Ein neuer alter Stern am Himmel von Paris – Roxo Tonic 2018 von Les Bains Guerbois 1885 …

… ist jetzt tatsächlich erst einmal der letzte Duftkandidat der Franzosen, den ich mir für Euch vornehme, vielmehr – stellvertretend unter die Nase klemme. Vermutlich seid Ihr alle, wenn Ihr innerhalb der vergangenen zwei Wochen unser Corporate Blog aufgerufen habt, nicht drumherum gekommen um die neue Parfumkollektion von Les Bains Guerbois 1885, die ich in annähernd epischer Breite beschrieben habe.

Zu gut gefallen hat mir das Konzept, denn es bietet alles, was ich an (Duft)Marken so mag: eine langjährige Historie – vom Thermalbad bzw. Badehaus zu Fin de Siècle-Zeiten, hernach legendärer Nachtclub und jetzt Luxus-Boutique-Hotel, durchgehend Treffpunkt für Kunst, Kultur und „Kohle“ -, die kein Marketing-Mensch erst mühsam erfinden und/oder übertreiben musste, viel Herzblut, tolles Design beziehungsweise herausragende Ästhetik – siehe das Hotel, das dafür preisgekrönte, nicht weiter verwunderlich, dass auch die Düfte diesbezüglich überzeugen – und schlussendlich mehr als adrette, überdurchschnittlich gute und größtenteils auch innovative bis sehr innovative Düfte, allesamt geschaffen von bekannten Namen in und aus der Welt der Düfte. Da Jean-Pierre Marois, Erbe und heutiger Besitzer des altehrwürdigen Hauses, von Beruf Filmregisseur und -produzent ist, hat man dem ikonischen Etablissement ein paar sehr nette Imagefilmchen spendiert, die ich in den letzten Tagen, den letzten Artikeln immer wieder mit eingepflegt habe. Heute noch ein letzter:

Die bisher sieben Düfte der Kollektion sind eine Hommage an das Erbe des Hauses, zeichnen seine Geschichte nach. Für die Spät-Gekommenen – ein „zu spät“ gibt es nicht, hier könnt Ihr die Artikel zu Les Bains Guerbois 1885 von vorne lesen bei Interesse:

Stilecht rocken & riechen – 2018 Roxo Tonic

„Roxo is a party. A place. A color. Materials like leather, lacquer, wood, enameled lava. Organic shapes. A place where day meets night in a dance of light and shadow. Encounters of all kinds. Intoxicated by one’s surroundings as by a powerful cocktail. Roxo Tonic. Bergamot, Lemon and Ginger. Gentian, Neroli and Tea. Vetiver, Ambroxan and Musk. A fragrance under the influence. A moment of joy, desire, free-spirited. Totally free and sparkling.“

Die Ingredienzen:
Kopfnote: Bergamotte, Zitrone, Ingwer
Herznote: Florale Noten, Neroli, Tee
Basisnote: Vetiver, Ambroxan, Moschus

Parfumeur: Fanny Bal

2018 Roxo Tonic ist ganz offensichtlich dem gastronomischen Bereich des Les Bains Paris gewidmet. Der heutige Komplex besteht aus Hotel sowie Restaurant und natürlich Bar, (Nacht)Club als auch Spa, darauf konnte man hinsichtlich der Geschichte schwerlich verzichten, meine ich.

„Roxo – Creature of the Day and the Night“

Roxo ist der Name sowohl des Restaurants als auch der Bar, die wohl zusammenhängen. Gäste können darüber hinaus offensichtlich noch den Salon Chinois anmieten, einen Privatraum. Genauso wie das Hotel sind dessen gastronomische Bereiche ästhetisch äußerst ansprechend, um es einmal rational und dezent untertrieben zu formulieren. Wie in einem der letzten Artikel erwähnt erhielt das Les Bains Paris 2016, ergo ein Jahr nach seiner Neueröffnung, den begehrten Prix Versailles von der UNESCO, einem jährlich in unterschiedlichen Kategorien verliehenen Preis für Gewerbearchitektur, die sich durch die Verknüpfung von Kunst, Kultur und, yep, weil ich Alliterationen mag, Konsum oder vielmehr „Business“ hervorheben. Darüber hinaus findet sich wirklich viel im Netz zu Restaurant und Bar bzw. Club – siehe beispielsweise bei Do It In Paris, Sortir à Paris, The Fork (Tripadvisor – auf der Hauptseite selbstredend gibt es ebenfalls einiges dazu), Timeout. Das Roxo wird auch immer wieder unter die Top 10-Restaurants in Paris gezählt, obschon es noch nicht lange besteht.

