… begehen wir heute. Acht Düfte umfasst die Kollektion des Hairstylisten Johan Bergelin, der seine Marke 19-69 2017 lancierte, bisher – ich habe mir bereits sechs davon für Euch unter die Nase geklemmt. Für die Nachzügler hier der Auftaktartikel inklusive Markenvorstellung sowie Rezension zu Purple Haze, hier die Rezensionen zu Capri und Rainbow Bar, die Rezensionen zu Nellcôte und Chinese Tobacco, klick, und dann noch Chronic, den ich hier beschrieben habe. Kasbah und L’Air Barbès beschließen nun die Rezensionsreihe.
Sehnsuchtsziel Marokko – Kasbah
„Der Duft wurde von der bunten und kreativen Partyszene Marrakeschs in den 1960er und 70er Jahren inspiriert. Er ist holzig und angenehm mit weichen orientalischen Gewürzen. Die Duftnoten enthalten weißen Honig, Ambra und Sandelholz.
Johan Bergelin: „Geschichten, wie Talitha und Paul Getty, Paul Bowles, Mick Jagger, Veruschka und Yves Saint Laurent alle in Marrakesch wohnten, haben mich schon immer inspiriert. Mich fasziniert, wie sie von der Energie und Dynamik dieses Königreichs angezogen wurden und diese Einflüsse verarbeiteten: Kleidung, Farben, Musik, Inneneinrichtung und Drogen. Der Duft Kasbah fängt diese Epoche ein.“
Die Duftreise von Kasbah: meine Kulturfahrt
Ich treffe den Taxifahrer Said am Hafen von Tanger. Er ist mein fester Fahrer für die nächsten Tage. Ich bin auf einer Kulturreise, um das Königreich zu erkunden. Vor jeder großen Kreuzung werfe ich eine Dirham-Münze. Auf diese Weise entscheiden wir, ob wir rechts oder links abbiegen. Das Atlas-Gebirge erhebt sich in der Ferne. Als ich in Kasbah ankomme, kann ich die Scheite wahrnehmen, die von der Nacht noch glühen. Die riesigen Türen mit derbem Leder bezogen in Zusammenspiel mit den Lehmmauern ergeben eine Stimmung vergangener Zeiten. Eine Duftlampe verströmt einen angenehmen Duft nach Hölzern. Eine Frau in langem, weißem Leinenkaftan geht vorbei und hinterlässt zarte Noten von weißem Honig, Vanille und Ambra. Ich gehe aus dem Haus und betrete den Hof, der mit Limetten- und Orangenbäumen erfüllt ist. Eine Allee aus alten, knorrigen Olivenbäumen führt zum Kräutergarten mit seinen wunderbaren Gewürzdüften. Die Morgensonne scheint. Meine bloßen Füße auf den weichen, schwarzweiß gemusterten Fliesen, ich schließe meine Augen und atme ein. Mein Fahrer Said sitzt auf der Terrasse, hält eine selbstgedrehte Zigarette in der einen Hand und eine Sebsi mit glühendem Kief in der anderen. Das Haschisch erfüllt die Luft mit einem süßen, weichen Aroma zusammen mit einer Mischung aus berberischer, afrikanischer und arabischer Musik.“
Die Ingredienzen:
Kopfnote: Orange, Limette, Honig
Herznote: Geranium, Ambra, Patchouli
Basisnote: Vanille, Tonkabohne, Guajakholz, Leder, Sandelholz
Parfümeur: Dario Volpones
Kasbah – das Wörtchen ist dem Ursprung nach arabisch und bezeichnet eine Festungsanlage, die meist innerhalb unweit der Medina (Altstadt), manchmal allerdings auch außerhalb der jeweiligen Städte zu finden war beziehungsweise ist, denn diverse als Kasbah bezeichnete Bauten stehen noch heute, einige sind auch als UNESCO-Weltkulturerbe gelistet. Bergelin bezieht sich mit seinem Duft Kasbah explizit auf das marokkanische Marrakesch, das, wie er richtig feststellt, viele Künstler, Intellektuelle, Prominente angezogen hat die letzten Jahrzehnte. Der Jardin Majorelle ist vielen ein Begriff, einer der wohl schönsten Gärten der Welt, den der Maler Jacques Majorelle in den Zwanzigerjahren anlegte, anlegen ließ rund um sein Haus in strahlendem Kobaltblau. Später, 1980, wurde das Anwesen von Yves Saint Laurent und seinem Lebensgefährten gekauft, Saint Laurents Asche ist im dortigen Rosengarten verstreut. Heute sind die Gärten mit angrenzendem Museum im Besitz einer von Saint Laurent gegründeten Stiftung und öffentlich zugänglich. Von Serge Lutens liest man immer wieder Schwärmereien über Marrakesch, Montale lässt auch immer wieder verlauten, wie begeistert Pierre Montale von der Stadt ist, wie ich mich zu erinnern meine.
