Die zwei Seiten einer edelmetallenen Medaille – Francis Kurkdjians Gentle Fluidity …

… ist heute unser Thema. Mal wieder ein Duftduo, das darüber hinaus mit einer Besonderheit aufwartet, wie in der Beschreibung zu lesen ist:

Inspiration – Wieder einmal wirft Francis Kurkdjian die Regeln der Duftkomposition mit einer außergewöhnlichen Kompositionsübung über den Haufen. Mit Gentle Fluidity enthüllt er zwei Eaux de Parfum aus zwei äußerst unterschiedlichen Duftwelten (eines zeigt einen holzigen, aromatischen Duft, das andere ist moschuslastig mit orientalischen Noten), indem er dieselbe Ingredienzenliste nimmt und die Konventionen von Parfums für Damen, Herren oder unisex überschreitet. Wenn er einen Inhaltsstoff überdosiert, unterdosiert er einen anderen, denn Düfte drehen sich – wie alle Dinge, die uns bewegen – eigentlich um Balance und erwartete Effekte … Kein feminin oder maskulin mehr. Es gibt einen Charakter, eine Sensibilität, eine „Gentle Fluidity“, ein sanftes Fließen zwischen allen Geschlechtsidentitäten.

Dieselben Noten, zwei Identitäten – Ingredienzen so bearbeiten, dass ihr volles Potenzial ausgeschöpft wird, und die Herausforderung annehmen, zwei verschiedene Eaux de Parfum mit denselben Noten zu kreieren: Wacholderbeeren, Muskatnuss, Koriander, Moschus, ambrierte Hölzer und Vanille. Das Gentle-Fluidity-Duo war geboren, in der Fantasie des Parfümeurs, es sollten zwei verschiedene Duftsilhouetten entstehen, eine für sie und eine für ihn.“

Ein sanftes Fließen zwischen den Geschlechtsidentitäten … was dazu wohl Frau Kramp-Karrenbauer sagen würde? Das kann ich mir an dieser Stelle nicht verkneifen, diesen einen zarten Zeitbezug, nachdem die Dame mit den offensichtlich vorhandenen Kanzlerplänen an Fasching deplatziert-despektierlich-degradierende und unfassbar platte Witze über Inter- und Transsexuelle sowie Queer People und gleichzeitig (mehr oder weniger indirekt) Männer mit progressivem Männlichkeitsbild gemacht hat. Fall es wer nicht mitbekommen hat oder schon vergessen – hier ein lesenswerter Kommentar in der Zeit dazu.

Ganz so einfach, wie man vielleicht glauben möchte, ist es nicht mit den Geschlechtern oder vielmehr – den Geschlechtsidentitäten. Abgesehen davon, dass Schein ungleich Sein ist und nicht alles so, wie es sich uns mitunter auf den ersten Blick präsentiert, gibt es eben mehr als nur Männlein und Weiblein, 0 und 1 beziehungsweise 1 und 2, wie es gemäß ISO/IEC 5218 heißt – und das bezieht sowohl auf die biologischen Fakten als auch auf die Geschlechtsidentität als solche, Stichwort Heteronormativität, non-binary und Co.. Könnte man sich mal damit auseinandersetzen, auch wenn es einen selbst nicht unmittelbar betrifft. Ein Blick über den eigenen Tellerrand schadet nie, eventuell lernt man noch was dazu und/oder könnte danach gar etwas differenzierter in die Welt abseits des eigenen Dunstkreises schauen anstatt zu gähnen und/oder herablassend zu verunglimpfen, zumal Gender Studies ganz bestimmt nicht nur von und für irgendwelche Hipster betrieben werden, siehe diesen Zeit-Artikel

