… sind endlich wieder da, was mir echte Begeisterung entlockt! Die Marke des Mexikaners Carlos Huber war schon einmal vor Jahren bei uns zu haben, hatte dann aber Vertriebsschwierigkeiten und war annähernd komplett vom deutschen Markt verschwunden und in Europa generell, wenn überhaupt, nur noch spärlich vertreten. Ich hatte ihr nachgeweint, denn Arquiste haben einige sehr sehr schöne, herausragende und vor allem auch einzigartige Düfte in ihrer Kollektion – ich meine vor allem Aleksandr und Anima Dulcis, die es mir persönlich überaus angetan haben. L’Etrog kann ich als dritten Duft nennen – ihn hatte ich als erstes hier im Blog rezensiert, er war mein Einstieg in die Kollektion, ihn haben wir wieder im Sortiment. Und – er hat noch einen Flanker an die Seite gestellt bekommen, L’Etrog Acqua. Grund genug, mit diesen beiden Hübschen heute zu beginnen!
Nebenbei bemerkt – die Parfumeure der Kollektion sind ebenfalls top: Rodrigo Flores-Roux und Yann Vasnier. Beide kennt man von diversen Kreationen, sie haben sich ihren Namen erarbeitet. Und zählen eben auch zu meinen persönlichen Favoriten, siehe auch: Mein mittlerweile bereits acht Jahre alter Liebesbrief an Yann Vasnier 😉
Arquiste L’Etrog
„The story of the Calabrian Etrog citron illustrates the often overlooked part religion plays in transforming the landscape. While citrus is associated with areas of Mediterranean climate, it is practically a newcomer to the Mediterranean itself and was introduced there through what is today the least familiar member of the species – the citron or Citrus medica. This fruit was the first of its genus to be cultivated intensively in the Fertile Crescent of the ancient Near East. It owed its distribution into the Roman Mediterranean to the Greeks, Arabs and the Jews, for whom the citron had become an object essential for the celebration of Sukkot.During the First Crusade, Southern Italy fell to the Normans, which encouraged Calabrian Jews to engage in the agricultural trades. By the 12th century, the communities were thriving. Since then, the harvest of the Diamante Citron or Etrog has remained a regional tradition.There are religious interpretations that relate the Etrog to the Garden of Eden. The fragrance is said to be the “Fragrance of Heaven”, and the Etrog itself is associated with righteousness, goodness and desirability. The brisk character of Myrtle marries with leafy nuances emulating the freshly opened fronds of palm trees. An unexpected mouthwatering accent follows, with Smyrna Date fruit and elegant Cedar wood from Lebanon.“
Etrog bezieht sich mit seinem Namen auf die Zitronatzitrone, darüber hinaus heben sowohl Beschreibung als auch Zutaten auf ein jüdisches Fest ab, wie ich in meiner alten Rezension zum ersten Etrog-Duft bereits dargelegt hatte:
„Den Auftakt macht L’Etrog, der uns ins Kalabrien des 12. Jahrhunderts bringt, genauer in den Oktober des Jahre 1175. Die Szenerie ist folgende: Im mittelalterlichen Kalabrien versammelt sich eine Familie, um ihre großzügig ausgefallene Ernte zu feiern. In ihrer aus Palmzweigen und anderem holzigen Geäst gebauten Hütte entfaltet sich eine wahrhaft aromatische Fülle: Der hesperidische Duft der Etrog-Zitrusfrucht, einer regionalen Spezialität, erhellt die Luft, von Myrte begleitet und mittels einer üppigen Dattel die süße Wärme einer Nacht am Mittelmeer verzaubernd.
Der Hintergrund zu diesem Bild ist historisch betrachtet die Eroberung Süditaliens während des ersten Kreuzzuges durch die Normannen, was die kalabrischen Juden dazu ermutigte, Handel mit landwirtschaftlichen Erzeugnissen zu betreiben, was zum Gedeihen der Gemeinden in dieser Region führte. Seit dieser Zeit stellt die Ernte der Diamante Citron oder auch Etrog eine regionale Tradition dar. Es gibt sogar religiöse Auslegungen, die die Etrog-Frucht mit dem Garten Eden in Verbindung bringen: Der Duft gilt als „Duft des Himmels“ und Etrog wird außerdem mit Rechtschaffenheit, Güte und Erwünschtheit assoziiert.
