Der Beginn einer Ära: 1978 Les Bains Douches von Les Bains Guerbois 1885 …

… ist der nächste Kandidat unserer Rezensionsreihe des Dufthauses. Haus ist im Falle von Les Bains Guerbois 1885 ganz wörtlich zu nehmen, denn hinter der Duftkollektion steht eine Marke, deren Popularität untrennbar mit ihrer Heimat, jenem Gebäude in der Rue du Bourg-l’Abbé Nummer 7 verbunden ist.

Dieses Haus, im 3.  Pariser Arrondissement gelegen, war immer wieder eine legendäre Adresse in der französischen Hauptstadt, ein Publikumsmagnet: die erste Etappe seiner Geschichte begann, darauf bezieht sich der Name der Duftkollektion, 1885 mit einem Thermalbad und Badehaus namens Les Bains Guerbois, das von Vater und Sohn Guerbois ins Leben gerufen und zu einem (vornehmlich abendlich-nächlichen) Tummelplatz einflussreicher Persönlichkeiten, Künstlern, Intellektuellen der damaligen Zeit wurde, wie ich in meinem ersten Artikel zum Thema letzte Woche dargelegt habe. Die ersten beiden Düfte, 1885 Bains Sulfureux und 1900 L’Heure de Proust, sind in exakt dieser Zeit angesiedelt, seht hier die Rezensionen, klick und klick.

Die zweite Etappe, die zu weltweitem Ruhm führte, begann Ende der Siebzigerjahre mit dem Nachtclub Les Bains Douches, einer Art französischem Studio 54, bekannt für seine ausschweifenden Parties, besucht von den Schönsten der Nacht und Berühmtheiten aus Mode, Medien, Kunst, Kultur, Film und so weiter und so fort. 2016 wurde das Les Bains wiedereröffnet, und zwar als 5 Sterne-Boutique-Hotel, der Beginn einer neuen Ära und die Fortschreibung der Historie des Hauses, die ihren olfaktorischen Ausdruck in der vorliegenden Duftkollektion findet.

Wir begeben uns heute und morgen mit 1978 Les Bains Douches und 1979 New Wave knietief in die ausgehenden Siebzigerjahre, die bereits die kommenden goldenen Achtziger vorzeichneten, jene Zeit des Glamour und des Bling-Bling, der unbeschwerten Ausschweifungen … hach …

Disco-Fever – 1978 Les Bains Douches

„Paris 1978 and another endless night in one of the world’s wildest nightclubs. Follow it’s powdery scent. Downstairs it’s a Negroni Yuzu for her and a Whisky Sage for me. Ribbons of tobacco smoke weave their magic. Leaning on the cedar wood bar, I watch her moving on the dance floor. Wafts of myrrh, vanilla, patchouli and oriental rose go to my head. Though I close my eyes for a second, the Bains Douches never sleeps.“

Die Ingredienzen:
Kopfnote: Yuzu, Bitterorange, Kardamom, Whisky, Davana
Herznote: Muskatellersalbei, Rose, Heliotrop, Tabak
Basisnote: Myrrhe, Vanille, Moschus, Ambra, Atlas-Zedernholz, Virginia-Zedernholz, Patchouli

Parfumeur: Bertrand Duchaufour

Ich denke, zu Monsieur Duchaufour beziehungsweise seinem Status als Parfumeur muss man nicht mehr allzu viele Worte verlieren – die meisten Parfumistas werden seinen Namen kennen, ist er doch omnipräsent in der Welt der Düfte und hat bereits eine ordentliche Anzahl an Düften kreiert, die wir schätzen und lieben. Duchaufour begann seine Laufbahn 1985 bei Lautier Florasynth in Grasse, arbeitete danach für wechselnde Aromastoffhersteller, so unter anderem für Créations Aromatiques und Symrise, bis er sich 2008 schlussendlich selbstständig machte als unabhängiger Parfumeur. Er ist bekannt für diverse Duftschöpfungen wie diese: Acqua di Parma (Cipresso di Toscana), Aedes de Venustas (deren erster, der Signature, einer der schönsten Rhabarberdüfte überhaupt), Amouage (der von mir sehr geliebte Jubilation XXV, der exzellente Weihrauchnoten zeigt – im übrigen eine Spezialität von Duchaufour), Comme des Garçons (z. B. Series 1 Calamus und Mint, Series 2 Harissa und Sequoia, Series 3 Avignon und Kyoto, Series 5 Cinnamon, Peppermint, Rhubarb), Eau d’Italie Baume du Doge, Grandiflora Queen of the Night, L’Artisan Parfumeur (diverse Düfte, unter anderem Klassiker wie Dzongkha, Méchant Loup und Timbuktu, darüber hinaus Al Oudh, Fleur de Liane, Nuit de Tubéreuse, Traversée du Bosphore usw.), Neela Vermeire (fast (?) alle ihrer Düfte sind von ihm), Penhaligon’s (Amaranthine, Sartorial, Tralala) … das Ende seiner Schaffensliste ist noch lange nicht erreicht, dennoch dürften diese Beispiele exemplarisch ausreichen 😉