Und dann erzählt Bergelin selbstredend auch von Tanger, wie Marakkesch eine Millionenstadt (ok, jeweils knapp eine Million Einwohner, kann man gelten lassen, denke ich), die ebenfalls Jahrzehnte lang als Anziehungspunkt und Sehnsuchtsziel von Künstlern und Lebenskünstlern galt – man denke bitte an die amerikanischen Beatniks. Dazu hatte ich mich mal ausgelassen hier im Blog, lest hier in der Rezension zu On the Road aus der Timothy Han Edition. War jemand schon mal dort? Mich würden beiden Orte ja brennend interessieren, ich kenne Nordafrika allerdings nur von einer Tunesien- als auch einer Ägyptenrundreise, die beide schon jahrelang zurückliegen.
Kasbah, der Duft, begeistert mich, und zwar, um es vorwegzunehmen, wegen seiner deutlichen Honignote. Ein Duft, den ich seit Jahren vermisse, weil ich ihn leider einmal aus meinem privaten Verstand Bestand verschenkt habe (ja, genau, ich war nicht ganz bei Verstand) und er mittlerweile discontinued ist, ist Ginestets Honigwein Botrytis. Dessen likörig-beschwipste, opulent-vollmundige Honignote findet sich hier in Kasbah und bleibt, zumindest auf meiner Haut, durchgängig präsent. Allerdings finden sich in Kasbah noch viel mehr Köstlichkeiten, die mich an nicht minder köstliche andere Düfte erinnern, vor allem aber an Serge Lutens‘ Chergui. Jener trocken-würzig-wunderbare, pfeifentabakrauchige Orientale, der herrlich orientalisch-süße, der gleichermaßen nie too much ist und den eigentlich jeder liebt, so findet man ihn immer wieder in den All-Time-Bestenlisten diverser Foren und Blogs. Kasbah zeigt ähnliche, holzig-pudrig-rauchig-orientalisch-würzig-süße Anklänge, erinnert darüber hinaus aber auch in bester Tradition dank besagter alkoholischer Töne sowie seiner allgemeinen Komplexität an die ausdrucksstarken Düfte von Frapin, allen voran an 1270.
Chapeau, Monsieur Volpones und Monsieur Bergelin, Kasbah ist ein wundervolles Meisterwerk und zusammen mit Rainbow Bar mein zweiter Favorit innerhalb der Kollektion. Es bleibt noch ein letzter Duft, nämlich ….
Das Funkeln der Banlieue – L’Air Barbès
„Das Parfum L’Air Barbès ist eine Hommage an Paris, capital de la mode. Es beschwört die verschiedenen Rollen von Paris herauf wie die Betongassen, le banlieue und das Gebiet Barbès — Rochechouart. Kalt, leicht und frisch. Die Duftnoten umfassen frische Zitrone, Beton und Tinte.
Johan Bergelin: „Ich war noch Teenager, als ich Helmut Newtons Bild entdeckte, das YSLs Le Smoking legendär machte. Die Geschlechtslosigkeit machte großen Eindruck auf mich. Mit nüchterner, einfarbiger Einfachheit kreierte Newton eine Ikone, von der ich mich immer noch stark beeinflusst sehe. Bei der Kreation von L’Air Barbès wurde ich stark von der Androgynie des Bildes inspiriert.“
Die Duftreise von L’Air Barbès: der Professor
Wir sind in einem Auto und fahren durch die regnerischen, dunklen Straßen von Paris. Mein neuer Freund Jacques ist auf irgendetwas, von dem er ganz klar mehr möchte und er hat eine Mission. Als ich in den Rückspiegel blicke, kämmt er wie besessen seine verschwitzten Haare mit besonderem Augenmerk auf seinen Koteletten. Wir sind auf dem Weg zum Professor – dem berüchtigten Dealer und weiß Gott was noch. Ich halte mich verzweifelt am Autositz fest, als er über rote Ampeln rast. Das hatte ich nicht im Sinn, als ich die Einladung zum Abendessen annahm. Das Domizil des Professors ist auch als Freudenhaus bekannt, ein heruntergekommenes Theater in den Gettos irgendwo westlich von Barbès – Rochechouart. Ich gehe durch die schwer bewachte Tür am Ende des Durchgangs. Dunkelroter Samt bedeckt die Wände, es ist heiß und stickig. Die beiden Dragqueens Sushi und Missy sind Gastgeberinnen an diesem Abend und tanzen zu Grace Jones’ „La Vie En Rose“. Arbeitende Mädchen sitzen auf den Chaiselongues in Korsetts und hochhackige Schuhe gekleidet, während sie Gläser mit Taittinger und Zigaretten balancieren. Die Räume sind schummrig und Kerzen brennen in den Leuchtern. Offenbar ein ruhiger Abend, aber sicher sind noch Freier unterwegs. In einem Privatzimmer werde ich einem klein gewachsenen Mann aus Zentralafrika in voller Montur vorgestellt. Ein Seidengewand mit Paisleymuster, kniehohe Socken und Tassel Loafers von Weston, echter Iceberg-Slim-Stil. Er ist frisch hergerichtet und verströmt einen moschusartigen Duft. Nun habe ich endlich den Professor getroffen, König der Sapeure. Mit den tadellosen Manieren eines kolonialen Dandys spricht er Englisch mit mir, mit einem starken französischen Akzent. „Wie kann ich Ihnen helfen? Kann ich Ihnen etwas aufs Haus anbieten?