Viele Parfums sind von Geschichte geradezu umwoben, atmen historische Ereignisse oder blicken selbst auf eine lange Vergangenheit zurück. Man denke nur an alte Häuser wie Houbigant, Caron oder auch an die mit historischen Persönlichkeiten verknüpften Düfte wie Borsaris Violetta di Parma und viele mehr. Gérald Ghislain, der Mann hinter Histoires de Parfums, hat nun aber die Geschichte mit ihren herausragenden Persönlichkeiten selbst zum Konzept erhoben und einigen von ihnen einen Duft gewidmet. Die Umverpackung im Buchformat versinnbildlicht eine Bibliothek der Düfte, und ich habe mich entschlossen, heute 1873 – Colette aus dem Regal zu ziehen. Sidonie-Gabrielle Claudine Colette, schlicht Colette genannt, wurde 1873 in Burgund geboren, und damit haben wir auch diesen Teil des Namens geklärt. Mit nur 16 Jahren begab sie sich in eine verhängnisvolle Ehe mit dem Schriftsteller und Salonlöwen Henry Gauthier-Villars, welcher in Kürze ihr Schreibtalent entdeckte. Unter seinem Pseudonym veröffentlichte sie nun äußerst erfolgreiche autobiographisch gefärbte Romane, und als es schließlich zur Scheidung kam, verblieben die Autorenrechte natürlich beim untreuen Ehemann. Es folgte eine wilde Zeit, in der sie Beziehungen zu Frauen unterhielt und als Varietékünstlerin im berüchtigten „Moulin Rouge“ auftrat. 1910 gelang ihr endlich der literarische Durchbruch mit ihrem preisgekrönten Roman „La Vagabonde“. In dieser Zeit verstarb ihre Mutter, zu der sie immer eine sehr enge Beziehung gehabt und der sie zahlreiche Briefe geschrieben hatte. Vermutlich aus Zorn darüber, dass sie nicht zu ihrer Beerdigung erschienen war, verbrannte ihr Bruder die etwa 2000 Briefe an die Mutter. 1912 heiratete Colette den Chefredakteur der Tageszeitung „Le Matin“, für die sie als Journalistin arbeitete. Es folgten weitere äußerst populäre Romane wie ihr bekanntestes Werk „Chéri“, thematisch wohl ein Vorläufer von „Die Reifeprüfung“, „Le Blé en herbe“ (1922) schlug in die gleiche Kerbe – junger Liebhaber, ältere Frau – und sorgte für einen derart handfesten Skandal, dass der Abdruck im Feuilleton von „Le Matin“ abgebrochen werden musste. – Vielleicht erst einmal so viel fürs Erste. Was mag nun hinter dem Duft stecken, der sich auf ein so bewegtes Leben bezieht?
Los geht es reichlich zitrisch, und ich würde sagen, dass die Orange neben Zitrone und Mandarine die Hauptrolle spielt. Maiglöckchen und Lavendel, die ebenfalls in den Duftnoten zu finden sind, kommen nicht sonderlich zur Geltung, verhelfen dem Duft aber dazu, nicht allzu sehr ins Süßliche abzugleiten, denn auch Vanille und Karamell halten eine gewisse Zuckrigkeit bereit. Wer sich eine ganz prosaische Vorstellung machen möchte, denke an ein „Nimm2“-Bonbon mit einer Wendung ins Blumige und einer ganz leichten Anspielung an Kräuter.
Jetzt bin ich gespannt, wie meine Haut – das Schwarze Loch für Kopf- und Herznoten – reagiert. Und wie gewohnt kommen auch hier wieder die Basisnoten stärker zum Vorschein, die vanillig-karamelligen Noten, auf dem Duftstreifen noch im Zaum gehalten, tragen nun eine süße Schwere auf, sicherlich ist das auch dem Helfer Moschus anzulasten.
Mein Fazit: Hallo!? Die gute Frau Colette unterhielt im tiefsten Patriarchat Beziehungen zu diversen Männern und Frauen, zu denen sie sich auch offen bekannte, so etwa Affären mit Natalie Barney, Josephine Baker, Gabriele d’Annunzio und auch zu ihrem Stiefsohn Bertrand de Jouvenel; sie verhalf ihrem jüdischen Ehemann während der Nazizeit zur Flucht, gilt mit ihren rund 50 und zum Teil mehrfach verfilmten Romanen als eine der größten französischen Schriftstellerinnen aller Zeiten und wurde als erste Frau in Frankreich überhaupt mit einem Staatsbegräbnis geehrt. Da kann man doch einen Schlag auf den Gong erwarten! Der Duft ist außergewöhnlich, keine Frage, aber das ist ja ohnehin die Messlatte für unsere Düfte. Eine ganze Ecke verruchter und skandalöser hätte er schon sein dürfen. Mehr Magdalena, weniger Madeleine bitte. Wer aber die ganzen Colette-Assoziationen über Bord werfen mag, ein großer Freund von zitrischen Noten ist sowie Gourmanddüfte bevorzugt, muss hier auf jeden Fall das geneigte Riechorgan ausfahren. 😉
Historische Grüße von
Harmen
PS: Kopfnote: Zitrone, Mandarine, Zitrische Noten; Herznote: Orangenblüte, Maiglöckchen, Lavendel; Basisnote: Vanille, Moschus, Karamell
Danke für die Mühe lieber Harmen, die Du Dir mit diesem Arikel gemacht hat, tolle Recherche und wunderschön geschrieben! Noch habe ich Colette nicht getestet. Wenn Du den Duft allerdings als quasi „lau“ für eine Femme fatale empfindest, muß Herr Ghislain eine andere Vorstellung von Colette gehabt haben oder der Duft ist für Männerhaut einfach nicht gemacht 🙂
Auf jeden Fall danke für die interessanten Hintergrundinformationen!
LG, Margot
Vielen Dank für das nette Kompliment!!! So viel darf ich verraten: es wird wohl nicht der letzte Duft von Histoires de Parfums sein, den ich hier schreibe 🙂
uuuuuuh, schön Harmen! Bin mit den HdP Düften noch nicht komplett durch, so dass ich mir von Deinen Eindrücken sehr viel erhoffe!
Der erste, der mich von HdP begeistert hat war die Eugenie de Montijo (ein Weißblüher-Duft!!! Mein erster! tztztz, eigentlich so gar nicht meins 🙂 aber inzwischen fall ich immer öfter auf so einen rein ) dann der Casanova (jaaa) und ganz doll verliebt bin ich in den Moulin Rouge.
Ganz liebe Grüsse,
Margot