… sind heute unser Thema. Fast Halbzeit – drei von acht Düften der schwedischen Marke 19-69 haben wir uns bereits hier im Blog zu Gemüte geführt. Für diejenigen, die erst jetzt zu uns stoßen – hier der Auftaktartikel inklusive Markenvorstellung sowie Rezension zu Purple Haze von letzter Woche und hier die Rezensionen zu Capri und Rainbow Bar, wobei letzterer mein bisheriger Favorit ist. Mal sehen, ob das weiterhin so bleibt 😉
Leben wie die Stones in Frankreich – Villa Nellcôte
„Das Anwesen liegt im französischen Villefranche-sur-Mer und steht in Verbindung mit der Entstehung eines der legendärsten Rockalben aller Zeiten. Der Duft verkörpert den großartigen Garten und die wunderschöne Umgebung des Grundstücks. Aromatisch, floral und erfrischend.
Johan Bergelin: „Villa Nellcôte ist ein Anwesen mit 16 Zimmern aus der Belle Époque und wurde damals als Gestapo-Hauptquartier während der Zeit der Nazibesatzung in Frankreich genutzt. Im Frühjahr 1971 kamen neue Bewohner samt bunter Entourage und blieben für sechs Monate. Die barfüßigen Hippies, die schöne Umgebung und die dunkle Vergangenheit ergaben die perfekte Konstellation, um ein Rockalbum entstehen zu lassen, das bis heute Menschen jenseits aller Grenzen und Nationen inspiriert.“
Die Duftreise von Villa Nellcôte – Exil in der Villa Nellcôte
Ein beeindruckendes Haus, perfekt, um darin Zuflucht zu suchen. Die Villa Nellcôte ist groß, ein Côte-d’Azur-Anwesen des 19. Jahrhunderts, das auf die Bucht von Villefranche blickt. Hohe Eisentore, duftende Kiefern und Palmen, die ungebetene Gäste auf Abstand halten. Am besten lässt sich die Villa Nellcôte vielleicht als eine Mischung aus Backstage-Garderobe und Hotelsuite beschreiben. Im klammen Untergeschoss bedecken Teppiche den Boden. Ein leichter Chiffonschal wurde über einen Lampenschirm gezogen, um das Licht zu dämpfen und eine weiche Atmosphäre zu schaffen. Neben den Velourssesseln und dem Palisandertisch stehen ein Klavier und mehrere Gitarren. Der Keller erscheint wie aus Dantes Inferno mit seinen schäbigen, nassen Wänden und der stickigen Luft. Aber der Klang beim Aufnehmen ist rau und unvergleichlich. Auf dem Rasen vor dem Haus, zwischen Magnolienblüten, Jasmin und süß duftenden Blumenbeeten hat jemand ein Tipi aufgebaut. Weiße Marmorstufen führen zu einem kleinen, privaten Steinstrand. Im Obergeschoss des Gebäudes stehen Vasen mit Rosen und Blumen aus dem Garten und erfüllen das Anwesen mit ihrem großartigen Duft. Fanartikel in Form von Pappausschnitten und Postern liegen neben dem barocken Kamin, während Zigarettenstummel, leere Teetassen und Weinflaschen auf dem Esstisch unter dem Kronleuchter liegen. Dieses Haus ist fantastisch. Wie ein kleines Versailles. Nur die Abluftschächte im Boden des Kellers, die mit goldenen Hakenkreuzen verziert wurden, künden von der dunklen Vergangenheit der Villa Nellcôte. Aber es ist OK. Wir sind nun hier. Nie zuvor war ein Haus so eng mit der Entstehung eines Rockalbums verbunden. Dieser Sommer würde die Musikgeschichte für immer verändern. Der Duft Villa Nellcôte verkörpert den herrlichen Garten und die Umgebung des gleichnamigen Gebäudes.“
Die Ingredienzen:
Kopfnote: Grapefruit, Bergamotte, Petitgrain, Rosa Pfeffer, Elemiharz, Zitrone, Zitronenblüte
Herznote: Veilchenblätter, Rose, Jasmin, Magnolie, Osmanthus, Schwarztee
Basisnote: Cabreuva, Zedernholz, Patchouli, Ambra, Moschus, Moos, Guajakholz
Parfümeur: Dario Volpones
Ok, ok, Herr Bergelin, von welchem Album und welcher Band ist hier die Rede? Ich habe keine Ahnung, bin aber selbstredend neugierig. Wiki hilft zur Villa: In den späten Neunzigerjahren des 19. Jahrhundert wurde diese von einem Banker erbaut. Damals hieß sie Château Amicitia, bis sie 1919 zur Villa Nellcôte wurde. Um diese Zeit wechselte sie auch den Besitzer – sie gehörte der Familie Bordes, berühmte Schiffsbesitzer die im Warentransport zwischen Chile und Frankreich tätig waren. Die Villa hatte allerdings nicht immer Glück mit ihren Eigentümern, sie war zwischenzeitlich auch Gestapo-Hauptquartier in den Vierzigerjahren. [Es ist historisch nicht belegt und extrem unwahrscheinlich, dass dies der Wahrheit entspricht, hier handelt es sich wohl um ein Gerücht. Anm. d. Red.]. Später entwickelte es sich für das wundervolle Art-déco-Anwesen diesbezüglich positiver, und hier folgt auch die Antwort auf die eingangs gestellte Frage: Keith Richards, der Gitarrist der Rolling Stones, mietete sich 1971 bis 1973 dort ein, 1972 fanden im Keller der Villa Aufnahmen zum Album Exile on Main St. statt – siehe die Fotos der Stones dort im Guardian sowie im Blog Messy Nessy. Heute ist der Prachtbau im Besitz eines Russen, der 2005 über 100 Millionen Euro dafür bezahlte. Ein wenig außerhalb der Preisklasse der meisten von uns, wie ich annehme – dennoch würde ich nicht nein sagen zu dem schmucken „Häuschen“ 😉 Die Villa garantiert Privatsphäre, sie ist uneinsichtig vom Land und von der Straße aus, vom Wasser aus lässt sich allerdings ein Blick darauf erhaschen, siehe hier bei Google.