“ In dem dämmerigen Licht, das von einer nackten Glühbirne kommt, sieht es aus, als wären zwei Mehlbeutel auf dem runden Glastisch ausgeschüttet worden. Zwei Berge aus reinem, weißem, kolumbianischem Koks. Seine Compadres wiegen und teilen ihre Abendmengen, die wahrscheinlich bereits vor Morgendämmerung verteilt sein sollten. Das Freudenhaus ist mir einfach zu viel. Ich sehe den Professor an und äußere: „Ich denke, eine Fahrt zu Les Bain Douche wäre das Richtige.“ Der Professor zuckt mit den Achseln und grinst. „Sind Sie sicher? Wir sind hier in einem der spannendsten Gebiete von Paris. Haben Sie kein Interesse an etwas von meiner L’Air Barbès?““
Die Ingredienzen:
Kopfnote: Aldehyde, Zitrone, Bergamotte
Herznote: Ylang-Ylang, Tuberose
Basisnote: Ambroxan, Iris, Kumin, Tinte, Leder, Hölzer, Weißer Moschus
Parfümeur: Anne-Sophie Behaghel / Amélie Bourgeois
L’Air Barbès beschreibt einmal mehr einen Ausschnitt aus Bergelins Leben, das offensichtlich ziemlich spannend sein muss. Eine Menge interessanter Gestalten, Begegnungen und Orte, vermutlich reicht das alles noch für eine dreistellige Duftkollektion oder vielleicht ein Buch? Ich würde es lesen 😉
Das Bild von Helmut Newton kenne ich selbstredend. Und Yves Saint Laurents (Damen)Smokings sind legendär. Tatsächlich gilt er oft als der Erfinder des Hosenanzugs für die Frau, was nicht ganz korrekt ist – unter anderem Rochas kreierte früher welche, Marlene Dietrich zeigte sich ebenfalls bevorzugt darin (und hatte deshalb wohl, wenn ich mich richtig erinnere, tatsächlich einmal Einreiseprobleme in irgendeinem Land, weil sich das Anzugtragen zur damaligen Zeit für Frauen nicht schickte). Das ändert allerdings nichts an dem Status seiner Smokings, deren Bekanntheitsgrad – hier ein schöner Artikel in der Vogue zum Thema. Aber begeben wir uns doch in das Etablissement, in dem sich Bergelin dank seinem Bekannten tummelte. Vom König der Sapeure ist die Rede – Sapeure, das bezieht sich auf einen bestimmten afrikanischen Dandytypen, dessen Bekleidung(sstil) im Gegensatz zu den Lebensumständen steht. Glanz und Eleganz im Elend, könnte man es vielleicht formulieren – hier in der GEO könnt Ihr eine Bilderserie anschauen.
Wollust, Verlockungen und Versuchung(en) – das ruft die Beschreibung für mich, da wundert es mich auch nicht weiter, dass ich eine Tuberose in der Zutatenliste finde. Allerdings vermag ich mir auf Basis der Ingredienzen nicht exakt vorzustellen, wie der Duft wohl riechen mag, es könnte in viele unterschiedliche Richtungen gehen … Ab auf die Haut mit ihm!
L’Air Barbès ist eine pudrige, trocken-würzig-matte Tuberose mit Lederanklängen, die hervorragend in den Kontext, den beschriebenen passt. Sachte, hintergründige Aldehydnoten, Make-up-Assoziationen dank der Iris, die an Lippenstift und Körperpuder erinnert. Noten von Tinte und kühlenden Hölzern stiften Ambivalenz – und machen den Duft eventuell auch für mutige Männer tragbar. Eine duftende Diva, nicht notwendigerweise weiblich. Markant, mit Boudoir-Anleihen, auf elegante Weise verrucht. Mir gefällt L’Air Barbès ausnehmend gut – und erinnert mich ein wenig an zwei weitere Düfte, und zwar an den thematisch durchaus verwandten 1889 Moulin Rouge von Histoires de Parfums (der allerdings überdies mit ordentlich Pflaume auftrumpft), sowie an einen der Düfte des Tuberosen-Trios derselben Marke. Die hatte ich lange nicht mehr unter der Nase, ich meine, es war die 1 oder die 2.
Der Marathon ist zu Ende, alle Düfte von 19-69 sind besprochen – und ich ziemlich angetan. Rainbow Bar und Kasbah sind definitiv Kaufkandidaten für mich, die weiter getestet und eventuell dann auch gekauft werden müssen. L’Air Barbès ist ebenfalls ziemlich nett, den muss ich ebenfalls nochmals ausführen … Ist für Euch auch etwas dabei, welche Düfte interessieren Euch, habt Ihr schon getestet?
Viele herzliche Grüße
Eure Ulrike
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