Von der Sehnsucht nach der Fremde – Sharisme Insensé von Rancé

Sharisme Insensé ist der neueste Streich des französischen Traditionshauses Rancé 1795: lanciert in deren Collection Impériale zielt er auf das männliche Publikum – mal sehen, ob wir das so stehen lassen können 😉

Charismatisch & mysteriös – Sharisme Insensé

„Sharisme Insensé, der neue Herrenduft von Rancé steht für Sehnsucht nach der Fremde, nach Reisen in ferne Länder, nach Abenteuer. Rancé 1795 ließen sich bei der Kreation des Duftes von den Verheißungen des Orientalismus inspirieren, seinem Fernweh und seiner Lust am Exotischen, seinen opulent-farbenprächtigen Boten, der Einrichtung und Mode, die sich zu Zeiten Napoleons großer Beliebtheit erfreuten.

Der Auftakt von Sharisme Insensé zeigt sich erfrischend und kühl: Herbe Bergamotte, von Pfeffer würzig kontrastiert, saftig-säuerliche Johannisbeeren und holzig-fruchtiger Wacholder. Sacht kündet eine leise Brise von der nahen See – und erzählt von knorrigen Bäumen und den Verlockungen ferner Länder. Anklänge von Gewürzen, Leder und anderen Kostbarkeiten, die den Weg übers Meer gefunden haben, wärmen in der Basis und stiften rauchige Süße. Erhabener Weihrauch hüllt Sharisme Insensé ein und vollendet ihn charakterprägend.

Selbstbewusst und sinnlich: Sharisme Insensé ist ein charismatischer Freigeist – und somit der ideale Begleiter für den modernen Abenteurer.“

Die Ingredienzen:
Kopfnote: Bergamotte, Weihrauch, Schwarzer Pfeffer, Schwarze Johannisbeere, Muskatellersalbei, Wacholder
Herznote: Mastix, Pinie (Kiefer), Maritime Noten, Leder
Basisnote: Patchouli, Virginia-Zedernholz, Ambra, Vanille, Moschus

Der deutsche Text zu Sharisme Insensé stammt von mir, insofern kann ich mich damit nicht kritisch auseinandersetzen 😉 Ich hatte dieses Mal meine liebe Not, einen solchen zu erstellen, weil die Vorgaben ziemlich blumig und weitschweifend, aber zumindest für mich nicht unbedingt in Gänze verständlich waren – so ist es oftmals, wenn Kreative auf Kreative treffen, es tickt halt nicht jeder gleich.

Und dann kam eben noch hinzu, dass ich mir hinsichtlich Napoleon selbst ein Bein gestellt hatte. Er war erwähnt, seine „Reisen“ – nun ja, historisch betrachtet waren die meisten derselben eher Kriege. Und viele kulturelle Einflüsse, die das Frankreich dieser Zeit vorweisen konnte, waren eben nicht unbedingt Resultat freundlicher Weltenbummlerei, von den Kolonien haben wir noch gar nicht gesprochen … Ich winde mich an dieser Stelle einfach mal mit „andere Zeiten“ heraus, erwähne, werte oder bewerte nicht, ganz bewusst. Einmal abgesehen davon, dass ich kein Historiker bin und eine hermeneutische Betrachtung immer nottut, sehe ich es dennoch als falsch an, derlei historische Querverweise komplett auszuklammern.  Rancé 1795 – wann die Firmengründung erfolgte ist klar, das Familienunternehmen beziehungsweise die Ahnen der heutigen Inhaber haben demnach Napoleons Herrschaft erlebt. Deswegen beziehen sich einige, viele der Düfte auf historische Persönlichkeiten oder Ereignisse dieser Zeit, wie Ihr selbstredend schon bemerkt habt. Als ich während des Verfassens dieses Artikels darüber grübelte, habe ich mich gefragt, wie denn die Franzosen heute Napoleon sehen, zu dessen Umstrittenheit beispielsweise hier einiges zu lesen ist. Auf der Seite des Deutschlandfunks findet sich zu diesem Aspekt ein interessanter älterer Artikel zu einer Ausstellungseröffnung.

