Duftspuren gleich unsichtbaren Tätowierungen – Parle Moi de Parfums Orris Tattoo / 29 …

… verspricht genau das zu sein – dem werde ich heute auf den Grund gehen. Eigentlich wollte ich in dem heutigen Artikel die zwei letzten Düfte von Parle Moi de Parfums vorstellen, die uns jetzt schon über eine Woche hier im Blog beschäftigen. Unverhofft kommt oft – der Artikel zu Orris Tattoo / 29 ist länger geworden, deshalb kommt die vorerst wirklich letzte Rezenion, die sich mit Chypre Mojo / 45 beschäftigt, nächste Woche. Für diejenigen, die die bisherigen Rezensionen verpasst haben: Parle Moi de Parfums ist ein französisches Familienunternehmen um Michel Almairac, ansässig in Grasse und Paris und seit 2016 auf dem Markt. Die Markengeschichte mit den ersten Duftrezensionen findet Ihr hier, weiter geht es dann mit Teil 2, Teil 3, Teil 4.

Orris Tattoo / 29

„A return to the hallmarks of classic perfumery, a tribute to one of its rarest natural ingredients: iris. Florists love its gorgeous flowers, but we’re all about the root, left to grow deep underground for three years before being dried for another three years. It’s then ground up and transformed into iris butter, probably the most expensive butter you’ll ever encounter! Orris Tattoo is a permanent scented reminder, a universal symbol, a unique self-expression like an invisible tattoo that withstands the test of time.“

Die Ingredienzen: Iris, Veilchen, Ambra

Orris Tattoo / 29 bezieht sich demnach auf die lange Tradition, die die feine Iris(wurzel) in der Parfumherstellung besitzt. Heutzutage ist reine Iris kaum mehr in Düften zu finden – warum? Weil es schlicht zu teuer ist. Um ein Kilogramm Iris-Absolue zu erhalten, werden über eine Tonne (!) mehrere Jahre gelagerte Rhizome benötigt – deshalb war mein letzter Stand, der schon einige Jahre alt ist, das dafür um die 100.000 Euro aufgerufen werden. Dieser Preis dürfte sich mittlerweile noch verteuert haben. Man kann das schnell runterbrechen: Bei einer Duftkonzentration von zehn Prozent und Flakons mit hundert Milliliter Inhalt sind zehn Milliliter Duftöl in der Flasche enthalten. Verwendet man hier auch nur einen Milliliter Irisextrakt pro Flasche – keine Ahnung, ob der zu duftintensiv wäre von der Konzentration her oder ob man mehr benötigen würde -, würde allein dieser Milliliter, rechnet man großzügig und annäherungsweise Gramm in Milliliter um, circa 100 Euro kosten. Nach dieser kleinen Rechnung dürfte jedem klar sein, dass in den meisten Irisparfums heute keine echte Iris mehr enthalten ist. Ich hatte vor einiger Zeit einmal gelesen, dass Iris zum Teil noch in der Herstellung von Getränken bzw. Edelalkoholika verwendet wird – das muss ich nochmals recherchieren. Beim kurzen Googeln wurde ich diesbezüglich nicht fündig, bin aber über einen vielversprechenden kleinen Beitrag der BBC gestolpert, den ich Euch nicht vorenthalten möchte – Iris, die kostbarste Parfumingredienz der Welt.

Darüber hinaus, falls Ihr am Wochenende ein paar ruhige Minuten und Muße habt, möchte ich Euch zum Thema Iris noch einen weiteren Link ans Herz legen: IRIS GRIS: A History of Folly (Part I) von Ashraf Osman. Ashraf beschäftigt sich hier mit Irisdüften im Allgemeinen und mit einer Legende im Besonderen, mit Jacques Faths Iris Gris. Letzterer ist einer der Irisdüfe, vermutlich der Irisduft in der Geschichte der Parfums, unbestritten der Holy Grail eines jeden Irisduftliebhabers (die sicher alle, genauso wie ich, auf Flohmärkten die wage Hoffnung im Herzen tragen, vielleicht irgendwo die Nadel im Heuhaufen zu finden und ein kleines altes Fläschchen entdecken, ein unbeachtetes) und schon lange discontinued, erschien er doch 1946, 1947. Iris Gris war damals schon extrem teuer in der Herstellung (wegen eines unverschämt hohen Anteils echten Iris-Absolues) – und wurde im Verhältnis dazu gesehen gar nicht mal so teuer verkauft, wie Ashram schreibt. Fath starb irgendwann, Iris Gris geriet in Vergessenheit, das (Mode)Haus Fath wechselte irgendwann den Besitzer und so weiter und so fort.

