König Vetiver oder: Sammarcos Vitrum …

… beschäftigt uns heute: Vitrum ist die erste Kreation, an die sich Giovanni Sammarco gewagt hatte. Wie bereits erzählt – von Haus aus ist der gebürtige Italiener, der seit einigen Jahren in der Schweiz wohnhaft ist, Jurist, sogar promovierter. Zivilrecht. Seine Leidenschaft für Parfums entdeckte er erst spät, und zwar während seiner Promotion. Wie er mir erzählte, hat er selbst (vorher) nie wirklich Parfums getragen, sein erster Duft allerdings war ein Vetiverduft – dreimal dürft Ihr raten … es war ein Klassiker, nämlich Guerlains Vetiver. Ein Geschenk seines Opas, der ihm versprach, dass ihm, wenn er diesen tragen würde, die Frauen scharenweise zulaufen würden. Die Flasche steht heute noch bei ihm – getragen hat er ihn nicht. Es lag am Duft, nicht an dem Versprechen 😉

In jedem Falle verbindet Giovanni Sammarco bereits seit Jahren eine Freundschaft zu einer Frau namens Federica. Besagte Federica, eine Journalistin, liebt Vetivergras, was ich sehr gut nachvollziehen kann. Die beiden begegneten sich vor Jahren und Federica wünschte sich von Giovanni einen Vetiverduft nach ihren Vorlieben. Das Ergebnis – Vitrum. Heute hat sich für beide viel verändert: Federica ist nicht mehr als Journalistin tätig, sondern hat einen Shop namens Vibrissae in Verona, der die Herzen vieler Frauen höher schlagen lassen dürfte, da er sowohl neue als auch Vintagemode führt, darüber hinaus Schuhe, Bücher, Schmuck und vieles mehr an Begehrlichkeiten. Und Giovanni, ja Giovanni hat seine Passions für Düfte zum Beruf gemacht und seine eigene Kollektion lanciert, in die er Vitrum, jene ursprüngliche Bespoke-Kreation, aufgenommen hat – sehr zur Freude von Federica.

vitrum_box „Vitrum is a perfume made for a journalist: Federica, who loves vetiver and asked me to make her bespoke vetiver.

It is based on an extraordinary vetiver oil mixed with rose to give a touch of softness and black pepper to give power.

Very smoky, very gentle.

Federica liked it.“

Glas, im Lateinischen Vitrum – das dunklelgrüne durchscheinende Glas von Mineralwasserflaschen war es, das Giovanni Sammarco im Sinn hatte, als er Vitrum erschuf. Und natürlich Federica.

sammarcovitrium

Im allerersten Moment erinnert mich Vitrum an … einen meiner absoluten Lieblingsvetiverdüfte, LeLabos Vetiver 46 von Mark Buxton. Warum ist klar – auch bei diesem Schönling finden sich Vetiver und Weihrauch in ähnlicher Ausprägung, allerdings empfinde ich Vitrum als komplexer, als fragiler und gleichermaßen auch kraftvoller (nein, kein Widerspruch, Ambivalenz ist hier das Zauberwörtchen ;)) und als poetischer. Gibt es poetische Düfte oder sind diejenigen, die das behaupten, einfach nur ein bisschen sentimental? Auf mich trifft beides zu, falls Ihr eine Antwort auf die Frage haben wollt.

Vetiver ist ein allseits recht beliebtes Gras – für mich ist es eine schon immer von Herzen geliebte Ingredienz. Ich verehre dieses Gewächs für seine unterschiedlichen Facetten, die ich alle leidenschaftlich gerne mag: Die salzigen Aspekte, das eindringlich leuchtende Grün, das in seinem Farbenspiel zwischen Gelbgrün, Maigrün, Smaragd- und Minzgrün als auch Flaschengrün wechselt, oftmals sogar noch mehr Schattierungen und Nuancen an den Tag legend. Die Luftigkeit und Frische dieses Stoffes, letztere gerne untermalt von Zitrusfrüchten. Und seine rauchigen und holzigen Anklänge.

sammarcovitrum
By KavewallCC BY 2.5 –> https://creativecommons.org/licenses/by/2.5/

Sammarcos Vitrum, das könnt Ihr Euch vielleicht schon denken, huldigt eher der dunkleren Seite des Vetivers, alleine schon hinsichtlich des Flaschenvorbildes und dem Weihrauch. Letztendlich haben wir es allerdings trotzdem mit einem Duft zu tun, der, ähnlich wie beispielsweise Malles Bigarade Concentrée oder Aedes de Venustas‘ Duft gleichen Namens ein Wunder vollbringt – Licht und Dunkelheit gleichzeitig in einen Flakon zu bannen.

Vielleicht erinnert Ihr Euch an meine Rezension zu dem wunderbaren Rhabarber von Aedes, darin hatte ich das nämlich erwähnt … Ich zitiere mich an dieser Stelle einmal selbst in Auszügen. Ich muss nämlich auch bei Vitrium an jenen Artikel denken, den Chandler Burr einmal über für die New York Times geschrieben hat – siehe hier – und der auf den Namen „Dark Victory“ lautete. Es ging um Dunkelheit – eingefangen in Parfums:

„Darkness, when it is crystalline and somewhat luminous, may be the most difficult quality to capture in a perfume.“

Lichte, leuchtende Finsternis – eigentlich ein Oxymoron wie ein weißer Rabe. Aber ich wusste genau, was Burr damit meint. Und war damals ganz verzückt, als er ein Beispiel für einen solchen Duft anführte, von dem ich einen sehr ähnlichen Eindruck gewonnen hatte:

