Kurz vor knapp – Eleventh Hour von Byredo

Mit Eleventh Hour von Byredo ist heute trübe Stimmung angesagt. Denn Byredos neu lancierter Duft ist dem Weltuntergang gewidmet oder besser, der Zeit davor, wenn eigentlich ohnehin schon alles zu spät ist. Ein, sagen wir mal, interessantes Thema für eine Duftkreation, das in vielerlei Hinsicht nicht aktueller sein könnte. Denn sei es bezüglich Klima, Krieg, menschlichem Miteinander (um nur einige wenige Punkte zu nennen), wir stehen in vielen Belangen sprichwörtlich vor dem Abgrund. 5 vor 12 ist fast schon Alltag geworden.

Wenn die Meere sich erheben werden die höchstgelegenen Gebiete die letzten Zufluchtsorte sein und Regionen, die einst als menschenfeindlich galten, werden zum Schutzhafen. Eleventh Hour greift das Ende aller Dinge aus der Perspektive des Dufts auf, eine Reise zum Ende der Zeit, das letzte Parfüm auf Erden.

Eleventh Hour Byredo

Das Ende aller Zeiten in einem Parfum einfangen … Namentlich ist das dem schwedischen Kultlabel um das Sahneschnittchen Ben Gorham bestens gelungen. Eleventh Hour ist auch von Nichtanglisten leicht zu übersetzen: Die elfte Stunde, was im Deutschen in etwa „in letzter Sekunde“, „im letzten Augenblick“ oder, wie schon genannt, „5 vor 12“ bedeutet. Urspünglich stammt die Begrifflichkeit aus der Bibel. Wer sich hier genauer interessiert, kann bei Matthäus 20 gerne nachlesen. Namentlich ist meine Neugierde auch ohne Bibellektüre bereits befriedigt und so schwenke ich gleich zum nächsten spannenden Aspekt von Eleventh Hour hinüber: den Duftnoten.

„Ich wollte reisen, bis ich nicht mehr suchen musste. Heute weiß ich, dass das Leben eine Reise ist, die uns ans Ende der Welt führt, eine Rückkehr zur Harmonie, die wir verloren haben.“ So die Worte der großen Schweizer Reiseschriftstellerin Ella Maillart, die 1951 als einer der wenigen Menschen aus der westlichen Welt Nepal, die Geburtsstätte Buddhas, erreichte.

Eleventh Hour Byredo

Die Worte bzw. die Biographie Ella Maillarts geben einen Hinweis auf die Ingredienzien des Byredoschen Endzeitdufts. Zumindest taucht das Wort Kaschmir darin auf, einem ihrer Reiseziele, neben dem nicht weit davon entfernten Nepal. Szechuanpfeffer (ja, in China war sie auch), Bergamotte, Karotte, Rum, Feige (ich frohlocke mal wieder), Tonkabohne und Kaschmirholz. Nun, so rein vom Lesen her, hört sich da für mich nichts nach Weltuntergangsstimmung an. Aber das lässt sich nur im Prtaxistest verifizieren.

Eleventh Hour startet … recht fröhlich. Im Auftakt zeigt sich zuerst eine fruchtig-erfrischende durch einen Hauch Rum angeschickerte Hesperidennote, die recht schnell Gesellschaft von dunkel-würziger Szechuanpfefferschärfe bekommt. Als hätte jemand das Licht ausgeknipst, wechselt Eleventh Hour von taghell zu stockfinster. Die Rumnote des fröhlichen Auftakts behauptet auch in der Dunkelheit ihre Stellung. Wer in guten Zeiten mit Rum feiert, der wird sich sicher auch ein Gläschen gönnen, wenn eh schon alles zu spät ist, oder?

Aber ist dem wirklich so? Ist wirklich alles zu spät? Ein Hoffnungsschimmer, ein Silberstreifen am Horizont erhellt Eleventh Hour. Die tiefste Nacht scheint vorbei zu sein. Im olfaktorischen Morgengrauen wird der Duft wieder heller, holziger, durchzogen von einer ermutigenden grünen Feigenfruchtigkeit. Auch der letzte Rest duftender Dunkelheit schwindet. Zurück bleibt ein durchaus optimistischer und nach wie vor fruchtiger Holzduft mit süß-würzigen Tonkabohnenuntertönen.

Eleventh Hour Byredo

Melancholisch ist er definitiv, der neue Duft von Byredo. Kontemplativ und ruhig, elegant, raffiniert und mit einem überraschenden Hell-Dunkel-Hell-Kontrast ausgestattet. Eleventh Hour, „das letzte Parfüm auf Erden“, soll uns vielleicht gelassen dem Ende entgegenblicken lassen. Voller Ruhe, Entspanntheit und innerer Einkehr. Vielleicht soll es uns aber auch aufzeigen, dass trotz tiefster Dunkelheit irgendwo ein Hoffnungsschimmer bleibt, dass doch noch nicht alles verloren ist. Es wäre uns zu wünschen …

Damit verabschiede ich mich für heute und wünsche Euch eine schöne Restwoche!

Liebe Grüße,
Steffi

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Julia Biró Verfasst von:

Bereits 2010 gingen so einige Blogbeiträge auf mein Konto. Dann war ich „kurz“ weg – sechs Jahre. Umso mehr freut es mich, dass ich nun wieder die Chance bekomme, mein Näschen im Dienste der Duftrezension schnuppern zu lassen und eifrig in die Tasten zu hauen. Was Nischendüfte angeht, habe ich damals übrigens schnell Feuer gefangen. Meine Ausbildung tat dazu ihr Übriges: Als diplomierte Biologin kenne ich mich nicht nur mit Fauna und Flora, sondern auch recht gut mit der Herstellung von Ölen und Extrakten aus, was den Reiz der Parfumwelt natürlich noch größer macht.

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