… ist unser heutiges Sujet, der neueste Streich des französischen Hauses, für den einmal mehr Aurélien Guichard verantwortlich ist. Guichard kann als „Hausparfumeur“ von Piguet bezeichnet werden, gehen doch alle neuen Kreationen, seit dem die Marke wieder Düfte lanciert, auf sein Konto. Wem Piguet noch kein Begriff ist – in unserem Duftverzeichnis findet Ihr die bisherigen Rezensionen sowie eine Vorstellung der Marke, seht hier.
Wie eingefleischte Parfumistas bereits erkennen – es ist etwas neu, nämlich die Verpackung. L’Entier ist der erste Duft, der in einer aufwendigeren und zugegebenermaßen sehr schönen Umverpackung ausgeliefert wird. Ich bin hier etwas zwiegespalten: Ich mag dieses neue Packaging, bin aber keiner der Käufer, der nach dem Drumherum geht. Mir kommt es in erster Linie auf den Duft an, auch der Flakon ist für mich zweitrangig. Darüber hinaus mag ich das schlichte Packaging von Piguet sehr, sowohl was den Art déco-Flakon angeht als auch die Papierverpackung. Es ist bislang noch nicht klar, ob, wie und, wenn ja, wann der Rest der Kollektion umgestellt wird. Und – ich stelle es mir schwierig vor, Klassiker wie den Banditen oder Fracas optisch „festzulegen“ mit einer fotografisch verzierten Verpackung. Dafür sind die Düfte zu sagenumwoben, zu altehrwürdig, zu geschichtsträchtig, zumindest meiner Meinung nach. Wie seht Ihr das? Wie steht Ihr generell zu Verpackungen, welche Priorität haben sie für Euch, sowohl Flakon als auch Umverpackung?
Sehnsuchtsort See, Faszination Meer – Robert Piguets L’Entier
„Der Mensch und das Meer – die Geschichte einer uralten Faszination. Die Anziehungskraft, die die See auf den Menschen ausübt, inspiriert Künstler und Literaten seit Jahrhunderten. Mehr noch, sie lässt sich zurückverfolgen bis in die Antike. L’Entier ist eine Hommage an das Meer, an seine Grenzenlosigkeit, seine Unbezähmbarkeit.
L’Entier – ein poetisches Duftgemälde, genauso geheimnisvoll, mannigfaltig und lebhaft wie sein Vorbild. „Warum gewährt der Anblick des Meeres ein so unendliches und ewiges Entzücken? Weil das Meer gleichzeitig die Vorstellung der Unermesslichkeit und der Bewegung erweckt.“ — Charles Baudelaire
Im Auftakt empfangen uns maritime Anklänge, das Tosen der See und die salzgekrönte Gischt nachahmend, von Bergamotte zitrisch angehaucht. Pudrig-erdige Iris greift die Salzigkeit auf und betont im Zusammenspiel mit Oud die mysteriöse Tiefe des Duftes, während Muskatellersalbei und Palmarosa für subtil grüne als auch florale Anklänge sorgen. Die Basis aus kostbaren Harzen und vanillegeküsstem Sandelholz wärmt balsamisch und süß, den Strahlen der Sonne nacheifernd. Und vervollkommnet so das Bild, löst das Namensversprechen ein: L’Entier empfindet die Gesamtheit der See nach, ihr Wesen und das, was sie umgibt.“
Die Ingredienzen:
Kopfnote: Maritime Noten, Bergamotte
Herznote: Muskatellersalbei, Iris
Basisnote:Adlerholz (Oud), Ambra, Sandelholz, Vanille, Cumarin, Tonkabohne
Der eine oder die andere wird es bereits ahnen – die deutsche Duftbeschreibung stammt aus meiner Feder. Und eigentlich kann man, konnte ich gar nicht anders, als an die vielen Literaten denken, die ihrer Begeisterung für das Meer Ausdruck verliehen haben in ihren Werken. „Das Meer ist der letzte freie Ort auf der Welt“ steht bei Hemingway zu lesen, der mir neben obigem Baudelaire-Zitat selbstredend auch sofort eingefallen ist. An Verne musste ich auch denken und das Zitat für Euch googeln:
„Das Meer ist alles. Es bedeckt sieben Zehntel der Erde. Sein Atem ist rein und gesund. Es ist eine immense Wüste, wo ein Mann nie alleine ist, in dem er fühlen kann, wie das Leben aller in ihm bebt. Das Meer ist nur ein Behälter für alle die ungeheuren, übernatürlichen Dinge, die darin existieren; es ist nicht nur Bewegung und Liebe; es ist die lebende Unendlichkeit.“ – Jules Verne, 20.000 Meilen unter der Erde
Natürlich sind nicht nur Literaten beziehungsweise Künstler fasziniert von der See, keine Frage – sie geben diesem uralten Schwärmen des Menschen einfach nur eine Form. Und dennoch – das Verhältnis des Menschen zum Meer ist kein ungetrübtes. Das Meer, das ewig und endlos scheint, auf irgendeine Art Metapher für alles Mögliche sein kann, für das Leben, für das Streben, die Seele … und gleichermaßen auch bedrohlich wirkt in seiner Unbezähmbarkeit, seiner Tiefe, seiner Weite. Wen diese Thematik interessiert, das Verhältnis zwischen Mensch und Meer, dem sei an dieser Stelle ein exzellentes Buch als Tipp mit auf den Weg gegeben: die Philosophie des Meeres von Gunter Scholtz. Ein paar gute Rezensionen habe ich Euch herausgesucht: Frankfurter Rundschau, Neue Züricher Zeitung, Tagesspiegel.