Nellcôte zeigt sich als angenehm beschwingter, unbeschwerter, leichtlebig-leichter Duft, der allerdings dank seiner Komplexität zu verzücken vermag. Reminiszenzen beschwört er herauf an eine ganze Reihe von Düften, die ich schätze – an Carthusias Mediterraneo, den zitrusfrischen Eistee und an die herb-frische Bergamotte von The Different Company, darüber hinaus an zarte Magnoliendüfte, wie sie viel zu selten vorkommen. Osmanthus stiftet ein Quentchen Pfirsichleder, Rose und Jasmin hauchen zarte Frische und Cremigkeit ein, die von einem leisen Puderschimmer begleitet wird. Die Basis rahmt ein und rundet ab, zeichnet weich, spendet subtile Wärme und sauber-holzige Anklänge.
Schwer zu fassen ist Nellcôte: Feder- und spielend leicht irgendwo zwischen Hesperiden-, Frucht- und floralem Duft wandelnd, lockt er vor allem auch mit Tee und seiner frische-Wäsche-und-luxuriöse-Körpercreme-Ausstrahlung, die ihn, obschon er als unisex durchgehen dürfte, einen Tacken mehr in Richtung Damenwelt schubst. Ganzjährig tragbar dürfte Nellcôte dennoch eher im Frühling und Sommer bestmöglich zur Geltung kommen als angenehmer, authentischer und dennoch unverwechselbarer Immergeher.
Malaysische Garküchen & Opiumrauch – Chinese Tobacco
„Der Eindruck des kolonialen französischen Indochinas und legendärer Filmen wie Indochine und Apocalypse Now. Reflexionen der unterschiedlichsten Kontraste in Asien. Der Osten trifft auf den Westen, das Alte auf das Neue. Der Duft ist würzig und holzig. Die Duftnoten umfassen Tabak, Koriander und Oud.
Johan Bergelin: „Das zeitlose Meisterwerk ‚Apocalypse Now‘ von Francis Ford Coppola spielt im Vietnam von 1969. Haupteinflüsse für diesen Duft waren die kraftvolle Szene mit Aurore Clément und Martin Sheen, wie sie Opium rauchen, und das klassische Zitat ‚Ich liebe den Geruch von Napalm am Morgen‘. Der Filmtitel wurde von den Buttons der Hippies der 1960er inspiriert, auf denen ‚Nirvana now‘ stand.“
Die Duftreise von Chinese Tobacco: ein persönliches kulinarisches Erlebnis
Es ist weit nach Mitternacht und die Neonlichter erhellen den dunklen Himmel von Terengganu in Malaysia. Ich bin dem Chaos der Stadt nah, aber es ist still hier im Park. Ich bin von alten Riesenbäumen umgeben, überbordender Vegetation und von Baumkronen. Ich öffne die Türen des hölzernen Kolonialgebäudes und trete ins chinesische Restaurant ein. Die Luft ist von wundervollen Aromen und Gewürzen aus der Küche erfüllt. Ein Mann schläft auf seinem Stuhl, während sein Kopf auf dem Tisch ruht. Eine Gruppe Männer spielt Karten und raucht unter dem fluoreszierenden Licht. Einige Frauen unterhalten sich laut, während sie frische Gewürze hacken und ein kleines Kind schläft in einem Korb am Ende des Raums. Ein Fernseher zeigt die neuesten Musikvideos aus London. Die Gasbrenner aus der Küche erfüllen die Luft mit einem verbrannten Geruch. Der Osten trifft auf den Westen.“
Die Ingredienzen:
Kopfnote: Bergamotte, Tabak, Roter Pfeffer, Zitrone
Herznote: Ingwer, Koriander
Basisnote: Weihrauch, Zedernholz, Vanille, Birkenteer, Adlerholz (Oud), Vetiver
Parfümeur: Amélie Bourgeois
