Brutal heißt der neue Duft der tschechischen Nischenduftmarke Pigmentarium, den ich auf der Messe zum ersten Mal schnuppern konnte. Während unseres Besuchs dort trafen wir kurz und spontan auf den Markengründer Tomáš Ric, der uns – quasi zwischen Tür und Angel bzw. zwischen Bistro- und Ausstellungsbereich – seine neuste Kreation präsentierte und uns auch ein Sample davon übergab. Dieses habe ich hier vorliegen, mein Messe-Sample.
Als Tomáš uns den Namen seiner Kreation verriet, hatten wir alle ein bestimmtes Bild im Kopf. Brutal … das wirkt beim Hören ein wenig einschüchternd. Ein kraftvoller, gewaltiger Duft, der mit rauen, kantigen und schonungslosen Ingredienzien spielt. Eine ledrig, rauchige, oudige, animalische, indolische Komposition, die uns an unsere olfaktorischen Grenzen bringen mag, ohne Rücksicht auf Verluste. Ich war auf all dies vorbereitet, aber nicht auf das, was mich beim Testen tatsächlich erwartete …
Pigmentarium im Duft-Tagebuch
Die Marke Pigmentarium begleite ich hier auf diesem Blog von Anfang an bzw. seit wir das tschechische Label im Herbst 2023 bei Aus Liebe zum Duft im Sortiment haben. In den vergangenen Jahren hat die Marke so einige Neuheiten lanciert und auch ein Interview durfte ich mit dem Gründer Tomáš Ric führen, das mir sehr viel Spaß gemacht hat – und ihm hoffentlich natürlich auch. Anbei meine ganzen Beiträge über die
- Tomáš Ric von Pigmentarium im Interview – Nischendüfte aus Prag
- Ad Libitum, Erotikon und Genesis von Pigmentarium – Duftende Grüße aus Prag
- Paradiso, Murmur und Oratorio von Pigmentarium – Momente der Einzigartigkeit
- Azabache Chapter 2 von Pigmentarium x Arturo Obegero
Brutal anders
Kommen wir zur neusten Kreation der Marke Pigmentarium. Brutal ist ein Duft, der „an den kühnen, gewagten und kreativen Stil der Parfümeure der 1970er und 1980er Jahre“ angelehnt ist. Einer Zeit, in der kraftvolle, unkonventionelle und auffällige Kompositionen en vogue waren. Gleichzeitig bezieht sich der Duft auch auf einen Architekturstil der damaligen Zeit: den Brutalismus. Der Name ist hier Programm. Die Bauten sind gewaltig, roh, viel Sichtbeton.
„Monumentale und massive Formen, Minimalismus und Funktionalität. Freigelegte, rohe Materialien, geometrische Muster und der bewusste Kontrast zwischen dem strengen Äußeren und dem warmen Glanz von Glas, Metall und Holz.“ Die Bauten sind prägend für die Zeit der 1970er- und 1980er-Jahre und sind schon damals kontrovers. Während die einen den modernen Stil mochten, empfanden die anderen die klobigen Formen, die Rauheit und Grobheit als hässlich.
Der französische Parfümeur Théo Belmas war für die kreative Umsetzung dieses so spannenden Themas verantwortlich. Für die Komposition nutzte er Ingredienzien, die auch in dem Cocktail Negroni zu finden sind: Campari, Gin, Wermut und Orangenblüte (statt der im Cocktail verwendeten Zeste). Dazu kommt Kaffee (der in einer Variante des Negroni auch eingesetzt wird), Tuberose, Ylang-Ylang, Mai-Rose, Tabak, Ambra und Sandelholz. Ich habe vor ein paar Tagen in der Instagram-Story gefragt, was unsere Follower denn für Duftnoten in einer Kreation mit dem Namen Brutal erwarten. Die Aussagen waren recht eindeutig: Dunkel, erdig, harzig, holzig, boozy, nach Oud und Leder. So ging es auch mir. Und doch verheißen die Ingredienzien der Kreation etwas ganz anderes.
Weißblüher eröffnen Brutal, auf gänzlich unbrutale Art und Weise. Denn die mitunter launischen und kapriziösen Blüten mit dem Hang zur Selbstdarstellung zeigen sich zwar mit einer durchaus vorhandenen Präsenz, sind aber sehr stimmungsvoll und gekonnt umgesetzt. Vor dieser Tuberose – tatsächlich ist die Nachthyazinthe federführend in der Komposition – muss man wahrlich keine Angst haben. Sie ist luftig, transparent, niemals drückend oder schwer. Der Campari bringt dezent bittere Fruchtnuancen in die Kreation, die von aromatischem Wermut und wacholdrig-holzigem Gin unterstrichen werden. Das passt perfekt und verleiht dem Duft ganz spannende Akzente. Dunkle, geröstete Kaffeebohnen sorgen für dezent gourmandige Momente. Im Zentrum von Brutal steht jedoch die Tuberose, strahlend und schön, anmutig und elegant. Ihre pudrig-floralen Facetten werden von milchigem Ylang-Ylang und frischer Rose begleitet und von honigsüßem Tabak umschmeichelt, ehe sie sich auf einem kuschelig-warmen und behaglichen Bett aus samtigem Sandelholz und cremiger Ambra niederlässt.
Brutal von Pigmentarium ist ein floral-pudriger und cremig-betörender Tuberosenduft mit feinen Kaffee-Akzenten, köstlichen Campari-Noten und einem watteweichen, sanft-ambrierten Finish. In dieses Eau de Parfum möchte man sich fallenlassen – selbst ich als bekennender Tuberosen-Skeptiker bin begeistert. Wunderschön komponiert, sehr ausgewogen und harmonisch, modern und elegant, durchaus auch glamourös. Ein Duft, der Fans von Blütendüften und der Tuberose absolut gefallen dürfte. Alltags- und bürotauglich – keine Selbstverständlichkeit bei einer Tuberosenkreation – und auch jahreszeitlich in meinen Augen ein Allrounder, wobei ich vermutlich Frühling und Sommer bevorzugen würde. Natürlich ist Brutal eine Unisex-Kreation, obwohl ich ihn tendenziell eher feminin einstufen würde. Ein weiterer grandioser Duft dieses so spannenden tschechischen Labels, den ich Euch nur ans Herz legen kann.
Unser Liebling wäre auf jeden Fall der Jasmin