Glockenspiel für einen Engel…

… heißt übersetzt der neueste Duft aus dem Hause Tauer, der auf den französischen Namen Carillon pour un ange hört. Und der einer eigentlich auf den ersten Blick ganz un-Tauer-typischen Ingredienz gewidmet ist: Dem Maiglöckchen. Jenes bevorzugt in schattigen Tälern wachsende und in der christlichen Ikonographie zu den Marienblumen zählende (neben Lilie, Rose und weiteren) Blümelein gilt mit seinen hängenden weißen nickenden Blüten als Symbol für Marias Unschuld, für Bescheidenheit, für ihre Demut. Darüber hinaus steht das Maiglöckchen für Hoffnung, für Glück und somit natürlich auch – für die Liebe.

Auch für Andy Tauer hat es eine tiefere Bedeutung, wie er schreibt:

„Smelling lily of the valley is always a joy for me. I love the idea that you cannot buy a natural concentrate of lily of the valley, that the flowers resist to any large scale concentration of their fragrant soul. Perfumers may try to come close to the natural fragrance, but you can never quite get there. Thus, you have to wait through long winter months until you can finally smell their green, silvery, opulent and elegant exquisite natural perfume. Building a fragrance with lily of the valley singing in spring was a wish since I started making perfumes. Carillon pour un ange is my tribute to this wonderful forest treasure. It is a green choir of flowers. Enjoy!“

Ein grüner Blütenchor und ein Tribut an diesen wundervollen Schatz des Waldes ist sein Duft Carillon pour un ange also, mit dem er sich einen Parfumeursherzenswunsch erfüllte – ein frühlingshaftes Maiglöckchen olfaktorisch einzufangen.

Ganz abgesehen davon, dass Maiglöckchen laut dem Biologen und Geruchsforscher Prof. Hanns Hatt längst nicht so unschuldig sind, wie man vielleicht glauben mag – siehe hier und hier sowie seine durchaus lesenswerten Bücher zum Thema Gerüche – assoziiere auch ich Maiglöckchen immer mit Reinheit und mit Frühling und muss dabei an ein Gedicht des relativ unbekannten Autors und Arztes Hugo Salus denken, dass ich vor langer Zeit mal in einem Band entdeckt habe:

Maiglöckchen
Maiglöckchenstrauß, Maiglöckchenstrauß!
Ich trage einen Schatz nach Haus,
Weiße Glocken auf grünem Stengel.
Liebe Glöckchen, weiß und zart und rein!
So müssen die keuschen Blumen sein
Im Lockenkranze der Engel.
Aus einem Himmel kommt auch ihr,
Aus einem Himmel bringt ihr mir
Grüße und Duft und Segen.
Ihr duftet kaum und doch so reich:
Ihr seid an einem Busen weich
Und knospenrein gelegen –
Und bringt mir Duft und Segen.

An dieser Stelle passt es durchaus gut, ist auch hier jene Engelsassoziation vorhanden, die uns Andy Tauer alleine schon mit dem Namen von Carillon pour un ange mit auf den Weg gibt. Laut Perfume Shrine war der Arbeitsname des Duftes ohnehin lange Zeit Gabriel, benannt nach dem gleichnamigen Erzengel. Im Gespräch mit den Bloggern der Perfume Posse erklärt Andy Tauer noch ein wenig mehr seiner Intention zur Kreation:

„When you say lily of the valley to me, I can see a green natural scent forming in my head. It is there, in me, imprinted in my scent memory after sniffing on thousands of little white bells. I simply cannot pass by a lily of the valley without bending and sniffing. The scent is so much more and larger than the tiny little flower would make you think. Contrary to jasmine or orange blossom, where little flowers surprise by their powerful fragrance that sends you into fecal territory, there is a purity going with it lily of the valley. It is a clean scent, contrasting to the rich forest soil where it blooms: In the climate of my home village it blooms in May. There where it thrives in May, the soil is damp, covered with moss and soaked with the fragrance of fungus breaking down the beech leaves of last year, the vibrant incense and ambra of fir brushwood in the spring sun. For me, lily of the valley is spring, and spring’s explosion of fragrances and colors after winter’s suffocating icy grip. Lily of the valley is my mother, wearing Diorissimo. Lily of the valley is my partner (the W.-factor on my blog), testing my fragrances since years, and passionately discovering lily of the valley over and over again.“

