… das, wie die meisten regelmäßigen Leser*innen wissen, mich von Anfang an begeistert hat: meine Lady Vengeance, einer der ersten Düfte der Franzosen um Nina Ricci-Urenkel, gehört selbst knapp fünfzehn Jahre nach ihrem Erscheinen noch zu meinen All-Time-Favoriten, darüber hinaus tummeln sich Citizen Queen, Midnight Oud, Miss Charming, Romantina als auch Moon Dance von Juliette has a Gun in meinem Parfumregal. Insofern wird es keinen überraschen, dass ich den olfaktorischen Werdegang der Marke aufmerksam verfolge, mir sämtliche Neuerscheinungen gespannt und neugierig zu Gemüte führe. Da kommt mir Lipstick Fever gerade recht, den ich mir heute stellvertretend für Euch unter die Nase klemme!
Rote Lippen soll man küssen – Lipstick Fever
„Warum haben Lippenstifte fast immer den gleichen Duft?
In Frankreich sprühten die Menschen am Hof bis zur Revolution ihre Perücken mit einer Mischung aus zerdrückten Iriswurzeln und Reispuder ein. So entstand eine irisartige Note. Das Veilchen kam erst Ende des 19. Jahrhunderts in den ersten festen Lippenstiften dazu und gemeinsam wurden sie in den 1920er Jahren zur Norm. Lippenstifte mit süßem Veilchengeschmack waren zu dieser Zeit absolut im Trend. Da die Lippenstifte in Kontakt mit dem Mund kamen, neigten die Kosmetikunternehmen dazu, sie mit essbaren Inhaltsstoffen zu parfümieren. Iris, Veilchen und Himbeeren haben den Vorteil, dass sie besonders lieblich schmecken, wenn man mit der Zunge über die Lippen fährt …
Paris, Pigalle, Donnerstagabend. Mit dem Blick in den Spiegel verleiht Juliette ihrem Femme-fatale-Look den letzten Schliff, der die Welt in die Knie zwingen wird. Eine Komposition, inspiriert von einer Spur Lippenstift. Seine Geschmeidigkeit und seinen Duft erhält er von Iris und Veilchen. Die historischen Noten des Lippenstiftes in Kombination mit Vanilleabsolue, Himbeere und Pfirsich.
Das Accessoire, das ebenso ästhetisch wie auch geschmacklich ansprechend ist, wird mit holzigen Noten von Patschuli und Zedernholz aufgewertet. Diese Kombination spiegelt das Zusammenspiel von Lippenstift und Handtasche wider, eine meist unzertrennliche Kombination … Die Wirkung ist so groß, dass wir unwiderruflich in eine Welt versetzt werden, die entschieden weiblich, höchst verführerisch, spielerisch, fast schon unanständig ist. Einfach göttlich.“
Die Ingredienzen:
Kopfnote: Himbeere, Veilchen
Herznote: Patchouli, Iris
Basisnote: Vanille, Moschus, Ambroxan
„Dare to try #LIPSTICKFEVER“ liest man auf der Website von Juliette has a Gun, darüber hinaus den netten, kleinen Satz: „She does very bad things but she does them very well“.
