Interlude…

ist der Name des neuen Duftduos aus dem Hause Amouage. Der Name kommt aus der bunten Welt der Oper: Dort bezeichnet ein Interludium das musikalische Zwischenspiel (lateinisch: inter – zwischen, ludus – Spiel) zwischen zwei Szenen. Heute ist der Begriff oft eher weiter gefasst und steht für einen zwischenzeitlichen Exkurs, ein temporäres Innehalten, ja, auch Abweichen vom Thema, einen Moment der Zerstreuung und der Entspannung.

Kurz zusammengefasst wäre das für mich – eine Insel im Alltag. Ein Rückzugspunkt oder auch -ort, und sei es nur ein imaginärer, imaginierter. Eine kleine Flucht, eingeleitet durch das Schließen der Augen, einen Tick länger als sonst, und begangen durch die eigene Phantasie. So etwas dürfte auch Creative Director Christopher Chong mit Interlude vorschweben, der Folgendes zum Duftpaar verlauten ließ:

„I interpret what I see and feel into scents. All the social and natural chaos and disorder surrounding us today can be translated to a much more intimate level. The interlude moment is a reflection of all the trials and tribulations one overcomes to attain personal satisfaction and achievement.”

Dafür hat man in Interlude traditionelle Ingredienzen verwendet, für deren Einsatz und Umsetzung Amouage ohnehin schon bekannt ist – Weihrauch und Myrrhe. In Interlude aber wollte Chong jene anders als gewohnt interpretieren: Jenes spirituelle, bisweilen auch religiöse Moment, das dem Duft derselben innewohnt, wurde zeitgemäßer und auch raffinierter, eleganter zum Ausdruck gebracht, wie Chong erklärt. Einmal mehr beschert er uns ein künstlerisches Filmchen zu den Düften, das ihr hier findet:

Amouage Interlude from Clive Booth on Vimeo.

Leichtfüßig erscheint es mir, von der Muse geküsst. Seltsam für Amouage, zumindest für das, was früher aus dem Hause kam – waren doch die letzten Düfte bereits überraschend… ja, fast schon – … ätherisch. Jene Insel-Metapher könnte ich auch am ehesten mit einem solchen Duft in Verbindung bringen – mit etwas Flüchtigem, das gleichzeitig Beständigkeit aufweist. Intimität, unaufdringliche, die trotzdem unter die Haut geht, berührt.

Interlude Woman erfüllt diesen Anspruch in jedem Fall – und ist vielleicht genauso verwirrend wie die Momente, die man sich schafft, um durchzuatmen und zu sich zu kommen, sich zu sortieren, Koordinaten neu zu ordnen. Für sich. Ein „floraler Chypre“ soll es sein, was mitnichten auf den Duft verweist, der einen erwartet: Vinchon-Spehner, die mich bereits mit L’Artisan Parfumeurs Vetiverherz eroberte, hat hier etwas höchst Eigenes und Besonderes gezaubert: Eine Idee voller Hesperiden, die sich schnell verflüchtigt wie ein spontaner Funke, sowohl auf meiner Haut als auch auf dem Teststreifen – auf ein angenehm aufgewühlt-berührendes Etwas führend, dass mich in seiner Komplexität und Ambivalenz zum stillen Zuschauer und Genießer macht. Noten von saftigen Honig-Kiwis, nussige Anklänge, ein Hauch Kaffee, zart umwabert von Weihrauch. Und Blüten, Rosen in erster Linie, die sich von Weißblühern bekränzt sehen – auf einer Basis von rauchigem Holz und Leder, untermalt von ambrierten Anklängen und Vanillemoschus.

self-reflexion

Das liest sich so skurril wie es ist – und schreit nach einem Test. Die vormals bescheinigte Leichtlebigkeit, das Dahingehauchte wohnt diesem Duft nicht inne – dafür zeigt er sich so voller Leben, so voller Lebendigkeit, so voller scheinbarer Widersprüchlichkeit, die zu vereinen Vinchon-Spehner auf meisterhafte Weise gelungen ist. Ist das Leben? Innehalten? Weiterleben? Ja. Sprühendes Leben mit all seinen Kanten, seinen Höhen und Tiefen. All das findet sich in dem Duft – wenn man es denn entdecken möchte und bereit ist, sich darauf einzulassen, sich hineinzustürzen.

