sehr nahe am Buch scheint sich die Regisseurin Mona Achache sehr viel Mühe gegeben zu haben bei der Umsetzung dieses sensiblen Werkes, wie bei Kino.de zu lesen:

Viel Wert legt Achache mit Kameramann Patrick Blossier auf die Abgrenzung der einzelnen Wohnkulissen in der Lichtsetzung. Sie legt kein harmonisches Feelgood-Movie vor, sondern eine melancholischen Komödie mit detaillierten Blick in Cinemascope für innere und äußerer Räume und komplexen Figuren, bestens verkörpert von der erfahrenen Josiane Balasko, der Newcomerin Garance Le Guillermic und dem zurückhaltenden Togo Igawa.

Das äußerst sich auch in den ersten Kritiken: Einen „verträumten Seelenschmeichler“ nennt den Film der Spiegel, die Süddeutsche vergleicht mit Gondrys Filmen (Vergiss mein Nicht, Science of Sleep) und lobt die schauspielerische Leistung von Balasko in der Rolle der Renée Michel:

Josiane Balasko, die in Frankreich dafür geliebt wird, dass sie schon manche Randexistenzen aus dem Dunkel ins Licht geholt hat, die solchen Frauen eine beiläufige Würde und selbstverständliche Präsenz verleihen kann, spielt die ruppige Madame Michel wie einen Schmetterling, der sich aus seinem Kokon herausschält. Der Soundtrack von Gabriel Jared löst sie aus der Schwere ihrer Existenz, verleiht ihr mit der Zeit immer größere Leichtigkeit, eine Ahnung von Liebe sogar.

Hört sich sehr sehenswert an – ich werde dieser Tage das Kino entern.

Wieso ich Euch Buch und Film vorstelle? Und wo die Relation zum Olfaktorischen bleibt, zu unseren Parfums?

Nichts leichter als das… Ich habe einmal ein Interview gelesen und für Euch gerade auch schon gesucht, die Quelle ist aber bedauernswerterweise unauffindbar – in jenem wurde ein älterer und sehr bekannter Parfumeur nach seiner Intention befragt, seiner generellen. War es Roudnitska? Roucel? Ich weiß es leider nicht mehr. Aber ich weiß die Antwort auf die Frage noch: Glück wolle er konservieren, mit jedem Duft. Er stelle sich bei jedem Parfum von Neuem einen Augenblick absoluten Glücks vor, in einer Landschaft, mal mit, mal ohne Menschen, einen intimen und intensiven Moment. Und jene versuche er mit seinen Düften für die Ewigkeit festzuhalten.

Auch wenn es verschiedene philosophische Ansätze zur Thematik des Glückes gibt – nicht nur Aristoteles geht davon aus, daß alle Menschen nach Glückseligkeit streben. So auch Madame Michel, die zudem ständig auf der Suche nach Schönheit in unserer Welt ist, der Welt ständig Ästhetisches abzuringen versucht – und wenn wir gerade schon bei den alten Griechen waren: Überflüssig zu erwähnen, daß in der Philosophie das Schöne und das Gute jahrhundertelang zusammen in Eins fielen, oder?

Es mag sich viel geändert haben, ich denke das Streben nach Glückseligkeit sowie nach dem Schönen und dem Guten ist immer noch ein Drang, der die meisten Menschen an- und umtreibt, in welcher Form auch immer. Nichts anderes beseelt uns doch auch als Menschen mit Passion(en) und Obsession(en), als Liebhaber, als Duftliebhaber: Die Suche nach dem Absoluten, dem Schönen, nach Identität, nach einem Duft, der zu uns paßt, der uns glücklich macht.

Insofern sehe ich hier eine Affinität gegeben, sehe Gemeinsamkeit(en). Und wollte Euch deshalb auf dieses wunderschöne Buch und den hoffentlich ebenso gelungenen Film aufmerksam machen. Ganz abgesehen davon, daß, wer mag, auch weiterlesen kann oder zuerst beginnen – und zwar bei Barberys erstem Werk „Die letzte Delikatesse“, das in der Tat etwas mit Geruchs- und Geschmackssinn zu tun hat. Hier wird die Geschichte oder viemehr die letzten Stunden im Leben des Gastrokritikers ein paar Etagen über Madame Michel hausend, erzählt, welcher sein Leben Revue passieren läßt auf seiner letzten Suche, der Suche nach einem Geschmack, einer Kindheitserinnerung und der Speise, mit der er sein Leben beenden mag…

Ich wünsche Euch allen einen schönen Tag –

Eure Ulrike.

