… ist heute unser Thema – Vorhang auf für den amerikanischen Indie-Duft von Josh Meyer!
Von einem, der auszog – The Cobra & The Canary
„We were driving faster than dammit, headed due west for a place called Anywhere But Here.“ -James Spundt
„When a tip from a clairvoyant leads 23-year old Neal Orris to a rural Connecticut barn housing his deceased father’s secret obsession, a pristine 1964 Shelby Cobra Roadster, it is the getaway ticket he was desperately searching for. After liberating his best friend Ike from his dead-end job on the family farm, the two hit the open highway. Aiming for the Palm Springs race tracks, their journey is a blur of seedy motels, cool swimming pools, hot debutantes, cocktails, and cigarette smoke. Each stop finds the friends inventing new pseudonyms and personas for themselves, their innocent game hurtling into the depths of decadence and desolation.
WHEN TO WEAR THIS FRAGRANCE: Do this scent on hot, hazy weekdays when you can put your life on hold and enjoy a simple luxury like a fast drive in the country.“
Die Ingredienzen: Zitrone, Iris, Tabakblüten, Leder, Heu, „Asphalt“
Wie immer bei Imaginary Authors haben wir es mit Fiktionen zu tun – fiktiven Protagonisten, fiktiven Plätzen, fiktiven Visionen … Diese hier liest sich wie eine typisch amerikanische Coming of Age-Story bester Tradition: Ein Hellseher oder vielmehr der Hinweis desselben führt den 23jährigen Neal Orris zu einer Scheune auf dem Land, wo er die heimliche Liebe und Leidenschaft seines Vaters entdeckt, einen 64er Shelby Cobra Roadster, der für ihn zu der Fluchtmöglichkeit wird, der ersehnten. Er bricht mit seinem besten Freund Ike aus, lässt den dröge-tristen Job auf der Familienfarm hinter sich, düst schnell wie der Teufel auf dem Highway gen Palm Springs, wo die beiden auf die Rennstrecke wollen. Die Reise dorthin wird zu einem wilden Film aus schäbigen Motels und kühlen Swimming Pools, heißen Debütantinnen, Cocktails und Zigarettenrauch. Sie erfinden sich neue Identitäten, verstecken sich hinter Pseudonymen, ein unschuldiges und gleichermaßen dekadentes Spiel, das jedoch Folgen der Verwüstung nach sich zieht …
Unheilvoll hört sich das an – und das ist es hin und wieder, wenn jugendlicher Sturm und Drang einfach auf alles pfeift und alles auf eine Karte setzt …Bei den Beatniks finden sich mehrere solche Geschichten, wahre und erfundene. Auch sonst ist dieses Motiv kein unbekanntes, Literatur- und Filmliebhaber werden es kennen – und nicht nur die, waren wir doch alle mal jung und haben im Laufe des Lebens sicherlich mehr als einmal davon geträumt, so manches hinter uns zu lassen, oder nicht?
In Kafkas Erzählungen aus dem Nachlass gibt es die Parabel Der Aufbruch, an den ich jedes Mal denken muss, wenn ich Geschichten von Roadtrips und Coming of Age lese, derlei Filme sehe, Text zitiert nach Textlog:
„Ich befahl mein Pferd aus dem Stall zu holen. Der Diener verstand mich nicht. Ich ging selbst in den Stall, sattelte mein Pferd und bestieg es. In der Ferne hörte ich eine Trompete blasen, ich fragte ihn, was das bedeutete. Er wusste nichts und hatte nichts gehört. Beim Tore hielt er mich auf und fragte: »Wohin reitet der Herr?« »Ich weiß es nicht«, sagte ich, »nur weg von hier, nur weg von hier. Immerfort weg von hier, nur so kann ich mein Ziel erreichen.« »Du kennst also dein Ziel«, fragte er. »Ja«, antwortete ich, »ich sagte es doch: ›Weg-von-hier‹ – das ist mein Ziel.« »Du hast keinen Eßvorrat mit«, sagte er. »Ich brauche keinen«, sagte ich, »die Reise ist so lang, daß ich verhungern muß, wenn ich auf dem Weg nichts bekomme. Kein Eßvorrat kann mich retten. Es ist ja zum Glück eine wahrhaft ungeheure Reise.«“
The Cobra & The Canary liest sich auf den ersten Blick, als ob er eine perfekte olfaktorische Impression der Landschaft ist, durch die die beiden Twens fahren. Derlei gibt es nicht so oft, umgehend in den Sinn kommt mir Nostalgia von Santa Maria Novella, den ich vor etlichen Jahren einmal bei Parfumo folgendermaßen beschrieben hatte:
„Die Mille Miglia gilt als die bekannteste Oldtimer-Rallye der Welt – und Nostalgia dürfte die perfekte Begleitung dafür sein: Ein Duft, der einem Autorennen gewidmet ist.