Und schon wieder die Reinheit: Das Maiglöckchen als Bote des Frühlings, des Wiedererwachens der Natur, des Neuanfangs nach dem Sterben des Winters. Ein unschuldig-reiner Duft, der einen Kontrast bildet zu dem weichen moosigen Winterboden, dem abgestorbenen Holz, das bald als winterliches Feuerholz eingelagert wird, den ersten Sonnenstrahlen und den Pilzen, die ihre Köpfe gen Himmel recken. Und somit auch eine Liebeserklärung – an das Leben, an die Mutter, die Diors genialen Diorissimo trug, und an die bessere Hälfte, deren Herz ebenfalls für Maiglöckchen schlägt.

Mich erinnert das alles wieder an das bitter-süße Moment des Lebens, an Fröhlichkeit, die für mich nur echt ist, wenn sie einhergeht mit einer Prise Melancholie – ob der Vergänglichkeit des Augenblicks. Und wieder an Nietzsches „denn alle Lust will Ewigkeit“…

Insofern trifft mich dieser Tauer mal wieder genau dort, wo auch ein Großteil seiner Vorgänger so exakt zu treffen vermochten – mitten ins Herz. Was für ein großartiger (Duft)Maler er doch ist, der Herr Tauer, denke ich – und werde bei dieser wirklich wunderschönen Vertreterin ihrer Gattung nicht nur schwach, sondern auch sentimental. Carillon pour un ange berührt mich, sehr.

Noten weißen Flieders vermengen sich mit Maiglöckchen und treten hervor in ihrer schüchternen, aber opulenten Pracht mitsamt der ihnen eigenen Blütensüße. Von einer zurückhaltenden, jedoch überaus mächtigen Präsenz ist der Duft, durchdringend, ohne sich aufzudrängen – das rieche ich jetzt bereits und es soll sich im weiteren Verlauf nicht ändern. Der grüne Chor drängt sich in mein Bewusstsein mit grasig-frischen Elementen, die frisch gepflückt erscheinen, sowie Akzenten sonnengetrockneten Mooses und Heus. Und ruht auf einem samtig-warmen sonnenbeschienen Untergrund zarter Hölzer, die, wie könnte es auch anders sein, dann doch noch eine Ahnung jener – analog zur Guerlinade – Tauerade aufweisen, jener altbekannten Tauerschen Handschrift, die seine Düfte so einzigartig macht und für die nicht nur ich sie liebe. Leise harzt es vor sich hin und herzt so die geneigte Nase, versüßt den Duft im Abgang.

Mich wundert es absolut nicht, dass uns Andy Tauer hier keinen jener typischen „Ich bin der Frühling“-Düfte liefert, die einen quasi ab Neujahr anspringen. Und dass Carillon pour un ange auch überhaupt nicht in die Reihe jener zu vernachlässigenden Maiglöckchendüfte gehört, von denen es auch jede Menge Waschzubehör blabla gibt und die einen so furchtbar langweilen in ihrer inhaltsleeren Frühlingsverheißung.

Was mich allerdings wundert ist, dass ich mal wieder heiß verliebt bin – in ein Maiglöckchen. Obgleich es die doch so schwer bei mir haben. Und außer dem relativ authentischen Kandidaten von Madame Micallef (Lucky Charm) bei mir noch keines einziehen durfte. Das wird sich mit diesem Tauerschen Maiglöckchentraum ändern.

Bezüglich der Stimmung, die Carillon pour un ange für mich einfängt, mag ich Euch Caribous Irene mit auf den Weg geben mitsamt all jenem Optimismus und jener sehnsüchtigen Wehmut, die dem Song und dessen Video (für mich) innewohnt:

Ein schönes Wochenende Euch und viele liebe Grüße,

Eure Ulrike.

Bildquelle: Convallaria Majalis von Christer Johansson, Statue at Metairie Cemetery von Jon Sullivan, beides via Wiki Commons – vielen lieben Dank!

Hier finden Sie Andy Tauers Düfte in unserem Shop. Carillon pour un Ange wird ab Mai erhältlich sein.