Ein böses Mädchen als Zielgruppe oder so ähnlich 😉 Eines, das sich gerade zum Weggehen fertigmacht, für einen Abend, an dem ihr die Welt zu Füßen liegt, weil sie die Klaviatur der Verführung perfekt beherrscht … Prä-Corona- und hoffentlich auch Post-Corona-Vision, die Clubbesuche sind derzeit ja gestrichen. Deshalb fliegen Lippenstifte als Beauty-Accessoire vermutlich etwas unter dem Radar dank der Maskenpflicht. Leider, möchte ich anmerken, obschon ich die Notwendigkeit der Masken absolut einsehe, befürworte und umsetze. Dennoch, ich bin zwar kein ausgewiesener Make-up-Junkie, aber oder besser: gerade deswegen, weil ich als Grobmotoriker keine ausgefeilten Augenverschönerungen auf die Kette kriege, habe ich mich immer gerne dieses Kosmetikprodukts bedient. Und werde es wieder tun, wenn COVID-19 im Griff ist. Lippenstifte, der einfachste Weg, um sich ein wenig Ausdrucksstärke optischer Natur zu verschaffen – zumindest für mich. Wie bei vielen anderen Dingen bin ich hier ebenfalls meist „digital“, sprich: 1 oder 0, ganz oder gar nicht. Mein Sortiment an dekorativer Kosmetik ist relativ überschaubar, die Anzahl der Lippenstifte allerdings sticht heraus – es sind sicherlich vierzig oder mehr, von denen man mitunter nur beim genauen Hinsehen die farblichen Unterschiede entdeckt. Meine Lippenstifte sind überwiegend knallig, prägnant – ansonsten taugt ja auch normale Lippenpflege, oder nicht? Ein paar sommerliche Farben – yep, auch die Orangetöne habe ich mitgemacht -, ansonsten allerdings überwiegend Rot, Rot, Rot, deutlich erkennbar.
Lipstick Fever sieht sich demnach inspiriert durch die Historie des Lippenstiftes, bezieht sich auf die Ursprünge des Lippenstifts, der seit mehr als einem Jahrhundert (Kuss)Münder ziert. Betrachtet man die Affinität zur zeitweisen Einfärbung der Lippen generell, sieht man schnell, dass das über Jahrhunderte usus war und ist, vielleicht gar Jahrtausende.
Die Beschreibung zu Lipstick Fever greift einen wichtigen Aspekt auf, den des Geschmacks und somit auch des Duftes jenes Beauty-Utensils: Iris und Veilchen, die darüber hinaus bereits Puder als auch gepuderte Handschuhe zu beduften wussten. Wir kennen sie, denke ich, alle, jene spezifischen Düfte, die von Körperpuder oder auch Lippenstift, vor allem denen unserer Mütter, Großmütter ausgingen. Vintage oder Retro sind die Attribute, die diesen gemeinhin anhaften. Gerüche, die auf eine Weise wohlbekannt erscheinen und wohlig-sinnlich, „skinnig“, wie ich es immer gerne bezeichne, darüber hinaus feminin und lockend, verführerisch.
Ein Motiv, das sich die vergangenen Jahre immer wieder in der Welt der Düfte fand – mir fallen zu dem Thema gleich einige Kandidaten ein, zum Beispiele diese hier, unsortiert: Histoires de Parfums Moulin Rouge 1889, der unfassbar schöne, darüber hinaus Ralf Schwiegers Lipstick Rose für Frédéric Malle, der herrliche Angel’s Dust von Francesca Bianchi, État Libre d’Oranges Putain des Palaces oder auch Seven Veils von Byredo, um nur einige zu nennen. Viele Parfumfreunde lieben derartige Düfte, das liest man immer wieder online, in Foren, darüber hinaus bekomme ich es auch von Kunden und Kollegen mit. Sie strahlen häufig Weiblichkeit aus, besagte Sinnlichkeit, Erotik, allerdings auf subtile Weise – Understatement und nicht „In your Face“.
Reiht sich Lipstick Fever ein in dieser Riege der Begehrbaren? Die äußere Erscheinung, für mich zwar zweitrangig, aber dennoch nicht unbemerkt bleibend, passt schon einmal: der Standardflakon, diesmal mit rotem Farbverlauf in Degradée-Optik, das kann was und harmoniert hervorragend mit der silbernen Beschriftung.
