… Duftkollektion ist vor nicht allzu langer Zeit bei uns im Shop gelandet – Grund genug, mir die Neulinge einmal näher anzusehen, was wir diese Woche zusammen tun werden.
Von Kunst und Parfums – Francesca Bianchi
Wie bei vielen anderen, die in der Nischenduftbranche ihre Berufung finden, führte Francesca Bianchis Weg über verschlungene Pfade, während sie in einer, auf den ersten Blick komplett anderen „Ecke“ startete. Bianchi studierte Kunstgeschichte, und zwar in einer Stadt, die dafür perfekt geeignet ist – in Florenz. Nach ihrem Abschluss stieß sie auf Düfte, auf die Kunst der Parfumherstellung, und zwar durch ein Buch, durch Bücher. Wie sie selbst sagt, interessierte sie sich damals auch für die Alchemie, für das, was man früher als solche bezeichnete – dass hier durchaus eine Verbindung gegeben ist, wurde ihr aber nach eigenem Bekunden erst später klar. Italien, ferner auch speziell Florenz bietet dafür genügend Raum, man denke nur an die Tradition der alten Apotheken, von denen es bis heute einige gibt, die vornehmlich Düfte produzieren (siehe beispielsweise Santa Maria Novella oder Farmacia SS. Annunziata).
Bianchis (Lebens)Weg führte sie in viele Städte, sie wohnte eine Zeit in Berlin, in Luxemburg und später in Amsterdam, wo sie bis heute lebt. Dort entschied sie sich auch dazu, ihre bisherige Karriere in der Verlagsbranche für Kunstbücher an den Nagel zu hängen zugunsten ihrer mittlerweile hell entflammten Leidenschaft für die Parfumherstellung.
Ihre Düfte sind Eigenkreationen, vollständig von ihr ersonnen und konzipiert sowie von Hand hergestellt in ihrem Labor in Amsterdam. Einen wichtigen Aspekt nimmt dabei die Suche nach den richtigen Ingredienzen ein, wie Bianchi konstatiert:
„The constant search for quality material is crucial for the achievement of the best result. The same formula performed with materials coming from different suppliers will sort out a different olfactory profile.“
An dieser Stelle sollte nicht unerwähnt bleiben, dass es für „kleine“ Parfumeure, für unabhängige ohne umfassende Beziehungen in die Branche in der Tat schwierig ist, an entsprechende Rohstoffe zu kommen. Ich habe schon mehrfach im Blog darüber berichtet, an dieser Stelle möchte ich es aber nochmals anreißen: Der Markt der Aromastoffhersteller (die selbstredend nicht nur Aromen für Düfte, sondern vor allem auch für Hygieneprodukte, für Reiniger, für Kosmetik, Waschmittel usw., darüber hinaus für Nahrungsmittel etc. herstellen) ist relativ übersichtlich, den Großteil der Umsätze teilen sich weniger als ein Dutzend Unternehmen. Führend sind Givaudan und Firmenich (beide mit Unternehmenssitz in der Schweiz), an Platz drei steht IFF (USA), danach kommen Symrise (D), Mane SA (F), Frutarom (IL), Takasago (JP), Sensient Flavors (USA), Robertet SA (F). Givaudan lag 2017 bei einem Umsatz von 5,13, Firmenich bei 3,66 Milliarden US-Dollar, nur um Euch einen Eindruck von den Dimensionen zu vermitteln.
Ein unabhängiger Parfumeur und/oder ein kleines Nischenduftunternehmen muss dort nicht anfragen hinsichtlich Rohstoffen – die Abnahmemengen sind schlicht zu klein bzw. irrelevant für derlei Branchenriesen. Das heißt, dass man auf kleinere Hersteller zurückgreifen muss, was Vor- und Nachteile haben kann. Einerseits bietet es in jedem Fall Vorteile: Kleinere Aromastoffhersteller haben mitunter Aromen im Angebot, vor allem auch natürliche, die die Branchenriesen nicht führen – schlicht, weil sie nicht in ausreichender Menge zur Verfügung stehen und für letzere ist Masse entscheidend. Im Hinblick auf die Parfumbranche denkt bitte an dieser Stelle an Mainstreamdüfte – abgesehen davon, dass hier oftmals der Preis der Rezeptur an allererster Stelle steht, bei derselben hinsichtlich der Ingredienzen oftmals preislich selbst bis hinter die Kommastelle optimiert wird (siehe z.B. auch Nutella und deren Änderung der Rezeptur – mehr Zucker und Fett, weniger Kakao, selbst ein paar Cent pro Glas machen bei der Masse „den Kohl fett“), müssen die Ingredienzen eben aufgrund der vermuteten oder später im besten Fall auch tatsächlichen Absatzzahlen permanent verfügbar sein in exakt derselben Qualität. Das ist bei natürlichen Ingredienzen häufig nicht zu leisten, selbst bei einigen synthetischen nicht. Was heißt das in der Konsequenz? Dass man in der Duftnische die Möglichkeit hat, Ingredienzen einzusetzen, die sonst (so gut wie) nie Verwendung finden – aufgrund der weitaus kleineren Auflagen.
