Diesen Beitrag könnte ich mit Onomatopoetika beginnen, sprich: mit lautmalerisch-comichaften „Aaahs“ und „Ooohs“, die in diesem Fall Ausdruck reiner Freude sind. Der Anlass? Drei Neulinge von Parfums MDCI, Bleu Satin, Cuir Cavalier und L’Homme aux Gants, die zusammen als Trio eine neue Kollektion bilden (oder den Auftakt zu einer?), die Masterpiece Collection. Lange war es still geworden um MDCI, ich musste nachsehen, wann überhaupt der letzte Duft lanciert wurde – 2015 und 2016, Les Indes Galantes sowie Le Barbier de Tanger und Fêtes Persanes. Das ist eine ganze Zeit her, zumal die Marke bereits auf eine längere Historie zurückblicken kann in der Nische. Deshalb an dieser Stelle für die eine oder den anderen noch ein paar Worte vorab dazu, für den Fall dass Parfums MDCI noch unbekannt sein sollte(n).
Kompromisslose Qualität – Parfums MDCI
Parfums MDCI wurden 2003 gegründet, der Name steht für Marchal Dessins et Créations Indépendantes. Und wer steckt dahinter? Auf der Webseite der Franzosen ist nebulös von einem „art lover with a passion for perfumes and a certain idea of what fine fragrances should be an art more than an industry, a source of pleasure, pride and beauty more than a commodity“ die Rede. Einem Kunstliebhaber also, der eine Schwäche und Leidenschaft für Parfum hat und eine Vision, dass Düfte viel eher Kunst sein sollten als eine Industrie (bzw. industriell gefertigte Massenware – das wird der Gedanke sein), eine Quelle der Freude, des Stolzes und der Schönheit und keine standardisierten Gebrauchsgegenstände. Eine ziemlich klare Vorstellung, die sich in den Düften und deren Qualität vollumfänglich niederschlägt.
Der Mann hinter der Marke ist Claude Marchal, von dem es nur sehr wenige Fotos gibt sowie einige Interviews in ebenfalls überschaubarer Zahl – eines davon von der letzten Esxence habe ich Euch herausgesucht:
In dem Video dreht es sich unter anderem um ein Gerücht zu Chypre Palatin – hier wurde im Netz darüber diskutiert (und unterstellt, klar …), dass der Duft reformuliert wurde, was Marchal dementiert. Darüber hinaus lässt sich recht viel erfahren hinsichtlich seiner Sichtweise, seiner Arbeitsweise, die allerdings in obigem Satz schon enthalten ist. Marchal kreiert die Flakons inklusive der aufwendigen Büsten selbst. Unabhängig davon, ob sie den persönlichen Geschmack treffen, habe ich schon häufiger gehört, dass Parfumistas mitunter nach Jahren das erste Mal über MDCI stolpern und dann überrascht sind, dass ihnen die Düfte so gut gefallen, weil sie Parfums erwartet hätten, die mehr Vintage-Charakter haben oder ähnliches, schlicht – sich von der Optik leiten ließen, die, darauf können wir uns einigen, nicht modern oder minimalistisch ist. Und deshalb leider einen Bogen um die Marke machten. Da sollte man sich tunlichst nicht davon abhalten lassen, selbst wenn man kontemporäre, reduzierte Formensprache bevorzugt, denn die Düfte von MDCI sind extrem gut. Sie sind von überragender Qualität und etliche davon können mit Sicherheit schon als moderne Klassiker gelten. Marchal ist hier kompromisslos, das kommt in dem Videointerview sehr gut heraus – und arbeitet ausschließlich mit Parfumeuren, die Rang und Namen haben, so unter anderem Pierre Bourdon, Patricia de Nicolaï, Bertrand Duchaufour, Nathalie Feisthauer und Cécile Zarokian.
Wer nun neugierig geworden ist – hier noch ein paar Interviews mit Claude Marchal:
- Perfume Posse – 2007
- Fragrantica – 2009
- Fragrantica – 2013
- Ça Fleure Bon – 2015
- Pierre de Nishapur – 2019
In unserem Dufttagebuch findet Ihr bereits diverse Rezensionen zu MDCI, wenn Ihr Lust habt, stöbert ruhig 🙂 Ich liebe die Marke seit jeher und kann nur sehr schwer Lieblinge benennen, da ich ausnahmslos alle Düfte als weit überdurchschnittlich erachte und schön finde. Dennoch – Nicolaïs Maiglöckchen-Maiherz Un Cœur en Mai finde ich ganz zauberhaft, Duchaufours Birnengourmand La Belle Hélène ist wundervoll und Invasion Barbare, einer der ersten Düfte der Marke (2005), ist ein Vetiver (und noch viel mehr) zum Niederknien.
Wie sieht es aus meine Lieben, kennt Ihr MDCI bereits und wenn ja – Liebhaber, Fans hier? Welche Düfte verehrt, habt oder hattet Ihr?