Und wie ist der Juice, das eigentlich wichtige Element? Ziemlich authentisch nach Lippenstift duftend, würde ich sagen – insofern wird Lipstick Fever das Beuteschema all jener erfüllen, die sich nach derlei Düften oder besser: dem einen sehnen. Lipstick Fever duftet genau so, wie man sich einen Lippenstift wünscht. Nicht die Variante Cheesecake oder Erdbeer Sahne für Teenager, sondern dieser zart-pudrig-cremige Vintage-Lippenstift, den man, siehe oben, vielleicht noch so aus seiner Kindheit in Erinnerung hat von jemandem oder eventuell auch nur ein solches Bild im Kopf trägt. Wobei ich als ausgewiesener Fan unter anderem zum Beispiel der Lippenstifte von Lauder deren Duft ebenfalls sehr charakteristisch und „retro“ empfinde, es gibt sie also auch heute noch, diese Lippis 🙂
Lipstick Fever zelebriert die seidigen Aspekte eines Lippenstiftes, jene zarte Cremigkeit, von einer sanften Süße unterlegt, die eben in Lippenstiften und auch in (Körper)Pudern früher meistens von Iris und/oder Veilchen stammten. Pudrig zeigt er sich ebenfalls, wobei sich zarte Himbeernoten bemerkbar machen, fruchtige Frische stiftend und die Süße untermalend. Unsere Beerchen wirken wie bestäubt von hochfeinem Puderzucker sowie einem klitzekleinen Quentchen Talkumpuder. Der Hautschmeichler Ambroxan trägt unter tatkräftiger, dennoch vollkommen un-offensiver Hilfe von Moschus, wärmt leise, ohne „aufzutragen“. Will sagen: hätten wir es hier mit einem Kleidungsstück zu tun, wäre Lipstick Fever eine Seidenbluse oder ein Jäckchen, vielleicht eine Stola aus Sommer-Kaschmir, luftig-locker gewebt, hautnah, schmeichelnd, einhüllend, die Haut liebkosend.
Ihr werdet es Euch schon gedacht haben: die Männerwelt geht dieses Mal leer aus, an einem Vertreter dieses Geschlechts kann ich mir Lipstick Fever nun wirklich nicht vorstellen. Er zielt auf das weibliche Publikum, definitiv. Auf leisen Sohlen kommt er angeschlichen, schreit mitnichten „Ich bin ein Parfum!“, hält sich vielleicht auf den ersten Blick bedeckt, ist aber dennoch überaus präsent. Einer jener Düfte, die mit der Haut auf eine Art verschmelzen, sodass sie eher als Aura wahrgenommen werden denn als Parfum.
Parfumistas werden wissen, was ich meine: wie Haut nur besser – dieses Etikett haftet manchen jener Düfte an, die ihre Trägerin und deren Charakter, ihre Sinnlichkeit strahlkräftig unterstreichen, aber nicht aufgesetzt im Sinne von künstlich und/oder parfümiert wirken, womit ich letzteres nicht herabqualifizieren möchte, keinesfalls. Allerdings bezieht Lipstick Fever seine Erotik, seine intelligente Sexyness eben genau aus jenem Aspekt, dass er sich nicht offensiv-offensichtlich als Parfum zu erkennen gibt, sondern seine Trägerin in den Vordergrund, den Mittelpunkt stellt.
Am ehesten „verwandt“ scheint mir Lipstick Fever mit Lipstick Rose zu sein, wenn ich mir meine oben genannte kurze Liste so ansehe. Im Vergleich zu Moulin Rouge ist er weniger kokett, seine Sexyness ist unschuldiger, seine Erotik weniger „abgründig“, dafür mangelt es ihm auch an Leder- oder ähnlichen Noten. Wer hier dunklere Gefilde betreten mag, kann es auch mit dem von mir über alles geliebten Under My Skin von Francesca Bianchi versuchen, der Haut auf eine andere Weise inszeniert. Und diejenigen, die beim Wörtchen „Sommer-Kaschmir“ lange Ohren bekommen haben, sollten sich eventuell nach einem Pröbchen des mittlerweile nicht mehr gut erhältlichen Cashmere Twill von Acqua di Biella umsehen, den ich vor Urzeiten bereits im Blog rezensiert hatte.
Bleibt nur noch die Frage, meine Lieben: ist das was für Euch? Wer fühlt sich angesprochen?
Viele herzliche Grüße
Eure Ulrike
Schreibe den ersten Kommentar