Kommen wir aber zurück zu L’Entier: Wie unschwer zu erkennen, ist der Duft dem Meer gewidmet, spielt aber bereits mit seinem Namen darauf an, dass er sich nicht damit begnügt, sich lediglich auf das kühle Nass zu beziehen. L’Entier heißt übersetzt das Ganze, hier ist also die Gesamtheit (mit)gemeint, das Meer und seine rein räumliche Umgebung, sein „Untergrund“ sowie all die Assoziationen, die wir mit ihm verbinden, rein- und rauslesen, so zumindest interpretiere ich das. Und meines Erachtens nach passt diese Lesart auch zum Duft, denn wer hier einen typischen Aquaten vermutet oder einen weiteren Segelduft, einen Maritimen mit ein bisschen Treibholz, der geht zwar nicht gänzlich fehl, greift aber zu kurz.
L’Entier verspricht nicht nur das Ganze zu sein, sondern geht auch auf’s Ganze: Er verknüpft zwei Duftrichtungen, die bisher herzlich wenig miteinander zu tun hatten, vielleicht sogar drei. Und reiht sich damit nahtlos ein in die Riege der letzten Piguet-Kreationen, von denen man Gleiches behaupten konnte. Die Rede ist von Oud Délice und Oud Divin, die ich hier rezensierte. Beide waren Vorreiter einer Spielart der Ouddüfte, die bis dato vollkommen unterrepräsentiert um nicht zu sagen kaum bis nicht vorhanden waren auf dem Markt – der der Gourmand-Ouds. L’Entier wiederum öffnet in meinen Augen ein komplett neues Kapitel innerhalb der Gattung der Ouddüfte: wir haben es hier mit einem maritimen Oudduft zu tun, der darüber hinaus Solar-Anklänge besitzt.
Solar – dieses Wörtchen ist immer wieder aufgetaucht im Englischen die letzten Jahre und bezeichnet dort eine noch neue Duftrichtung, Düfte, die sonnig sind, sonnig wirken, strahlend warm und hell. Und ich habe immer wieder meine Probleme damit, den Begriff ins Deutsche zu übersetzen: Sonnendüfte, sonnige Düfte, das trifft es nicht exakt und hört sich überdies seltsam und auf eine Art dämlich an 😉 Insofern bleibe ich bei „solar“, bis mir oder jemand anderem ein besserer Begriff dafür einfällt.
L’Entier beginnt frisch, und zwar mit einer Brise, jenem luftig-leichten Windchen, das einem an der See gerne mal um die Nase pfeift. Ein ozonig-maritimes Lüftchen, das von salziger Gischt erzählt und Anklänge von Tang und Dünengräsern in sich trägt. Und während ich noch schwelge, wird es warm, wärmer, sandiger – Oud und Iris sind dafür verantwortlich, für jene balsamische, würzige Wärme, die wie heller, sonnengewärmter Sand wirkt, wie sonnenwarme Haut, welche leise Sonnenmilchspuren erahnen lässt. Sonne, Sonne, Sonne – und Sand, Ihr ahnt es schon, L’Entier zitiert zwar Maritimes und Wasser, ist aber in allererster Linie ein goldener Duft, er wirkt strahlend und leuchtend Gelb in meinen Augen, für meine Nase. Allumfassende Pudrigkeit mit sachte animalischen Anklängen kommt im weiteren Duftverlauf hinzu und begleitet den Duft bis in die Basis, die vanille(creme)geküsste.
L’Entier ist neu, innovativ und toll – ich bin überaus angetan und absolut sicher, dass er mir im Winter an einigen Tagen die Sonne und deren Wärme ersetzen wird! Ich bin gespannt auf Eure Meinung – berichtet mal, wenn Ihr getestet habt! Für Irisfans ist er, überflüssig zu erwähnen, im übrigen in jedem Fall einen Schnupperer wert.
Viele liebe Grüße und einen schönen Tag Euch
Eure Ulrike
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