Washington Tremlett ist ein altehrwürdiges Haus. Bereits 1870 in Paris gegründet, verlegte man Mitte der Zwanziger Jahre den Firmensitz nach London in die Savile Row. So exklusiv wie die Adresse waren auch die Hemden des Hauses: Bis in die späten Sechziger Jahre galt Washington Tremlett als weltbester „shirtmaker“. Wohlhabende Amerikaner, die ihre Sommerferien gerne in den Southhamptons verbrachten, orderten die Hemden gleich zu Dutzenden und Prominente wie Sam Goldwyn, Cary Grant und Katherine Hepburn schworen auf sie. Darüber hinaus verfügte Washington Tremlett auch in Theaterkreisen über beachtliches Renommee, weswegen sie zum Ausstatter für Musicals wie My Fair Lady avancierten und nicht zuletzt kann das Haus als eigentlicher Erfinder der Krawatte gelten.
Eine nette Geschichte wie ich finde. Heutzutage hört man über Washington Tremlett allerdings eher im Zusammenhang mit Düften – die Hemdenherstellung scheint eingestellt und der Name beziehungsweise die Marke weiterverkauft worden zu sein.
Ganz abgesehen davon, daß ich doch eher selten Hemden trage, finde ich es immer schade, wenn derlei alte Firmen und/oder Namen „sterben“ – allerdings scheint Washington Tremletts Tradition ja würdig weitergeführt zu werden: Die Duftkollektion, die seit ein paar Jahren auf dem Markt ist, kann sich durchaus sehen lassen.
Meine persönlichen Lieblinge waren immer Black Tie, der erste Herrenduft der Serie, ein elegantes, kühl-würziges Hölzlein mit ledrigen Akzenten sowie Royal Heroes 1805, ein ambivalentes Juwel: zitrische Holzigkeit kontrastiert mit Honig-Anis-Noten auf einer Patchouli-Tonka-Basis. Darüber hinaus hat mich Clove Absolute diesen Winter sehr beeindruckt – siehe hier – für mich eine der wenigen Gewürznelken, die es vielleicht in meine Sammlung schaffen wird.
In Anbetracht des gerade erst veröffentlichten Clove Absolute wunderte ich mich schon ein wenig, daß nun nach so kurzer Zeit die nächste Veröffentlichung anstand – und dann gleich drei Düfte? Schön! Die werde ich mir jetzt für Euch wie versprochen zu Gemüte führen.
Notting Hill Carnival macht den Anfang – zeitlich auch durchaus passend, dürfen wir uns doch bereits kurz nach Weihnachten über den Beginn der fünften Jahreszeit freuen… oder eben auch nicht. Ich selbst bin absolut kein Karnevals- oder auch: Faschingsfan, wie man hier zu sagen pflegt. Notting Hill Carnival gefällt mir aber dennoch. Der Auftakt ist zitrisch-herb, das Limetten-Bergamotte-Duo zeigt sich von seiner besten Hesperidenseite. Schon Augenblicke später wird es allerdings würziger, aromatische Tendenzen gewinnen an Präsenz: dunkelgrüner Lorbeer, leicht bitterer Koriander und Pfeffer sind deutlich zu erkennen, gefolgt von fruchtigem Ingwer. Die Basis, die sich bereits erahnen läßt, offeriert schon jetzt ledrige Akzente, und erwärmt den Duft gegen später mittels Labdanum und Weihrauch.
Die Ingredienzen: Kopfnote: Limette, Bergamotte; Herznote: Lorbeer, Koriander, rosa Pfeffer, Ingwer; Basisnote: Leder, Weihrauch, Labdanum (Zistrose).
Notting Hill Carnival ist – auf eine bestimmte Art ausgelassen, ja. Allerdings ging es mir bei diesem Duft zuerst genauso wie bei Miller Harris‘ Piment des Baies: Irgendwie erschloss sich mir der Karnevals-Zusammenhang nicht, der Bezug zu karibischen Rhythmen… Vielleicht, wie mir nach einer Zeit kam, liegt es einfach an meiner durchaus ein wenig negativ gefärbten Assoziation von Karneval: Quietschig und bunt, von allem zuviel, laut und so weiter… Das eben ist Notting Hill Carnival nicht. Und wenn man in den Pressetexten dazu lesen kann, daß der Duft „sexy“ ist, dann muß man es auch nicht gleich mit der Angst bekommen – er ist mitnichten in dem Sinne sexy, wie ich ab und an Karnevalssexappeal definieren würde. Notting Hill ist weder platt noch vulgär und auch in keinster Weise aufdringlich. Ein wenig erinnert er mich an Inekes Field Notes from Paris, allerdings weniger süß und mit Ingwer ausgestattet, einer Note, die bei mir immer auf offene Türen stößt. Ein Spagat zwischen prickelnder Hesperidenfrische, fruchtiger Ingwerherbheit und sinnlich-wärmenden Harzen samt einem Hauch Leder. Für Männer und Frauen gleichermaßen geeignet würde ich sagen, obgleich in der (Duftnoten)Anmutung auf den ersten Blick eher maskulin.