Darüber hinaus ist es für kleinere Marken oder unabhängige (Autodidakten)Parfumeure ohne bestes Netzwerk aber häufig schwierig, an gute und seriöse Lieferanten zu kommen. Die Preisstrukturen sind intransparent, startet man als Newbie, muss man sich schon sehr umfangreich informieren, um halbwegs sicher sein zu können, dass man keine Mondpreise bezahlt. Des Weiteren kommt dazu, dass man sich auf die Angaben des Herstellers verlassen muss. Ich erinnere mich noch gut an den Shitstorm, der vor einiger Zeit um eine Nischenduftmarke losbrach, als jemand nachwies, dass die Ingredienzen in den Düfte, wie ich ohnehin schon vermutet hatte, eben nicht 100 % natürlichen Ursprungs waren. Das mag eine unbedachte „Flunkerei“ gewesen sein, kann aber genauso gut daran gelegen haben, dass sich eine kleine Marke darauf verlassen muss, was der Aromastoffhersteller über seine Aromen angibt. Einen eigenen Gaschromatographen oder Zugang zu einem ebensolchen dürften die wenigsten haben …
Das nur am Rande, kommen wir zurück zu der obigen Bemerkung von Bianchi: Es kann durchaus sein oder vielmehr: es ist sehr wahrscheinlich, vor allem wenn man mit natürlichen Aromen arbeitet, dass beispielsweise eine Vetiveressenz von Hersteller X vollkommen anders duftet als die von Hersteller Y – schlicht und einfach, weil die Quellen für die Rohstoffe andere sind, der Anbauort und so weiter. Und das hat selbstredend einen ausschlaggebenden Einfluss auf den Duft. Denkt man hier weiter, kommt man schnell darauf, dass sich der Prozess bis zur Fertigstellung eines Duftes deutlich verlängert: Selbst wenn die Rezeptur steht, folgt hier ein „Durchprobieren“ verschiedener Aromen verschiedener Hersteller, eventuell sogar noch ein Überarbeiten der bereits bestehenden Rezeptur. Kein Wunder, dass Bianchi sich selbst beziehungsweise ihr (Arbeits)Leben mit dem eines Eremiten vergleicht:
„The creation of a perfume is a very long and complex process, and it takes me a hermit life to devise a formula which I then blend, holding my breath at every drop I add as in a sacred ritual.
At those ecstatic and silent moments, I feel like an alchemist which – through a transformation – gives birth to something new, which is not the simple addition of different materials.“
Als nahezu heiliges Ritual empfindet sie die Herstellung eines Duftes – und fühlt sich damit wie ein moderner Alchimist, womit sich der Kreis wieder schließt.
Ist ein Duft fertig gemischt, übernimmt eine Firma in Italien: Diese verdünnen die Duftessenz mit Alkohol, lassen sie reifen und füllen die fertigen Parfums danach ab, wobei Bianchi dies anfänglich vermutlich selbst gemacht hat, wie einige Bilder auf Instagram vermuten lassen.
Francesca Bianchis Kollektion umfasst bisher fünf Düfte, von denen wir uns als allererstes heute die Geschichte, die Legende der Liebenden anschauen, The Lover’s Tale.
Die Tragik der verbotenen Liebe – The Lover’s Tale
„Eine Geschichte aus vergangenen Zeiten über die heimliche Begegnung zweier Liebender. Sie spiegelt die Widersprüche zwischen Sinn und Sinnlichkeit, Prüderie und Passion wider. Die Liebenden werden vom Verlangen getrieben, aber ihre Erziehung hält sie zurück. Sie ist reich an natürlichen Rohstoffen; Jasmin und Leder sind die Hauptdarsteller dieses Dufts. Ich verwendete wunderschönen ägyptischen Jasmin, um einen leicht berauschenden Akkord zu erschaffen, den man am besten mit Leder kombiniert. Für die Basis nahm ich Castoreum, fein abgestimmt, aber dennoch so, dass seine animalischen Facetten erhalten bleiben.“ – Francesca Bianchi
Kopfnote: Bergamotte, Honig, Mimose
Herznote: Jasmin, Bulgarische Rose, Heliotrop, Pfirsich, Iris
Basisnote: Leder, Castoreum, Labdanum (Zistrose), Sandelholz, Vetiver, Eichenmoos
Eine uralte Geschichte, die Bianchi da olfaktorisch aufgreift und nacherzählt – der Auftakt des Duftes beschreibt ihrem Bekunden nach die aufregende Stimmung jenes Augenblicks des Zusammentreffens der beiden Liebenden, das Flirren in der Luft, Ihr wisst schon … Es ist von Anziehung die Rede, von Leidenschaft und von Romantik, die Bianchi mit berauschendem Jasmin, erotischem Leder, pudrigen Anklängen und einem Chypreakkord duftend abbildet.