Kierkegaard

Søren Kierkegaard, jener alte (und so ziemlich einzige) dänische Philosoph (von Weltrang), mit dem ich mich seit Jahren dank meiner Doktorarbeit plage, hat es in einem seiner Werke, genauer gesagt: seinem ersten, so schön geschrieben: „Das Große ist nicht, dies oder das zu sein, sondern man selbst zu sein.“ Ein Selbst zu sein ist ein weiter Weg – dazu bedarf es aktiver Arbeit, an sich selbst. Im Zusammenspiel mit anderen, mit dem Außen. Dazu brauchen wir Reibung. Und brauchen Ziele – einen Kompass im Leben, einen selbstgewählten und selbstgesetzten, den es immer wieder zu aktualisieren gilt. Denn nur die bewusste Veränderung und der Wille zu derselben führt uns irgendwann zu uns selbst und vereinigt das, was wir sind und sein wollen. Interlude Woman zeichnet für mich ein perfektes Bild eines jener Momente nach, in denen wir Vergangenes verarbeiten, uns neu einstellen auf das, was kommt und kommen muss aufgrund von den Wegen, die wir bewusst einschlagen. Und lässt bereits erahnen, dass das die Geburt einer Persönlichkeit darstellt.

Atardecer cuadriculado 134

Pierre Negrins Interlude Man ist – unaufgeregter, meines Erachtens nach weniger innovativ, aber deshalb mitnichten uninteressant, weil unglaublich charakteristisch. Ein (ge)würzig-holziger Charakter wird im nachgesagt, dem Duft – und er offeriert uns ein wahres Inferno: Piment und eine Handvoll Krautiges, aromatisch-scharf eingehüllt in kaltes Leder und warme Ambra. Eingehüllt in Schwaden von rauchig-glimmendem und holzig-bitterem Weihrauch, von Harzen begleitet und prominenter Myrrhe gewärmt, von Sandelholz unterstrichen. Den Kontrast setzen Patchouli und ein Hauch Oud, die dem Duft unglaubliche Tiefe bescheren. Was für ein Knabe, meine Herren: Ein visionäres Kerlchen mit unfassbarem Potential, jeder Menge Visionen und einem Rückgrat, von dem mancher träumen könnte.

„Ich werde sein, was ich gewesen bin“ – die beiden Düfte gereichen Herrn Lacan bestimmt zur Ehre, sind es doch solch selbstgewisse Bretter auf exakt dem richtigen Weg.

Liebe Grüße,

Eure Ulrike.

Neueste Kommentare

Ulrike Knöll Verfasst von:

Meine Liebe gilt seit jeher dem Ästhetischen: Mir geht das Herz auf bei jeglichen Dingen, die durch Form, Funktionalität, Design und Herzblut zu überzeugen wissen. Und wenn dann noch ein Quäntchen Historie dazu kommt, ist es meist ganz um mich geschehen … Ich bin der Nischenparfümerie mit Haut und Haaren verfallen und immer auf der Suche nach dem – oder vielmehr: einem – neuen heiligen Gral. Diese Suche sowie mein ganzes Interesse und meine Begeisterung möchte ich gerne mit Euch teilen!

5 Kommentare

  1. iris
    24. August 2012
    Antworten

    …toujour PARIS- biensure…??

  2. Isabelle
    24. August 2012
    Antworten

    Liebe Ulrike,

    was für eine schöne, sehr interessante Rezension! Und was fur einen Zufall auch: als ich gestern früh wieder Interlude Woman probieren wollte (dies dauert schon seit 1 Monat und mein Pröbchen ist jetzt fast leer…), habe ich entdeckt, dass Victoria im Blog Bois de Jasmin Ihre Rezension darüber gerade geschrieben hatte (http://boisdejasmin.com/2012/08/amouage-interlude-woman-perfume-review.html). Eine eher negative Rezension, wie auch viele Kommentare von Lesern.

    Da ich aber den Duft gar nicht unangenehm empfinde (ganz im Gegenteil), habe ich dort eine etwas positivere Meinung geäußert.

    Und… da ich echt zu faul bin um das Ganze im Deutschen zu übersetzen 🙂 (es ist ja Freitag) mache ich einfach hier unten ein Copy & Paste!
    Dir wünsche ich ein erholsames und schönes Wochenende!

    __________________________________________________________
    Isabelle: Dear Victoria,

    since one month more or less I keep on going back to Interlude Woman ( my sample will soon be finished…)

    When I first tried this scent, I felt the same astonishment as when I listened to Petroushka / Stravinsky, as I was 12 or 13 years old, at a concert with my parents.