„Frédéric Malle’s uniquely strange and difficult-to-find outfit, Éditions de Parfums, has created a perfume collection in the running for best in the world. Malle’s method is simple: he invites top perfumers to create their dream scents for him. The result is outrageous. L’Eau d’Hiver by Jean-Claude Ellena (now Hermès’s in-house perfumer) is a small revolution; Dominique Ropion’s Carnal Flower is a blossom flower with the impact of a baseball bat. But it is Ellena’s Bigarade Concentrée that plays brilliantly with darkness. Bigarade smells like a person trapped in a complex weather system, the wonderful scent of a guy’s armpit and a woman’s humid skin washed in fresh rainwater and ozone (Malle doesn’t waste time gendering his scents, and Bigarade is for both women and men). It is a masterful juxtaposition, and smelling Bigarade is like looking down into a well of cool, black water. Your retinas expand from the strange pleasure of this scent.“

Für Sammarcos herrliches Kleinod gilt das Gleiche wie für den Aedes, obgleich die Düfte ansonsten nicht viel gemein haben: Vitrum verzichtet auf die Achselhöhlen junger Männern, aber exakt dieses Szenario von Finsternis und Licht, ineinander verwoben, oszillierend. Faszinierend ist das, den Vitrum erscheint im selben Moment düster wie er auch luzide anmutet. Ein unglaubliches Spiel mit Licht und Schatten von einer durchdringenden Sillage.

Das singende, klingende Bäumchen

Olli Henze „Das singende, klingende Bäumchen“ via Flickr – CC BY-ND 2.9

Vitrum ist ein perfektes Beispiel für Giovanni Sammarcos bedingungslose Liebe zu Rohstoffen erlesener Qualität. Und ein Beispiel dafür, dass monothematische Düfte alles, aber nicht langweilig sein können, sollten und müss(t)en. Der Fokus des Duftes liegt, ganz klar, auf dem Vetiver, der meines Erachtens nach auch Vetiverzögerer verlocken könnte: Ein wundervoller, erhabener Vetiver, der all jene seiner Seiten zeigt, für die man (ok, ich – aber ich bin ganz bestimmt nicht alleine) ihn so liebt: Harzig und holzig, salzgeküsst und kühl kommt er stolzen Hauptes daher in grün-schillerndem Gewand, von sakralem Weihrauchnebel umweht. Moosig zeigt er sich bisweilen, dann wieder erdig, seine Holzigkeit erinnert an ledrig wirkende Koniferen, strahlt in diesen dunkelgrünen Momenten eine entrückte Dämpfigkeit aus, die mich gedanklich irgendwo ins Nirgendwo entführt – einen stillen Wald habe ich vor Augen, im Sommer, der in allererster Linie kühl ist, aber dennoch eine gewisse Wärme erahnen lässt. Die Sonne bahnt sich hier ihren Weg auf die Lichtung, deren Boden von Moosen bedeckt ist. Diese dampfen unter den Sonnenstrahlen, den es hat soeben geregnet, ein kühlender Schauer am Morgen.

Eine erhabene Gestalt ist er, dieser Vetiver, voller Charakter und Persönlichkeit, die anderen Ingredienzen als stille Helfer mit einbeziehend. Die Rose vermag ich nicht in jedem Testlauf eindeutig zu entdecken, sie tarnt sich oft hinter der Frischheit des Duftes – zeigt sie allerdings ihr Antlitz, spendet sie berückende Momente melancholischer Schönheit. Pfeffer flirrt und zaubert Akzente, Ecken, Kanten, während Bergamotte herb-zitrisch glitzernd das Firmament des Duftes erhellt.

Einmal mehr ist weniger mehr, um den Bauhauspapst Mies van der Rohe nachzusprechen. Ich könnte aber auch mit dem Schöpfer des kleinen Prinzen kommen, Saint-Exupéry: „Perfektion ist nicht dann erreicht, wenn man nichts mehr hinzufügen, sondern nichts mehr weglassen kann.“ Vitrum wird Vetiverliebhaber in helles Entzücken versetzen, da bin ich mir sicher. Er schafft es spielend, sich in die Oberliga der Vetiverdüfte zu schwingen und wird dort bei mir seinen Ehrenplatz bekommen in meinem Regal.

Begeisterte Grüße,

Eure Ulrike.

Neueste Kommentare

Ulrike Knöll Verfasst von:

Meine Liebe gilt seit jeher dem Ästhetischen: Mir geht das Herz auf bei jeglichen Dingen, die durch Form, Funktionalität, Design und Herzblut zu überzeugen wissen. Und wenn dann noch ein Quäntchen Historie dazu kommt, ist es meist ganz um mich geschehen … Ich bin der Nischenparfümerie mit Haut und Haaren verfallen und immer auf der Suche nach dem – oder vielmehr: einem – neuen heiligen Gral. Diese Suche sowie mein ganzes Interesse und meine Begeisterung möchte ich gerne mit Euch teilen!

3 Kommentare

  1. M3000
    23. Mai 2016
    Antworten

    Ich mag Vitrum auch sehr und freue mich über diese emotionale, treffende Besprechung!

  2. Ulrike Knöll
    8. Juni 2016
    Antworten

    Danke für das Kompliment 🙂
    Läuft runter wie Parfumöl 😉

  3. 28. Juni 2016
    Antworten

    Habe jetzt endlich mal alle Sammarco-Düfte durchgetestet. Vitrum ist mit Abstand mein Favorit. Woher kommen diese fantastischen Ledernoten? Wow!

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert