Leisure in Paradise von Simone Andreoli …

… ist einer der Neuzugänge, die Lust auf Urlaub machen – und hoffentlich unsere Feriensehnsüchte ein wenig stillen, da vermutlich in Anbetracht von Corona bei einigen der Urlaub weniger in ferne Lande verlegt werden wird, viele vielleicht auch erst einmal gar nicht wegfahren. Ein bisschen Träumen ist allerdings erlaubt, erst recht, wenn es sich so vorzüglich anhört wie bei Simone Andreolis Leisure in Paradise

„Every bottle contains a world … Every chapter reveals scents with a precise olfactory identity. A diary of fragrances that evokes places and destinations through the power of olfaction. Each bottle is conceived like the page of a travel journal that encloses an experience of journey with the art of fine perfumery.“

Jeder Flakon offenbart eine eigene Welt, so das Versprechen der Marke. Düfte, die zum gedanklichen (Fern)Reisen verführen und/oder durch (persönliche) Erinnerungen inspiriert wurden – das ist nichts Neues, wie regelmäßige Leser*innen, Parfumistas und Duftliebhaber*innen wissen.

Dennoch hat man es im Falle von Simone Andreoli ein bisschen anders aufgezogen als gewohnt, was schon die zusätzliche Markenbezeichnung ahnen lässt – Diario Olfattivo. Alle Duftbeschreibungen sind gestaltet als eine Art Tagebuch des Parfumeurs, als schriftliche Erinnerungen, die mittels des korrespondierenden Duft olfaktorisch umgesetzt wurden. Das zumindest findet man selten – und es hat durchaus seinen Reiz, wie ich finde.

Im Blog haben wir, Harmen und ich, schon diverse Düfte von Simone Andreoli besprochen – falls wer neugierig geworden ist und sie noch nicht kennt, gerne stöbern 🙂

Müßiggang im Paradies – Leisure in Paradise von Simone Andreoli

„The inspiration: The time of leisure, of doing nothing and pleasure. Caribbean beaches, white sand, creamy coconut and tender vanilla. Nothing better to enjoy the perfect holiday.Leisure in paradise is the warm Caribbean breeze which blows on the Cuba’s shores; saturated with the delicious sun cream scents and juicy fruit.

The Diary: Leisure is a melody that reverberates in the cuban streets and resounds in carribean beaches. The sound of sea is the soul lapping. A tropical poetry, a senses adagio which dances at the sun while the salsa rythm pulses. Fine pleasure of living stands in the beauty of finding time to lose. Contemplating, observing, listening and enjoy doing nothing. Spending time for ourselves with its simplest values, free from any imposition. Having time to lose is an elevated expression of life!“

Die Ingredienzen:
Kopfnote: Papaya
Herznote: Kokosnuss, Vanille
Basisnote: Hölzer

Leisure in Paradise gehört zu den Verses of Life, einer (Unter)Kollektion aus der Chapter-Reihe, den einzelnen Duftkapiteln der Italiener. Er ist als Gourmand klassifiziert, des Weiteren als Eau de Parfum Intense gelabelt, was auf eine hohe Duftkonzentration schließen lässt. Es gibt zwar keine einheitliche Vorgabe, wie hoch der Anteil an Duftöl eines Eau de Parfum sein „muss“, um als solches gelabelt zu werden, generell bewegen sich die Konzentrationen derselben aber zwischen zehn und fünfzehn Prozent, im Falle von Intense-Varianten kann man nochmals circa fünf Prozent addieren.

Kommen wir zum olfaktorischen Tagebuch, der Duftbeschreibung. Für das Wörtchen „leisure“ gibt es mehrere Übersetzungsmöglichkeiten – Freizeit, arbeitsfreie Zeit gehören dazu, worin immer auch Erholung mitschwingt. Und dann steht es überdies noch für Muße, Müßiggang. Ich lese die Duftbeschreibung so, dass darauf der Hauptaugenmerk liegt, auf der Bezeichnung einer Aktivität, die lange Zeit nicht als solche gesehen wurde, sondern eher im Gegenteil. Dennoch wandelt sich die Beurteilung von Müßiggang zunehmend in den letzten Jahren, vielleicht auch jetzt während und nach Corona …

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Im Werk des dänischen Philosophen Kierkegaard, mit dem ich mich im Rahmen meines Studiums, meiner Studien eingehender befasst habe, tauchen zu diesem Begriff einige Stellen auf, die ich Euch eigens herausgesucht habe. In Entweder-Oder etwa, wo Folgendes zu lesen steht, siehe online bei Zeno.org:

„Müßiggang, so pflegt man zu sagen, ist eine Wurzel alles Übels. Um das Übel aus der Welt zu schaffen, hat man die Arbeit empfohlen. […] Müßiggang als solcher ist keineswegs eine Wurzel des Übels, im Gegenteil, er ist ein wahrhaft göttliches Leben, wenn man sich mir nicht langweilt. Natürlich kann der Müßiggang es veranlassen, daß man sein Vermögen verliert; aber davor fürchtet sich die adlige Seele nicht, wohl aber vor der Langeweile. Die olympischen Götter langweilten sich nicht, sie lebten glücklich in glücklichem Müßiggang. […] Der Müßiggang ist also durchaus nicht die Wurzel des Übels, sondern viel eher das wahrhaft Gute.“

Nun gut, Lohn und Brot hängen für die meisten von uns voneinander ab, es hilft nichts. Auch darf man Kierkegaard (hier) nicht wörtlich nehmen, weil es sich bei Entweder-Oder um eine pseudonyme Schrift handelt, in der er mitnichten durchweg seine ureigenen Anschauungen vertritt – weshalb das so ist, würde an dieser Stelle zu weit führen und spielt in diesem Zusammenhang auch keine Rolle, dennoch mag ich diese Sicht auf den  Müßiggang. An anderer Stelle wiederum steht auch, dass, wer als Mensch keinen Sinn dafür hätte, nur zeigen würde, „dass er sich nicht zur Humanität erhoben hat“.

Überhaupt finden sich in Philosophie und Literatur viele Gedanken und Überlegungen zum Thema Müßiggang, so auch bei Goethe in dessen seinem Nachlass angehörender Aphorismensammlung Über Literatur und Leben:

„Das ganze Leben besteht aus Wollen und Nicht-Vollbringen, Vollbringen und Nicht-Wollen. Wollen und Vollbringen ist nicht der Mühe wert oder verdrießlich davon zu sprechen.“

Nahtlos anknüpfen lässt sich da mit Nietzsche und dieser Textstelle aus seiner Fröhlichen Wissenschaft:

„Die Arbeit bekommt immer mehr alles gute Gewissen auf ihre Seite: Der Hang zur Freude nennt sich bereits „Bedürfniss der Erholung“ und fängt an, sich vor sich selber zu schämen. ‚Man ist es seiner Gesundheit schuldig‘ — so redet man, wenn man auf einer Landpartie ertappt wird. Ja, es könnte bald so weit kommen, dass man einem Hange zur vita contemplativa (das heisst zum Spazierengehen mit Gedanken und Freunden) nicht ohne Selbstverachtung und schlechtes Gewissen nachgäbe.“

Müßiggang, sind wir einmal ehrlich, wurde und wird mitunter noch von vielen mit Stillstand verwechselt, und zwar im negativen Sinne. Mit Faulheit, mit „Stand-By“. Welch eine Fehleinschätzung unserer Zeit oder besser: der Neuzeit, denn diese Betrachtung und Bewertung des Müßiggangs ist erst seit dieser derartig negativ konnotiiert. Bei den alten Griechen in der Antike war es anders: Muße galt als Ideal (einer Lebensweise und als Weg zu Erkenntnis). So sah beispielsweise Sokrates im Müßiggang die „Schwester der Freiheit“, in der Muße den „schönsten Besitz von allen“. Das wandelte sich ganz grundlegend, wie oben bereits angesprochen, spätestens in der Neuzeit, vor allem auch beeinflusst durch die Industrialisierung und den emsigen Protestantismus, der hier im Schwabenländle immer noch allgegenwärtig ist auf eine Weise, man denke nur an „Schaffe, schaffe, Häusle baua“ …

