Gastbeitrag: Duftrausch im Geburtsort der Renaissance

Unser lieber Kunde Sven Pritzkoleit hat uns seinen Messebericht zur Pitti Fragranze in Florenz zur Verfügung gestellt. Herzlichen Dank dafür. Der Artikel wurde leicht gekürzt.

Fragranze 13 in Florenz, 11.–13.September 2015 – Treffpunkt der Nischenparfümerie

274 Aussteller und neuer Besucherrekord – alljährlich im September – (im März findet mit der Exsence in Mailand jährlich eine vergleichbare Messe statt) – versammeln sich etablierte Vertreter der sogenannten Nischenparfümerie und Newcomer der Branche zur Fachmesse
Fragranze in Florenz, in diesem Jahr bereits zum 13. Mal. Ort des Spektakels: die Stazione Leopolda, ein ehemaliger Bahnhof, der seit einigen Jahren eine feste Größe für Veranstaltungen dieser Art, aber auch für Theaterfestivals ist.

fragranze

Foto: © Georg R. Wuchsa

Für mehr als die Hälfte der vorgestellten Marken ist die Messe ein Heimspiel. Das hat gute Gründe, auch wenn man eine derartige Fachmesse eher in Frankreich verorten würde, so hat doch die Parfümerie in ihrer Historie bedeutende Wurzeln in Florenz. Dies wiederum hat mit den Medicis zu tun, erst die Verquickung der Handschuhmacherkunst und Gerberei mit der Parfümerie führte später auch nach Grasse in Südfrankreich.

So finden sich hier und heute Namen wie Carthusia, einem Hersteller mit Wurzeln auf Capri mit jahrhundertelanger Tradition, neben neuen Namen aus Italien, von denen es eine ganze Reihe gibt (z. B. Peccato Originale, Gabriella Chieffo, Unum etc.), und denen, die sich längst seit mehr als 10 Jahren durchgesetzt haben (wie Il Profumo). Zielgruppe ist der gesamte europäische Markt

Nachdem Comme des Garçons vor 20 Jahren – als Prototyp einer neuen Generation in der Parfümerie – die olfaktorische Wende einläuteten, gab es kein Halten mehr: die experimentierfreudige Avantgarde bahnte sich ihren Weg. Neben den großen Fischen am Markt wie Montale, mit ihren kaum zu zählenden Oud-Variationen, gibt es kreative Häuser wie L’Artisan Parfumeur, Creed, Penhaligon’s, Diptyque mit tatsächlichen Neuschöpfungen, aber auch viel beachtete Newcomer, die sich in den letzten Jahren durchgesetzt haben:

Neela Vermeire, deren Düfte eine Hommage an ihre indische Heimat sind (u. a. ihr letzter Duft „Pichola“, weiße Blüten mit grünen Noten, die wie nuancierte Schatten durch den Duftablauf wandern, herausragend komponiert von Parfümeur Bertrand Duchaufour).

Jul et Mad (das sind Madalina Stoïca und Julien Blanchard), die in ihrer ersten Duft-Trilogie (u. a. „Stilettos On Lex“, ebenfalls mit weißen Blüten, aber von Parfümeurin Dorotheé Piot etwas mainstreamiger umgesetzt als „Pichola“ von Neela Vermeire, und bei „Terrasse á St-Germain“ eine interessante Ledernote, kombiniert mit Veilchenblättern) ihre Kennenlern-Liebesgeschichte erzählten, sind jetzt in der Antike angekommen: „Nin-Shar“ – eine dunkle Rosen-Interpretation sowie „Néa“ und „Garuda“, holzig-kräftig-würzig-animalisch, die beiden letzteren von Parfümeur Luca Maffei, dem neuen Superstar unter den Jungparfümeuren in Italien, der uns immer wieder begegnet, u. a. bei Onyrico, eine neue Marke, die sich als Thema die Kunstgeschichte und Mythologie Italiens gewählt hat – die Düfte eher soft, auch hier eine dunkle Rose, aber auch würzige-holzige Noten, allesamt sehr tragbar, bei Féfé – dem neue Duft von Panama, auch bei Gabriela Chieffo („Ragù“) und bei Perris Monte Carlo, wo Luca Maffei natürlich auch eine dunkle Rose beisteuert sowie einen Oud-Duft.

Die Blütendüfte sind wieder da, wie man sieht und riecht, aber wenigstens „dark“ patiniert müssen sie sein, irgendwie tabak-weihrauchig vielleicht wie bei „Iris Cendre“ von Naomi Goodsir, einer extravaganten Erscheinung und Modedesignerin aus Australien. Ebenfalls mit Weihrauch wuchert Unum gleich in drei Düften, die tatsächlich alle herausragend sind; unterschiedlich interpretiert, einmal mit Rose – natürlich –, einmal mit Patchouli, Pfeffer und Elemiharz und fruchtig-würzig in einem sehr gelungenen Opus. Auch in der „Massen“-Parfümerie beobachten wir den Trend zu üppigeren, fast barocken Blütenkompositionen bei den Damen und kräftigeren animalisch-holzigen Düften bei den Herren – nur dass die Nischenparfümerie sich nie für die Trennung von Damen- und Herrendüften interessiert hat.

