Spezielle Situationen…

… bedürfen gemeinhin spezieller Düfte, finde ich. Und damit meine ich jetzt nicht unbedingt – ein Date, die Hochzeit(snacht) oder den Bewerbungstermin. Sondern die kleinen, aber oft feinen Augenblicke des Alltags. Nachdem ich dieser Tage bereits eine Empfehlung ausgesprochen hatte anhand der letztens noch winterlichen Temperaturen und mich für eine Kuscheldecke, dampfenden Tee, Fandorin-Lektüre und passend dazu Parfum d’Empires Ambre Russe ausgesprochen hatte, bin ich auf die Idee gekommen, einmal einen Artikel zu einem meiner Lieblinge für den Alltag zu schreiben. Einen Artikel, für einen Duft, den ich eigenartigerweise nur und ganz ausschließlich trage, wenn es ab aufs Sofa geht, zum Rumlümmeln. Wenn ich weiß, dass ich zu Hause bleibe, dass ich kein Rad mehr neu erfinden muss, nichts mehr auf meiner To-Do-Liste habe und es mir gemütlich machen kann. Ich bin mir fast sicher, dass einige von Euch auch solche Düfte haben und wäre wirklich sehr neugierig, Eure diesbezüglichen Favoriten zu hören beziehungsweise zu lesen.

In meinem Falle ist es – Douce Amère von Serge Lutens. Und ich könnte nicht behaupten, dass ich ihn von Anfang an geliebt hätte, nein, ganz im Gegenteil: Beim ersten Testlauf fand ich ihn nur – seltsam. Tragbar? Ich wusste mir diese Frage nicht zu beantworten. Somit war ich bereits in einem durchaus gewollten Zustand gefangen, denn der Beiname, den Lutens diesem Duft vermachte, ist „Das Verwirrende“. Was dachte er sich zu Douce Amère?

„Die Inspiration zu diesem Parfum kam Serge Lutens während des Genusses von marokkanischem Tee. Für den unverwechselbaren Duft von Douce Amère stand die Pflanze Pate, die diesem Tee als traditioneller Zusatz beigemischt wird: Absinth, in Marokko auch „Chiba“ genannt.“

Ob Douce Amère, übersetzt bitter-süß, jenem Tee gerecht wird, vermag ich nicht zu sagen, da ich ihn nicht kenne. Dass der Duft aber nicht nur seinem Beinamen, sondern auch seinem eigentlichen Namen sehr wohl entspricht, wage ich zu behaupten.

Im Auftakt tummelt sich schemenhaft für einen kurzen Augenblick irgendein zitrischer Hesperidenkandidat, der von einer würzig-pfeffrigen Zimtschärfe umhüllt wird. Jener huscht wie ein Schatten vorbei, um die Bühne für denjenigen Star frei zu machen, der den Duft beherrschen soll: Artemisia oder auch Wermut, hier auch in schönster Tradition gemäß der sagenumwobenen Spirituose Absinth in Begleitung von Anis. Bitter, dunkelgrün leuchtend und medizinisch präsentiert sich der Wermut, und stellt so die dunkle Seite dar. Als Kontrast dazu fungiert süßer Anis, der mit dem Wermut zu einem bitter-süßen Gebilde verschmilzt, das deutliche Karamellnoten und Anklänge pudrigen Kakaos aufweist. Im Duftverlauf mutiert eben jenes immer mehr zu Etwas, das mich an einen milchigen Chai erinnert, ohne jedoch übertrieben herausstechende Gewürze zu offenbaren. Eine Prise Lakritze im immer noch Bitter-Holzigen gesellt sich zu den subtilen Blüten, die narkotisch am Rande ranken, ohne einzeln prioritär zu wirken.

