Die dunkle Seite – Francesca Bianchi …

… ist heute wieder Thema, und zwar mit ihrem Duft The Dark Side. Gestern war der Blogauftakt für die Linie der in Amsterdam lebenden Italienerin – falls Ihr ihn verpasst habt, lest hier. Mich hat der erste ihrer Düfte, The Lover’s Tale, ein Jasminleder, überaus neugierig gemacht – ein gelungener Auftakt, der Erwartungen geweckt hat. Im Netz finden sich bereits so einige Rezensionen sowohl in geschriebener als auch in Videoclip-Form, die überwiegend positiv bis überschäumend sind, was ich begeisterungstechnisch unterschreiben kann. Deshalb halten wir uns hier nicht lange auf und folgen Francesca Bianchi auf ihren olfaktorischen Pfaden …

Trotzdem – vorab noch ein paar von Harmen übersetzte Zeilen aus Bianchis Feder zu ihrem Interesse an Alchemie und ihrer Leidenschaft für Parfums, die für sie perfekt ineinandergreifen:

Alchemistische Verwandlung – Manchmal erwähne ich die Alchemie, für die ich mich hauptsächlich aus kulturellen Gründen interessiere. Sie ist keine direkte Inspirationsquelle, eher ein verborgenes Muster im Prozess der Parfumherstellung. Die Magie der Alchemie ist die Verwandlung zu einer neuen Ebene oder Dimension (entweder materiell oder spirituell) durch einen bestimmten Prozess. Wenn es um die Parfümerie geht, kreieren die Rohstoffe, die ich in meinen Experimenten hinzufüge, etwas Neues und Unvorhersehbares, das zuvor schlichtweg nicht existiert hat.

Wie bei einer alchemistischen Verwandlung, die nicht theoretisch ist, muss man diesen bestimmten Prozess durchlaufen, um eine neue Dimension zu erreichen. In anderen Worten, wenn man sich auf den theoretischen Aspekt begrenzt oder die Rezeptur (oder nur ein Buch liest, ohne sein Leben zu leben), und man nicht physisch den Prozess vollzieht oder eine Erfahrung, wird man die Verwandlung nie erreichen. In dieser Wahrheit liegt zugleich etwas Mystisches und Sinnliches und ich fühle mich so zufrieden, etwas zu tun, das diese gegensätzlichen Elemente zusammenbringt und es mir erlaubt, die Entstehung einer Sache zu erleben, die zuvor „nicht war“.“

Francesca Bianchi – geklaut auf ihrem Instagra-Account

In Finsternis – The Dark Side

„This is my dark side, and many others’ too. Straightforward at first sniff, then hauntingly soft, turning dry and intense like wood, intimate and delicate like lace. It is a warmĺy sensual, addictive, dark scent which evokes the private, mysterious side we like to keep secret.“ – Francesca Bianchi

Kopfnote: Honig, Gewürze, Iris, Veilchen
Herznote: Sandelholz, Zedernholz, Vetiver
Basisnote: Ambra, Styraxharz, Weihrauch, Patchouli, Vanille

The Dark Side, die dunkle Seite … Ihre eigene dunkle Seite möchte Bianchi nach eigenem Bekunden abbilden mit The Dark Side – und beschreibt diese als geraderaus, selbstbewusst und aufrichtig, dann ergreifend sanft. Den Duft beschreibt sie als sinnlich und süchtig machend, dunkel, mysteriös und intim, genauso wie eben jene Seite oder auch Seiten an uns, die wir nicht jedem offenbaren …

Überflüssig zu erwähnen – damit hat sie mich sofort. Spannend sind sie ja, die vermeintlichen Abgründe und dunklen Gassen, das, was irgendwo dahinter oder darunter im Verborgenen liegt – wie könnte ich verneinen, dass mich das immer gereizt hat, interessiert, ich dafür immer eine Schwäche hatte. Wer war das, Baudelaire, Nietzsche, mit den Perlen, die auf dem Grund des Meeres schlummern in den Tiefen der dunklen See? Passt. Ich hoffe, der Duft ist ähnlich toll wie Yosh Hans Sombre Negra, der mir zu diesem Thema einfällt …

Geklaut auf Bianchis Instagram-Account – Zitat: „Not as dark as Caravaggio, but still pretty dark“

Den Anfang macht … Dunkelgrün, alsbald in Kombination mit Braun, einem tiefen, warmen Braun. „Ich liebe Holziges, Warmes, Süßes, Orientalisches und dieser Duft ist mein Versuch in dieser Kategorie“ lässt Bianchi wissen und bezeichnet The Dark Side als den komplexesten ihrer Düfte, der aus so vielen Komponenten besteht, dass sie selbst immer nachsehen muss, was schlussendlich im Flakon gelandet ist, da die angegebenen Ingredienzen nur einen Auszug darstellen, eine verdichtete Zusammenfassung.

