… war Charles Baudelaire – ein verfemter Dichter und verkanntes Genie zu Lebzeiten. Ein Oscar-Wilde’scher Dandy im Paris des 19. Jahrhunderts als Teil der dortigen Avantgarde und Bohème, zeitlebens tingelnd und taumelnd als Flaneur, Literaturkritiker, Redakteur, niemals in nur einem Metier tätig und – immer auf der Suche. Auf der Suche nach Schönheit und Idealität – und, natürlich, sich selbst.
Mit seinem Hauptwerk, den Fleurs du Mal, auf deutsch: die Blumen des Bösen wurde er weltberühmt – posthum versteht sich. Und gilt als einer der französischen Lyriker überhaupt, zudem noch in puncto Literatur als Wegbereiter der europäischen Moderne.
Hatte ich gestern schon erwähnt, daß ich ein Faible für Salonliteratur habe, so kann ich heute daran anknüpfen: Bereits in jungen Jahren war mein bevorzugtes Tummelfeld die Literatur des 19. sowie jene anfangs des 20. Jahrhunderts und Baudelaire gehört seit je her zu meinen Lieblingen. Rauf und runter habe ich sie gelesen, die Blumen, und sie haben mich durch manche, vornehmlich rotweingetränkte Stunde begleitet. Eines jener Gedichte war – die Hymne an die Schönheit:
Kommst du vom Himmel herab, entsteigst du den Schlünden?Aus deines teuflischen, göttlichen Blickes Schein
Strömen in dunkler Verwirrung Tugend und Sünden,
Schönheit, und darin gleichst du berauschendem Wein. Du trägst im Aug‘ der Sonne Sinken und Steigen,
Du birgst den Duft gewitterschwüler Nacht,
Deine Lippen sind leuchtende Schalen, und wenn sie sich neigen,
Haben sie Helden schwach und Kinder zu Helden gemacht. Entfliehst du zum Abgrund, steigst auf du zu himmlischen Strahlen.
Der bezauberte Geist folgt hündisch der Spur deines Lichts!
Du schüttest nach Laune Freuden aus oder Qualen,
Beherrschst uns alle und verantwortest nichts. Du trittst auf Leichen, Schönheit, und lachst unsrer Qualen,
Entsetzen umschmiegt deine Brust wie Juwelen und Gold,
Auf dem stolzen Leib seh‘ ich zärtlich tanzen und strahlen
Den Meuchelmord, kostbar Geschmeid, dem vor allem du hold. Die scheuen Falter dein Leuchten, Kerze, umschweben,
Die Flamme segnend büßen sie ihr Gelüst,
So gleicht, wer sein Lieb umarmt mit Keuchen und Beben,
Dem Todgeweihten, der seine Bahre küsst. Ob du vom Himmel kommst, ob aus nächtigen Orten,
Gleichviel, o Schönheit, dem Dämon, dem Kinde verwandt,
Öffnet dein Auge, dein Lächeln mir nur die Pforten
Des unendlichen Alls, das ich liebe, doch nimmer gekannt. Von Gott oder Satan, Engel oder Sirene,
Gleichviel, nur gib mir, o Herrin, samtäugige Fee,
Du Wohlklang und Leuchten und Duft, dass verschönert ich wähne
Die hässliche Erde und leichter den Augenblick seh‘.
Auch waren die Blumen verantwortlich für meine spontan aufgeflammte Liebe zu Serge Lutens‘ Tuberose Criminelle: Eigentlich ist Weißflorales gar nicht meines, nachdem ich aber ein Interview Lutens‘ zu seiner Tuberose las, in dem er Baudelaire als Inspiration für diesen Duft angibt, war es um mich geschehen. Baudelaires ambivalente Ästhetik, die spannungsgeladene, die zwischen Schönheit und Hässlichkeit, Idealität und Wirklichkeit oszilliert und das Leiden integriert als Bestandteil des Vergänglichen – oftmals und gerne literarisch verewigt in schwindsüchtigen Schönheiten, dem Opium verfallen und somit dem Tode geweiht.
Gibt es dafür ein schöneres Bild als die Tuberose? Diese empfindliche Blüte, weiß und wächsern und von fleischiger Konsistenz den Spagat zwischen Reinheit und Wollust wagend, mit ihrer eigentümlichen Süße, die immer etwas jenseitig anmutet? Ich finde nicht. Und mich erinnerte dieses Bild immer an die oftmals rothaarigen Schneewittchenfrauen aus Jean Paul Gaultiers Anzeigenkampagnen… Auf jeden Fall bin ich seither ein Fan von Tuberose Criminelle, zu der sich auch noch die eher grün-würzige Tuberose Amoureuse von Delrae Roth gesellte sowie Malles Carnal Flower…
Aber, zurück zum Thema – Baudelaire. Gleich und gleich gesellt sich gerne, wie man so schön sagt… So verwunderte es mich auch nicht weiter, daß Ben Gorham ebenfalls eine große Leidenschaft für Baudelaire hegt, wirkt er auf mich auf den Fotos auch wie ein Bohemien allererster Güte.
Gespannt war ich auf Baudelaire, den Duft. Vor allem auch wegen des Wacholders, der prominent aus seinen Ingredienzen hervorragt, welche da wären: Kopfnote: Wacholderbeere, schwarzer Pfeffer, Kümmel; Herznote: Weihrauch, Hyazinthe, Leder; Basisnote: Papyrus, Patchouli, Ambra.
In einigen Blogs waren bereits recht negative Assoziationen zu lesen, unter anderem bei Octavian (1000 Fragrances) – uninspiriert sei der Duft, ein Wässerchen, ein Abklatsch. Vielleicht mag ich voreingenommen sein aufgrund meiner Begeisterung für das Label oder meiner Wacholderliebe, vielleicht mag ich auch Unkenntnis an den Tag legen – ich sehe das komplett anders. Ich bin mir sicher, daß viele Baudelaire nicht mögen werden oder zumindest: nicht tragen würden/werden. Weil er schon ziemlich „Special Interest“ ist. Nichtsdestotrotz oder besser: gerade deswegen finde ich ihn ziemlich interessant.
Die dominanteste Note ist unangefochten der Wacholder, der sich in fruchtiger Herbe schillernd präsentiert und von einer hintergründigen Pfeffer-Kümmel-Würze akzentuiert wird. Hyazinthe vernehme ich nur als abstrakt florale Note, die dem Duft eine Art inhalative Tiefe verleiht. Weihrauch ist in sehr dezenter Dosis vertreten, die (Glatt)Ledernoten hingegen deutlicher wahrnehmbar, abgerundet durch eine ambrierte Basis mit Patchouli. Und das ist auch der Clou: Baudelaire ist kein kühler Duft: Er oszilliert ständig zwischen herber Fruchtigkeit und einer nicht unopulenten Wärme mitsamt einer irritierenden Süße – ein interessantes Spannungsfeld.
Wie gefällt er Euch, der olfaktorische Dichter?
Ich wünsche Euch ein schönes Wochenende –
viele liebe Grüße,
Eure Ulrike.
P.S.: Das Gedicht oben, die Hymne an die Schönheit, kann man, genauso wie weitere Gedichte aus den Fleurs du Mal (u.a. Parfum Exotique / Fremdländischer Duft, mit welchem Byredo werben und welches ich bereits in meiner Ankündigung zu Baudelaire zitierte) HIER online nachlesen.
Wessen Französisch es hergibt, der kann es sich auch im Original vertont hier anhören:
[Clip leider nicht mehr verfügbar]
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