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Wie aber soll Arbeit funktionieren ohne Innehalten, ohne Reflexion, Koordinaten bestimmen, gegebenenfalls neu justieren? Wie soll Kreativität sich entfalten können, sollen Ideen entstehen, Innovation in die Welt kommen, wenn nicht durch Müßiggang? Müßiggang ist die Grundlage für Entwicklung, sei es im ganz wörtlichen Sinne für Erfindungen, für Wissen, Forschung, für Produktion, aber auch im Hinblick auf den Einzelnen, auf persönliche Reife, Erkenntnisgewinn, letztendlich auch für Lebensglück.

Und: Muße und Müßiggang sind durchaus aktiv, dabei alles andere als einfach. Viele Menschen scheinen es verlernt oder noch nie erlernt zu haben, können mit Innehalten, mit dem bewussten, dem freiwilligen (oder auch unfreiweilligen) Verzicht auf Aktivität(en) nicht umgehen. Sie halten es nicht aus, um es einfach auszudrücken. Und die bisherigen Werte unserer Gesellschaft machen es darüber hinaus schwer: Wo jeder sich permanent bewegt und bewegen muss, wo Ruhe Stress auslöst und Unruhe zum Lebensgefühl geworden ist, wo alles auf Optimierung, Maximierung, Wachstum ausgelegt ist, auf „Schneller, größer, besser, höher, stärker“ gilt schnell als Faulpelz, Leistungsverweigerer oder gar Versager, wer sich dieser Mühle (temporär) entzieht.

Was meint Ihr, wird die Zeit, die wir gerade erleben, daran etwas ändern? Werden wir uns besinnen, als Einzelne, als Gemeinschaft(en), als Gesellschaft, und entschleunigen, abrücken vom gierigen Immer-mehr? Werden sich unsere Werte verändern, erleben wir vielleicht jetzt gerade schon einen Paradigmenwechsel?

Für diejenigen, die das Thema noch ein bisschen vertiefen möchten mit der Muße und dem Müßiggang: Hier ein toller Artikel in einem mir ansonsten unbekannten Blog, der nicht nur einen Teil der Zitate, an die ich ebenfalls denken musste und von denen Ihr einige jetzt bereits kennt, listet, sondern überdies scheint die Autorin zu einer sehr ähnlichen Überzeugung hinsichtlich der Muße gelangt zu sein wie ich. Bei BrandEins findet sich ebenfalls ein spannendes Interview – klick.

… ich bin abgeschweift 😉 Ich gebe es zu, der Begriff Müßiggang war ein Trigger. Dennoch oder gerade deswegen wäre ich an Eurer Meinung interessiert zu obigen – und selbstredend auch zum Duft, den ich mir nun unter die Nase klemme …

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Varadero, Kuba

Simone Andreoli entführt uns mit Leisure in Paradise in die Karibik, wo wir uns gerne zwischendurch auch dem Nichtstun widmen dürfen am Strand, im feinsten, strahlend hellen Sand. Darüber hinaus klingt allerdings auch der Müßiggang als Lebensgefühl der dort beheimateten Menschen an, Andreoli verweist hier auf Kuba, auf Salsa (Cubana), auf die Fähigkeit, sich dem Müßiggang hinzugeben, was als erhabener Ausdruck des Lebens bezeichnet wird in der Beschreibung.

Kuba, da fällt mir im Zusammenhang mit Parfums sofort die herrliche Havanna Collection ein, die für mich zu den Best of 2019-Düften zähl(t)en. Leisure in Paradise dürfte in eine andere Richtung zählen, wirft man einen ersten Blick auf die Zutaten – Papaya an erster Stelle, sehr schön und vor allem selten! Insofern ist der neueste Streich von Andreoli wohl auch keine jener tropischen Blüten, von denen es doch einige gibt. Woher aber kommt die Deklaration als Gourmand?

