RAMMSTEIN und das Kokain – Du riechst so gut?

An Rammstein scheiden sich die Geister. Sie werden vergöttert, die Berliner, die seit 25 Jahren weltweit verbrannte Erde mit ihren Pyroshows hinterlassen. Die Brachialromantiker mit den großen, opernhaften Gesten, rollendem R und sexuellen Eindeutigkeiten provozierten zuletzt die ganze Republik mit einem Vorschauvideo zu „Deutschland“, in dem sie als KZ-Häftlinge verkleidet auf ihre Hinrichtung warten.

Rammstein Live at Madison Square Garden
KinkESizemore [CC BY-SA 3.0], via Wikimedia Commons
Spätestens mit dem zweiten Album „Sehnsucht“ hatte es mich Ende der 90er dann auch erwischt. Seither habe ich die Band immer verfolgt, habe mir das eine oder andere Album gekauft und immer wieder gefreut, wenn sie mit ihren Videos und Texten die Öffentlichkeit vor den Kopf stießen. Man wird älter, die Perspektiven verändern sich, manches wirkt heute unfreiwillig komisch. Dennoch ertappte ich mich dabei, wie ich gespannt die neuen Songs des unlängst erschienenen Albums erwartete. Die erste Auskopplung „Deutschland“ halte ich vor allem auch wegen des Videos für ein großartiges Kunstwerk, eine polarisierende Aufarbeitung deutscher Geschichte, aber seht selbst:

Als ich die Ankündigung des Rammstein-Parfums KOKAIN las, war meine erste Reaktion: muss das sein? Ist das jetzt die letzte Stufe des Ausverkaufs? Zumal Parfums bekannter Popstars, die man sonst in den Drogerien erhält, nicht gerade das Gelbe vom Ei sind. Trotzdem bestellte ich mir den Duft, um Euch davon berichten zu können, und da die 50-ml-Pulle mit 19,99 € nicht zu sehr ins Budget geht.

Produktbild Rammstein – Kokain

KOKAIN – was uns versprochen wird

Der Titel KOKAIN erinnert mich an die Liedzeile aus „Benzin“: „Brauch keinen Freund, kein Kokain/Brauch weder Arzt noch Medizin“. Brauchen wir es denn? Der Name „KOKAIN“ reiht sich in die Rammstein-Provokationen ein. Der Duft ist ja immerhin auch etwas, was man durch die Nase schnorchelt; Rossmann titelte gar: „Brauchst Du Stoff?“ Der Nischenduftfreund lächelt müde, kennen wir doch seit vielen Jahren drogeninspirierte Düfte, man denke nur an Nasomattos „Black Afgano“ (Bericht) oder „China White“ (Bericht) und viele andere.

Pressetext zu KOKAIN

Wenn die Musik von Rammstein der Soundtrack für die Errichtung monumentaler Bauten in der Wüste ist, dann muss irgendwo ein imposantes Bauwerk stehen, an dem bereits seit 25 Jahren gearbeitet wird – denn genau so lange beackern die 6 Ostberliner ihren Boden schon. Mit verkauften Bild und Tonträgern im oberen 7-stelligen Bereich, als Headliner auf den großen Festivals weltweit, ausverkauften Stadien-Tourneen, bis hin zum Madison Square Garden New York, ist diese Gruppe an die Spitze der riesigen Pyramide der Rockmusik aufgestiegen. Ihren Status als unübertroffene Live-Band verdanken sie ihrer einzigartigen Kunst (und Kunst ist hier das Zauberwort) – dramatisch, von epischem Ausmaß und alle Sinne berührend; ein düsteres und spektakuläres Märchen, durchzogen von kontroversen, einer nicht zur Nachahmung empfohlenen Bühnen-Show und dem alles durchdringenden Duft von Benzin.

Die 6 Musiker begreifen jeden Schritt ihrer Arbeit als Teil eines in sich stimmigen, progredienten Gesamtkunstwerks. Als die Frage aufkam „wie könnte ein Duft der Marke Rammstein eigentlich riechen“, war schnell klar – auf keinen Fall so, wie ihn die Marketingabteilung eines Duftunternehmens – unter Einbeziehung von Trends und Marktsituation umsetzen würde. Rammstein sind schon immer ausschließlich nach ihrem eigenen Rhythmus marschiert und haben dabei nicht nur das Regelwerk der Musikindustrie breit grinsend in Brand gesteckt – sondern alles was sie jemals anfassten, gleich mit – und das erfolgreich.

