… – jetzt seid Ihr sicher neugierig, oder? Solltet Ihr auch sein, meine Lieben. Aber wer ist nun Herr Pritzkoleit? Wie Ihr ja wisst, sind nächste Woche die Art and Olfaction Awards in Berlin, über die ich bereits berichtet hatte – und auch berichten werde, Harmen und ich sind nämlich vor Ort. Unter den Finalisten findet sich besagter Sven Pritzkoleit, der auch auf der Mailänder Esxence einen Stand hatte und – ein „alter“ Stammkunde von uns ist. Sven hat Pharmazie studiert und war lange in der Apotheke seiner Eltern tätig, wo er seine Leidenschaft für Düfte weiter vertiefen konnte – diese wurde nämlich bereits in seiner Kindheit geweckt, unter anderem dank des Lieblingsparfums seiner Mutter, Magie Noire, ein Klassiker von Lancôme. Vor über zehn Jahren kreierte Sven dann sein erstes eigenes Parfum, Pink Patchouli, und tüftelte und werkelte danach stetig und beharrlich weiter, immer mit dem Ziel einer eigenen Kollektion. Die hat er jetzt – und sie ist gar nicht mal klein oder vielmehr: ziemlich beachtlich, nicht nur quantitativ, sondern auch qualitativ!
Euch Parfumistas und den männlichen Exemplaren derselben muss ich es nicht erzählen: In der Nische finden sich einige Autodidakten, allen voran Andy Tauer und Vero Kern, die bei uns hier am bekanntesten sind und mittlerweile auf beachtliche Erfolge blicken können. Dann hätten wir da noch Giovanni Sammarco und Anatole Lebreton, über dessen Düfte ich wirklich nur in den höchsten Tönen schwärmen kann, in Amerika beispielsweise John Pegg mit Kerosene, ich meine auch, dass Dawn Spencer Hurwitz und Mandy Aftel keine klassische Parfumeursausbildung haben. Bei Shelley Waddington mit ihren wundervollen En Voyage Perfumes bin ich mir nicht sicher. Die Liste lässt sich fortsetzen, nicht beliebig, aber dennoch.
Viele dieser Autodidakten, die auf oft „ungeraden“ Wegen zu der Parfumherstellung kommen und vollkommen unterschiedliche Hintergründe haben, kreieren ganz Erstaunliches – so auch Sven Pritzkoleit. Ich hatte, unter anderem auch angeregt durch seine Ernennung zum Finalisten der Art and Olfaction Awards, selbstredend großes Interesse daran, mir seine Düfte einmal näher anzusehen, was ich in Mailand gemacht habe – im Rahmen eines überaus netten Gesprächs mit dem sehr sympathischen Sven. Seine Düfte sind – besonders: Allesamt innovativ, wohnt der Hälfte seiner Essence Collection, die momentan zehn Düfte umfasst, ein deutlicher Vintagecharakter inne, die andere Hälfte ist „moderner“ und somit auch gefälliger. Darüber hinaus hat Sven in Kooperation mit Miguel Matos von Fragrantica eine eigene Duftkollektion entwickelt: Die Idee entstand während eines Workshops und entwickelte sich quasi als Selbstläufer – drei Düfte sind das Ergebnis, ein Traum Miguels, über den er hier in diesem Artikel selbst berichtet.
Ich bin ebenfalls sehr angetan von den Düften von Sven Pritzkoleit, deshalb möchte ich sie Euch hier vorstellen.
Wir beginnen mit der Essence Collection, und zwar mit dem „Vintage“-Teil derselben, genauer, den Hölzern – mit Incense Wood Spirit, Dark Rose, Violet Moss, Lignum Vitae Forte und Civette Intense.
Incense Wood Spirit ist laut Sven eine „orientalische Reise mit Gewürzen, Hölzern und Weihrauch, Jasmin und Rose, Zibet und Castoreum – 1001 Nacht!“ … oh ja, in der Tat! Aber wir haben es hier nicht mit einem Mädchen- oder Frauenorientalen zu tun, einem klassischen, süßen, warmen, mitnichten. Incense Wood Spirit trägt seinen Namen in Ehren und vollkommen zu recht – Hölzer satt, knarzig und knorrig, trocken und zum Teil sonnengebleicht, darüber hinaus kühl-neblige Weihrauchschwaden, das ist aber bei weitem nicht alles … Hier wuselt pelziges Getier, und zwar dank Zibet und Castoreum – (Groß)Katze, Ziege, Kamel … ganz genau weiß das keiner, in jedem Fall sind die animalischen Anklänge ordentlich und sehr sehr sexy. Transparente Rosennoten, fast schon Rosenwasser, die Cremigkeit von weißen Blüten und wieder … Holz. Harziges Holz, gerade geschlagen, noch „frisch“, genauso wie seine bereits trockenen „Brüder“. Incense Wood Spirit ist ein Duftchamäleon, genau so wie beispielsweise … JETZT, spätestens, muss ich ihn erwähnen: Herr Tauers Düfte, ganz besonders sein L’Air du Désert, der von allen so geliebte und geschätzte (ich teile diese Meinung und Schwärmerei). Überhaupt – ich hatte mir den Vergleich bisher verkniffen, er hinkt auch, weil die Handschrift von Tauer und Pritzkoleit unterschiedlich ist, aber … wer Andy Tauers Düfte mag, dem wird der Wood-Teil der Essence Collection von Sven Pritzkoleit mit Sicherheit ebenfalls gefallen.
