Die Atelier Des Ors White Collection …

… ist heute an der Reihe. Man findet (noch) sehr wenig im Netz, dafür einen langen Videoclip von Smelling Great Fragrances, in dem es neben dem Trio auch um den dieser Tage rezensierten Bois Sikar geht:

Die White Collection von Atelier Des Ors ist wohl als olfaktorisches Triptychon geplant (und umgesetzt worden) und umfasst drei Düfte – Chœur Des Anges, Crépuscule Des Âmes und Nuda Veritas. Motiv derselben ist nicht, wie gestern wild gemutmaßt, ein religiöses, sondern ein existentielles  – „the pursuit of happiness“, das Streben nach Glück. Schwergewicht, ganz klar. Wenn ich jetzt krame und die Rudimente meines Philosopiestudiums bemühe, sitzen wir morgen noch da 😉 In jedem Fall ist es ein existentieller Drang, eine existentielle Frage, die dahintersteckt. Eine, die so alt ist wie die Menschheit selbst. Was ist Glück? Wie erreiche ich es, vielmehr einen Zustand desselben?

Interessant ist im übrigen – jetzt muss ich doch kurz ausholen -, dass wir in der deutschen Sprache dafür nur ein Wort kennen. Das ist in anderen Sprachen anders und es verwundert, da die deutsche Sprache ansonsten eigentlich eine recht umfangreiche und genaue ist. Die englische Sprache kennt mindestens zwei Worte für das, was wir als Glück bezeichnen: „happiness“ und „luck“.

Rudolf Friedrich August Henneberg „Die Jagd nach dem Glück“ (1866)

Wonach streben wir, wenn wir Glück meinen? Bestimmt hätten wir beides gerne, sowohl „luck“ als auch „happiness“, vor die Wahl gestellt, würden sich die meisten Menschen allerdings für letzteres Glück entscheiden. „luck“ bezeichnet das Zufallsglück, die launische Fortuna, die uns hin und wieder hold ist im Leben, die sich aber nicht binden will und lässt und nie von Dauer ist. „happiness“ dahingegen bezeichnet einen Zustand. Einen Zustand der Glückseligkeit, die für unsere Ohren fast schon zu abgehoben klingt. Was ist gemeint? Ein Zustand der Zufriedenheit, der inneren Balance. Innen, genau – „happiness“ kommt von innen, muss von innen kommen. Und hat somit nichts mit Besitz zu tun, eher mit Eigentum – mit Dingen, genauer: Immateriellem, mit Eigenschaften und Einstellungen, die einem keiner nehmen kann. Die man selbst beeinflussen kann und kontrollieren. Eine Binsenweisheit, eigentlich. Derjenige, der sein Lebensglück so weit es eben geht unabhängig macht von extrinsischen Einflüssen, hat eine größere Chance auf das Glück. Wer sich gedanklich frei macht von dem Erreichen oder Halten von Zuständen und Dingen, auf die er selbst wenig bis keinen Einfluss hat, ist unabhängig(er) – und kann somit wahrscheinlicher zu einer Form der (inneren) Zufriedenheit finden. Ihr seht schon – Glück ist Arbeit. An der eigenen Einstellung, den eigenen Gedanken.

Initial depicting Boethius teaching his students from folio 4r of a manuscript of the Consolation of Philosophy (Italy?, 1385) – Glasgow University library via Wiki Commons

Was sich so „hip“ liest, ist im übrigen ein uralter Gedanke. Wer diesen einmal vertiefen möchte und keine Lust auf einen der unzähligen „Lebensratgeber“ hat, sollte sich die Schrift Consolatio philosophiae, Der Trost der Philosophie von Boethius kaufen und sich das dritte Buch daraus zu Gemüte führen. Es ist auch online verfügbar – siehe z.B. hier. Entstanden ist es im 6. Jahrhundert, und zwar kurz vor der Hinrichtung von Boethius – es wird kolportiert, dass er es im Kerker geschrieben habe, mag sein, dass dieser eher eine komfortable Stube mit Zugang zu einer Bibliothek war. Nichtsdestoweniger – Boethius wurde 524 oder 526 aufgrund von politischer Einmischung als Hochverräter hingerichtet. Seine spätantike Schrift Consolatio philosophiae wurde zu einer Art Bestseller und bereits im folgenden Mittelalter breit rezensiert und beackert. Keine Angst – das dritte Buch ist nicht besonders lang und einfach verständlich geschrieben, es lohnt sich noch heute.