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Inspiriert zu The Dark Side wurde sie wohl von und in Marrakesch, jener Stadt in Marokko, die sie als eine ihrer liebsten Städte bezeichnet, womit sie sich in bester Gesellschaft  befindet(siehe z.B. Yves Saint Laurent und seinen Jardin Majorelle, Serge Lutens und viele andere). Nach jedem ihrer Besuche kehrte sie unter anderem mit viel Duftendem nach Hause zurück, mit Räucherharzen, Duftsteinen und echten sowie gefälschten Ölen und Essenzen. Bei ihrem letzten Besuch erstand sie eine gefälschte Oudessenz, ein Adlerholzöl, obschon sie wohl nie ein Fan davon war, vor allem auch, weil sie nach eigenem Bekunden Moden hasst und Oud in den letzten Jahren so omnipräsent ist. Dieses Stöffchen war aber wohl anders und animierte Bianchi, eine eigene, davon inspirierte Oudimitation zu kreieren, ein nach ihrer Aussage „klebrig süßes, rauchig orientalisches Zeug“, das sie schlicht „My Oud“ taufte. Diese integrierte sie in ihr Dark Side-Projekt, das damals noch „Into Darkness“ hieß – sie passte das Verhältnis der Zutaten dieser My Oud-Basis der vorrangigen Architektur von The Dark Side an, bettete die Basis ein – und vergaß in den nächsten Monaten während ihrer weiteren Arbeit an dem Duft, die noch viele Veränderungen und Variationen nach sich zog, dass sie es getan hatte. Erst die Rezension eines Duftliebhabers nach erfolgter Lancierung erinnerte sie daran – dieser sinnierte über das Vorhandensein von Oud in The Dark Side, was bei Bianchi die Erinnerung weckte an Marrakesch, ihre Oudimitation, die Bestandteil der Seele von The Dark Side geworden war. So scherzt Bianchi, dass die beste Möglichkeit, ein Geheimnis für sich zu behalten, diejenige ist, es selbst zu vergessen.

https://www.pexels.com/photo/silhouette-of-woman-during-dawn-1649068/

Kommen wir zurück zum dunkelgrün-braunen Auftakt: Vetiver salzt, ich nehme darüber hinaus etwas Grasiges wahr, leicht herb-metallisch wie bei Papyrus. Dann donnert es aber auch schon los, das von erdiger Pudrigkeit (Iris und Veilchen …) getragene Gewürzgewitter – Nelke? Vielleicht in Spuren, vielleicht auch Nelkenzigarettenrauch, denn rauchig geht es in jedem Fall zu. Dazu gesellt sich eine überaus prominente Styraxharznote, durchwirkt und durchwebt nach wie vor von krautig-kräuterig anmutendem Düstergrün. The Dark Side ist unfassbar komplex und ein Duftmonster, im absolut positiven Sinne, dennoch „not for the faint of heart“. Für einen Orientalen ist er erstaunlich grün, düstergrün, wie oben schon erwähnt, moosig, gleichermaßen aber warm, samten balsamisch, würzig, gewürzig. Er ist trocken, trocken und warm, aber nicht heiß oder hitzig, wie man es beispielsweise von den alten Lutens-Düften kennt.

The Dark Sides Charakter als Orientale ist in erster Linie dennoch würzig-holzig, genauer – gewürzig-holzig-harzig. Er ist warm und opulent, aber nie zu heiß und vor allem nicht überladen, sondern filigran und facettenreich. Ich meine Myrrhe zu entdecken, darüber hinaus vielleicht ein wenig Labdanum und ein verstecktes Röslein. Wo Dunkelheit ist, ist auch Licht, das eine bedingt das andere – ohne jetzt mit Hegels Dialektik oder ähnlich Philosophischem anfangen zu wollen … Licht findet sich auch in The Dark Side, und zwar in Form von Honig. Ein leichter, fast schon ätherischer Honig, strahlend hell und von einer authentisch-natürlichen Süße. Hier erinnert mich The Dark Side an das Bild, die Imagination einer Waldlichtung, einsam und sonnenbeschienen.

https://www.pexels.com/photo/silhouette-of-woman-during-dawn-1649068/

The Dark Side ist – erotisch. Sinnlich. Und vor allem auch ein Kraftort in duftender Form.  Mich würde nicht wundern, wenn Bianchis The Dark Side eine ähnliche Erfolgsgeschichte hinlegt wie Andy Tauers L’Air du Désert, an den er zwar nicht ganz heranreicht (ok, welcher Duft tut das schon, die Schweizer Wüstenluft ist eine geniale Duftlegende), sich aber dennoch als brillianter Duft erweist.

Wow, sehr schön Madame Bianchi – ich freue mich auf morgen, dann geht es weiter mit der Kollektion!

Bezirzte Grüße

Eure Ulrike

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Ulrike Knöll Verfasst von:

Meine Liebe gilt seit jeher dem Ästhetischen: Mir geht das Herz auf bei jeglichen Dingen, die durch Form, Funktionalität, Design und Herzblut zu überzeugen wissen. Und wenn dann noch ein Quäntchen Historie dazu kommt, ist es meist ganz um mich geschehen … Ich bin der Nischenparfümerie mit Haut und Haaren verfallen und immer auf der Suche nach dem – oder vielmehr: einem – neuen heiligen Gral. Diese Suche sowie mein ganzes Interesse und meine Begeisterung möchte ich gerne mit Euch teilen!

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