… und zwar mit Lettre de Pushkar und mit Brumes de Khao-Sok, Duft Nummer fünf und sechs in unserer Rezensionsreihe der Marke der französischen Parfumeurin. Wer jetzt erst eingestiegen ist – hier der erste Artikel mit den Hintergründen zu Ella K als auch den Düften Mélodie d’Altaï und Mémoire de Daisen In, hier der zweite Artikel mit der Rezension zu Poème de Sagano und Pluie sur Ha Long.
„Als Parfümeurin habe ich meine Arbeit immer als eine Möglichkeit gesehen, mit dem Unterbewussten anderer zu sprechen. Ich wecke ihre Neugierde und lade sie auf eine Reise ein. Sie erhalten Einblick in meine Erinnerungen und können ihre eigenen Entdeckungen machen. Meine Kreationen sind echte Ziele, Orte, zu denen jeder reisen kann. Ich stelle keine Regeln auf, ich mache nur Vorschläge.“ – Sonia Constant
Von Pilgern und heiligen Seen – Lettre de Pushkar
„Brief aus Pushkar – die Pilger reisen nach Pushkar in Rajasthan, um ihre Seele zu reinigen und sie aus dem Kreislauf der Wiedergeburt zu befreien. Diese legendäre Stätte am Rande der Wüste ist eine Oase des Friedens und der Meditation. Die Blütenblätter der Rosen, die um den heiligen See herum wachsen, werden verwendet, um den Gott Brahma zu verehren.
„Ich erinnere mich an eine glühende Sonne, die ich mit der Wärme von Gewürzen übersetzt habe. Safran, Zimt und Muskatnuss verschmelzen mit Vanille und Amber. Ich habe die vielfältigen Farben der Saris mit einer gesättigten Rosenessenz Rose übersetzt, die sinnlich mit Oudholz vermischt wurde.“ – Sonia Constant
Eine schmachtende Ode an die Sehnsucht. Der intensive orientalische Duft, Rosenblätter und Gewürze umgeben einen Sari, der unter der strahlenden Sonne hängt. Die Kraft der traumhaften, berauschenden Düfte Indiens. Der ganze Reichtum an Gewürzen, Safran, Muskatnuss, Zimt, Edelhölzern, Vetiver, Patchouli und Oud. Von Üppigkeit umhüllt, werden die Sinne in dieser bernsteinfarbenen Vanille geweckt.“
Die Ingredienzen: Rose, Gewürze, Safran, Muskatnuss, Zimt, Hölzer, Vetiver, Patchouli, Adlerholz (Oud), Ambra, Vanille
Lettre de Pushkar sieht sich inspiriert von Pushkar, wie Constant in ihrer Duftbeschreibung erzählt. Pushkar liegt am gleichnamigen, für die Hindus heiligen See im Aravelligebirge, unweit der Wüste Thar im indischen Bundesstaat Rajasthan, ergo im Norden des Landes. Der Ort beheimatet circa 22.000 Einwohner, die seit jeher vom Viehhandel und von den vorbeiziehenden Karawanen lebten, da der Pushkar-See immer wasserführend war. Heutzutage ist die Haupteinnahmequelle der Tourismus. An den Ufern des Sees liegt der aus dem Mittelalter stammende Brahma-Tempel, der einzig bedeutsame seiner Art in Indien. Das Ufer des Sees sind in Stufen angelegt, sogenannten Ghats, über die die Gläubigen ins Wasser gelangen, wo sie sich reinwaschen und um Gesundheit für sich und ihre Familien bitten, wobei ihnen die in Pushkar beheimateten Brahmanen gegen eine Spende behilflich sind. Brahma, einige von Euch werden es wissen, ist einer der Hauptgötter im Hinduismus, er bildet zusammen mit Vishnu und Shiva die Trimurti, die Vereinigung der kosmischen Funktionen des Erschaffens (Vishnu, der Schöpfer), des Bewahrens (Brahma, der Erhalter, Bewahrer) und des Zerstörens bzw. der Umwandlung (Shiva).
Constant spricht von der Hitze in Pushkar – ich war neugierig: die Jahresdurchschnittstemperatur beträgt dort knapp 25 Grad Celsius, wobei die Höchstwerte in den Sommermonaten (ungefähr zur gleichen Zeit wie bei uns) erreicht werden mit knapp 40 Grad Celsius. Das hätte ich mir doch heißer vorgestellt, wobei (Nord)Rajasthan generell zu den heißesten und trockensten Regionen der Erde gehört, woran auch der sommerliche Monsun nicht wirklich viel ändert (außer, dass er für den Ackerbau dringend benötigt wird – ansonsten kühlt er wohl kaum ab und macht das Klima noch schwüler …). Die Ingredienzen, die Constant für Lettre de Pushkar verwendet, leuchten insofern ein – Gewürze, Oud und (andere) Harze, alleine in der Ankündigung schwingt schon Wärme mit …
Diese atmet der Duft auch, allerdings auf erfreulich andere Weise als vermutet. Ich hätte darauf kommen können – bereits die letzten beiden Tage mit Ella K hatten gezeigt, dass Constant ein sehr gutes Händchen besitzt, einen äußerst subtilen olfaktorischen Pinselstrich, der es mir angetan hat. Mich erinnert ihre Handschrift von der Komplexität der Düfte, deren Vielseitigkeit, Tiefe und vor allem deren Feinheit, der Austariertheit an Parfumeure wie Patricia de Nicolaï oder auch an Jean-Claude Ellena, ferner vielleicht an Lyn Harris‘ frühe Kreationen (wobei diese eher auf „pflanzliche“ Düfte fokussiert). Lettre de Pushkar ist ein Orientale, ganz klar, und auch nicht unbedingt ein Florientale, obschon er ein paar Röslein enthält – diese allerdings sind weder auf meiner Haut noch auf dem Teststreifen im Rampenlicht, sondern eher schmückendes Beiwerk, Teil eines dicht gewebten Ganzen. Wir haben es hier auch nicht mit einem opulenten, kraftstrotzenden Orientalen im Stile der frühen Lutens-Düfte zu tun, Constants Lettre de Pushkar ist fragiler, übt sich in Understatement-Zurückhaltung. Er wärmt und verströmt Wärme, wird aber nie zu heiß und zeigt sich auch nicht hitzig oder „over the top“. Der Auftakt ist rosenfruchtig, samtige, weinrote Blütenblätter, die likörig-fruchtig tönen und von Safran veredelt werden. Dieser offeriert die für ihn typischen Facetten – leise ledrig, trocken-würzig von einer leichten Schärfe, perfekt mit den Rosen harmonierend. Zimt dient ebenfalls der Zier, süß-scharf kontrastierend, von cremig-würziger Vanille unterstützt, deren milchiges Naturell die Harz-Gewürz-Mischung sacht untermalt, abfedert, ausbalanciert. Ein Quentchen Gras und Salz, gestiftet von Vetiver, darüber hinaus eine Ahnung Tier gehüllt in zivilisierte Rauchschwaden, welche dem Oud zuzuschreiben sind, das sich brav einfügt in das Duftgeschehen, ohne die Hauptrolle an sich zu reißen (die ohnehin nicht vergeben ist – alle Protagonisten sind mehr oder weniger gleichberechtigt), vervollständigen den Charakter des Duftes, der von erlesenen Hölzern getragen wird.