1801 Antoine-Jean Gros - Bonaparte on the Bridge at Arcole
„Bonaparte on the Bridge at Arcole“ (1796) von Antoine-Jean Gros (1771–1835), heute in der Sammlung des Schlosses Versailles

Der Orientalismus an und für sich … hier muss ich mich gleich korrigieren, den Orientalismus gibt es gar nicht. Die einfachste und einigermaßen unvorbelastete, weil verkürzte Definition für diesen Terminus wäre der perspektivische Blick, den die Europäer, das Abendland, hinsichtlich des Morgenlandes pflegte. Jenes Bild wandelte sich im Laufe der Jahrhunderte, unterschied sich selbstredend auch in den unterschiedlichen Ländern und war somit immer symbolisch aufgeladen, wechselnd selbstredend, oft politisch, und diente logischerweise als Projektionsfläche (das Fremde, jenes verführerische, erotische, bla … Sex und Sinnlichkeit, immer wieder gerne). Orientalistische Motive finden sich in der Malerei und diversen anderen Künsten, in der Architektur, der Literatur, der Philosophie als auch der Mode (Kleidung als auch Einrichtung).

Politisch Lied, garstig Lied, pfui – so ähnlich wusste das doch bereits Goethe, deshalb schneide ich den angesprochenen Hintergrund des Orientalismus‘ an dieser Stelle einfach ab, weil es uns oder vielmehr mir hier nicht um eine Kritik desselben geht, sondern schlichtweg um eine nähere Beleuchtung der Inspiration(en) zu Sharisme Insensé. Während vorher vor allem die Chinoiserie en vogue war, war es zu Zeiten Napoleons die Ägyptomanie, das Interesse an den Pharaonen, die Frankreich und hernach Europa umtrieb – der Zusammenhang ist klar, ich muss leider doch nochmal kurz:

„Als Napoleons Ägyptenfeldzug oder Ägyptische Expedition wird die militärische Unternehmung der Franzosen unter dem Kommando Napoleon Bonapartes in Ägypten in den Jahren von 1798 bis 1801 bezeichnet. Begleitet wurde Bonaparte und sein Expeditionsheer von der Commission des sciences et des arts, einer Expertengruppe von 167 Wissenschaftlern, Ingenieuren, Künstlern etc.; die meisten von ihnen waren 1798 in Kairo auch Gründungsmitglieder des Institut d’Égypte, einer wissenschaftlichen Einrichtung zur Erforschung Ägyptens. Die Ergebnisse der Expedition wurden in der mehrbändigen Text- und Bildsammlung Description de l’Égypte (dt. Beschreibung Ägyptens) dokumentiert, die den Grundstein für die spätere Ägyptologie legte. Die vom Direktorium vorgegebenen Ziele der Expedition waren: aus Ägypten eine französische Provinz zu machen, die britische Vormachtstellung im Mittelmeerraum zu beenden und im levantinischen Handel Frankreich eine herrschende Rolle zu sichern.“ Quelle: Wiki

Léon Cogniet - L'Expédition d'Egypte
„L’Expédition d’Egypte“ (zwischen 1827 und 1835) von Léon Cogniet (1794 – 1880), , heute im Besitz des Louvre. Via Wiki Commons – gemeinfrei
Der Einfluss des Orientalismus auf die Malerei war sehr ausgeprägt (und wird auch kontrovers diskutiert, siehe beispielsweise hier) – diverse sehr berühmte Franzosen haben etliche genauso berühmte, orientalistisch beeinflusste Werke geschaffen, siehe Wiki:

„Zahlreiche europäische Maler des 19. und beginnenden 20. Jahrhunderts huldigten dem Mythos des Orients als Ort der Sinnlichkeit und Dekadenz. Vor allem die damals höchst beliebten Haremsszenen sind hier zu nennen. Eugène Delacroix, Théodore Frère, Jean-Léon Gérôme und später Alexandre Roubtzoff widmeten viele ihrer Werke dem islamischen Kulturkreis. Jean Auguste Dominique Ingres, Leiter der französischen Académie de peinture, malte 1863 sein berühmtes „Türkisches Bad“. Die Sinnlichkeit solcher Szenen wurde für die europäische Welt durch das orientalisierende Dekor akzeptabel gemacht.“

Langweile ich Euch schon? Ich hoffe nicht 😉 In jedem Fall weiß ich jetzt endlich, welcher Bildausschnitt in Rancés Werbung für Sharisme Insensé vorkommt, siehe oben. Ich hatte lange überlegt und kam partout nicht drauf, bei meiner Recherche bin ich schlussendlich wieder drübergestolpert – es ist eines der bekanntesten Werke von Ingres, Die große Odaliske:

Ingre, Grande Odalisque.jpg
„La grande odalisque“ (1814) von Jean-Auguste Dominique Ingres (1780 – 1867), heute im Besitz des Louvre. Via Wiki Commons – gemeinfrei

Eine mögliche Bildinterpretation findet Ihr bei Interesse zum Beispiel hier.

