Mitten in Berlin, ein Katzensprung vom Alexanderplatz entfernt, befindet sich der Sitz des Duftlabels Atelier Oblique, das Mario Lombardo 2016 gegründet hat. Insbesondere im Printbereich ist der renommierte Kommunikationsdesigner schon lange für seine einzigartige kreative Arbeit bekannt und wurde bereits mehrfach ausgezeichnet. Nebenbei sitzt er in der Jury mehrerer Medien- und Fotografiepreise und lehrt an diversen Hochschulen für Gestaltung.
Die Düfte von Atelier Oblique waren hier im Duft-Tagebuch schon mehrfach zu Gast (nachzulesen hier) und haben uns immer begeistert. Umso mehr freut es mich, Euch heute und morgen den kreativen Kopf hinter dem Berliner Duftlabel vorstellen zu dürfen, mit dem ich über seine neuste Kreation Lightfalls, seinen Background und seine Arbeitsweise plaudern durfte.
Herzlich willkommen im Duft-Tagebuch: Mario Lombardo. 🙂
Lieber Mario, Du hast Atelier Oblique im Jahre 2016 gegründet, bist ein bekannter Designer und hauptsächlich im Bereich der Gestaltung von Zeitschriften tätig. Wie kam es zur Gründung Deines eigenen Duftlabels?
Das ist eine sehr verästelte Geschichte und meine Magazin-Arbeit hat natürlich dabei geholfen, da ich dabei das Storytelling gelernt habe, ein unglaublich hilfreicher Zusatz.
Es war irgendwann in den 90er Jahren, als ich die magische Kraft von Düften am eigenen Körper erfuhr. Genauer gesagt, als ich mit Anfang Zwanzig das erste Mal nach 16 Jahren die Möglichkeit bekam, in mein Heimatland Argentinien zurückzureisen. Das Land, das ich in frühen Jahren mit meiner Familie fluchtartig verlassen musste, weil mein Vater in den späten 1970er Jahren von der Militär-Junta verfolgt wurde. So kam ich nach Deutschland und verlor – von mir fast unbemerkt – meine tiefe Verwurzelung.
Oh, da warst Du ja sicher noch sehr jung?
Ja, damals war ich gerade einmal fünf Jahre alt. Ich habe somit fast meine gesamte Sozialisierung hier in Deutschland genießen und auch alle meine wichtigen Erfahrungen hier erleben dürfen. Und doch hatte ich immer das Gefühl, dass etwas fehlt. Erst in dem Moment, als ich in Buenos Aires ankam und von dem Gefühl beinahe überwältigt wurde, zu Hause zu sein, wurde mir erst klar, was genau mir gefehlt hatte.
Natürlich ich konnte es nicht sofort benennen. Damals war die Magie von Düften und die Schlüssel, die diese birgt, noch nicht in meiner Welt angekommen. Ich dachte auch, dass Erinnerung an Visuelles gekoppelt ist. Und alles Sichtbare erschien mir fremd. Ich kannte gute und schlechte Gerüche in verschiedenen Ausprägungen, wusste aber nicht, das ein Duft ungebremst durch die Amygdala in limbische System und Stammhirn wandert. Und so musste ich damals via Ausschlussverfahren darauf kommen, das dieses tief sitzende Gefühl in mir von Gerüchen geweckt wurde.
Dann war die Zeit in Argentinien für Dich ein ganz besonderes Erlebnis …
Ja, das Erlebnis in Argentinien war eine der imposantesten Erfahrungen, die ich je gemacht habe. Es war einfach holistisch, ganzheitlich – eine natürliche Verknüpfung aller meiner Sinne, meines Herzens, meiner Seele und meiner Umgebung. Dabei gab es keine Wertung, keinen Maßstab. Es war einfach alles „richtig“.
Ich habe später viel darüber nachgedacht und nachgeforscht, was die Zeit in Argentinien für mich so besonders machte. Es war wichtig für mich, das zu verstehen. Aber die Top-down-Herangehensweise und deren Verständnis hat nie diese Bottom-up-Erfahrung schlagen können. Dieses Erforschen geschah in einer Zeit, in der ich mich mit Kreativität auseinandersetzte. Als meine Mutter später verstarb, war es für mich dann an der Zeit, all meine Erinnerungen, in raumklingende Düfte zu gießen. Das Ergebnis war die Alphabet Collection. Ein Alphabet an Duftkerzen, bei der jeder Duft einem Ereignis gewidmet ist.
Also haben Düfte für Dich schon länger eine wichtige Rolle gespielt …
Stimmt. Von dem Moment in Argentinien an haben Gerüche und Düfte eine riesige Rolle gespielt. Für meine Umwelt muss ich wohl als sehr sonderbar gegolten haben, da die Parfumkunst damals noch nicht in die kleineren Städte vorgedrungen war. Ich musste also reisen, um Ungewöhnliches zu riechen. Leisten konnte ich mir besondere Parfums damals nicht. Ich habe auch nie gedacht, dass ich in dem Metier arbeiten könnte. Die Welt der Parfums war und ist für mich bis heute eine Welt voller Geheimnisse und Mythen. So habe ich mich für Design entschieden.