Aber kommen wir jetzt endlich zu den Düften – ich kann mich kaum entscheiden, mit welchem ich anfange, also belasse ich es der Einfachheit halber bei einer alphabetischen Vorgehensweise: Bleu Satin macht heute den Auftakt, die nächsten Tage sind dann Cuir Cavalier und L’Homme aux Gants an der Reihe. Die Idee hinter der Masterpiece Collection lassen wir uns aber auch noch schnell von Marchal erklären:
„Wir baten Parfümeure ihre Ideen, Gefühle, Bilder und Emotionen in Düfte zu übersetzen, die sie bei einigen sorgfältig ausgewählten Meisterwerken der Malerei hatten. Diese Gemälde sind die Inspiration für vier Herrendüfte, denen später vier Damendüfte folgen sollen, basierend auf vier verschiedenen Gemälden, einige ebenfalls aus dem Louvre, andere aus anderen Sammlungen.
Jedes Gemälde ruft einen bestimmten Charakter, eine Epoche, Stimmung hervor (Venedig, ein Schlachtfeld, Frankreich, das englische Land usw.), mit dem sich jede Parfümeurin, jeder Parfümeur selbst ausdrücken kann.
Cécile Zarokian gab mir ihren ‚Blue Boy‘, den ich aus Urheberrechtsgründen ‚Bleu Satin‘ nennen musste, Nathalie Feisthauer komponierte Géricaults kämpfenden Reiter mit dem Namen ‚Cuir Cavalier‘ und Tizians ‚L’Homme aux Gants‘.“ – Claude Marchal
Der Knabe in Blau – Bleu Satin
Die Ingredienzen:
Kopfnote: Bergamotte, Zitrone, Grüne Noten
Herznote: Jasmin, Schwarze Johannisbeere, Wassermelone
Basisnote: Safran, Leder, Hölzer
Parfumeurin: Cécile Zarokian
Blue Satin ist also das erste Duftgemälde, der erste Duft, der sich inspiriert sieht von dem als „The Blue Boy“ bekannten Werk von Thomas Gainsborough, das um 1769/70 entstand und sich seit 1921 im Besitz der Huntington Library in San Marino, Kalifornien, befindet und dort bewundert werden kann.Gainsborough selbst lebte von 1727 bis 1788, widmete sich überwiegend der Landschafts- und Porträtmalerei und zählt zu den bedeutendsten englischen Malern seines Jahrhunderts. Zwecks der Einordnung musste ich mir ein wenig auf die Sprünge helfen lassen – Wiki fasst es perfekt zusammen: „Bei seinen Porträts fällt auf, dass Gainsborough das Feinfühlige und Legere der Darstellung einer gekünstelten, steinernen Repräsentation vorzog, weshalb er seine Figuren nicht im Atelier, sondern in der freien Natur vor einem Landschaftshintergrund posieren ließ. […] Diesen Porträts sieht man auch an, wie fasziniert Gainsborough von Stoffen und modischer Kleidung war. Der Künstler wandte sich schon früh gegen einen strengen Akademismus und versuchte, in seiner Malerei die seinerzeit propagierte Idealisierung der Motive in eine subtilere Art und Weise der bildlichen Darstellung zu überführen. Für Gainsborough konnte dies nur über die Sensibility erreicht werden, das heißt, der Betrachter sollte bei ihm nicht nur, wie es damals oft üblich war, ein Bild mit seinem angelesenen Vorwissen über die dargestellten idealen Motive erfassen, sondern mit persönlicher Einfühlung in das Bild eindringen.“
Der Porträtierte ist Jonathan Buttall, damals gerade 18 Jahre alt, Sohn eines wohlhabenden Eisenwarenhändlers und wohl auch befreundet mit Gainsborough. Bei der Kleidung hat der Maler getrickst – sie ist wohl typisch für das 17., nicht aber das 18. Jahrhundert. Darüber hinaus scheint es wohl nicht üblich gewesen zu sein, die Farbe Blau so zu inszenieren, was sicherlich zu der Bedeutung des Bildes beigetragen hat. Als Huntington, der Eisenbahnpionier, es 1921 kaufte und nach Amerika brachte, war es mit einem Preis von £182.200 das damals teuerste Gemälde der Welt. Buttall ist so etwas wie die männliche Mona Lisa:
„Der hohe Wiedererkennungsfaktor des Bildes hat es – wie die Mona Lisa – zum oft zitierten Motiv der Populärkultur gemacht. Friedrich Wilhelm Murnau baute sein Erstlingswerk Der Knabe in Blau (1919) komplett auf diesem Bild auf. Cole Porter sang 1922 nach der Ankunft des Bildes in Amerika den „Blue Boy Blues“. In dem Laurel-und-Hardy-Kurzfilm Der Gaul auf dem Klavier (Wrong Again) (1929) taucht das Bild auf, allerdings wird hier das Gemälde mit einem Pferd gleichen Namens verwechselt. In Die nackte Kanone (1988) zerstört Leslie Nielsen einen Blue Boy, auch James Bonds Gegenspieler, Gustav Graves, zerstört in dem Film Stirb an einem anderen Tag (2002) während einer Fechtszene einen Blue Boy. Eine weitere Version des Blue Boy ist in einem Porträt einer Maus wiederzuerkennen, die ebenso gekleidet ist. Auch gibt es Versionen, in denen Micky Maus oder Kermit der Frosch (diese Version hing in Jim Hensons Bürogebäude) als Blue Boy dargestellt sind.“
Das allerdings war mir in weiten Teilen neu, zumindest das mit dem (verschollenen) Werk Murnaus als auch mit dem Porter-Song, den ich Euch selbstredend herausgesucht habe, nachgesungen:
Wer sich weiter für das Bild interessiert – ich habe Euch noch einen interessanten kunsthistorischen Aufsatz ausgegraben, dem ich mich demnächst auch nochmals ausführlicher widmen möchte: „Gainsboroughs „Blue Boy“ – Sinnstiftung durch Farbe“ von Werner Busch, seht hier.