https://www.pexels.com/photo/group-of-people-1587927/

1978 Les Bains Douches entführt uns in die Anfangszeit des Nachtclubs Les Bains Douches, der wie schon erwähnt Ende der Siebzigerjahre seine Pforten öffnete. Eine Zeit des unbeschwerten Feierns, um es einmal diplomatisch auszudrücken 😉 Die dortigen Parties und Gelage machten den Club weltweit bekannt, die Liste der Promis, die sich dort verlustierten, ist unfassbar lang – Modedesigner wie Jean Paul Gaultier und Karl Lagerfeld, diverse Models wie zum Beispiel Naomi Campbell oder auch Kate Moss feierten dort, die Stones oder besser: Mick Jagger und Keith Richards durften selbstredend auch nicht fehlen genauso wie Grace Jones… Am besten kann man sich die Ausschweifungen und das Maß an Dekadenz vorstellen, wenn man sich die Bilder des ehemaligen Clubfotografen FOC KAN ansieht, klick. Weiteren Überblick bzw. Einblicke, ebenfalls von FOC KAN geschaffen, seht Ihr hier, hier und hier. Ihr werdet nicht nur ein aus den Medien bekanntes Gesicht darauf erkennen können, denke ich 😉

https://www.pexels.com/photo/closeup-photo-of-clear-long-stem-wine-glass-724259/

Ausschweifungen und Exzesse in einen Flakon gebannt – wie duftet 1978 Les Bains Douches denn nun?

… nach einem „Sack voll Buntes“, wie meine beste Freundin vermutlich sagen würde. Flirrend und glitzernd wie eine Discokugel oder auch ein Pailettenkleidchen, das man dort wahrscheinlich auch öfters mal zu sehen bekam, zelebriert der Duft seine vielen Zutaten, die parallel schillern und locken, dass es eine wahre Freude ist. Man weiß gar nicht, wo man zuerst hinschauen „muss“ oder besser: möchte.

Als allererstes entdecke ich die Zitrusfrüchten, prickelnd, frisch, saftig, erfrischend – ein perfekter Auftakt für das folgende Geschehen, ein Start in die Nacht, die im Les Bains Douches wohl selten ein Ende fand oder zumindest so erschien … Yuzu, deutlich zu vernehmen, weniger zitrisch-säuerlich als vielmehr fruchtig, alsbald schon begleitet von Davana, jener Blüte, die wie meist auch in diesem Fall likörig-fruchtig, „boozy“ anmutet nebst einer verführerischen Süße. Kardamom malt mit sanftem Pinselstrich ein paar aromatisch-grüne Linien, während 1978 Les Bains Douches bereits erahnen lässt, wohin die weitere Reise geht: pudrige Akzente, sinnlich-süß und gleichermaßen auf eine Art würzig, an warme Haut erinnernd, eingehüllt in einen verlockenden Nebel aus sachtem, zugleich aber auch sattem Tabakrauch (Pfeife, nicht Zigarette, gourmandig, nicht asche-artig oder kühl). Im weiteren Verlauf gewinnt 1978 Les Bains Douches an Wärme, balsamischer Wärme, um genau zu sein, die ihn allerdings niemals in die Nähe von Orientalen oder klassischen Harzdüften rückt, wofür sie definitiv zu „leicht“ ist im Sinne von unbeschwert. Sie wirkt nicht so undurchdringlich dicht, sondern lebendig-wabernd, immer noch und immer wieder jene Pudrigkeit ausspielend samt deren Hautassoziation.

https://www.pexels.com/photo/black-textile-on-red-floor-4723754/

1978 Les Bains Douches liefert die Qualität ab, die man von einem Duchaufour erwartet. Ein überdurchschnittlich gut und gekonnt gemachter Duft, der von beiden Geschlechtern getragen werden kann und in mir vor allem eine Erinnerung weckt – ich bin gespannt, ob jemand diese nachvollziehen kann. Für mich ist 1978 Les Bains Douches der modernere, minimalistische, im Vergleich zurückhaltendere, ja, vielleicht auch maskulinere (nicht maskulin per se, sondern ebenfalls im Vergleich) entfernte Verwandte eines alten Klassiker, und zwar von … Diors Hypnotic Poison.

Wer hat ihn auch getragen außer mir? Ich war ihn lange Zeit über, allerdings ist er unbestritten ein Meisterwerk, obschon er stellenweise etwas auf die Nerven gehen kann, man muss es leider sagen – das liegt aber mehr an seiner zeitweise überstrapazierten Allgegenwärtigkeit (vor fünfzehn Jahren konnte man nirgends hingehen, ohne dass es nach ihm roch) sowie der mitunter leidvollen Überzeugung mancher Trägerinnen getreu dem Motto „Viel hilft viel“. Dennoch – mittlerweile kann ich ihn ganz generell nach langer Abstinenz wieder riechen und trage ihn wieder zu manchen Gelegenheiten, er ist eben doch ein Unikat.

1978 Les Bains Douches besitzt, zumindest für mich, ähnliche „Vibes“ – wer sieht das ebenso?

Herzliche Grüße

Eure Ulrike, die in Erinnerungen versinkt und jetzt erst recht auch mal wieder gerne feiern gehen würde …

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Ulrike Knöll Verfasst von:

Meine Liebe gilt seit jeher dem Ästhetischen: Mir geht das Herz auf bei jeglichen Dingen, die durch Form, Funktionalität, Design und Herzblut zu überzeugen wissen. Und wenn dann noch ein Quäntchen Historie dazu kommt, ist es meist ganz um mich geschehen … Ich bin der Nischenparfümerie mit Haut und Haaren verfallen und immer auf der Suche nach dem – oder vielmehr: einem – neuen heiligen Gral. Diese Suche sowie mein ganzes Interesse und meine Begeisterung möchte ich gerne mit Euch teilen!

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