Kommen wir endlich zum Duft, zu Sharisme Insensé: Was mir als erstes aufgefallen ist, sind die Zutaten, die ich mir ehrlicherweise anders vorgestellt hätte. Ein vom Orientalismus inspirierter Duft, noch dazu einer, für den man sich die Odaliske als Motiv für eines der Plakate herausgesucht hat, deren Farbigkeit, zumindest die des Fächers, man für das Etikett aufgegriffen hat. Viel Rot, Bordeauxrot, ein schönes Beerenrot, von Gold und einem warmen, gedämpften Orange harmonisch kontrastiert – das ruft eigentlich Orientale. Und – Damenduft.

Beides trifft nicht zu bei Sharisme Insensé – wie angekündigt wurde er als Herrenduft lanciert. Und die Ingredienzen, die in den Flakon gewandert sind, erinnern eigentlich größtenteils eher an Macchie und Garigue, Sträucher und Baumsträucher, Büsche und mediterrane Kräuter als auch knarzige, knorpelige Bäume. Die finden sich vor allem auch auf der Insel Elba, Napoleons Alterssitz, sowie auf Korsika, damit schließt sich dann wohl der Kreis.

Nun habe ich, haben wir alle möglichen Extrarunden gedreht, die ich allerdings gar nicht mal so übel finde, um Sharisme Insensé zu verstehen. Er ist kein Orientale, vielmehr greift er jene Sehnsucht auf, die dem Orientalismus innewohnt(e). Er ist ein Franzose, ein erklärter, das sieht man an seinen Zutaten und man merkt es seinem Stil an. Aber gleichermaßen ist er ein Träumer, ein Abenteurer, einer, der auszieht. Der den Verlockungen und Verheißungen ferner Orte, fremder Kulturen und Menschen folgt – auch das spiegelt sich in einigen Ingredienzen wider. Diese Kombination von Gewohnt-Vertrautem, „Regionalem“ könnte man fast sagen, sowie Exotischem schafft eine gewisse Ambivalenz, weckt Interesse, lässt Sharisme Insensé spannend wirken, ohne dass er sich deshalb in den Vordergrund drängen muss.

https://pixabay.com/de/photos/strand-meer-brandung-sonnenaufgang-3718018/

Der Auftakt von Sharisme Insensé ist geprägt von Hölzern, samten, subtil pudrig und verhalten balsamisch als auch würzig, gleichermaßen warm wie kühl. Herb-zitrische Bergamotte erleuchtet, begleitet von Wacholderfruchtigkeit und schwarzer Johannisbeere, die allerdings wesentlich weniger präsent ist als in vielen aktuellen Düften – die Früchtchen im Kopf weisen nicht in Richtung von Creeds Aventus und Konsorten, das will ich damit sagen. Die Hölzer sind charakterstiftend, sie begleiten uns den ganzen Duftverlauf hindurch. Sachter Harzrauch hüllt ein, sanft wabernd und hin und wieder leise Anklänge von Wildleder offenbarend, während es unterschwellig maritim (ungleich aquatisch!) tönt gleich einer leichten Meeresbrise.

https://pixabay.com/de/photos/strand-meer-brandung-sonnenaufgang-3718014/

Im Falle von Sharisme Insensé ist scheinbare „Unentschlossenheit“ Trumpf – ein Hölzchen im Herzen, gleichermaßen zitrisch-fruchtig-kühl wie süß-balsamisch-würzig-warm, rauchig, ledrig, tief … Sharisme Insensé ist gekonnt komponiert und überaus facettenreich. Er erinnert mich mit seinem vielseitigen Understatement-Naturell an die Klassiker von MPG, beispielsweise an Garrigue, an die feinen Schöngeister von Parfums Divine sowie in seiner Authentizität ferner auch an die Handschrift von Lynn Harris und ihre Werke für Miller Harris, die ich, regelmäßige Leser/innen werden es wissen, sehr schätze.

Sicherlich wird er das eine oder andere Frauenherz für sich gewinnen, allerdings ist er in der Tat eher ein Mann. Und von eben jenen kann er annähernd das ganze Jahr getragen werden bei Gefallen 🙂

Einen hoffentlich halbwegs sonnigen Restsonntag und viele herzliche Grüße

Eure Ulrike

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Ulrike Knöll Verfasst von:

Meine Liebe gilt seit jeher dem Ästhetischen: Mir geht das Herz auf bei jeglichen Dingen, die durch Form, Funktionalität, Design und Herzblut zu überzeugen wissen. Und wenn dann noch ein Quäntchen Historie dazu kommt, ist es meist ganz um mich geschehen … Ich bin der Nischenparfümerie mit Haut und Haaren verfallen und immer auf der Suche nach dem – oder vielmehr: einem – neuen heiligen Gral. Diese Suche sowie mein ganzes Interesse und meine Begeisterung möchte ich gerne mit Euch teilen!

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