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Ulrike Knöll Verfasst von:

Meine Liebe gilt seit jeher dem Ästhetischen: Mir geht das Herz auf bei jeglichen Dingen, die durch Form, Funktionalität, Design und Herzblut zu überzeugen wissen. Und wenn dann noch ein Quäntchen Historie dazu kommt, ist es meist ganz um mich geschehen … Ich bin der Nischenparfümerie mit Haut und Haaren verfallen und immer auf der Suche nach dem – oder vielmehr: einem – neuen heiligen Gral. Diese Suche sowie mein ganzes Interesse und meine Begeisterung möchte ich gerne mit Euch teilen!

6 Kommentare

  1. Jutta L.
    25. Mai 2010
    Antworten

    Liebe Uli,

    danke Dir für den wunderschönen Artikel und Buch/Filmtip. Hört sich an, als müsste ich den Film ganz bald sehen. Und falls Roudnitska derjenige ist, dem das Zitat zuzuschreiben ist, ist ihm die Konservierung des Glücks mit Parfum de Thérèse auf jeden Fall gelungen.
    Wenn man die Geschichte dazu kennt, daß er das Parfum ursprünglich nur für seine geliebte Frau kreiert hatte, kann man förmlich die Liebe und das Glück, daß er mit ihr empfunden haben muß, spüren. So geht es mir zumindest.

    Liebe Grüße
    Jutta

  2. heute mal kikeline
    25. Mai 2010
    Antworten

    Erinnert mich an Narziß, der sich in sein eigenes Spiegelbild verliebte.

  3. Ulrike
    25. Mai 2010
    Antworten

    Oh Jutta, ja, das finde ich auch was das Parfum de Thérèse angeht – soo schön *herzchenmal*
    Und ich hoffe sehr, daß der Film genauso toll wird wie das Buch. Lese selten „Zeitgenössisches“, diese beiden Bücher von Madame Barbery haben sich aber sehr gelohnt.

    Viele liebe Grüße, Uli.

    P.S.: Liebe Kikeline, welcher Narziss oder meinst Du Narziß ohne Goldmund?

  4. Christiane
    26. Mai 2010
    Antworten

    Liebe Uli,
    dank Deines wunderschön geschriebenen Artikels werde ich ins Kino gehen (müssen). Sonst schrecke ich ja vor Literaturverfilmungen eher zurück, um mir mein eigenes Kopfkino nicht zu (zer)stören. Und weil Bücher naturaliter vielschichtiger sind. Aber dafür kann man in Bildern schwelgen und großartige Schauspieler sehen (Allendes Geisterhaus fällt mir da sofort ein) oder nette Männer schauen (Der englische Patient, Jenseits von Afrika – bei letzterem gefiel mir der Film besser als das doch ermüdend geschriebene Buch).
    Zu Deinem (Nicht)Zitat – ist das nicht von Baldini in „Das Parfum“? Aber das Buch ist so schrecklich-gut geschrieben, das werde ich ganz gewiss nicht nochmal zur Recherche nachlesen.
    Und Jutta hat recht: beim Fliederkauf durfte ich Therese kennenlernen – sooooo schön!
    Liebe Grüße Christiane

  5. 28. Mai 2010
    Antworten

    Ich habe den Film gestern erst gesehen. Er ist wirklich subtil komisch und anrührend zugleich. Ich kenne das Buch zwar nicht, werde es aber dafür jetzt umso gleich lesen. Man muss diesen Film unbedingt sehen. Die Bilder sind unglaublich beeindruckend, die Kulisse, das Dekor ist zu 100½ aufeinander abgestimmt und passend. Man kann den Duft förmlich spüren! Man ist mit allen Sinne dabei!

    lg, martha

  6. Ulrike
    1. Juni 2010
    Antworten

    Und ich war noch nicht drin *quengel*
    Dieser Tage wird es aber auf jeden Fall noch was, ich muß nur endlich meine Mutter überreden – der ich auch immer das Buch aufschwatzen wollte, sie scheint aber resistenter zu sein als Ihr 😉
    Allerdings nicht zu Ihren Gunsten, die beiden Bücher lohnen sich wirklich.
    Freue mich allerdings wirklich auf den Film – wenn die Bilder so toll sind wie von Dir beschrieben Martha dann hoffe ich auf eine glorreiche Umsetzung meiner Phantasien zum Buch 🙂

    Liebe Grüße, die Uli.

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