Es ist nun schon ein paar Wochen her, dass ich Jean-Pierre Marois – den Gründer der Marke Les Bains Guerbois – interviewen durfte. Das Ganze lief nicht, wie üblicherweise, per E-Mail ab, sondern via Videoschalte, was für mich natürlich super spannend und aufregend war. Die Transkription eines solchen Interviews nimmt aber auch eine gewisse Zeit in Anspruch, weshalb ich es Euch heute endlich nachliefere.
Und da das Video-Interview den Rahmen eines einzigen Beitrags hier sprengen würde, mache ich gleich einen Mehrteiler daraus. Ich konnte mich ehrlicherweise auch nicht dazu durchringen, es zu kürzen. Denn die Geschichte, die uns Jean-Pierre erzählt, ist unglaublich spannend, informativ und an vielen Stellen auch überraschend.
Herzlich willkommen im Duft-Tagebuch: Jean-Pierre Marois! 🙂
Lieber Jean-Pierre, kannst Du uns etwas über die Geschichte der Marke Les Bains Guerbois erzählen?
Die Geschichte, die hinter der Marke Les Bains Guerbois steht, ist überaus kraftvoll und lang, denn wir sprechen hier über einen Zeitraum von fast 140 Jahren. Die Marke hatte so viele Leben wie eine Katze, verschiedene Inkarnationen, die sie wirklich interessant und ziemlich einzigartig machen.
Der Ursprung liegt im Jahr 1885, als der bekannte Pariser Café-Besitzer August Guerbois beschloss, ein Stück Land im Zentrum von Paris zu kaufen und das schönste und luxuriöseste Spa der Stadt zu errichten: Les Bains Guerbois. Dafür beauftragte er einen sehr angesehenen Architekten, der ein prächtiges Gebäude errichtete, das bei seiner Eröffnung 1885 von der Presse wie Le Figaro und anderen Zeitungen der damaligen Zeit in den höchsten Tönen gelobt wurde. Man schrieb, es sei das modernste und luxuriöseste Bad der Stadt und würde alle anderen Bäder im Vergleich dazu schrecklich aussehen lassen.
Das Café von August Guerbois war ein Künstlertreff der damaligen Zeit. Monet, Proust, Renoir, Sisley, all diese erstaunlichen Genies der damaligen Zeit waren jeden Tag dort, was sehr gut dokumentiert ist. Wenn man in Kunstgeschichtsbüchern nachschlägt, kann man feststellen, dass der Impressionismus in diesem Café geboren wurde.
Und so begann alles? Mit einem Spa?
Ja, das ist also die eigentliche Entstehungsgeschichte. Es begann mit einem großartigen Spa, mit einem Behandlungsraum, einem Hammam, einem Massageraum, vielen verschiedenen Arten von Pools, japanischen und russischen Bädern, schwefelhaltigen Duschen und Bädern. Das Spa-Angebot war also sehr groß. Außerdem gab es eine Teestube, ein Restaurant und einen Friseursalon, was zu jener Zeit wirklich bahnbrechend war.
Es ist dokumentiert, dass all die berühmten Künstler und Schriftsteller wie Zola und Proust das Bad besuchten, weshalb es auch einen Duft von Les Bains Guerbois namens 1900 L’heure de Proust gibt.
Die Intellektuellen und Künstler also, die auch schon im Café Guerbois ein und aus gingen … und wie ging es dann weiter?
Machen wir einen Zeitsprung in das Jahr 1978: Das Thermalbad war seit einigen Jahren geschlossen, und das Gebäude wurde in einen Nachtclub umgewandelt – Les Bains Douches – mit einem Restaurant und einem kleineren Konzertsaal. Und wiederum, fast hundert Jahre nach August Guerbois, wurde es zu einem Ort, an dem sich die größten Künstler der damaligen Zeit trafen. Wie etwa Jean-Michel Basquiat, Andy Warhol, Keith Haring, Robert de Niro, Jack Nicholson, Cathérine Deneuve, Yves Saint-Laurent … die Liste ist riesig und durch tonnenweise Fotos von all diesen Leuten im Club beim Tanzen und Essen gut dokumentiert. Les Bains Douches galt als das Studio 54 von Paris und diese beiden Nachtclubs veränderten die Art und Weise, wie die Leute feierten.
Auch die Einrichtung war legendär, nicht wahr?
Ja, sie wurde von einem jungen und völlig unbekannten Designer namens Philippe Starck entworfen, der gerade die Schule abgeschlossen hatte. Das Faszinierende an diesem Ort ist, dass er nicht nur die berühmtesten Leute anzog, sondern auch an der Karriere von Leuten beteiligt war, die unbekannt waren und später weltberühmt wurden.
Wie etwa?