Überflüssig zu erwähnen, dass nicht „irgendwer“ kocht: Küchenchef ist derzeit Bruno Grossi, gebürtiger Brasilianer. Aufgrund eines gleichnamigen Sportlers finde ich auf die schnelle nicht besonders viel zu ihm, seine bisherige Laufbahn, die ich Do It In Paris entnehmen konnte, liest sich allerdings beeindruckend: Bistrot d’Arène / Paris, Marcus / London (zwei Michelin-Sterne), Guy Savoy / Paris (drei Michelin-Sterne).

„My cooking is cosmopolite, my goal is to share it by adapting myself to good vibes, the mood of the moment, without planning everything in advance.“ Bruno Grossi, zitiert nach: Sortir à Paris, Quelle siehe oben

Hinter der Bar ist Eric Sablonnière für die Getränke, vor allem aber für die Cocktails zuständig als Head Barman – dieser arbeitete vorher im Nightflight und im Grand Pigalle Hôtel, zu seiner „Mannschaft“ gehört unter anderem auch Benjamin Cousseau, der bereits den Titel des französischer Meisters im Cocktailmixen erringen konnte.

Die Parfumeurin, die 2018 Roxo Tonic umsetzte, ist Fanny Bal, die vermutlich jüngste in der Runde (geboren 1988) und ein (noch) neues Gesicht in der Duftwelt, macht aber bereits ordentlich von sich reden. Bal fand über ihr Chemiestudium den Weg zum Parfum: während ihres Masters an der ISIPCA arbeitete sie mit Dominique Ropion zusammen, der fortan ihr Mentor wurde.

„Der kreative Prozess von Bal beginnt mit einer Kombination aus zwei Zutaten und ihr charakteristischer Stil kann als weibliche Eleganz mit einem Gourmand-Touch zusammengefasst werden. Bal erhielt den «Rising Star» Award von der Fashion Group International.“

In den höchsten Tönen schwärmen viele von ihr, so auch Ropion, der sie als „curious, tenacious and bold“ bezeichnete, sowohl im Hinblick auf ihre Person als auch ihre Profession als Parfumeurin, und weiter von ihr behauptet, dass sie all jene der besten Qualitäten besäße, die man bräuchte, um ein großer Parfumeur zu werde (siehe Website Frédéric Malle). Sie war bisher bereits (alleine und in Zusammenarbeit) für Marken und Firmen wie Azzaro, Cacharel, Costume National, Frédéric Malle (Sale Gosse), Giorgio Armani (Privé Collection New York), Givenchy, Histoires de Parfums (Outrecuidant), Issey Miyake, Lancôme, Masque Milano (Hemingway), Paco Rabanne, Paul Smith, Thierry Mugler, Viktor & Rolf tätig – … beeindruckend für das Alter, oder nicht? Hier bei Ça Fleure Bon findet Ihr ein Interview von ihr.

Die Duftbeschreibung von 2018 Roxo Tonic ist relativ kurz und knackig – wir befinden uns mitten im nächtlichen Treiben des Restaurants und der Bar, eingerahmt von Nachtschwärmern, Hipstern, Trendsettern und wahrscheinlich auch ein paar bekannten Gesichtern, schwätzen, wie der Schwabe so schön sagt, und schwelgen bei exzellentem Essen (vermutlich Fusion Food?) sowie süffig-kreativen Cocktails, eingerahmt vom preisgekrönten Interieur, welches die Geschichte des Les Bains gekonnt aufgreift …