Alleine die kurze Beschreibung zündet bei mir, blitzlichtartig fallen mir diverse Liebespaare aus Literatur, Kunst, Film und so weiter ein … Hero und Leander, wenn wir ganz vorne anfangen, Tristan und Isolde, Pelléas und Mélisande, Klassiker allesamt. Die Werke der Brontë-Schwestern offenbaren ebenfalls genügend Liebesdramen, letztendlich ist es aber müßig, hier weiter aufzuzählen, die Liebe, vor allem aber die tragische, die verbotene (warum auch immer, dafür gibt es zig Gründe), ist eines der Hauptmotive in der Kunst, schon seit jeher.
The Lover’s Tale greift somit ein Thema auf, das jeder versteht, zu dem jeder einen Zugang hat, weil es international, interkulturell verstanden werden kann, verstanden wird. Ob das auf den Duft auch zutrifft, die olfaktorische Umsetzung? Jasmin und Leder erschließt sich mir in der Wahl sofort, das passt ziemlich gut und ergibt logischerweise auch Sinn, dürfte aber vermutlich nicht jedermanns Sache sein … und bevor ich weiter mutmaße, ab auf die Haut mit den Liebenden!
… diese beiden lieben sich wirklich. Sie sind verliebt, und zwar bis über beide Ohren: Dickflüssiger Honig, der gleichsam nektarsüß von vielen winzigen Blümelein erzählt, und sachte Anklänge eines samtig-saftig-sinnlichen Pfirsichs zeugen von ehrlicher Wiedersehensfreude, wie mir scheint. Die Kombination wirkt jung, lebendig, temperamentvoll – und leitet über auf das nicht minder leidenschaftliche Herz des Duftes, das wie versprochen von Leder und Jasmin eingenommen wird. Auf meiner Haut ist die Ledernote wie zu erwarten war extrem präsent – ich bin ein guter Duftträger, was Leder angeht. Rauchig und vollmundig glattledrig zeigt es sich, verhalten teerig (Andy Tauer lässt grüßen) und subtil aschig sowie vor allem auch animalisch. Der Jasmin verstärkt diese Aussage durch indolische Facetten, wir haben es hier mit einer FSK 18-Jasmin-Variante zu tun. Will sagen: das hier ist kein cremiger Weichspüler, selbstredend cremt Bianchis Jasmin auch, er zelebriert darüber hinaus aber ebenfalls eine „dreckige“ Sinnlichkeit. Seine Strahlkraft ist durchaus körperlich anmutend, was The Lover’s Tale als Jasmin-Leder oder vielmehr Leder-Jasmin zu einem erotischen Duft macht. Sexy könnte man sagen, womit aber keinesfalls jene plakativ-platte, vulgäre „In your Face“-Sexyness gemeint ist. The Lover’s Tale ist ein olfaktorischer Kracher, keine Frage – das ist alleine durch die Ingredienzen gegeben, die sich selten züchtig zurückhalten und einfach seitens ihres Naturells bereits eine gewisse prägnante Präsenz versprechen, welche sich in The Lover’s Tale ebenfalls niederschlägt. Aber – der Duft ist zu fein komponiert, zu bedacht abgestimmt.
Wo sind wir richtungstechnisch? Bei Autodidakten im Nischenduftbereich denkt man zweifelsohne zuerst an Andy Tauer und an Vero Kern, an D.S. & Durga, an Anatole Lebreton, John Pegg (Kerosene), Mandy Aftel, Ayala Moriel und andere, es gibt ja mittlerweile doch etliche … A Lover’s Tale ist anfänglich rau und ungestüm, wird aber im weiteren Verlauf für einen überwiegend natürlichen Duft – so zumindest verstehe ich Bianchi – sehr „smooth“, das Lederungetüm beruhigt sich etwas, zeigt sich zahm(er) und fügt sich artig in das gesamte Duftgeschehen ein, das … aber eben immer noch ein latent Vintage-inspirierter Lederjasmin ist. Punkt. Will sagen: Meine Damen, für diesen Duft braucht man Standing, Stehvermögen.
Ich persönlich finde ihn toll – und bin erwartungsgemäß gespannt, wie es weitergeht … bis morgen, meine Lieben!
Viele herzliche Grüße
Eure Ulrike
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