Lettre de Pushkar ist ein geistvoller Schönling, unisex mit einer klitzekleinen Tendenz ins Weibliche. Er ist ein orientalisches Meisterwerk, das seinesgleichen sucht. Ein ausgezeichnet geschliffener Duftdiamant, der mich an die (älteren) Kunstwerke von Parfums MDCI erinnert in seiner herausragenden Qualität.
Aus dem grünen Herz der Finsternis – Brumes de Khao-Sok
„Nebel aus Khao-Sok – der Khao Sok Nationalpark im Süden Thailands, zwischen Phuket und Surat Thani, ist ein 160 Millionen Jahre alter und undurchdringlicher Dschungel, der von den Monsunen und den Nebeln der Andamanensee und des Golfs von Thailand bewässert wird. Die Schreie der Gibbons sind jenseits der unglaublichen Weite des Dschungels zu hören. Am Morgen erhebt sich die Landschaft aus dem Nebel und nimmt eine mysteriöse Gestalt an. Wenn die Nacht hereinbricht, erzeugen die Schatten der Kalksteinfelsen eine magische Stimmung.
Inmitten des Dschungelnebels der Morgenstunden wird allmählich die Spinnenlilie und Gardenie sichtbar. „Ich habe diese Atmosphäre einfach mit einem transparenten blumigen Akkord aus Spinnenlilie und Gardenie transkribiert, der im Kontrast zu den strukturierten Tiefen der Edelhölzer steht.“ – Sonia Constant
Gardenien- und Spinnenliliendüfte vermischen sich mit dem Nebel und den Geräuschen des Dschungels. Wenn der Nebel aufsteigt, verbreitet er feuchte, grüne und holzige Zedern- und Zypressenaromen. Zart wie eine Illusion wird ein Bett aus Spinnenlilie und Gardenie offenbart. Die Morgendämmerung erscheint in einer transparenten und blumigen Frische.“
Die Ingredienzen: Florale Noten, Zedernholz, Zypresse, Gardenie
Brumes de Khao-Sok, die Nebel von Khao Sok … Gestern hatten wir es von der Halong-Bucht in Vietnam, Khao Sok ist wohl für ähnliches bekannt, für seine Kalksteinhöhenzüge und Kalkfelsen. Der Nationalpark Khao Sok befindet sich im Südwesten Thailands an der Küste, beeindruckt durch seine vielfältige Flora und Fauna sowie mit (Tropfstein)Höhlen (voller Fledermäuse) und Wasserfällen.
Die Bilder im Netz sind wundervoll anzusehen, man vermag es sich bestens vorzustellen, wie schön der Park nebelverhangen wohl aussehen mag … Wie mag Constant das wohl umsetzen? Den Nebel, das unzähmbare Grün, das wilde Wuchern und Blühen …
Herrlich. Das hätte auch Bertrand Duchaufour nicht besser gekonnt, der immerhin mit Timbuktu und Dzongkha für L’Artisan Parfumeur zwei der schönsten Reisedüfte geschaffen hat, die man sich denken kann. Fast sichtbar dämpfig wabert Brumes de Khao-Sok über mein Handgelenk in einer seltsam einzigartigen Mischung aus in allen Farbschattierungen schillerndem Grün und einer bisweilen pfeffrig anmutenden Würze, unterbrochen von sacht süßen Blütentönen, winzig klein und leuchtend hell. Subtil cremen sie, die Blümelein, und betören … man merkt ihnen ihre weiße Natur an, denn sie locken und verlocken, verheißen Verführung, sollte man ihrem leisen, aber unnachgiebigen Ruf in den Dschungel folgen …
Brumes de Khao-Sok ist gleichermaßen zurückhaltend wie prägnant, ein stiller, aber eindrucksvoller Begleiter von kontemplativer Ruhe. Wer Duchaufours Reiseerinnerungen mag, wird hiermit sicherlich ebenfalls nicht fehlgehen.
Morgen folgen die letzten zwei Düfte von Ella K – bis dahin alles Liebe und einen schönen Abend
Eure Ulrike
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