Und wie bist Du bei den Nischendüften gelandet?
Ich habe aber während meiner Designkarriere stets versucht, die sinnlichen Ebenen mit in meine Arbeit einzubeziehen. Ähnlich wie in Parfüms, Büchern oder Musik habe ich versucht meiner visuellen Arbeit – neben allem Intellektuellen–, auch einer nahbaren und emotionalen Metaebene Platz zu gewähren. Das war in einem von Regeln regiertem Feld nicht so populär. Um den Dos and Don’ts zu entkommen, musst ich mich also bewegen – weg vom Mainstream, hin in die Nischenfelder des Designs. Sie heißen dort anders, beispielsweise Indie, Special Interest, Avant Garde oder edgy. Es sind aber nichts anderes als Nischenprodukte.
Meine Gestaltungsfelder sind Kunst, Musik, Magazin oder Mode. Glücklicherweise haben dann viele meiner Arbeiten ihren Weg von der Nische in die Massen gefunden und haben diese dann verändern können. Genau das ist das Spannende an der Arbeit in der Nische für mich. Grenzen zu öffnen oder verschieben zu können … das kann man eigentlich nur da schaffen. Das habe ich so gut wie möglich perfektioniert.
Als ich mich dann dazu entschied, mich Düften zu widmen, war mir sofort klar, dass massentaugliche Parfums nicht mein Metier sind. Meine Düfte befassen sich mit sehr fragilen Gedanken und Momenten: der Versuch, ein Luftschloss dem Boden der Tatsachen näherzubringen, Entwurzelung, der Zauber und die Hölle von Poeten, eine Fusion zwischen Bauhaus und Natur, die Verortung der Unendlichkeit …
Deine neuste Kreation heißt Lightfalls. Kannst Du uns ein bisschen was zur Entstehungsgeschichte von Lightfalls erzählen?
Der Duft Lightfalls drückt ganz klar meine Liebe zum Licht aus. Kennst du den Moment zwischen Schlaf und Wachsein, wenn deine Augen noch unscharf sind, das Licht durch deine Wimpern eindringt und alles glitzert und flimmert, du noch zwischen Möglichem und Unmöglichem wanderst und das Licht endlich alles Dunkle besiegt? Darum geht es. Ich liebe Licht. Dort zieht es mich immer hin. Ich liebe es sogar, davon geweckt zu werden, auch wann es manchmal furchtbar früh ist.
Es berührt mich zu sehen, wenn es zwischen den Wolken oder Bäumen durchbricht. Die Straße in der Ferne erglühen lässt oder es sich in irgendeiner Form irisiert. Licht kann so unterschiedlich sein. Warm, kalt, gleißend, brennend, bunt, gelb, blau, rot, flach oder strahlend. Ich finde Licht in all seinen Facetten aufregend. Es ist eine schöne Vorstellung darin zu stehen.
Deswegen habe ich bei diesem Duft mit verschiedenen Pfeffersorten, Safran und Grapefruit gearbeitet. Dazu Vetiver und Sandelholz, das für den magischen Ort steht, wo das Licht den Boden berührt und zurückstrahlt. In meinem Büro hatte ich mir vor Jahren ein Lichtbild in die Dachfenster gemacht. Wir hatten dadurch schillernd buntes Licht in Büro, das über den Tag hinweg mit der Sonne durch den Raum wanderte. Es war beruhigend, die Reflexion zu beobachten oder darin zustehen. Das war ein schöner Ort, um kreativ zu arbeiten.
Das klingt wunderschön. Vielleicht muss ich das mit dem Fensterbild auch mal machen. 🙂 Gab es irgendwelche Herausforderungen bei der Duftentwicklung von Lightfalls – eventuell auch aufgrund der Pandemie? Was ist für Dich besonders an Lightfalls?
Wir haben immer die Herausforderung, dass unsere Produktionen nur kleine Chargen sind und wir dadurch oft hinten anstehen. Während der Pandemie, war es besonders schwierig, weil der Alkohol zusätzlich für Desinfektionsmittel verwendet wurde und durch die Knappheit teurer wurde. Wir arbeiten nur mit Bioalkohol und mussten dann bis letzten August warten bis wir an der Reihe waren und welchen bekommen konnten. Das hat sich damals wie eine unendlich lange Zeit angefühlt und war zusätzlich wirtschaftlich schmerzhaft. Gleichzeitig hat es uns aber die Chance gegeben, Beton Brut noch etwas zu verändern und dort auch die Kraft der Natur einfließen zu lassen.
To be continued… Morgen geht es weiter mit dem Interview mit Mario Lombardo (Teil II des Interviews findet Ihr hier)! Auf Wiederlesen! 🙂
Seid Ihr neugierig geworden? Hier kommt Ihr direkt zu der Kollektion von Atelier Oblique:
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