Die Quintessenz des Aufsatzes von Busch, der verschiedene Thesen und Hintergründe zu dem Bild aufstellt und verfolgt, ist relativ gut auf den Punkt zu bringen: Er sieht in Gainsboroughs Blue Boy das Porträt eines Jungen an der Schwelle zum Mannsein: „Form und Farbe, Pinselverlauf und Materie werden für sich ausdrucksmächtig. […] Sie zeigen, wie der Jüngling zum Mann wird, wie seine Seele erwacht.“
Es ist laut Busch „die Schönheit ohne Begierde, die angedeuteten Regungen, die noch nicht gefühlt werden, die (noch) ungestörte Stille der Seele, die Unschuld. Selbst wenn der >Blue Boy< ein klein wenig forschend schaut, auch er ist völlig in sich ruhend, ohne Leidenschaftsäußerung. Das Blau zählt Goethe zu den Minusfarben, es ist die Farbe der Ferne, uns zwar anziehend, aber vor uns zurückweichend, kühl und dem Dunklen verwandt […]. Es scheint die einzige Farbe, die diesen Ton der Leidenschaftslosigkeit halten kann und dennoch Sehnsucht auslöst. Doch Blau ist auch die Farbe der Homosexualität, Pamour bleu […]. Der Tumult der Sinne, der bevorsteht, von dem der Knabe aber noch nichts weiß, ist in die Landschaft verlagert, in den Gewitterhimmel, der warm aufgeladen ist und seine Erfüllung im Orange der Sonne am Horizont andeutet.“
Ich finde es wichtig, in Anbetracht des direkten Bezugs der Masterpiece Collection zu bestimmten, allesamt extrem bekannten Kunstwerken beziehungsweise Gemälden, den Hintergrund abzuklopfen, deren Bedeutung, Bedeutsamkeit, Besonderheit. Und bin nun gespannt, wie Zarokian den Blue Boy umgesetzt hat olfaktorisch …
Zuallererst … denke ich an Creeds Aventus und bin fast ein wenig enttäuscht. Zu oft schon hat man ihn und sein Gefolge, jene Varianten, Variationen und Klone gerochen in den letzten Jahren. Die Wassermelone ist es, über die ich gestolpert bin, jene fruchtig-aquatischen Anklänge, mit denen unser Blue Boy zu winken scheint, von säuerlich-saftigem Cassis getränkt und zitrisch angestrahlt. Und dennoch bleibt es nicht dabei, weder beim Aventus noch beim überschwänglich fruchtig-frischen Herzen. Grün umrankt zeigt sich unser Junge, subtile Grüngrasigkeit, die bisweilen samtig-salzig an Vetiver gemahnt und … Safran. Da ist er. Ganz sacht akzentuiert er, bereit den Weg vor für die äußerst hintergründig und geschickt eingesetzten Ledernoten. Sacht angedeutet, irgendwo im Hintergrund, begleitet von cremiger Sauberkeit dank des Jasmins.
Bleu Satin ist – jung. Und dynamisch. Smart. Sophisticated, aber nicht traditionell und sicher auch nicht klassisch. Er zeichnet genau jene unbekümmerte oder schlafende Unschuld nach, die Busch in seinem Aufsatz als Aussage des Bildes zusammenfasst – reine Schönheit, viele Möglichkeiten, angelegt, aber noch träumend und deshalb nur angedeutet. Für mich eine ziemlich gelungene Umsetzung des Themas. Falls es noch nicht klar war – Bleu Satin ist selbstredend für beide Geschlechter geeignet, obschon er einen Tick mehr ins Maskuline schielt, angedeutet 😉
Morgen geht es weiter mit der Masterpiece Collection – bis dahin alles Liebe und viele Grüße
Eure Ulrike
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