https://www.franciskurkdjian.com/
Geklaut bei: https://www.franciskurkdjian.com/

Was Düfte oder besser: was Nischendüfte angeht, ist die Geschlechtertrennung ohnehin zweitrangig, wenn überhaupt – meines Erachtens nach gibt es sie eigentlich gar nicht. Wie pflege ich immer zu sagen? Ein Duft sucht sich seinen Träger_in selbst. Sicherlich teilt man ein, teilen Hersteller ein, teilen auch wir in unserem Online-Shop mitunter ein – als Hilfestellung. Weil es ein erster Hinweis auf die Tendenz ist, die Richtung, in die der Duft sich nach objektiven Kriterien einteilen lässt. Und bei einem derart umfangreichen Sortiment wie dem unsrigen für Nischenneulinge den Einstieg erleichert als auch die Übersicht. Dennoch – letztendlich ist es vollkommen irrelevant. Tragt, was Euch gefällt. Tragt, was Euch glücklich macht, womit Ihr Euch gut fühlt. Etwas anderes kann man, kann ich nicht empfehlen, will ich auch gar nicht. Und schere mich selbst schon seit Jahren nicht darum. An dieser Stelle fällt mir immer ein Gespräch ein mit einem Parfümeriebesitzer, der eine kleine, feine Nischenduftparfümerie besitzt und mir erzählte, dass einige seiner (prominenten) Fußballerkunden, die männlichen, total auf Acqua e Zucchero und, ich meine, Confetto abfahren. Es ließ mich schmunzeln – süßer geht kaum, der Name ist absolut Programm bei den beiden kräftigen Gourmand-Italienern. Und dennoch oder gerade deswegen – wem es gefällt, warum denn nicht!

Dennoch ist es selten, dass sich jemand im Duftbereich so dezidiert auf das Verschwimmen von Geschlechtergrenzen/-identitäten bezieht. Meines Wissens nach ist Mx. von Barbara Hermans Eris Parfums der erste Duft gewesen, zumindest kenne ich sonst keinen, Ihr?

Gentle Fluidity Silver und Gentle Fluidity Gold sind demnach thematisch innovativ – ich bin gespannt, ob sie das auch „duftend“ sind und wie sie sich tatsächlich trotz gleicher Ingredienzen unterscheiden. Das mit den Ingredienzen in anderer Dosierung kennen wir in der Tat schon, und zwar von Maître Parfumeur et Gantiers Les Eaux Extravagantes, die ich mal hier im Blog besprochen hatte. Ich weiß ehrlicherweise gar nicht, ob es sie noch gibt …

Zurück zu Maison Francis Kurkdjian und den beiden neuen Hübschen – ab auf die Haut, würde ich sagen!

Gentle Fluidity Silver

Silver – In Gentle Fluidity Silver sind Muskatnuss und ambrierte Hölzer vorherrschend und verströmen eine lebendige und wohlige Duftspur. Durch die Wacholderbeerenessenz führt sie zu einer sich steigernden, äußerst frischen, aromatischen Note, ähnlich wie bei einem Gin Frappé, ausbalanciert von den trockenen, leicht balsamartigen, würzigen Noten von Muskatnuss. Die Basisnote offenbart ambrierte und holzige Facetten, die von süß bis einhüllend, kraftvoll und trocken reichen.“

Gentle Fluidity Silver erkenne ich sofort beziehungsweise kann bereits auf den ersten Duftmetern sagen, welcher Duft welcher ist. Unsere Damen im Büro haben leider die beiden Pröbchen nur mit „Gentle Fluidity“ versehen und auf das zugehörige Edelmetall verzichtet, was allerdings überhaupt nichts ausmacht, da die beiden Düfte in der Tat sehr unterschiedlich sind.

Bei unserem Silberling dominieren wie versprochen Hölzer, die gleichermaßen Kühle wie Wärme versprühen. Es wacholdert hinein in die kühle Frische, die wirklich „changiert“, und zwar irgendwo zwischen Holzigkeit und Seifigkeit, von ein paar Sprenklern aromatischem Blattgrün eingerahmt. Dazu kommt Luftigkeit, eine frische Brise, sowie leise aquatische oder zumindest wässrige Noten, die mitunter eine gewisse Herbheit an den Tag legen als auch eine subtile Süße. Hinter der Süße „lauern“ ebenfalls die warmen Anklänge, die sich subtil hin und wieder Gehör verschaffen, wärmend, lockend, verheißungsvoll.

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Gentle Fluidity Silver ist modern und passt perfekt zum Zeitgeist. Der Gin-Vergleich ist berechtigt, gewisse Anleihen sind in jedem Fall vorhanden. Ansonsten denke ich allerdings am ehesten an Geza Schoens Escentric Molecules, wenn ich den Stil des Silberlings beschreiben sollte – hier findet sich auch ein bisschen Trendsynthetik, aber er ist komplexer als die meist doch sehr linearen Escentric Molecules (wobei diese Reduziertheit dort selbstredend zum Programm gehört). Ich könne mir darüber hinaus vorstellen, dass Träger mancher Creed-Düfte, Erolfa oder Silver Mountain Water, vielleicht sogar von Green Irish Tweed an Gentle Fluidity Silver ihre Freude haben würden. Warum? Weil der Silberling zwar ohne Zweifel ein urbaner Hipster ist, aber ein paar Facetten in den Fokus stellt, die ziemlich klassisch sind, wenn auch auf zeitgenössische Weise ein- und umgesetzt.