Neueste Kommentare

Ulrike Knöll Verfasst von:

Meine Liebe gilt seit jeher dem Ästhetischen: Mir geht das Herz auf bei jeglichen Dingen, die durch Form, Funktionalität, Design und Herzblut zu überzeugen wissen. Und wenn dann noch ein Quäntchen Historie dazu kommt, ist es meist ganz um mich geschehen … Ich bin der Nischenparfümerie mit Haut und Haaren verfallen und immer auf der Suche nach dem – oder vielmehr: einem – neuen heiligen Gral. Diese Suche sowie mein ganzes Interesse und meine Begeisterung möchte ich gerne mit Euch teilen!

5 Kommentare

  1. margot
    5. März 2011
    Antworten

    Liebe Uli,

    pffffttt, im Mai erhältlich ….. wie soll ich das denn JETZT testen und Dir meine Meinung dazu schreiben? Aber wahrscheinlich würdest Du die von MIR zu einem MAIGLÖCKCHENDUFT gar nicht hören wollen 😀
    vor allem, wenn Du in solche Lobgesänge ausbrichst.

    Schönes WE,
    Margot

  2. Ulrike
    5. März 2011
    Antworten

    Ehrlich gesagt weiß ich noch gar nicht, wie ICH bis Mai überleben soll OHNE den Carillon. Ich habe jetzt schon 1,5 Pröbchen aufgesaugt und bekomme einfach nicht genug davon. Ich finde ihn wirklich wunderschön und mir wird davon ganz warm ums Herz – und dass obgleich ich bei Maiglöckchen nicht einfach zu erobern bin.

    Liebe Grüße,

    die Uli, die sich ihren letzten Rest jetzt ganz sparsam einteilen muss *heul*

  3. Stefan
    6. März 2011
    Antworten

    So geht’s mir ja immer noch mit dem Fantastischen, liebe Uli! Ich warte sehnsüchtig auf wärmeres Wetter, habe aber neulich wieder gesprüht und trotz Kälte eine lange Haltbarkeit auf Pulli entdeckt – dabei viel mir auf, dass er Ähnlichkeit zu einem meiner Klassiker hat – floris eau de santal. Zwar unterschieden sich die beiden durch einen stoff in der Basis (Vetiver vs. Sandelholz), aber Kopf und Herz sind fast identisch… Was meinst Du?

    Ich glaube, Byredo hat den Fantastischen etwas feiner ausbalanciert; Floris ist etwas „greller“ und dennoch „klassicher“

    Happy sunday noch,
    Stefan

    PS. Ja, FM macht es mir nicht leicht im Moment – nun kam mir wieder ein Pröbchen mit einem Minirest Bigarde Concentree unter – schlimm ist das!

  4. margot
    6. März 2011
    Antworten

    Liebe Uli,

    ihr habt doch noch einen neuen Maiglöckchenduft im Shop!
    Lalique – Fleur de Cristal
    Möglicherweise entzückt der dich ebenso, ist auf jeden Fall verfügbar und das Warten bis Mai ist nicht so lang.
    Zwischendurch kannst Du ja eine vergleichsrezenssion schreiben, das verkürzt das Warten ebenfalls.

    LG, Margot

  5. Ulrike
    7. März 2011
    Antworten

    Oh ja lieber Stefan – da hast Du mich an was erinnert. BC – gerade „gebraucht“ gekauft von einer lieben Duftfreundin. So geht es mir eben auch – ständig schwirren einem neue Bedürfnisse im Kopf herum…
    Sag mal, hattest Du nicht neulich dem LeLabo Vetiver eine Ähnlichkeit mit CdG 2 attestiert? Falls ja, kann ich das nämlich bestätigen – hatte beide gestern im Test, nachdem mir der CdG 2 wieder in die Hände fiel. Den Floris muss ich mal demnächst testen, habe den gar nicht mehr im Kopf.

    Liebe Margot, EIGENTLICH bin ich ja KEIN Maiglöckchentyp, eigentlich. Und zu warten ist etwas ganz und gar Fürchterliches für jemand, der keinerlei Geduld hat – so wie ich 😉

    Liebe Grüße zurück –

    die Uli.

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