Philippe Starck ist ein Beispiel dafür. Es gab auch dort einen Resident-DJ – zu einer Zeit, als DJs noch keine Stars waren – der zum berühmtesten DJ der Welt wurde, nämlich David Guetta. Er begann seine Karriere genau dort. Ich erinnere mich persönlich an ihn. Als ich in meinen Zwanzigern war, wurden wir Freunde. Er war sehr schüchtern und unglaublich cool. Und dann verliebte er sich in eine der Kellnerinnen und sie heirateten – Cathy Guetta. Später fing er an, diese Mixe zu machen, die wirklich die Aufmerksamkeit auf sich zogen, und jetzt ist er die Nummer 1 in den Billboards und bereits seit vielen Jahren einer der bestbezahlten Künstler. Damals im Nachtclub war er jeden Tag dort, trank seine Cola, machte Musik und niemand schenkte ihm große Aufmerksamkeit. Es ist also wirklich unglaublich, dass Leute wie David Guetta, wie Philippe Starck an der Geschichte von Les Bains Guerbois beteiligt sind.
Musik spielte eine große Rolle im Les Bains Douches …
Ja, es gab eine Zeit zwischen 1978 und 1984, in der dort Konzerte stattfanden, bevor es später nur noch ein Restaurant und ein Nachtclub war. Aber in diesen Jahren traten Bands auf, die völlig unbekannt waren und ein paar Jahre später ganze Stadien füllten. Die künstlerische Ausrichtung war so stark. Ein Konzert im Les Bains Douches fand vor höchstens 300 Leuten statt, und die unbekannten Bands schätzten sich glücklich, dass sie dort auftreten durften, denn für sie war es ein riesiger Raum. Bands wie Simple Minds, Depeche Mode, Joy Division … das war auch ein Teil der Legende dieses Ortes und zeigt, wie unglaublich anziehend er war. Und genau das haben wir versucht, in unsere Düfte zu übertragen.
Wie ging es weiter?
Zwischen 1978 und 2003 war Les Bains Douches der beste Club in Paris und einer der besten der Welt. Danach ging es bergab und 2009 wurde er schließlich geschlossen. Dann habe ich die Räumlichkeiten 2015 übernommen und in ein 5-Sterne-Hotel umgewandelt, indem ich alles komplett umgestaltet habe. Wir haben dort nun ein fantastisches Restaurant mit Sitzplätzen im Freien, eine Cocktailbar, die in der Stadt sehr berühmt ist, und 40 Zimmer und Suiten geschaffen, die von großartigen Innenarchitekten gestaltet wurden. Wir haben zahlreiche Designpreise aller Art gewonnen. Dies ist also die letzte Seite einer fast 140-jährigen Geschichte von Les Bains Guerbois.
Wie kamst Du dann auf die Idee, Düfte zu lancieren?
Für mich war der beste Weg, diese unglaubliche Geschichte zu erzählen, sie in einem Flakon einzufangen. Als ich beschloss, die Düfte zu entwickeln, konzentrierten wir uns auf die drei wichtigsten Jahre in der Geschichte des Hauses, die wir zunächst als Eaux de Parfum auf den Markt brachten: 1885 Bains Sulfureux, was die Geburtsstunde von Les Bains Guerbois darstellt.
Damals waren Schwefelbäder in den Thermen sehr beliebt, frag mich nicht warum. Auch im Französischen hat sulfureux eine ganz eigene Bedeutung, nämlich, dass etwas sehr sexy ist, fast anrüchig, ziemlich sexuell. Der Ort war schon immer sehr sexy. Es heißt, dass Marcel Proust – eines der größten Genies der französischen Literatur aller Zeiten–, der schwul war, sich gerne in Les Bains Guerbois aufhielt, und zwar wegen der Dampfbäder, in denen er gerne neue Leute kennenlernen konnte. Wenn Du weißt, was ich meine. 😉
Ja, ich denke, ich weiß, was Du meinst. 🙂
Die Einrichtung war also auch schon vor 1978 ein Ort der Ausschweifung. Denn sowohl der Nachtclub Les Bains Douches als auch das New Yorker Pendant Studio 54 hatten den Ruf, etwas gefährlich zu sein, sexy, wild, voller Sex, Drugs and Rock’n’Roll. Also dachten wir, dass der Name 1885 Bains Sulfureux in diesem doppelten Sinne sehr cool sein würde, zumindest für alle, die Französisch sprechen.
Und welche Düfte habt Ihr noch lanciert, ganz am Anfang?
Das zweite Parfum, das wir auf den Markt brachten, war 1978 Les Bains Douches und das dritte war 2015 Le Phénix. Dies sind im Grunde die drei wichtigsten Daten in der Geschichte des Ortes. Erstens der Bau und die Eröffnung des Spas, zweitens die große Veränderung in einen der berühmtesten Nachtclubs der Welt und drittens die Wiedergeburt als wunderschönes 5-Sterne-Hotel mit Restaurants, Bars und einem Nachtclub.
To be continued …
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