… das erschließt sich mir bereits nach den ersten duftenden Metern 😉 Sonne satt strahlt mir entgegen oder besser: Wärme. Balsamische, würzige, süße, sandig anmutende Wärme, die aus der Basis hervorleuchtet und -funkelt – unmöglich, dass sich dort keine Ambra und/oder andere Harzgeschwister verbergen. Satte, reife, saftige Tropenfrüchte in Rot und Gelb, ein Arrangement gleich einem exotischen Stillleben, gebettet auf cremiger, nein cremigster Vanille. Diese zeigt sich nur verhalten pudrig, dafür aber umso … ganz genau, cremiger, milchig, fast schon zart-schmelzend wie Schokolade, akzentuiert von Würzigkeit, die ich eigentlich eher Tonkabohne zugesprochen hätte, welche ich gerne als würzige Schwester der Vanille bezeichne. Auf meiner Haut entwickelt Leisure in Paradise zudem köstliche Noten von Karamell. Und in dieser warmen Würze oder auch würzigen Wärme zeigt sich auch Kokosnuss – eine erwachsene Variante derselben, die erfreulicherweise nicht an einen bestimmten Klassiker-Schokoriegel erinnert (den ich zwar hin und wieder gerne esse, duften möchte ich allerdings so nicht).

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Leisure in Paradise ist in der Tat ein lebensfroher Gourmand-Duft, sinnlich und sonnengeküsst. Wer beispielsweise Honoré des Prés‘ We love NY Love Coco mag aufgrund dessen Kokosnuss-Interpretation, sich aber noch ein paar Früchtchen wünscht, wer die Vanille- bzw. Gourmanddüfte von Chabaud schätzt, Passiflora von Keiko Mecheri (der allerdings von Blüten eingerahmt wird) oder einige der „wärmeren“ Düfte ihrer mittlerweile (teilweise?) eingestellten Hesperiden-Kollektion – der sollte in jedem Fall testen und findet mit Leisure in Paradise einen tollen Sommerbegleiter. Für mich ist er vor allem heute der richtige Begleiter angesichts des doch gar nicht mal so sommerlich-sonnig-warmen Wetters …

In diesem Sinne – einen schönen Tag heute meine Lieben und viele herzliche Grüße

Eure Ulrike

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Ulrike Knöll Verfasst von:

Meine Liebe gilt seit jeher dem Ästhetischen: Mir geht das Herz auf bei jeglichen Dingen, die durch Form, Funktionalität, Design und Herzblut zu überzeugen wissen. Und wenn dann noch ein Quäntchen Historie dazu kommt, ist es meist ganz um mich geschehen … Ich bin der Nischenparfümerie mit Haut und Haaren verfallen und immer auf der Suche nach dem – oder vielmehr: einem – neuen heiligen Gral. Diese Suche sowie mein ganzes Interesse und meine Begeisterung möchte ich gerne mit Euch teilen!

2 Kommentare

  1. Birgit
    30. Juli 2020
    Antworten

    Was für ein wunderbarer Duft! Ich glaube nicht, dass irgendein Fan von Gourmand-Düften den nicht mag. Mich erinnert er an Armeniaca Vulgaris/Ex Vinis und Vittoria Apuana/Profumi del forte . Fruchtig. süß, vanillig . Sehr „dicht“ und „satt“ und vor allem auch haltbar. Pfirsich-Cobbler mit Vanilleeis und Schlagsahne zum Sprühen. Oder Tropen-Urlaub auf dem Balkon. Auf alle Fälle zaubert diese Art Duft bei mir ein glückliches Lächeln ins Gesicht !

  2. Ulrike Knöll
    7. August 2020
    Antworten

    Huhuu liebe Birgit,

    Pfirsich-Cobbler mit Vanilleeis – aaah, ich glaube, ich muss gleich in meiner Tiefkühltrühe nach Eis wühlen *schmatz*
    Der ist echt schön, oder?

    Viele liebe Grüße und ein schönes Wochenede

    Uli 🙂

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