Mit großer Freude darf ich Euch heute den ersten Teil meines Interviews mit Lutz Herrmann von J.F. Schwarzlose präsentieren, jenem Mann, der der alten Berliner Marke neues Leben einhauchte. Wie das alles so zustande kam und welchen Herausforderungen sich die Parfümeurin Véronique Nyberg und er auf ihrem Wege stellen mussten, das erzählt er uns heute und morgen im Duft-Tagebuch. Ich verlinke Euch gerne auch nochmal hier alle bisherigen Beiträge zum Label J.F. Schwarzlose, die sich im Laufe der letzten Jahre auf unserem Duftblog angesammelt haben. Ansonsten bleibt mir nicht viel mehr zu sagen als …
Herzlich willkommen im Duft-Tagebuch: Lutz Herrmann! 🙂
Lieber Lutz, Du kommst ursprünglich aus dem Design-Bereich. Wie kamst Du in die Welt der Nischendüfte und darauf, eine eigene Marke zu gründen?
Genau so ist es. Ich bin mit dem Parfummarkt recht gut vertraut und entwerfe seit über 20 Jahren Designs für Kosmetikprodukte und im Speziellen auch Parfumflakons. Für mich war es immer ein Rätsel, warum im deutschen Sprachraum so wenige historische Marken im Duftbereich existieren.
Stimmt, das kennt man eher aus anderen Ländern …
Genau. In Frankreich oder Italien gibt es ja ungebrochene Traditionen bis hin zu Marken, die sehr früh entstanden sind. Etwa die Dufthersteller, die schon für Maria de’ Medici gearbeitet haben. Die Farmacia di Santa Maria Novella beispielsweise, eine Apotheke, die schon um 1200 von den Mönchen des Klosters Santa Maria Novella in Florenz gegründet wurde, produzierte ab etwa 1600 auch Düfte.
Die ersten sogenannten Nischendüfte kamen aus dem Ausland nach Deutschland. Ich habe mir die Hintergrundgeschichten bei einigen Marken genauer angesehen und bei manchen festgestellt, dass sie nicht ganz wahr sind. Das hat mich schließlich dazu gebracht, selbst auszuprobieren, eine Marke mit realem Background zu entwickeln.
Was war für Dich der Reiz daran, eine alte Marke wieder zum Leben zu erwecken?
Neben Design und Gestaltung hat mich auch immer schon Kulturgeschichte interessiert. Darum habe ich begonnen, mich intensiv mit der speziellen Entwicklung der Duftindustrie zu beschäftigen. Irgendwann fragt man sich ja, was mache ich eigentlich? Warum und wie ist das ganze Metier entstanden? Wenn man sich täglich mit Gestaltung von Parfums auseinandersetzt, muss man sich zwangsläufig auch mit deren Geschichte beschäftigen.
Die berühmten neuzeitlichen Düfte – also ab 1900 – und auch deren Designer kamen aus Frankreich, etwa Julien Viard oder René Lalique. In jeder Region Europas haben aber die einzelnen Kulturkreise auch geniale Dinge im Bereich der Düfte hervorgebracht und das hat mich zu der Reise in die Geschichte der deutschen Parfümerie gebracht. Der Reiz war vor allem, eine Marke wiederzubeleben, die glaubwürdig und authentisch ist.
Und warum wurde es dann genau Schwarzlose?
Diese alte Marke Schwarzlose hat eine fantastische Geschichte, auch wenn der Name doch etwas komplex ist. Zuallererst einmal ist ungewöhnlich, dass damals ausgerechnet Berlin in Deutschland das Zentrum der Duftindustrie war. Natürlich kann man argumentieren, dass es ja die Hauptstadt war. Aber die Geschichte der Marke so Stück für Stück zu entdecken, war für mich extrem überraschend und spannend. Man würde ja denken, dass alles mit einer gewissen Tradition aus Köln kommt, aber dem ist eben nicht so. Die echte Parfümerie braucht eben genau das groß- bzw. weltstädtische Ambiente, was Berlin Ende des 19. Jahrhunderts entwickelt hat und da hatte Schwarzlose eine herausragende Stellung. Die Familie hat in mehreren Familienzweigen nach der Gründung 1856 Berlin und Deutschland mit Parfums versorgt.
Und blieb Schwarzlose auf Deutschland bzw. Berlin beschränkt?