Mein Lieblingsduft auf der Messe: „Peau de Béte“ (Animal Skin) von Les Liquides Imaginaires (Parfümeurin: Carine Boin) : ein holzig (Cade, Amyris, Zeder) – ein ambrierter Lederduft mit einem Fond aus Patchouli, Cypriol, Castoreum, Zibet, Ruchgras, würzig mit Kumin, Pfeffer und Safranal – letztlich eine Oud-Interpretation, die sehr gelungen ist. Auch „Oud Palao“ von Diptyque reiht sich in diese gelungene Reihe neuer „Adlerholzgewächse“ ein, hier mit Rose kombiniert.

Bei Parfums de Marly, deren Düfte allesamt nach erfolgreichen Pferden benannt sind, hat diese Duftrichtung Tradition, in der Linie „Arabian Breed“ finden wir mit „Oajan“ und „Hamdani“ zwei außergewöhnlich schöne orientalische holzig-würzige, animalisch-ambrierte Beispiele. Auch die Tabaknote wird gern verwendet, so auch im neuen Duft von Parfums d’Empire „Tobacco Tabou“.

Orientalische Düfte wehen mit starkem Aufwind durchs Abendland: Nishane, das neue In-Label aus Istanbul, haben alles richtig gemacht. Ihr „Afrika Olifant“ ist ein ziemlich starkes Stück (sehr animalisch, Zibet, holzig-ambriert) und bereits jetzt in den USA ein Bestseller. Die beiden Patchouli-Interpretationen, einmal eher lieblich bei „Patchuli Kozha“, einmal eher kräftig bei „Múnegu“, lassen keine Wünsche offen. Auch die „Duftblüten“ (ja, tatsächlich in deutscher Sprache auf dem Etikett, gemeint ist natürlich Osmanthus) und „Rosa Turca“ treffen ins Schwarze! Mein orientalischer Lieblingsduft ist allerdings von Tola aus Dubai und heißt „Schahzada“ – mehr geht nicht, wirklich. Von der Kombination der Blüten mit allen orientalischen Elementen der Inbegriff dessen, woran man bei 1001 Nacht denkt! Übrigens: ohne jeglichen Anklang von Überfrachtung, wie man jetzt vielleicht vermuten könnte, ebenso wurde jede unnötige Süße vermieden.

Auch zwei Skandälchen gab es: Masque Milano mussten ihre Installation zweier Puppen in angeblich anzüglicher Stellung entfernen, ebenso Santi Burgas, der vom Veranstalter zensiert, ein Pissoir als Kunstobjekt entfernen musste. Andere Möglichkeiten der Aufmerksamkeit nutzte Angela Ciampagna, deren Kollektion in Präsentation und Inhalt für mich diesbezüglich die Nr. 1 ist. Aus Atri kommend, also einem kleinen Ort mitten in italienischer Landschaft an der Adriaküste, hat sie die Seele dieser Kultur mit ihrem Herzen in ihren Düften eingefangen. Schöne Kontraste aus Feinheit und kruder Rauheit im Parfüm und im Packaging. Mein Lieblingsduft von Angela Ciampagna: „Liquo“, eine Lakritz-Interpretation, die in einen wundervollen Patchouli-Fond mündet.

Noch so eine Entdeckung: Carner aus Barcelona, wo sie schon längst ihren verdienten Erfolg haben: „Palo Santo“ („Sacred Wood“), ihre Messeneuheit ist mal keine Oud-Geschichte, sondern Sandelholz und heiße Milch – sehr interessant. Aber auch Oud-ähnliches finden wir bei Carner, nur heißt es hier „Cuirs“, meint aber das, wonach alle eigentlich zu suchen scheinen: Patchouli und Oud mit einer animalischen Ledernote. Ein absoluter Trend (siehe auch Diptyques „Oud Palao“, Les Liquides Imaginiaires „Peau de Bete“ etc.).

palo

Miya Shinma ist der ein Geheimtipp aus Japan, wo sie bereits sehr erfolgreich ist. Jeder einzelne der 10 Düfte ihrer Kollektion ist einem Haiku zugeordnet, das sie selbst geschrieben hat, auf jedem Flakon eine Kalligraphie, die sie selbst entworfen hat.  nDie Düfte sind schon deshalb interessant, weil sie uns authentisch von der Kultur Japans erzählen. Sehr besonders und außergewöhnlich!

Abgerundet wurde das Messe-Event mit „Unscent“, einer Ausstellung zum Thema Kunst und Parfum sowie „Art Objects. Shape, Colors and Scent” – einer von Chandler Burr, dem New Yorker Duftkritiker, entworfenen Ausstellung, bei der 15 ausgewählten Parfums einem Kunstwerk zugeordnet wurden, das den Duft in seiner Stilistik repräsentiert. Zudem gab es Vorträge und Interviews mit Parfümeuren und Leuten der Branche zu Themen wie Duftkomposition, Rohstoffe und auch zu den bereits erwähnten Ausstellungen.

Drei Tage Parfum, von den Organisatoren bis ins Detail durchgeplant und erfolgreich umgesetzt. Inspirierende Düfte und Einblicke in einen nicht alltäglichen Bereich unserer Kultur, den zu pflegen es sich lohnt!
(21. September 2015)

Neueste Kommentare

Gastbeitrag Verfasst von:

Schreibe den ersten Kommentar

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert