Heute geht es weiter mit Imaginary Authors, der Marke des Amerikaners Josh Meyer, mit der wir gestern gestartet haben hinsichtlich der Rezensionen – und zwar mit Every Storm A Serenade und Slow Explosions.
Von Schriftstellerinnen, Sehnsüchten und Stürmen – Every Storm A Serenade
„When Stina, a burgeoning writer, decamps to her mother’s summer house for the winter to write a book, her trip overlaps for one day (and one steamy night) with a brawny fisherman named Ulv. While she struggles to gain traction with her novel, her fixation on the mysterious seafarer results in countless unsent letters, the contents of which chronicle the spiraling psyche of lust and longing. Set on the desolate west coast of Denmark during the tourist off-season, Every Storm a Serenade is a meditative masterwork that will lull you with its well-designed sentences and intimate tone.“
Stina, die Schriftstellerin, die es gar nicht gibt, trifft den mysteriösen Seemann Ulv, der auch nicht existiert, in einer im wahrsten Sinne des Wortes nebulösen Nacht … Wie gestern gelernt, Imaginary Authors erzählen duftende Geschichten von Menschen und über Menschen, die so oder so existieren könnten, die es aber real nicht gibt … oder doch? Stina, unsere Autorin, möchte ins einsame dänische Sommerhaus der Mutter reisen, um ihr (nächstes) Buch zu schreiben, und trifft jenen Seemann, der ihre Phantasie anregt, dem sie zahllose Briefe schreibt, die sie nie abschickt … Viel Sehnsucht, viel Tabula Rasa mit noch mehr Platz für wehmütiges Wünschen, eingebettet in die ohnehin melancholische skandinavische Landschaft, die nachts beim Sturm sicherlich noch ein bisschen poetischer wirkt.
“I patter on the typewriter all day but the letters on the page are like raindrops on a window. I fear I may be losing my mind.” – Niels Bjerregaard
Ein hübsches Zitat, das mich an einen Film erinnert, der sicherlich hier nicht gemeint ist – der Horrorklassiker „Shining“ – kennt Ihr ihn? Jack Nicholson spielt in der Stephen King-Verfilmung von Altmeister Stanley Kubrick (mit der King im übrigen nie zufrieden war, er warf Kubrick immer vor, dass er nicht treu genug am Werk geblieben ist) einen Schriftsteller, der im Winter den Hausmeister eines geschlossenen und somit leeren, verlassenen Hotels in den Bergen Colorados mimt, wo er in der Zeit schreiben möchte und wohin er von seiner Familie begleitet wird. Es dauert nicht lange, bis er dem Wahnsinn anheimfällt …
Obschon „Shining“ absolut sehenswert ist, ist das sicherlich nicht die Stimmung, die unsere Stina hegt und die der Duft heraufbeschwört, für den uns Josh Meyer folgende Trageempfehlung gibt:
„WHEN TO WEAR: Don’t be detoured by perceptions of ambergris, this is an everyday scent for those with discriminating taste.“
Every Storm A Serenade wird das Herz all jener zum Hüpfen bringen, die auf maritime Düfte „stehen“. Was ich unter maritim verstehe, habe ich schon öfters dargelegt, vor allem im Gegensatz zu aquatischen Düften – maritime Düfte sind natürlich, vermitteln ein authentisches Bild des nahen Meeres, der See, fangen nicht nur das Meer-, und nicht Poolwasser ein, sondern auch … den Sand, die Gischt, alles, was darin treiben könnte wie sonnengebleichte Hölzer, Seetang und wassergeformte Kiesel, oft genug auch den Wind und die Dünen, eben die Umgebung.
Fichtenbalsam, Eukalyptus, Vetiver, Maritime Noten und Ambra verstecken sich im Flakon – und Meyer ist es in der Tat gelungen, etwas zu erschaffen, was Seltenheitswert besitzt: einen maritimen Ambraduft. Einen Ambraduft, der zwar ein ebensolcher ist, aber eigentlich keiner sein will (oder doch?) und erst recht kein monothematischer Geselle. Der Wal auf dem Flakon erinnert schon daran – Ambra findet sich eigentlich im Meer oder vielmehr am Strand, und zwar eingebettet in die Landschaft (und ausgeschieden vom Wal, yep). Every Storm A Serenade hat mein Herz im Sturm erobert: Salzige Noten strömen mir entgegen genauso wie Wässrigkeit, ein wenig Jod und eine feine, subtile und schwer greifbare Süße, eine minzig-kühle Eukalyptusfrische mit einem Quentchen Sand, aromatisches Nadelholzgrün und eine gewisse, würzig-balsamische Wärme, die sich gekonnt im Hintergrund hält, immer wieder hervorschimmernd (und, nebenbei erwähnt, an Montales Embruns d’Essaouria erinnert).
Every Storm A Serenade ist für Männlein wie Weiblein gleichermaßen hervorragend geeignet und dürfte es bei vielen von Euch von Null auf Hundert in die Top 10, vermutlich auch die Top 5 oder Top 3 der maritimen Düfte schaffen, das verspreche ich!