https://pixabay.com/de/photos/tee-honig-zitrone-ingwer-minze-599227/

„Das Ganze ist mehr als die Summe seiner Teile“ wusste schon Aristoteles vor circa 2400 Jahren – das passt ganz gut zu 2018 Roxo Tonic. Bal hat aus den auf den ersten relativ unspektakulären Zutaten etwas geschaffen, was viel mehr ist als ein zitrisch-floraler Geselle, ein „normaler“. Zwar würde ich dem Duft definitiv das Etikett „Cologne-Interpretation“ verpassen, das greift allerdings definitiv viel zu kurz. Yep, wir finden diverse Hesperiden-Geschwister in gewohnt harmonischer Kombination mit Tee – das ist ein bewährtes Erfolgsrezept, schielt man einmal gen Green Tea von Elisabeth Arden oder BVLGARIs Teekompositionen. „Easy to like“, so bezeichnete das einmal Sabine Engelhardt von der Daimler AG, die als Signature-Duft für deren automobile Beduftung wohlweislich ebenfalls einen Zitrus-Tee-Duft wählte. Ein paar Blümchen umranken sanft, dazu gesellt sich Ingwer, der meines Erachtens nach den Game Changer gibt: herb-fruchtig-holzig-trocken zeigt er sich von seiner, von seinen besten Seiten, spendet darüber hinaus subtile Schärfe und dadurch auch Wärme. Ambroxan unterstreicht diese Wärme, fügt ihr ein Quentchen Süße hinzu, von Vetiver kommt eine Prise Salz … da sind sie, die angesprochenen Gourmandanklänge. Wie ein knuspriges, kleines, aber feines Ingwergebäckstückchen, ein exquisiter Keks erscheinen sie, in perfektem Zusammenspiel mit der dynamischen, zitrischen Frische der Hesperiden. Dafür hätte Marcel Proust sämtliche Madeleines stehen gelassen, ganz bestimmt.

2018 Roxo Tonic ist einer jener seltenen Zitrusfrüchte-Düfte, der darüber hinaus Gourmandaspekte besitzt und somit zum perfekten ganzjährigen (Unisex-)Begleiter gemacht ist. Bei Keiko Mecheri fanden sich einige wenige, in dieser Hinsicht verwandte Kandidaten (in ihrer vergriffenen, zum Teil ins normale Sortiment „rübergemachten“ Les Héspérides Collection, von denen allerdings einige deutlich gourmandiger aka süßer waren), darüber hinaus fällt mir ein weiterer, ebenfalls überaus schöner Duft ein, der ähnliche „Vibes“ besitzt, ohne direkt vergleichbar zu sein: Still Life von Olfactive Studio.

Daumen nach oben, liebe Fanny!

… ich bin gespannt: wie sieht es aus, liebäugelt Ihr schon mit einem oder vielleicht gar mit mehreren Düften aus der Kollektion von Les Bains Guerbois 1885?

Mir persönlich hat es besonders das Schwefelbad angetan, darüber hinaus die schöne und einzigartige Iris 1979 New Wave und die beiden letzten Düfte, deren ausgeprägte Ingwernote in jeweils neuartigem Gewand mir extrem gut gefällt.

In diesem Sinne teste ich mal noch ein bisschen weiter und hoffe, dass mein Portemonnaie nicht allzu sehr in Mitleidenschaft gezogen wird 😉

Herzlichst

Eure Ulrike

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Ulrike Knöll Verfasst von:

Meine Liebe gilt seit jeher dem Ästhetischen: Mir geht das Herz auf bei jeglichen Dingen, die durch Form, Funktionalität, Design und Herzblut zu überzeugen wissen. Und wenn dann noch ein Quäntchen Historie dazu kommt, ist es meist ganz um mich geschehen … Ich bin der Nischenparfümerie mit Haut und Haaren verfallen und immer auf der Suche nach dem – oder vielmehr: einem – neuen heiligen Gral. Diese Suche sowie mein ganzes Interesse und meine Begeisterung möchte ich gerne mit Euch teilen!

Ein Kommentar

  1. Kathi
    7. August 2020
    Antworten

    Hallo Uli,
    oh nein… Da du Still Life als „Vibe-Weiser“ erwähnst, einen meiner absoluten Lieblinge… Muss wohl auch Roxo Tonic auf die Testliste gesetzt werden 😉 da stehen von Les Bains jetzt 1885 und 1900 drauf. Ich bin mir grade nicht sicher ob ich alle deine Artikel dazu gelesen habe, glaube aber schon. Den Artikel mit dem Parfumeur der u.a. einige Byredo Düfte kreiert hat, möchte ich jedenfalls noch kommentieren 🙂
    Liebe Grüße
    Kathi

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