Nein, um 1880 kamen noch ausländische Niederlassungen in Wien, Innsbruck und Tetschen – im heutigen Tschechien – dazu. Zu der Zeit hatte sich die Firma J.F. Schwarzlose im ganzen deutschsprachigem Raum, aber auch im Ausland, Renommee erworben. Unter anderem durch eine Erfindung, die europaweit Anklang fand: den Migränestift. Dieser wurde von 1873 bis 1883 von Schwarzlose patentiert und danach freigegeben. Aber über den Zeitraum von 10 Jahren war der „Crayon Anti-Migraine“ von Schwarzlose überall in Europa das neue Accessoire der Wahl. Im Grunde ist diese Erfindung der Beginn der Stiftapplikation in der Kosmetikindustrie. Lippenstifte und andere ähnlich aufgebaute Stifte sind alle nach genau diesem Patent von Schwarzlose mehr oder minder weiterentwickelt worden.
Gab es noch weitere Erfindungen der Marke?
Ja, um 1896 führte Schwarzlose eine neue Haarfarbe mit dem Patent des deutschen Chemikers Ernst Erdmann ein. Er hat für Agfa eine Farbformel ohne metallische Zusätze entwickelt und dieses Patent zum Vertrieb an Schwarzlose übertragen. Obschon die Formel damals auch heiß diskutiert wurde und um 1900 von den Eigentümern der Firma Schwarzlose reformuliert wurde, war es die erste „nicht“-schädliche Haarfarbe mit dem Namen Aureol. Der Name Aureol lebt übrigens im Namen L’Oreal fort, denn der Gründer von L’Oreal hat diese Technologie 1906 mehr oder weniger kopiert und auch den Namen französisch abgewandelt zu seinem Markennamen gemacht: zunächst L‘ Aureale, woraus dann circa ab 1930 L’Oreal wurde.
Eine wirklich bewegte Geschichte …
Auf jeden Fall! Um 1900 hat die Familie dann den tradierten Wettbewerber Treu & Nuglisch übernommen und dann auch deren Fabrik genutzt. Dabei wurden dann wohl auch die Technologien für die Parfümerieproduktion übernommen. Das hat zu einer Blüte und zu diversen neuen Duftkreationen von Schwarzlose geführt. Die Düfte wurden damals schon in die USA, nach Australien und Singapur, ja selbst nach Frankreich und Spanien mit großem Erfolg vertrieben. Die Haarfarbe wurde sogar weltweit verkauft – selbst die chinesische Kaiserin Xixi soll sie verwendet haben.
Diese gesamte Geschichte von Schwarzlose ist so vielfältig, so überraschend … und leider völlig vergessen. Es gibt kaum Aufzeichnungen. Und eben das wiederzubeleben, war das Ziel, um die Geschichte der Düfte in die Zukunft zu projizieren.
Welche Herausforderungen gab es dabei, die alten Kreationen von Schwarzlose neu aufzulegen?
Es gibt die alten Formeln nicht mehr. Das gesamte Archiv ist 1943 in Flammen aufgegangen und nach der Schließung der Firma 1976 hat niemand etwas aufgehoben. Unsere Referenzen sind also die alten Flakons. Diese müssen dann zuerst chemisch analysiert werden, aber unsere Nase Véronique Nyberg hat diese Technologien parat und ist bereit, das zu tun. Außerdem sind viele der damals üblichen Inhaltsstoffe nicht mehr einsetzbar. Aufgrund von EU-Bestimmungen sind bestimmte Duftstoffe nicht mehr zugänglich. Die damaligen Kompositionen waren monothematischer als man es heute gewohnt ist. Lavendel war früher eben reines Lavendelparfum mit wenigen weiteren Zusätzen. Heutzutage sind wir alle olfaktorisch aber verwöhnt, das kann man daher heute in der Form nicht mehr so machen.
Also hat Véronique die Aufgabe, die Basis der alten Komposition zu bewahren, aber etwas Eigenes hinzuzufügen. Es ist oft so ästhetisch überzeugend, sodass wir es für richtig halten, daraus die Neuschöpfung zu machen. Das ist immer ein Balanceakt, den Véronique aber fabelhaft meistert. Wir wollen bewusst eine olfaktorische 360°-Ästhetik bieten und mit unseren Kreationen nicht provozieren. Denn es geht bei Schwarzlose um das Fortsetzen einer Duftkultur. Diese Kultur kennt auch keine Geschlechter, ob Frau, ob Mann, ob Transgender oder wie auch immer. Ein Duft muss so involvieren und die Seele zum Klingen bringen, dass das Geschlecht keine Rolle mehr spielt.
To be continued …
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