„Diskret, durchdacht, subtil“, wie Lutens/Shiseido verlauten lassen, ist der Duft wirklich. Und das macht ihn auch zu meinem Sofaliebling, da er solch ein relaxendes, ausgleichendes Moment in sich trägt. Etwas Behaglich-Beruhigendes, Ausgleichendes. Aber er ist eben auch – tief. Und dunkel. Und meistert eine jener Ambivalenzen, die einige Lutens-Düfte auszeichnet: Den meisterlichen Spagat zwischen melancholischer Kühle und prickelnd-samtener Wärme, zwischen Himmel und Hölle, wie man ihn z.B. auch von Gris Clair oder Cèdre kennt. Das macht ihn erotisch. Und gefährlich. Gefährlich vielleicht genauso wie eines seiner Vorbilder – den Absinth, jenen auch schwärmerisch als grüne Fee bezeichneten Kräuterlikör, dessen Thujongehalt in früher zu einer echten (Künstler)Droge werden ließ.

Oscar Wilde sagte einmal über die grüne Fee:

„Absinthe has a wonderful color, green. A glass of absinthe is as poetical as anything in the world.“

So poetisch wie der Absinth ist auch Douce Amère. Und süchtig machen kann er mindestens genauso gut. Nur bezahlt man dessen Genuss sehr wahrscheinlich nicht mit dem Verlust eines Ohres wie im Falle Van Gogh & Absinth geschehen – viel eher mit dem Verschwinden von knapp 80 Euro aus dem Budgetplan, soviel kostet die 50ml Flasche nämlich momentan.

Liebe Grüße,

Eure Ulrike.

P.S.: Die Ingredienzen, wie bei Lutens immer üblich im Netz sehr unterschiedlich angegeben: In jedem Falle Absinth / Wermut, Anis, Zimt, Tiaré; darüber hinaus werden angegeben: Lilie, Tagetes, Moschus sowie Zedernholz.

Bildquelle: Reading von Mario Gonzaga via stockxchng,  Absinth 3 von Ania Chen via stockxchng, Vincent van Gogh (1887): Café Table with Absinth via Wiki Commons, some rights reserved – vielen lieben Dank!

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Ulrike Knöll Verfasst von:

Meine Liebe gilt seit jeher dem Ästhetischen: Mir geht das Herz auf bei jeglichen Dingen, die durch Form, Funktionalität, Design und Herzblut zu überzeugen wissen. Und wenn dann noch ein Quäntchen Historie dazu kommt, ist es meist ganz um mich geschehen … Ich bin der Nischenparfümerie mit Haut und Haaren verfallen und immer auf der Suche nach dem – oder vielmehr: einem – neuen heiligen Gral. Diese Suche sowie mein ganzes Interesse und meine Begeisterung möchte ich gerne mit Euch teilen!

3 Kommentare

  1. Jutta L.
    12. März 2011
    Antworten

    Hallo liebe Uli,

    so einen richtigen „Rumlümmelduft“ (tolles Wort!) habe ich eigentlich nicht. Es gibt nur ein paar Düfte, die ich auch eher trage, wenn ich nur für mich bin. Dazu gehören einige grüne Düfte, wie z.B. Yerbamate von Villoresi, aber nur weil sie mein Mann nicht mag. Ansonsten gibt es Düfte, bei denen ich das Gefühl habe, sie nicht allzu vielen Menschen zumuten zu müssen, das sind da eher Kracher oder sehr maskuline Düfte. Zum auf dem Sofa rumlümmeln nehme ich immer meine Proben zum testen her….

    Ein schönes sonniges Wochenende wünsche ich Dir, lieben Gruss
    Jutta L..

  2. Christiane
    13. März 2011
    Antworten

    Zum Rumlümmeln im Winter nehme ich gern L’artisan Tea for two oder auch den Ambre Russe von Empire. Zu allen Jahreszeiten schön kuschlig ist Xerjoffs Verona 010 (*hachschmacht*), M. Bergmans Schwarzer Amber und neu entdeckt Kiss me tender von Nicolai. Alle genannten Düften dürfen aber auch ins Freie und und unter Leute;-)
    Liebe Grüße Christiane

    • Ulrike
      15. März 2011
      Antworten

      Huhuu liebe Jutta, liebe Christine,

      also bin ich nicht die einzige „Lümmlerin“ 😉 Was die Kracher angeht Jutta – die mute ich immer trotzdem jedem zu, ich alter Egoist 😉
      Und es ist aber wirklich so: Es gibt einige Düfte, die trage ich so gut wie NUR zu Hause – komisch eigentlich…

      Liebe Grüße,

      Eure Uli.

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