… ist einer meiner Lieblingsbegriffe. Zumindest in der Praxis. Beim Einkaufen handhabe ich es meist so: Wenn andere Sandalen shoppen suche ich nach Winterjacken, kaufen alle Steppmäntel bin ich schon wieder bei den Sommerröcken angelangt. Und: Ich kaufe nie nach Bedarf, sondern immer nur aus dem spontanen Bedürfnis heraus. Von Bedarf kann und darf ich die nächsten Jahre auch nicht mehr sprechen bei den Ausmaßen meines Kleiderschranks… Nun, bei Düften geht es mir recht ähnlich. Hier weitet sich das Antizyklische aber auch auf die Jahreszeiten aus: Habe ich zwar wohlsortierte Herbst/Winter- und Frühjahr/Sommer-Kollektionen, juckt es mich, wenn mir eine Jahreszeit gefühlt zu lange dauert, ganz entsetzlich in den Fingern, etwas komplett Gegensätzliches zu tragen. So hadere ich im Hochsommer, weshalb ich nicht meine prall-satten Winterlieblinge tragen kann und im Winter gelüstet es mich dann auf einmal nach Hesperiden, Blüten oder Fruchtigem. So ist das nun einmal – ich denke, das werden einige von Euch kennen, oder nicht?
Momentan dauert mir persönlich der Winter hier in Süddeutschland schon viel zu lange. Ich habe die Nase voll, gestrichen voll: Keine Lust mehr auf Frost, keine Lust mehr auf Eis und keine Lust mehr auf Schnee. Aber Lust auf – die ersten Sonnenstrahlen, keimende Pflanzen und Bäume, sprießende Natur, Blühendes.
So habe ich die Tage mal wieder in meinem Fundus nach etwas Passendem gegraben und etwas gefunden, das alle Sehnsüchte dieser Tage stillt: Parfum d’Orsays Tilleul, ein Liebling von mir, auf den ich immer wieder komme und zu dem ich immer wieder finde.
Für das Entstehungsjahr von Tilleul, auf deutsch: die Linde, existieren unterschiedliche Quellen: Einige behaupten, der Duft wurde bereits 1927 geschaffen und 1955 (oder 1960) neu aufgelegt, andere datieren seine Geburt erst und einzig auf die Fünfziger Jahre. Fakt ist auf jeden Fall, daß er vor einigen Jahren Renaissance feierte und erneut lanciert wurde – nach einer behutsamen „Modernisierung“ durch Olivia Giacobetti.
Kommen wir aber erst einmal auf das Haus d’Orsay zu sprechen, das durchaus einer Erwähnung wert ist: Parfum d’Orsay gehört wie Lubin, Caron, Guerlain und viele weitere zu den älteren Parfumhäusern Frankreichs. Der Gründervater war Alfred Guillaume Gabriel Grimaud, der Comte d’Orsay – einer der berühmtesten Dandys der damaligen Zeit und bekannt für seine vielfältigen Talente als Autor, Künstler und Karrikaturist. Treibende Kraft für seine Hinwendung zu Düften war, wie auch anders, natürlich eine Frau, seine zweite, und pikanterweise seine einstige Schwiegermutter (er war mit ihrer Stieftochter verheiratet), um genau zu sein: Lady Blessington, für die sich einfach kein Duft fand, der ihrer Haut so schmeichelte, wie sie sich das wünschte, ergo begann der Comte mit der Kreation von Düften und legte damit den Grundstein des Hauses.
Nun aber zu Tilleul – dessen Ingredienzen: Kopfnote: Lindenblätter, Angelika (Engelwurz), Wassermelone; Herznote: Lindenblüte, Alpenveilchen; Basisnote: Akazie, Bienenwachs, Heu.
Tilleul hat, zumindest auf meiner Haut, keinen großartigen Duftverlauf im Sinne von verschiedenen, vielleicht komplementären Stadien. Sicher sind bestimmte Abstufungen zu riechen, allerdings entfaltet sich Tilleul sehr schnell und bleibt sich größtenteils treu – und das ist in diesem Falle auch gut so: Der Duft offenbart sanftes Grünblättriges in Kombination mit leicht aquatisch anmutenden Noten von Wassermelone sowie Lindenblüte – die olfaktorisch perfekteste, weil absolut authentische Umsetzung von blühender Linde, abgerundet durch trockene Heunoten mit einem Hauch honigsüßen Bienenwachses und einer subtilen kräutergleichen Herbheit durch Engelwurz.
Tilleul ist für mich einer der schönsten Frühjahr/Sommerdüfte, die es überhaupt gibt. Ich könnte jedes Mal heulen, wenn ich ihn rieche und ich hoffe sehr, daß er nicht irgendwann wieder vom Markt verschwindet, denn er gehört zu den Düften, die ich immer in meiner Sammlung „brauche“ (ja: BRAUCHEN). Tilleul duftet unvergleichlich nach Sommer und nach Sonne, nach einer einsamen Allee auf dem Land, gesäumt von unzähligen Lindenbäumen – und riecht somit wie eine Kindheitserinnerung, ein Traum, wirklich. Friedvoll und entspannend, ein wenig melancholisch und Emotionen weckend…
… so träume ich heute noch den restlichen Tag vom Frühling, der hoffentlich bald kommen wird!
Liebe Grüße,
Eure Ulrike.
P.S.: Kennt Ihr ansonsten noch schöne Lindendüfte? Mir ist ja an fast reiner Linde ansonsten nur der Jo Malone French Lime Blossom geläufig, welcher schön, aber nicht annähernd so schön wie Tilleul ist – zumindest nach meinem Empfinden. Fällt Euch noch etwas ein? Und – sind Lindendüfte Euer Fall?
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