Kanntet Ihr Etrog? Ich musste hier anfänglich passen, bis ich den zweiten Namen gelesen habe – die Zitronatzitrone, jene mich immer ein bisschen an einen verunglückten Kürbis erinnernde Zitrusfrucht. Der Duft, so wie ihn Arquiste präsentieren, dieses Szenario – damit ist ganz klar das jüdische Laubhüttenfest gemeint, an das er sich anlehnt: Sukkot wird es genannt, jenes eine von drei Wallfahrtsfesten, und ähnelt dem christlichen Erntedankfest. Die Etrog-Frucht spielt dabei eine gewichtige Rolle – neben drei Myrtezweigen (Hadasim), einem Palmzweig der Dattelpalme (Lulaw) sowie zwei Bachweidenruten (Arawoth) ist sie die entscheidende Ingredienz für den vorgeschriebenen Feststrauß. Hier wirft man also nicht wie beim christlichen Feld alles, was der Acker so hergibt auf den Altar – es ist alles ein wenig zeremonieller und geordneter 😉 … und wenn ich gerade drüber nachdenke, hätte ich gerne mal einen Erntedankduft, der sich an den christlichen Gaben orientiert – Kürbis, Getreide, ein paar späte Früchte, das könnte ein zweiter Like This! werden, mhhh…
Aber bleiben wir bei L’Etrog: Diese Zitronatzitrone hat es natürlich in sich. Sie gilt laut dem babylonischen Talmud als Frucht des Baumes Hadar – und ist somit besagter Apfel aus dem Paradies, der Adam (und Eva, na klar…) zum Verhängnis wurde. Somit nennt man das Zitrönchen, das bedeutungsschwangere, auch Adams- oder Paradiesapfel. Zusammengenommen stehen die vier Zutaten des Feststraußes für die unterschiedlichen Vegetationen in Israel und symbolisieren darüber hinaus die Einheit des Volkes Israel.
Arquiste haben sich streng daran gehalten: Es finden sich die Zitronatzitrone, Myrte, Datteln und, da Bachweide nicht duftet, in der Basis ersatzweise Vetiver in dem Duft L’Etrog.“
Ein paradiesisches Früchtchen – L’Etrog
„October, 1175, Calabria, Italy. In Medieval Calabria, a family gathers to celebrate a good harvest. Within a cabin built of Palm leaves and other woody branches, an aromatic bounty is presented. The citrusy scent of the Etrog citron, a regional specialty, brightens the air, while bracing Myrtle and lush Date Fruit envelope the sweet warmth of the Mediterranean night.“
Die Ingredienzen:
Kopfnote: Cedrat (Citrus Medica), Bergamotte, Zitrone, Myrte
Herznote: Dattel, Jasmin, Lentisque-Harz
Basisnote: Vetiver, Patschuli, Zedernholz
Parfumeur: Rodrigo Flores-Roux und Yann Vasnier
L’Etrog erneut zu testen ist für mich interessant – geht mich mein „Geschwätz“ von gestern noch etwas an, wie das Sprichwort so schön sagt? Werde ich ihn genaus empfinden wie vor acht Jahren? Damals hatte ich diese Eindrücke:
„Haaach… der erste Duft ist es, den ich von dieser Serie teste – und bin sogleich erfreut. Trotz der überschaubaren Anzahl der Zutaten ist das ein wirklich schöner Hesperidengeselle, der mir sofort Lust auf mehr macht – mehr von ihm und mehr von der Linie, mehr von Arquiste.
Im Auftakt zeigt er sich zitrisch-gleißend, nicht prickelnd, vielmehr glänzend, und ziemlich säuerlich-herb, von einer leichten Salzigkeit begleitet, die von dem Vetiver herrührt – eine Kombination, die mir immer sehr gut gefällt und mich auch bei L’Etrog in ihren Bann zieht. Auf meiner Haut bleibt diese Salzherbheit, der eine gewisse Frische innewohnt, recht lange – und entwickelt eine interessante Ambivalenz: Je länger ich diesem Duft und seinem Verlauf beiwohne, desto wärmer wird er, obgleich er jene frisch-zitrischen Facetten ebenfalls beibehält. Während auf meiner Haut diese zwei Pole sich sehr viel länger umgarnen, hat sich der Teststreifen schon früh(er) für die wärmende Trockenheit entschieden, die in der Tat Noten getrockneter Datteln offenbart.“
Und wie sieht es heute aus? … ich bleibe dabei. L’Etrog ist für mich immer noch ein herrliches Zitrusfrüchtchen, das nach wie vor nichts von seinem Zauber verloren hat. Obschon ich über die Jahre viele, viele weitere Hesperidendüfte getestet und getragen habe, ragt er immer noch heraus, sticht hervor – wegen seiner exzellenten Qualität einerseits und wegen seinen ungewöhnlichen Twists. Die trockenfruchtige Dattel, die Wärme spendet. Die leichten Harzanmutungen sowie die salzig-grasig-herbe Vetiverkomponente in Kombination mit den aromatisch-krautigen Anklängen. Er war und ist eine Ausnahme-Zitrusfrucht und hat nichts von seiner Schönheit eingebüßt.
