Beauty and the Beast – Tyger Tyger von Francesca Bianchi und Fleur Cachée von Anatole Lebreton

Intensiv und opulent wird es heute mit Tyger Tyger von Francesca Bianchi und Fleur Cachée von Anatole Lebreton. Beide Düfte haben sich üppigen Duftnoten verschrieben: Der Tiger dreht sich um einen Strauß weißer Blüten, während Fleur Cachée der Vanille huldigt.

Intensive Ingredienzien sind nicht die einzigen Gemeinsamkeiten der beiden Duftkompositionen. Francesca Bianchi und Anatole Lebreton sind beide Autodidakten, kleine Duftlabel, deren namensgebender Inhaber all ihre Liebe, all ihre Emotionen und viel Schweiß und Tränen in ihre Kreationen stecken. Sie, die Italienerin mit Abschluss in Kunstgeschichte, die mittlerweile in Amsterdam lebt. Er, der aus der Bretagne stammende Franzose, der erst über Düfte bloggte und später selbst welche erschuf.

Tyger Tyger – Francesca Bianchi

Unser Weißblüherduft Tyger Tyger wurde von dem Gedicht The Tyger des englischen Dichters William Blake inspiriert. The Tyger ist eines der bekanntesten Gedichte Blakes, das erstmals im Jahr 1794 im Gedichtband Songs of Experience veröffentlicht wurde. Der Aufbau des Gedichts wird durch eine Reihe von Fragen bestimmt, mit denen der Erzähler seine Ver- und Bewunderung darüber ausdrücken will, welche Art von Schöpfer eine derart furchteinflößende und gefährliche Kreatur wie den Tiger erschaffen haben mag.

Tyger Tyger, burning bright,
In the forests of the night;
What immortal hand or eye,
Could frame thy fearful symmetry?

Francesca Bianchi sah in Blakes Tiger nicht nur das angsteinflößende Biest, sondern auch dessen unglaubliche Schönheit. Dieser Kontrast war für sie von entscheidender Bedeutung bei der Kreation von Tyger Tyger.

In dieser Komposition habe ich nach dem perfekten Gleichgewicht zwischen zwei widersprüchlichen Elementen gesucht. Blakes Tyger verkörpert zwei Eigenschaften, die ich darstellen wollte: erhaben und unwiderstehlich attraktiv auf der einen Seite und schrecklich und furchteinflößend auf der anderen.

Mit den Ingredienzien Weiße Blüten, Honig, Pfirsich, Patchouli, Sandelholz, Eichenmoos, Adlerholz (Oud), Leder und Heliotrop setzte Francesca Bianchi Tyger Tyger olfaktorisch um.

Tyger Tyger, burning bright

Weiche Honignoten eröffnen Tyger Tyger von Francesca Bianchi, dicht gefolgt von samtig-fruchtigem Pfirsich und hellen Holznoten. Die Weißblüher untermalen von Anfang an das süßliche Trio und verleihen ihm cremig-pudrige und betörende Noten.

Grünliche Noten, die ich spontan der Tuberose, dem Alphatier unter den Weißblühern, zuordnen würde, vereinen sich im weiteren Duftverlauf von Tyger Tyger mit Bubblegum-artigen Nuancen. Heliotrop streut eine Prise blumige Vanille hinzu, die das floral-süße Ensemble weiter in Schwung bringt.

Die balsamische Wärme des Sandelholzes ist deutlich wahrnehmbar, während sich Leder und Adlerholz im komplexen Gemisch des Duftes von Francesca Bianchi eher im Hintergrund halten. Nach wie vor von einer intensiven und Weißblüher-betonten pudrigen Süße geprägt klingt Tyger Tyger ganz allmählich aus.

So furchteinflößend wie der Tiger in William Blakes Gedicht ist Tyger Tyger von Francesca Bianchi sicherlich nicht. Dennoch haben wir es mit einer Großkatze zu tun, die uns zwar olfaktorisch schnurrend umschmeichelt, deren Imposanz und Stärke aber beachtlich und durchaus mit Vorsicht zu genießen sind. Tyger Tyger ist als Extrait de Parfum konzipiert, weist daher eine lange Haltbarkeit und hohe Intensität aus. Eine Cologne-mäßige Aufsprühorgie empfiehlt sich daher nicht. Wer aber sparsam dosiert und süßlich-cremige und balsamisch-holzige Weißblüherdüfte mit ordentlich Schmackes mag, sollte Tyger Tyger unbedingt mit auf die Must-try-Liste packen.