    I had never heard something like this music before, I was as fascinated as, somehow, afraid. So I asked my father to provide me a disc and I listened and listened again and again to Petroushka. Each time discovering secret harmonies and surprises.

    To me, Interlude Woman feels like Petroushka translated into the language of scents. I need time and also a playful spirit to let it reveal its dance to me . At the beginning of my day the fragrance emanating from the few drops on my wrist was incredibly dynamic and put a smile on my face… now, while the night is falling upon the roofs of Berlin, it is as rich and comforting as a hot chocolate.

    I don’t know if it’s possible to send a link here in my comment, I will try to send one, a perfect illustration of the feeling Interlude Woman gives me:

    http://www.youtube.com/watch?v=Yn2wPdfDvYM

    Have a wonderful evening, kind regards,

    Isabelle August 23, 2012 at 2:37pm

  3. Lena
    27. August 2012
    Antworten

    Was für eine tolle Rezension, liebe Ulrike!
    Vor drei Wochen habe ich diesen Blog zufällig entdeckt und bin jetzt süchtig danach jeden Tag in die Welt des Duft-Tagesbuches einzutauchen, für mich ein echtes Highlight! Gottseidank, dass ich im Moment Urlaub habe und mir entsprechend Zeit dafür nehmen kann:-) Die ganzen Wochen habe ich mich dezent gehalten, so geschickt bin ich in Deutsch leider nicht (Verzeihung wegen gewisser sprachlichen Unbeholfenheit;-)), heute wollte ich jedoch unbedingt ein Kommentar schreiben… Ihr Blog trifft bei mir auf eine Art Sehnsucht, die ich schon immer hatte, aber weder definieren noch ausleben konnte. Leider kann ich mangels spezifischer Parfümeriekenntnisse nicht wirklich mitsprechen. Meine Liebe zum Duft existiert nur auf emotioneller, assoziativer Ebene als wesentlicher Teil der hyperästhetischen Wahrnehmung und der ständigen Strebens und Suche nach Harmonie. Die Duft-Pyramide zu verstehen, Duftnoten zu definieren muss ich noch lernen (habe beim Lesen eine Liste mit der ENGSTEN Auswahl gemacht, und diese umfasst etwa 40 Düfte. Die Liebsten sagen schon, dass es demnächst gefährlich werden könnte:-)) Viel wichtiger und schöner ist aber das tägliche ERLEBNIS, wenn ich Ihren Blog lese: eine Offenbarung, Inspiration, Entdeckung, Erholung, Entspannung, Genuss, Reise zum Schönen, eine Insel des Erhabenen im Alltag. Ihr hervorragender Schreibstil macht es zum wahren Vergnügen, die kenntnisreichen und emotionalen Beiträge zu lesen. Dafür bin ich Ihnen (und Harmen!) sehr dankbar. Weiter so und bis morgen (endlich ist das Wochenende vorbei!:-)).
    Viele liebe Grüße, Lena.

  4. Ulrike
    30. August 2012
    Antworten

    Hallo liebe Isabelle,

    es freut mich sehr, dass Dir meine Rezension gefallen hat 🙂 Ich habe mittlerweile auch gesehen, dass sich einige sehr negativ über den Duft äußern, was ich absolut nicht nachvollziehen kann. Er ist ein Spalter, ja. Und er ist ziemlich heftig auf seine Art. Er schwelt, hat eine unglaubliche Präsenz und ist häufig kurz davor, einem too much zu sein. Ich glaube aber, dass er an dem richtigen Tag, in der richtigen Situation – einfach göttlich ist. Und deshalb kann ich mir durchaus vorstellen, dass ich irgendwann doch mit mir ringe, ihn zu kaufen.

    Viele liebe Grüße,

    Ulrike.

  5. Ulrike
    30. August 2012
    Antworten

    Hallo liebe Lena und herzlich willkommen hier 🙂

    Ganz vielen herzlichen Dank für das tolle Kompliment, das mich sehr berührt hat! GENAU SO wünsche ich es mir eigentlich, dass unser Blog, dass meine Artikel bei Lesern ankommen! Es freut mich wirklich sehr, dass ich, dass wir Ihnen damit eine Bereicherung bieten können!
    Und, was die Duft-Must-Try-Listen angeht, – glauben Sie mir, die wachsen mit der Zeit noch mehr 😉

    Ganz viele liebe Grüße,

    Ulrike.

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