Passage d’Enfer und Passage d’Enfer Extrême von L’Artisan Parfumeur stehen heute auf dem olfaktorischen Speiseplan. Ein Dufthaus, das mir schon lange sehr ans Herz gewachsen ist. Zahlreiche Kreationen des französischen Labels habe ich bereits im Duft-Tagebuch rezensiert, zuletzt im letzten September (nachzulesen hier). Heute kommen nun also Passage d’Enfer und sein jüngerer Bruder Passage d’Enfer Extrême an die Reihe.
Der Durchgang zur Hölle
Die beiden Düfte tragen einen großen, einen martialischen Namen. Übersetzt heißt Passage d’Enfer soviel wie „Durchgang zur Hölle“. Doch mag es sich hier um ein Wortspiel handeln, denn Passage d’Enfer nennt sich auch eine kleine Straße in dem Pariser Viertel Montparnasse, ganz in der Nähe des gleichnamigen Friedhofs. Zu der Straße mit dem durchaus respekteinflößenden Namen hat das Dufthaus einen ganz besonderen Bezug. Das Stammhaus von L’Artisan Parfumeur befindet sich ganz in der Nähe des Sträßchens.
Beide Duftkompositionen stammen aus der Feder von Olivia Giacobetti, worüber ich mich sehr freue. Denn ihre kreative Handschrift ist so besonders, so einzigartig und einfach wunderschön. Während Passage d’Enfer aus dem Jahre 1999 ist, lancierte L’Artisan Parfumeur Passage d’Enfer Extrême im letzten Jahr. Schön, einmal wieder etwas von Frau Giacobetti vor der Nase zu haben. In den letzten Jahren hat sie sich für mein Empfinden ein wenig zu rar gemacht.
Passage d’Enfer – Weihrauchwölkchen
Der mittlerweile mehr als volljährige Passage d’Enfer aus dem Jahre 1999 ist ein Weihrauchduft, in dem das Räucherwerk mit Rose, Ingwer, Lilie, Sandelholz, Zedernholz, Benzoeharz und Moschus kombiniert wurde. Zu meiner großen Verwunderung fand dieser Duft bisher noch nicht den Einzug hier in das Duft-Tagebuch. So bietet sich heute ein Vergleich der beiden Passage-d’-Enfer-Brüder mehr denn je an.
Passage d’Enfer ist ein strahlend heller Duft, rein und unschuldig, aber auch tief, sakral, ein wenig geheimnisvoll und auf eine subtile Art und Weise erotisch. Passage d’Enfer ist nicht nur Weihrauchliebhabern zu empfehlen – der Duft sei gerade auch all jenen ans Herz gelegt, denen Weihrauch oftmals zu dominant erscheint. Ein Einsteigerweihrauch also, der auch jede Fortgeschrittenenkollektion bereichert.
Weihrauch für Anfänger und Forgeschrittene
Hell und floral beginnt Passage d’Enfer und bildet damit ein olfaktorisches Paradoxon zu seinem Namen, der eher an düsteres Feuerglimmen denken lässt. Schon bald im Duftverlauf zeigt sich die Lilie mit ihren strahlenden und transparent-pudrigen Noten. Während sich die Blüten eng an die sanften Weihrauchwölkchen schmiegen, die ebenfalls hell und nur sehr dezent im Raume schweben.
Während der Auftakt von eher kühlen Noten bestimmt war, wird Passage d’Enfer im weiteren Verlauf wärmer. Sandelholz und Zedernholz sorgen mit ihren behaglichen Holznoten für eine wohlige Stimmung, die von cremigem Benzoeharz und Moschuspuder akzentuiert wird.
Wenn der Durchgang zur Hölle so duftet wie Passage d’Enfer, dann möchte ich unbedingt dorthin. Der florale Weihrauchduft ist ein echter Giacobetti: leicht, transparent und von einem unglaublichen Strahlen getragen. Eine Kreation mit Ausdrucksstärke und einer mittleren Präsenz, die trotz aller Luftigkeit fest auf dem Boden der Tatsachen steht. Passage d’Enfer ist wie ein Morgenspaziergang an einem kühlen Frühlingstag. Ruhig, entspannt und unglaublich sanft, ja durchaus auch kontemplativ und meditativ. Trotz seiner über zwanzig Jahre auf dem Buckel ist die Kreation von L’Artisan Parfumeur absolut modern und zeitgemäß. Einfach nur wunderschön und absolut bezaubernd.