Ach Mensch, der Herr Bergelin wird mir immer sympathischer. Ein Filmfan ist er, das hat er jetzt schon mehrfach erwähnt. Musikalisch scheint er auch einen guten Geschmack zu haben. Und jetzt kommt Apocalypse Now. Unbestritten ein Meisterwerk und ein Klassiker. Ein (Anti-)Kriegsfilm, der sicherlich in der Top10 derselben rangiert – neben Platoon, Dr. Strangelove bzw. Dr. Seltsam, Full Metal Jacket und einigen anderen. Wobei – der schlimmste aus dieser Kategorie, den ich je gesehen habe, ist ein Zeichentrickfilm aus Japan, und zwar vom legendären Studio Ghibli. Die letzten Glühwürmchen – einmal und nie wieder. Ein wahnsinnig guter Film, aber mit Sicherheit einer der traurigsten Filme, vielleicht der traurigste, berührendste, erschütterndste, den ich jemals gesehen habe – ich könnte ihn kein zweites Mal ertragen, aber gesehen haben sollte man ihn in jedem Fall.
Aber zurück zu Apocalypse Now – auch den muss man gesehen haben, keine Frage:
Und, muss sein, hier die Szene, die Szene aus Apocalypse Now, auf die Bergelin vollkommen zu recht abhebt:
Bergelin berichtet von einem Restaurantbesuch in Malaysia – und ich muss gleich an meinen Lieblingskoch Anthony Bourdain denken, der leider nicht mehr unter uns weilt, an seine tolle Sendung und seine coolen Bücher. Er, der Weitgereiste, der an jedem Fleckchen Erde in die nächste Küche hineinfiel, Menschen und Kulturen über Essen, dessen Zubereitung und Genuss kennenlernte. Und vermittelte. Ich kann Bücher und Fernsehserie nur empfehlen. Vielleicht ist die Erinnerung an Bourdain auch eine schönere, wenngleich wehmütige (weil er vor seiner Zeit starb durch Suizid) als Kriegsfilme, so gut sie auch sein mögen. Denn Essen, gemeinsames, und Trinken vereint, führt Menschen zusammen, fördert Kommunikation.
Da ich Chinese Tobacco schon seit einiger Zeit auf der Haut habe, merke ich, dass ich von Hölzchen auf Stöckchen komme gedanklich, weil … er mich „live“ weder an Bourdain noch an Indochina erinnert (mangels eigener Reiseerfahrungen vielleicht auch), dafür aber an … Räucherstäbchen. Gute Räucherstäbchen. Indische Räucherstäbchen, vor allem. Darüber wollte ich schon lange berichtet haben, weil es mir eigentlich ein Anliegen ist, einmal meine diesbezüglichen Erfahrungen der letzten Jahre mit Euch zu teilen. Das wird allerdings noch vertagt 😉
Chinese Tobacco startet auf eine Art medizinisch, und zwar nicht metallisch oder an Krankenhäuser erinnernd, sondern an … einen Kräutersud, ein interessantes, unbekanntes „Gebräu“, was dann wohl in der Tat in einer Garküche gekocht werden könnte. Ingwer in der ihm eigenen trocken-fruchtig-dumpfen Holzigkeit zeigt sich von seiner besten, in diesem Falle „matten“, aber dennoch strahlenden Seite, von aromatischen, dunkelgrünen Kräutern flankiert. Koriander kitzelt mein Näschen, von Pfeffer scharf-würzig-wärmend kontrastiert, eine hintergründige Süße offenbarend, vanillegeküsst und gleichermaßen von Birkenteer ordentlich angekokelt. Weihrauch hüllt ein, während Hölzer als auch ein Quentchen rauchig-ledriges Oud das Lager des Duftes bereiten.
Miller et Bertaux, hätte ich zuallererst getippt, hätte mir werden Duft unter die Nase gehalten. Eine frühe Lyn Harris-Kreation hätte es auch sein können. Regelmäßige Leser/innen wissen, was ich meine – jene malerische, kontemplative Aura, phantasievoll und vielgestaltig. Eine, die beschützend und kraftvoll wirkt. Sehr sehr schön – und unisex, überflüssig zu erwähnen.
Morgen folgt der vorerst letzte Streich hinsichtlich 19-69 – bis dahin alles Liebe und viele Grüße
Eure Ulrike
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