Morgenstund atmet Hesperidenfrische – L’Etrog Acqua
„Early Morning, October 1175, Calabria, Italy. The cool night air dissipates under the sun’s first rays. The ripe citrus in the field has absorbed all the water of the morning dew and the farmers are ready to work on the misty green fields, speckled by the bright yellow of the citron. They leave their woody cabin and take a deep breath …“
Die Ingredienzen:
Kopfnote: Cedrat (Citrus Medica), Mandarine, Bergamotte, Zitrone, Petitgrain
Herznote: Myrte, Kardamom, Jasmin, Lavendel
Basisnote: Iris, Labdanum, Vetiver, Patschuli, Zedernholz
Parfumeur: Rodrigo Flores-Roux
Mit L’Etrog Acqua sind wir demnach bei der Ernte der Zitronatzitrone anwesend, jene ist das Szenario, das in der Duftbeschreibung heraufbeschworen wird. Ein Morgen, vermutlich ein richtig früher, der die Kühle der Nacht atmet, allerdings schon die ersten Sonnenstrahlen offenbart, die den Tag über sehr wahrscheinlich Wärme oder gar Hitze bescheren. Sachter Nebel liegt über den Feldern, Tau hat sich auf die Früchte und Blätter gesetzt, die Arbeiter verlassen ihre Holzhütte und atmen tief ein, die Luft, die geschwängert ist von den Gerüchen der reifen Früchte, der Kräuter und Bäume, kurz – der mediterranen Landschaft.
L’Etrog Acqua ist selbstredend kein Aquat. Und nein, er ist auch kein aquatischer Hesperidenduft. Seinem Charakter nach ist er frischer als sein Vorgänger und Bruder, ihm geht ein Großteil der sonnigen Wärme ab, die L’Etrog innewohnt. Derlei ist bei Hesperidendüften selten – die einzigen Ausnahmen, die mir diesbezüglich umgehend einfallen, sind Olfactive Studios ebenfalls wunderschöner Still Life sowie Keiko Mecheris La Collection Hesperidés. L’Etrog Acqua geht konventionellere Wege – er ist deutlich näher dran am eigentlichen Cologne beziehungsweise an dem, was wir uns gemeinhin unter einem solchen vorstellen. Saftige, herb-prickelnde, dynamische Zitrusfrüchtchen, überaus authentisch und dank der Zitronatzitrone auch ein Quentchen exotisch wirkend spielen die Hauptrolle. Grün-aromatisch umrankt sehen sie sich und von dunkelviolett-würzigem Lavender seriös veredelt. Iris pudert zart im Hintergrund, die Basis wird bestritten von den üblichen Verdächtigen, die immer gut funktionieren – Zedernholz, sauber-seifig-ernst, Patschuli, erdig und pudrig, Tiefe und Körper verleihend, sowie einer Prise Harzwärme.
Acqua ist hier allenfalls die Farbe, und zwar die des Lavendels. Wasserfrische gibt es hier (Gott, Flores-Roux oder wem auch immer sei Dank) nicht, frisch ist L’Etrog Acqua selbstredend trotzdem, das dürfte klar sein. Alles in allem haben wir es hier mit einem zeitgemäßen, sprich: modernen, aber dennoch seiner Struktur nach klassisch aufgebauten Hesperidenduft zu tun, der in der Tradition der Colognes steht. Er ist unisex mit Tendenz in Richtung Männerwelt und natürlich ganzjährig und anlassunabhängig tragbar, ein Immergeher also. Wer jetzt auf das „aber“ wartet – am Duft gibt es nichts zu Rütteln, einzig … Ich persönlich habe schon einige sehr gute Colognes zu Hause stehen. L’Etrog Acqua ist ebenfalls eines, er überzeugt durch seine Qualität, die nicht in Frage steht, erfindet aber das Rad nicht neu. Muss er auch nicht notwendigerweise, für mich persönlich ist er allerdings in Anbetracht der Masse meiner Privatkollektion deshalb kein Kaufkandidat. Wer bezüglich Colognes unterversorgt ist und/oder auf der Suche nach einem überdurchschnittlichen Vertreter – hier ist er.
Morgen geht es weiter mit Arquiste – bis dahin alles Liebe und viele Grüße
Eure Ulrike
Schreibe den ersten Kommentar