Passage d’Enfer Extrême – Purismus extrem
War Passage d’Enfer bereits ein Duft, der in seiner Ausprägung gewissermaßen dem Minimalismus frönte, so zeigt sich Passage d’Enfer Extrême – zumindest auf die Duftnoten bezogen – als echter Purist: Lilie, Weihrauch und Sandelholz. Olivia Giacobetti hat sich ihre frühere florale Weihrauchkreation fast gleichen Namens noch einmal vorgeknöpft und überarbeitet.
Passage d’Enfer wird aus dem Chinesischen mit „Übergang in die Unterwelt“ übersetzt. Eine geheimnisvolle und romantische Vision, die an die traditionelle chinesische Erzählung von der Reise vom Leben in den Tod anknüpft. Passage d’Enfer Extrême verzaubert diese schöne Erzählung mit einem einzigartigen Design und einem intensiveren Duft.
Im Mittelpunkt von Passage d’Enfer Extrême steht Lycoris radiata, die rote Spinnenlilie. Um diese besondere und in Asien beheimatete Lilie ranken sich viele Legenden. Ihre einzigartige Optik mit dem leuchtend roten Strahlenkranz aus Blütenblättern verleiht der Lilie ein geheimnisvolles und faszinierendes Aussehen. Sie wird in manchen Regionen Asiens mit dem Tod in Verbindung gebracht. Mancherorts ist die Lilie, die zur Tagundnachtgleiche im September blüht, schlicht ein Verkünder des Herbstanfangs, während sie an anderen Orten als Reminiszenz für die Toten insbesondere auf Friedhöfen gepflanzt oder auf Beerdigungen zum Einsatz kommt.
Eine bemerkenswerte Blume wurde zum Symbol dieser neuen Kreation: eine in Asien beheimatete Liliensorte, die aufgrund ihrer Blütenblätter, die wie ein Heiligenschein aus glühenden Flammen schimmern, Red Spider Lily genannt wird.
Diese „Auferstehungslilie“, die an der Tagundnachtgleiche im Herbst blüht, ist ein Synonym für die Metamorphose. In einigen Traditionen feiert sie den Wandel, in anderen die Reise in eine andere Welt – eine Art vergessenes Paradies, in welches sie uns mit ihrem berauschenden Duft entführt.
Auf direktem Weg in die Hölle?
Passage d’Enfer Extrême offenbart deutlich dunklere, rauchige Nuancen im Duftauftakt. Eine sanfte grünliche Seifigkeit gesellt sich hinzu, ebenso wie eine luftige und trockene Blütennote. Die Lilie ist weniger betörend als im ersten Höllenduft von Olivia Giacobetti, sondern luzider, ja beinahe ätherisch. Der Weihrauch ist dafür in der Extrême-Version dominanter.
Aber auch hier sei bemerkt, dass die Begriffe „betörend“ und „dominant“ immer im Spektrum der Giacobettidüfte betrachtet werden müssen. Ihre Handschrift ist auch in Passage d’Enfer Extrême deutlich erkennbar. Transparent und dennoch präsent, ausdrucksstark und doch subtil, in gewisser Weise frisch und doch in sich ruhend.
Kühl ist die Duftkomposition und durch die grünlich-floralen Noten asiatisch anmutend. Die kontemplative Stimmung der Kreation von L’Artisan Parfumeur erinnert an einen buddhistischen Tempel. Der Minimalismus und Purismus von Passage d’Enfer Extrême unterstreicht diese Asienassoziation. Im Ausklang bilden holzige Noten einen stimmigen Rahmen, der das Eau de Parfum überaus harmonisch abrundet.
Passage d’Enfer Extrême ist ein typischer Giacobetti-Duft, der puristisch, minimalistisch und auf das Wesentliche reduziert ist. Die Hommage an die asiatische Totenblume Lycoris radiata, die Verbindung zwischen Weihrauch und dem Übergang zur Unterwelt, all dies passt so hervorragend zusammen. Doch trotz aller Düsterassoziationen ist die Duftkomposition überraschend hell, luftig und ausgesprochen ungruftig. Wie auch der Vorgängerduft ist diese zweite und neue Kreation sowohl als Einsteigerweihrauch wundervoll wie auch für Weihrauchkenner.
Damit verabschiede ich mich für heute und wünsche Euch noch einen schönen Sonntag.
Liebe Grüße
Julia
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