Fleur Cachée – Anatole Lebreton

Fleur Cachée von Anatole Lebreton widmet sich nun also der Vanille, jenem kostbaren Gewürz, das ursprünglich aus Mittelamerika stammt. Die ehemals dort beheimateten Totonaken waren – lange bevor die Europäer nach Amerika kamen – für ihre Fähigkeiten beim Anbau von Vanille bekannt. Schon damals war die Gewürzvanille ein begehrtes Gut, das unter anderem im traditionellen Kakaogetränk „xocolatl“ Verwendung fand, dessen Anbau aber ausschließlich von den Totonaken erfolgreich praktiziert wurde.

Eine Legende des mittelamerikanischen Volks besagt, dass die Gewürzvanille ihren Ursprung in einer tragischen und tödlich endenden Liebesgeschichte zwischen einer totonakischen Prinzessin und einem Prinzen hat. Aus dem vergossenen Blut der beiden Liebenden wuchs der totonakischen Legende nach die allererste Vanillepflanze.

Anatole Lebreton vereint in Fleur Cachée Bourbon-Vanille mit Szechuanpfeffer, Kurkuma, Bockshornklee, Sandelholz, Texas-Zedernholz und Perubalsam. Zu seiner Kreation sagt er Folgendes:

Ich träumte von einer Karavelle, beladen mit Gewürzen und Edelhölzern, die im Hafen anlegt, damit ihre Güter entladen werden. Ich träumte von Vanille, so elegant wie gereifter Alkohol, der weicher wird und Komplexität und Bouquet gewinnt. Vanille, die die Fässer durchdringt, die sie mit ihrem Duft an die europäischen Höfe tragen. Ich träumte von einem Vanillekonquistador, der um die Welt segelt, um die Gaumen der Gourmets und feinen Nasen zu erobern. Eingeschlossen in der Provence, wollte ich, dass dieses Reisetagebuch eine Möglichkeit der Flucht bietet und uns an einen fremden Ort reisen lässt. Gehen Sie an Bord auf die Fernreise ‚Fleur Cachée‘, die legendäre Vanille.

Spice it up!

Bockshornklee, Kurkuma und Pfeffer eröffnen die Vanillehommage Fleur Cachée von Anatole Lebreton. Grünlich, dezent kratzig und deutlich gewürzig, von einer schwer greifbaren Schärfe durchzogen, ist diese Kreation auf den ersten Schnupper deutlich anders geartet als erwartet.

Sandelholz und Zedernholz verleihen Fleur Cachée warm-würzige und balsamische Akzente. Die scharfe Gewürznote bleibt der Kreation von Anatole Lebreton jedoch zunächst erhalten.

Ganz langsam schiebt sich im weiteren Verlauf die Bourbon-Vanille ins Duftgeschehen. Dunkel und reichhaltig, von den schokoladigen Noten des Perubalsams untermalt und von der nach wie vor deutlich wahrnehmbaren Gewürzschärfe akzentuiert. Schmeckt und duftet so das Ur-Kakaogetränk xocolatl, das sich doch so sehr von unserer heutigen süßen heißen Schokolade unterscheidet?

Fleur Cachée changiert zwischen wohlig warmen Nuancen und scharfen Gewürznoten. In der Mitte des Dufts steht aber die namensgebende Protagonistin in Form einer tiefschwarzen Bourbon-Vanille. Eine Vanille ohne Süße, voller reichhaltiger Aromen.

Fleur Cachée von Anatole Lebreton ist ein Vanilleduft der anderen Art. Kein gourmandiger Vanillekitsch, sondern eine erwachsene Gewürzvanille, die von ungewöhnlichen Begleitern wie Bockshornklee, Pfeffer und Kurkuma geleitet werden. Dazu ein paar warme Hölzer und fertig ist ein Duft, der die ganz besonderen Noten der Vanille gekonnt einfängt und einzigartig umsetzt.

Damit verabschiede ich mich für heute und wünsche Euch noch einen schönen Donnerstag.

Liebe Grüße
Julia