Ich bin gespannt, wie sich das mit seinem goldenen Gegenpart verhält, vielmehr weiß ich es bereits, er befindet sich schon seit geraumer Zeit auf der Haut …

[Seltsam, aber wahr: Auf meiner Haut zeigen sich im späteren Duftverlauf Noten, die, ich musste lange überlegen, an Piguets Banditen erinnern, und zwar an dessen dunkelgrüne Ledrigkeit. Hier wäre ich mehr als neugierig, ob sie auch jemand von Euch entdeckt!]

 

Gentle Fluidity Gold

Gold – Im großzügigen, einhüllenden Dufthauch von Gentle Fluidity Gold, findet man Koriandersamenessenz und eine Überdosis an Moschus und Vanille. Die florale, würzige Note der Koriandersamen schenkt wie Moschus ein himmlisches Volumen und eine lang anhaltende Präsenz. In den Basisnoten enthüllen die gourmandigen, beruhigenden Noten des Vanilleakkords – veredelt von ambrierten Hölzern – einen strahlende, helle Silhouette.“

Gentle Fluidity Gold ist typisch weiblich, hätte ich ganz am Anfang verlauten lassen – diesen meinen ersten Eindruck musste ich in Teilen revidieren. Insofern passt das, was bleibt, was sich entwickelt, schon ziemlich gut zum Konzept, dennoch dürfte der Goldige zu einem großen Prozentsatz wohl eher Frauen ansprechen beziehungsweise nur bei sehr wenigen Andersgeschlechtlichen auf der Haut und hernach im privaten Duftrepertoire landen. Am Anfang war – Himbeervanillesorbet. Fragt mich jetzt bitte nicht warum. Beim zweiten Versuch – nicht. Dafür Noten von geröstetem Grün. Nein, ich habe nicht getrunken und nicht zu tief in den Flakon geschaut 😉 … die Vanille ist aber immer noch da, darunter. Somit erinnert mich Gentle Fluidity Gold (die ersten paar fehlgeleiteten Sekündchen an La Danza delle Libellule, danach) entfernt an Ninfeo Mio von Goutal und ein bisschen mehr an jene unkonventionellen Unisex-Vanille-Düfte mit Grün oder Harzen, siehe beispielsweise Vanille Insensée von Atelier Cologne oder Diptyques Eau Duelle. Und dennoch ist er süßer, fruchtiger auf eine Art, auch beim zweiten Anlauf bekomme ich noch hin und wieder eine Andeutung von Beeren, dafür aber im weiteren Verlauf auch sonnige Wärme aus der Basis.

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Den Libellentanz würde ich nicht mehr heranziehen, aber eventuell Cashmere Twill aus Acqua di Biellas Le Vie della Lana-Kollektion. Deshalb ist für mich Gentle Fluidity vornehmlich weiblicher Natur oder zumindest Ausprägung, mich würde aber auch hier interessieren, ob auf Eurer Haut die Fruchtnoten ähnlich aufblühen wie auf meiner? Bitte um Feedback, solltet Ihr testen, wenn Ihr testet!

In diesem Sinne wünsche ich Euch jetzt aber zuerst einmal ein schönes Wochenende und hoffentlich viel Sonne –

Eure Ulrike

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Ulrike Knöll Verfasst von:

Meine Liebe gilt seit jeher dem Ästhetischen: Mir geht das Herz auf bei jeglichen Dingen, die durch Form, Funktionalität, Design und Herzblut zu überzeugen wissen. Und wenn dann noch ein Quäntchen Historie dazu kommt, ist es meist ganz um mich geschehen … Ich bin der Nischenparfümerie mit Haut und Haaren verfallen und immer auf der Suche nach dem – oder vielmehr: einem – neuen heiligen Gral. Diese Suche sowie mein ganzes Interesse und meine Begeisterung möchte ich gerne mit Euch teilen!

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