Von Weltenbummlern und der Suche nach dem Selbst – Slow Explosions
„In 1980, Gwen K. Vroomen quit a monotonous job, went to the corner bar, and – on the bartender’s urging – threw a dart at a world map tacked on the wall. She had never heard of Goa but knew immediately she needed to go. Three months later she was celebrating Hindu New Year at a tea garden high in the hills of Kerala, fireworks exploding below. She wrote of that night: “I was resuscitated by color, redeemed by the vibrant unknown.” Her self-proclaimed “Journey out of darkness,” dotted with unforgettable stories of night markets, river floats, and harrowing moped rides, inspired a generation of young Americans eager to buck the drudgery of ordinary life.“
Ich glaube, ich habe zu wenig oder zu viele Filme geschaut in letzter Zeit 😉 Natürlich fallen mir zum Thema „Ich krempel mein Leben um, werfe alles hin und ziehe hinaus in die Welt“ eine ganze Menge Filme ein und Bücher … Es ist selbstredend ein uraltes Thema, eines, das sich hervorragend eignet für die Kunst, erzählt es doch von Lebenskunst – und treibt uns somit alle um: Was machen mit dem eigenen Leben, was ist der Sinn desselben, wie verleihe ich ihm Sinn, wer bin ich (und wenn ja, wie viele, um in der Welt der Philosophie zu bleiben bzw. in Richtung von Richard David Precht zu zeigen, der diese für die breite Masse in den letzten Jahren zugänglich gemacht hat), was will ich – die Liste der Fragen ist endlos. Und die Beantwortung derselben lässt sich nur individuell und höchstpersönlich bewerkstelligen, was Fluch und Segen zugleich ist.
Unsere fiktionale Protagonistin Gwen ist unzufrieden mit ihrem (bisherigen) Leben, wirft einen Dartpfeil an die Landkarte und zieht los … nach Goa, und danach weiter nach Kerala, wo sie einem hinduistischen Neujahrsfest beiwohnt, das sie mit seiner Farbigkeit betört. So die Geschichte zu Slow Explosions …
“I was lost, aimless, and depressed. Now I’m only two of those things.” – Gwen K. Vroomen
Im Netz findet sich eine Videorezension, an der Josh Meyer selbst teilnimmt, seht hier:
Er erzählt darin, dass Montale zu seinen frühen Duftlieben gehört und er die Düfte der Marke immer noch sehr schätzt, bemerkt, dass er vielleicht auch dadurch inspiriert wurde, nachdem der Interviewer eine gewisse entfernte Ähnlichkeit feststellt, weil er Slow Explosions als orientalisch wahrnimmt. In jedem Fall war aber die Ausgangsbasis der besonderes, ledrige Safran, der das Herz des Duftes ausmacht. Die beiden Jungs im Video sind sich einig – ihr Favorit der Linie.
Nun bin ich selbstverständlich neugierig auf den Duft, wenn schon Meyer selbst ihn als seinen Liebling bezeichnet. Trageempfehlungen gibt es selbstverständlich auch:
„WHEN TO WEAR: With pops of rose and hits of saffron, this scent explodes on the skin and awakens the senses. Every inhale will open you up to the idea of escape, push you to take risks, and embolden you to get truly lost. Let us know how it goes.“
Ja, doch, es ist eine langsame Duft“explosion“, ein olfaktorisches Feuerwerk, das Meyer hier zündet. Safran, Rose, Leder, Apfel, Benzoeharz und Cashmeran nennt er als Ingredienzen, das kommt perfekt hin, Slow Explosions ist aber so viel mehr … Viel viel Rose im Auftakt, fruchtige, samtige, wunderschöne Rosen, die sich gewohnt hervorragend mit dem ledrigen Safran vermählen. Jenem kostbaren Gewürz, das auch hier mit seinem eigen- und einzigartigen Duft betört, jenem tiefen, dumpfen, balsamischen, dem Meyer vollkommen un-nervige Apfelfrische ausbalancierend entgegensetzt. Das passt perfekt – und begeistert den ganzen Duftverlauf hindurch.
Die Montale-Ähnlichkeit sehe ich auch, allerdings muss man natürlich gestehen, dass beim Thema Safran und Rose Montale eine der ersten Marken ist, die einem in den Sinn kommt – zumindest mir. Slow Explosions ist eigentlich ein Orientale, ja, allerdings trotz seiner Üppigkeit, seinen prägnanten Noten und seiner Komplexität dennoch auf eine Art und Weise modern und minimalistisch. Und er ist für beide Geschlechter gleichermaßen geeignet, das scheint sich zumindest bisher durchzuziehen als roter Faden hinsichtlich der Kollektion von Imaginary Authors, mit der es bald, ganz bald weitergeht hier im Blog 🙂
Viele liebe Grüße und ein schönes Wochenende
Eure Ulrike
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