Chelsea Garden ist der Rose gewidmet, einer ganz speziellen sogar: Rosa Centifolia oder Provence-Rose heißt dieses besondere Exemplar, gerne in Grasse gesehen und in diversen Düften vorfindlich. Und, natürlich – auch in dem Chelsea-Garten, einem der verstecktesten Gärten Londons. Gegründet 1673 findet man bis heute dort über 5000 verschiedene Rosensorten und Liebhaber reisen zur zweimal jährlich stattfindenden Chelsea Flower Show aus aller Welt an.
Die Ingredienzen: Kopfnote: Provence-Rose, Kardamom; Herznote: Zedernholz, Jasmin; Basisnote: marokkanische Rose, Moschus, Ambra, Guajakholz, Patchouli.
Schaut man sich die Ingredienzen an, ist Chelsea Garden nicht sonderlich innovativ, ja. Es gibt schon viele Rosendüfte, nicht wenige davon in ähnlichen Kombinationen. Trotzdem gefällt mir Chelsea Garden sehr gut, obgleich mich der Duft auf dem Teststreifen nicht einzunehmen vermag. Auf meiner Haut entwickelt er sich sehr fein, mich bisweilen ein wenig an Rose Poivrée erinnernd, allerdings viel eleganter als jene und niemals animalisch wirkend, eben eine schöne, volle Rose mit dezenter Kardamomwürze, garniert mit Jasmin auf einem holzig-aromatischen Bett. Das hört sich nun alles viel finsterer an, als es tatsächlich ist. Und das ist meines Erachtens nach der Trumpf des Duftes: Es gibt viele Dunkelrosen, einige davon habe ich hier auch schon im Blog beschrieben – und diese haben diverse Liebhaber. Es gibt allerdings auch nicht wenige Duftfans, die Rosen gerne mögen und die gerne mal eine etwas gewürzigere Rose tragen würden, für die es dann aber nicht gleich die „Mistress of the Dark“ oder die Königin der Nacht sein muß. Für die ergo zum Beispiel sämtliche Oudrosen wie unter anderem die von Montale viel zu düster sind. Für all jene dürfte Chelsea Garden, der auf meiner Haut im Herzen zuerst eine gewisse Ähnlichkeit zu Eau d’Italies Paestum Rose aufweist – ein bißchen wie dessen gemäßigtere, gefälligere Schwester – um dann in eine süßfruchtig-kuschelige Basis überzugehen, einen Versuch wert sein, definitiv.
Hampstead Water ist nach dem Park Hampstead Heath benannt, dem ältesten und größten Londons, einer grünen Oase, in der man leicht vergißt, daß man sich gerade in einer pulsierenden Großstadt befindet. Ein elitäres Viertelchen und seit je her beliebt bei Promis, Künstlern, Autoren und ähnlichen – früher residierte hier Lord Byron, Agatha Christie und Sigmund Freud, heute leben dort unter anderem Doris Lessing, George Michel, Russel Crowe und viele andere.
Die Ingredienzen: Kopfnote: Bergamotte, Orange, Lavendel; Herznote: Wasserminze
Basisnote: Leder, Moschus.
Der Duft selbst ist ein Vertreter einer der klassischsten Duftfamilien überhaupt, der Fougère-Düfte. Und, uiuiui, er hat es in sich, ehrlich: Frisch aufgesprüht springt sie einen bereits an, die typische Fougère-Bitterkeit durch Lavendel. Streng, elegant, irgendwie old fashioned und määächtig. Bergamotte und Orange kreieren einen prickelnd-fruchtigen Hesperidenakkord, der im Verlauf des Duftes bestens mit der Wasserminze – Hommage an die Teiche im See, die von ebenjener bewachsen sind – harmoniert. Mich erinnert das Herz, das neben den bitteren Fougèreanklängen, die mit der Zeit etwas leiser werden, ebenjene Kombination von Orange oder Mandarine mit Minzigem an den Tag legt, an zwei Herrendüfte, die das ebenfalls tun und in welchen mir diese Kombination bereits bestens gefallen hat: Carons Anarchiste und Creeds Himalaya. Nicht vergessen darf man bei Hampstead Water die (Glatt)Ledernote, die durchaus prominent zur Geltung kommt. Ein beeindruckender Fougère mit Ausstrahlung und Präsenz. Für Männer gedacht und – nun, in diesem Falle würde ich sagen, gönnen wir ihnen diesen Duft für sich, er ist bei ihnen wesentlich besser aufgehoben 😉
Jetzt will ich erstmal schließen, ist heute ohnehin sehr lang geworden… Ich wünsche Euch noch einen schönen Tag mit nicht allzu viel Hektik beim Tätigen der letzten vorweihnachtlichen Besorgungen und vielleicht auch noch Geschenke –
liebe Grüße,
Eure Ulrike.
Lorbeer und Leder? Das klingt in der Tat ungewöhnlich und mächtig interessant. Auf diesen Kandidaten des Trios bin ich am meisten gespannt, nachdem ich ein grosser Fan des Black Tie bin und sogar der Clove Absolute einen Achtungserfolg bei mir als alte Gewürznelkenhasserin gelandet hat 😉 Hoffe nur, dass die Weihrauchnote nicht zu prominent ist. In jedem Fall ist das Haus Washington Tremlett imho immer für eine (positive) Überraschung gut.
LG, fredi