Der Parfumeur Guy Robert erwähnte die lang Vergessene in seinem Werk Les Sens du Parfum und bezeichnete sie als eines der absoluten Meisterwerke der Parfumeurskunst – eine (Experten)Meinung, die viele Parfumkritiker, -historiker, Parfumeure teilen. Nachdem Fath an Panouge verkauft wurde, versuchte man, den Namen Iris Gris wieder zurückzukaufen, denn dieser war mittlerweile auf Hermès eingetragen. Genaueres zu diesem Zwist lässt sich bei Ashraf nachlesen, schlussendlich hat Fath bzw. Panouge mittlerweile wieder die Namensrechte in Europa als auch weltweit mit Ausnahme der USA. Warum das Theater? Weil Panouge eine Rekonstruktion von Iris Gris lancieren möchte bzw. lancierte, wozu man als Berater unter anderem Luca Turin verpflichtete. Das alles ist eine längere Geschichte, die Ihr ebenfalls in dem Artikel lesen könnt – der Entstehungsprozess zur neuen Iris wurde im übrigen dokumentarisch festgehalten von Saskia Wilson-Brown vom Institute for Art and Olfaction.

Soviel dazu – und nun zurück zu unserem Duft Orris Tattoo / 29, der laut eigenem Bekunden eine Hommage an diese klassische Ingredienz ist, jene sagenumwobene Ikone: Ein duftender „Reminder“ möchte er sein, ein einzigartiges Duftstatement, das einem unsichtbaren Tattoo wirkt. Liest sich auf den ersten Blick seltsam, ich bin mir aber sicher zu wissen, was gemeint ist: eine „Duftspur“, ein Duftstatement, das weniger Parfum sein will im Sinne dessen, dass es das Umfeld anschreit „Schaut, riecht her, ich bin ein Parfum, mein Träger ist parfümiert!“ als vielmehr Aura ist. Eine olfaktorische Aura, die den Träger umgibt, präsent ist, sich aber in nobler Zurückhaltung übt. Das passt perfekt zur Iris. Und trifft auch auf viele meiner Lieblingsirisdüfte zu, allen voran L’Artisan Parfumeurs Iris Pallida, die es, so meine ich, nicht mehr gibt, sowie auf Heeleys Iris de Nuit. Ein weiterer Liebling von mir, der für immer und ewig in meiner Duft-Top-10 rangieren wird, ist die aldehydige Iris Poudre von Pierre Bourdain für Frédéric Malle.

Wie sieht es aus, meine Lieben, Iris-Fans unter Euch? Welches sind Eure liebsten Irisdüfte?

Zu diesem Thema findet sich selbstredend viel im Netz, ist diese Ingredienz doch eine solch populäre – hier ein paar Best-of-Artikel in den üblichen Blogs:

Jetzt aber – Orris Tattoo / 29!

Mich nimmt diese Iris sofort für sich ein, auch wenn der eine oder die andere vermutlich „raus“ ist. Orris Tattoo ist, einmal mehr überraschend, wesentlich kühler als erwartet, erinnert mich deshalb etwas an die Iris von Le Labo, die vielen als sehr heller, gewürziger und würziger, transparenter und bisweilen grüner Irisduft gar nicht als solcher gilt. Diese grünen Anklänge finden sich ebenfalls in Orris Tattoo, der darüber hinaus eine kühle Erdigkeit mit sich bringt, die ebenfalls dem Veilchen geschuldet ist. Mehr cremig als pudrig präsentiert sich Orris Tattoo, cremig-kühl-seidig und lediglich von einer sachten, subtilen Süßpudrigkeit durchzogen, die hin und wieder aufblitzt wie ein Sonnenstrahl, der durch den bevölkten Himmel bricht. Hier finde ich Anklänge, die mich an die ebenfalls kühl-seidige Iris-Veilchen-Schönheit von Heeley erinnern, aber auch ein klitzekleines Bisschen Hiris von Hermès, jener fein-pudrigen Schönen.

Orris Tattoo / 29 wird seinem Namen gerecht: Ein Statement-Duft, der gleichermaßen Understatement verkörpert. Ein Duft, der mehr umgibt, mehr Aura ist als Parfum. Und für mich zudem noch einer, der das Beste aus diversen „Welten“ vielmehr anderen Irisklassikern zitiert. Insofern ganz klar Daumen nach oben – Irisfans sollten hier in jedem Fall testen. Und – ich kann mir Orris Tattoo / 29 auch an einem Mann vorstellen. Zugegeben, nicht an jedem, aber an dem einen oder anderen Exemplar dürfte er göttlich duften.

In diesem Sinne – einen schönen Tag Euch und bis nächste Woche!

Eure Ulrike

 

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Ulrike Knöll Verfasst von:

Meine Liebe gilt seit jeher dem Ästhetischen: Mir geht das Herz auf bei jeglichen Dingen, die durch Form, Funktionalität, Design und Herzblut zu überzeugen wissen. Und wenn dann noch ein Quäntchen Historie dazu kommt, ist es meist ganz um mich geschehen … Ich bin der Nischenparfümerie mit Haut und Haaren verfallen und immer auf der Suche nach dem – oder vielmehr: einem – neuen heiligen Gral. Diese Suche sowie mein ganzes Interesse und meine Begeisterung möchte ich gerne mit Euch teilen!

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