Um also so viel vorwegzunehmen: RAMMSTEIN als Parfüm ist – analog dem Gesamtkunstwerk – 100% Rammstein, spektakulär und im wahrsten Sinne des Wortes: „Rammstein-esque“. Einzel-Olfaktorien, wie der Duft von reinem Heroin und Kokain eröffnen in der Kopfnote, treffen im Herz auf ein Stakkato kräftiger Noten wie Benzin und Patschuli, um mit verbrannten Hölzern, Leder und dem Geruch von Feuer im Unterbau abzurunden. Ein Parfum für alle Männer und Frauen, die das Außergewöhnliche lieben. Rammstein KOKAIN – macht süchtig. [Fettungen von mir].

Über die gefetteten Passagen musste ich schmunzeln. Machen wir uns nichts vor. Rammstein versteht es wie kaum eine andere Band, sich selbst zu vermarkten. Da wird man dann auch nicht einfach einen wilden, unpopulären „Stinker“ auf den Markt werfen, der wie Blei in den Regalen liegt.

KOKAIN – was wir bekommen

Produktbild Rammstein – Kokain

Wie riecht reines Heroin oder Kokain? Das wird wohl kaum jemand wissen. Vorweg: der Duft kommt auf dem Teststreifen völlig anders als auf der Haut heraus, bei mir zumindest. Auf dem Streifen ein pudrig-medizinischer Beginn, fast frisch, der dann in eine vorsichtige Ledernote übergeht, die auf längere Sicht dominanter wird. Auf der Haut rieche ich zu Beginn eine blumig-medizinisch-pudrige Note, da könnten irgendein Weißblüher sowie synthetische Noten im Spiel sein. Dann kommt das Leder, das ein bisschen vom Bühnenschweiß getränkt ist. Aber dezent! Meine Haut schluckt den Rest und zeigt weiter eine pudrig-ledrige Mischung. Ein bisschen Hölzer und Früchte mögen noch hineinspielen, eine gewisse Süße ist in jedem Fall vorhanden.

Ich muss sagen, dass ich angenehm überrascht bin, denn an den Drogeriedüften gehe ich nach vielen erfolglosen Schnupperversuchen mittlerweile einfach vorbei. KOKAIN ist in dieser Sparte tatsächlich einmal etwas anderes. Und das ist auch die Relation, in der man den Duft betrachten sollte. Für einen Drogerieduft überraschend gut und eigenwillig, für die nischenduftverwöhnte Nase zu anspruchslos und eindimensional.

Brauch keinen Freund, kein KOKAIN

Parallel habe ich mir einmal Tuscan Leather von Tom Ford aufgesprüht, um meinen Eindruck zu hinterfragen. Tuscan Leather ist organischer, plastischer, natürlicher, edler. Ich denke, es wird nicht nur mir so gehen, aber ein wirklich gelungener Lederduft ist einfach Gold wert. Tuscan Leather, Parfums de Marlys Godolphin (Bericht), Montales Aoud Leather (Bericht) oder Clive Christians C for Men (Bericht) spielen einfach in einer anderen Liga und haben den Ledergenuss auf die Spitze getrieben. Für den schnellen leichten Genuss kann man KOKAIN einmal mitnehmen, für anspruchsvollere Genüsse dann doch lieber einen der oben genannten.

Feuer frei!
Harmen

PS: Ich hätte den Duft „Spritzkrieg“ genannt, liebe Rammsteins. 😉

Neueste Kommentare

Harmen Biró Verfasst von:

Hallo, ich heiße Harmen, war bis vor Kurzem irgendwas­unddreißig und habe immer die Nase im Wind, um Duftschätze für Euch zu finden und hier vorzustellen. Selbst bevorzuge ich feine Lederdüfte oder Gewürzkompositionen, ohne mich da aber festzulegen. Warum auch? Es gibt ständig so viel Neues in der Welt der Düfte zu entdecken. → BIRÓ

Ein Kommentar

  1. Ulrike Knöll
    13. Juni 2019
    Antworten

    Hahahaa 😀
    … auch wenn mich Rammstein nie hatten im Gegensatz zu Dir (ok, „Ohne Dich“ ist geil, der Seemann auch …) – das muss ich mir definitiv eben auch mal reinziehen, das olfaktorische Drögchen!

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