Dark Rose ist ein Liebling von Herrn Turin, der sich im übrigen äußerst wohlwollend geäußert hat zu der ganzen Kollektion: „A mysterious, wine-like cedary flower“ nennt er sie, die dunkle Rose. Auch von Miguel gibt es ein paar Takte dazu:
„Stunning! Impressive! Unusual! This is a hard to describe fragrance that grasps you immediately with a floral nail polish aldehyde with roses and smoke. Leather is prominent too, in a style that could be inserted in the Serge Lutens line. With time all the other ingredients are toned down and rose becomes more evident but this is a rose from another planet, full of spacial dust and glimpses of the light of a comet. But with a deeply earthy finish …“
Völlig richtig: Der Anfang beißt, und zwar direkt in die Nase – Aldehyde, die in der Tat an Nagellack erinnern, zwicken mein Näschen, lassen aber nicht allzu lange später schinkenhafte Rauchigkeit durchdringen. Staubig geht es zu und, ja, ledrig, ein fettes, rehbraunes Glattleder mit jeder Menge Patina und Duftspuren von Lederfett und Gebrauch. Den Keller rieche ich auch, ein altes Gemäuer, in dessen Ecke irgendwo … eine Rose blüht, wirklich? Es ist eine Rose, eine wahrhaft seltene, einzigartige, die tatsächlich Anklänge von Wein bietet, samtig ist aber dennoch … Freund oder Feind, schwach oder wehrhaft? Man weiß es nicht so genau, insofern muss ich Miguel bei seinem außerweltlichen Gefühl beipflichten. Woher kommt es? Zumindest in Teilen von der Zeder, die sich seltsam grün-ätherisch-streng-holzig-sauber duftend darumlegt. Oder untermalt. In jedem Fall auch hier wieder ein äußerst komplexer, komplett innovativer und sehr sehr mächtiger Duftgeselle von Sven Pritzkoleit.
Unsere Nummer Drei und der letzte Duft für heute – Violet Moss. Veilchen und Moos, das sagt der Name. Sven Pritzkoleit lässt Folgendes zu seinem Duft verlauten: „Violet Leaves and woody moss, jasmine, suede, patchouli-nagarmotha-ciste; the perfect woody fairytale – fresh green and woody animal amber.“
Was sagt Herr Turin dazu?
„Violet Moss, part of the Wood collection, is single-session therapy for all those who have suffered through years of Le Labo misdirection. My first thought on spraying it was “it does what it says on the can!”, a huge, beautiful and nicely balanced accord between the bitterness of oakmoss and the iridescent floral-woody character of ionones. There seems to be relatively little alpha-ionone in there, so the sugary side of many violet perfumes is largely absent. From experience, given the apparent simplicity of the formula, I expected the violets note to quickly go away, and the oakmoss to hang around for hours. I was wrong. Pritzkoleit’s just-having-fun shtick is clearly a protective coloring. If there was a prize for Best Artisan Drydown (and there really should be) SP would walk off with it and be a member of the jury the following year. Just when you think Violet Moss is going to erode predictably, a small miracle happens: for a start, the thing still smells of violets fully an hour into the fragrance on skin. Second, the accord gets richer, fresher and softer with time while staying in character, as if the composition had been made from the bottom up, as Maurice Roucel is fond of recommending.“
Und Herr Matos?
„A melancholic scent. The most vintage perfume in the range is also one with many layers of materials and emotion. It opens with an aldehydic effect and the sweetness of violet flowers and leaves. It soon shows that leather is the main backdrop of the scent, in a way that reminds me of vintage Jolie Madame. Animalic but sweet and soft with a gender-bender androgynous character. It exsudes class, culture and refinement. There is a good dose of oakmoss and patchouli to bring a chypre facet that doesn’t dominate the fragrance but makes it more earthy. There is a damp or moist element to make the whole composition a bit dewy and that is coming from the violet leaves. Violet moss is a rendez-vous somewhere between the boudoir and the wet forest.“
Süße, aber kein Zucker, jede Menge Veilchen, samtig-ledrige, in allen Facetten der Violet-Farbskala schillernd und leuchtend, gebettet in Moos, zum Teil saftiges, zum Teil aber auch trockenes. Auch hier hat Sven Pritzkoleit wieder in die animalische Schublade gegriffen – in diesem Wald leben Pelztiere, Rehe und anderes Getier. Ich rieche Erde, feuchte, in denen ich mit den Händen wühlen möchte, die Nadeln von Nadelhölzern, die darauf gefallen sind, verströmen einen verhalten ätherischen, harzigen Duft. Und – subtile Blüten, ich denke sofort an Wald-Windröschen. Staub liegt in der Luft, die wenigen Sonnenstrahlen, die den Wald erhellen, lassen ihn kenntlich werden, und nach und nach rieche ich die Frische, denn Violet Moss wird wirklich frischer, je länger er auf der Haut verweilt. Er ist – melancholisch. Einzigartig. Kontemplativ. Ein wunderschönes Duftgemälde und so ganz anders als alle Veilchendüfte, die wir kennen.
Ich freue mich schon sehr auf die anderen Düfte – und verbleibe erst einmal mit den allerbesten Grüßen und Wünschen,
Eure Ulrike
Vielen Dank für die Besprechung(en) der Düfte von Sven Pritzkoleit – ich hatte ihn schon mal auf dem Radar (durch die Turin-Besprechung?), aber dann leider nicht weiter verfolgt. Das werde ich jetzt ganz schnell ändern :-).
Viele Grüße, Christel
Huhuu liebe Christel,
ja, mach das mal, ich bin sehr gespannt, wie Du die Düfte findest 🙂
Ich werde weiter immer mal wieder berichten, darüber hinaus sehe ich Sven auch am Wochenende bei den Art and Olfaction Awards, von denen ich selbstredend ebenfalls berichten werde 🙂
Viele herzliche Grüße,
Ulrike