Doch, hier ist alles mit drin: Das Gummi der Reifen mitsamt seinen Abnutzungserscheinungen, ein Klecks Motorenöl, lederbezogene Sitze. Und nicht zuletzt auch die schöne mediterrane Landschaft Italiens, durch die sich die Strecke schlängelt. Ein paar zitrische Spritzer und knarzige Hesperidenbäume, unter denen sich hervorragend ein Zigarettenpäuschen einlegen lässt in der Wärme der frühsommerlichen Sonne.
Sehr nett und sehr besonders. Maskulin und im Besitz einer gewissen Ähnlichkeit mit Annick Menardos Meisterwerk Bulgari Black. Allerdings ist Black hier wohl eher der trendige Bling-Bling-Bruder während dieser Kandidat hier der kantige Mann-Mann ist. Und dann auch noch Understatement pflegt. Beeindruckend.“
Wie ein Forist dort schrieb ist der Holzdeckel des Flakons dem Schaltknauf eines Alfa Romeos nachempfunden. Solltet Ihr mal die Gelegenheit haben, Nostalgia zu testen – tut es! Und wenn sich ein Autonarr in Eurem Umfeld befindet, vielleicht gar ein Oldtimer-Nerd – Nostalgia ist der perfekte Duft für diese Person! The Cobra & The Canary hat den legendären Shelby Cobra im Fokus genauso wie die Straße, über die dieser brummt, die Landschaft, die ihn umgibt. Und vielleicht auch den Draufgängergeist der beiden Jungspunde? Es hilft nichts, er muss ab auf die Haut …
The Cobra & The Canary erfüllt meine Erwartungen, meine Hoffnungen vollkommen und zaubert mir an diesem tristen, verregneten Tag ein Lächeln ins Gesicht. Josh Meyer enttäuscht nicht. Er hat in der Tat alles einbezogen. Wir haben es mit einem Duftgemälde zu tun, das regennassen Asphalt offeriert, der in der Wärme der gütigen Sonne trocknet. Noten von Reifengummi – ja, ganz genau, und zwar ebenso toll wie in dem eben angesprochenen Nostalgia, wenngleich etwas zahmer, etwas weniger offensiv, sowie in Bulgaris Black. Darüber hinaus Anklänge von Leder, Ledersitzen vermutlich, und zwar mit Patina, gealtert, in Würde, wie sie sich vermutlich in dem gehegten und gepflegten Shelby befinden. Würzig tönt es, verhalten balsamisch – für mich die Sonnenwärme, die sowohl den Highway als auch die Ledersitze des Autos, eines Cabrios vielleicht, erwärmt und deren ureigenen Geruch freisetzt. Darüber hinaus Heuballen, die den Straßenrand säumen, sonnengetrocknete Gräser und Kräuter, die an eben jenem wild wachsen …
The Cobra & The Canary ist feinstes, duftendes Kopfkino – ein olfaktorischer Roadtrip, bei dem der Weg das Ziel ist und nur der Horizont die Grenze … die große Freiheit, ich verstehe. Und genieße The Cobra & The Canary. Klare Testempfehlung!
Einen schönen Tag Euch meine Lieben und viele herzliche Grüße
Eure Ulrike
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