„The Child of Fortune“, 1801 (oil on canvas) by Bouillon, Pierre (1776-1831); Musee des Beaux-Arts, Rouen, France; Peter Willi; French, out of copyright

Jetzt bin ich doch abgeschweift 😉 Zurück zu Atelier Des Ors, der White Collection und deren Motiv, dem Streben nach dem Glück: Jeder Duft bezieht sich auf ein bestimmtes Stadium des Wegs – und wird symbolisiert durch ein Kunstwerk, das wohl mit als Inspirationsquelle gilt. Die Rede ist von Klimts Beethovenfries, das sich auch Beethovens Neunte Symphonie bezog und diese wiederum auf Schillers Gedicht An die Freude.

Ganz schön viel Kultur heute, nicht? Dennoch, muss sein, mich stört es auch nicht, ganz im Gegenteil 😉 Ich hoffe, das gilt auch für Euch!

Autograph von Schillers Ode an die Freude, 2011 bei Moirandat in Basel versteigert – via Wiki Commons

Schillers An die Freude kennt jeder – das Gedicht beginnt mit „Freude schöner Götterfunken, Tochter aus Elisium“ … na, klingelt’s? Hier komplett, zur Abwechslung mal vorgelesen:


Das 1785 entstandene Gedicht wurde von Ludwig van Beethoven im vierten Satz seiner berühmten 9. Symphonie vertont und als Ode an die Freude bekannt.

Schlussendlich fehlt noch das Beethovenfries von Gustav Klimt – die Hard Facts:

  • 1901 gemalter Bilderzyklus
  • herausragendes Kunstwerk des Wiener Jugendstils
  • Größe: 34 (!) mal 2 Meter
  • erstmalig anlässlich der 14. Ausstellung der Vereinigung Bildender Künstler der Secession ausgestellt im Jahr 1902
  • drei Themengruppen, u-förmig gruppiert um die Beethoven-Skulptur von Max Klinger als Teil des als Gesamtkunstwerk inszenierten Ausstellungsprojekts von Josef Hoffmann

Die Themengruppen nach Wiki:

  • Die Sehnsucht nach Glück. Die Leiden der schwachen Menschheit: Die Bitten dieser an den wohlgerüsteten Starken als äußere, Mitleid und Ehrgeiz als innere treibende Kräfte, die ihn das Ringen nach dem Glück aufzunehmen bewegen…
  • Die feindlichen Gewalten. Der Gigant Typhoeus, gegen den selbst Götter vergebens kämpften; seine Töchter, die drei Gorgonen. Krankheit, Wahnsinn, Tod. Wollust und Unkeuschheit, Unmäßigkeit. Nagender Kummer. Die Sehnsüchte und Wünsche der Menschen fliegen darüber hinweg…
  • Die Sehnsucht nach Glück findet Stillung in der Poesie. Die Künste führen uns in das ideale Reich hinüber, in dem allein wir reine Freude, reines Glück, reine Liebe finden können. Chor der Paradiesengel. „Freude, schöner Götterfunke“; „Diesen Kuss der ganzen Welt!“

Allegorien also, Allegorien des menschlichen Suchens, Strebens, der menschlichen Leidenschaften und Sehnsüchte. Schauen wir mal, ob uns das im Hinblick auf die Düfte der White Collection weiterhilft 🙂

Der Anfang – Nuda Veritas

Nuda Veritas – die nackte Wahrheit. Nein, nichts Sexuelles und erst recht nichts Brachiales, wenn man sich das obige Video ansieht und den Erläuterungen lauscht: Nuda Veritas bezeichnet den Anfang des Strebens, der Suche nach dem Glück. Unschuldig ist dieser sicherlich (noch?), insofern leuchtet die Leichtigkeit ein, die zarten Zutaten: Bergamotte, Orangenblüte, Calone, Osmanthus, Jasmin, Tiaré, Tagetes, Patschuli, Ambroxan, Eichenmoos, Ambrettesamen.

Calone ist im übrigen ein synthetisches Molekül, das 1951 bei Pfizer entdeckt wurde (die, wie so oft, eigentlich an etwas ganz anderem forschten bzw. andere Resultate im Blick hatten). Die Geschichte der Ingredienz, die einen aquatisch-maritim-grünen Duft hat, der oft an Wassermelonen oder auch an Austern erinnert, könnt Ihr in diesem netten Fragrantica-Artikel nachlesen.

Nuda Veritas besitzt dank des Calones auch eine Facette, die tatsächlich die Neunziger wieder auferstehen lässt und deren aquatische Düfte, in denen es viel verwendet wurde: Sauber-aquatisch beginnt der Duft und erinnert sowohl an die Klassiker aus der aquatischen Duftfamilie als auch an die Fraktion derjenigen Düfte, die ich immer – analog zu Tempo und Taschentuch – anhand des Markennamens beschreibe, mit dem sie bekannt geworden sind, Clean. Falls jemand nun Angst bekommt … braucht Ihr nicht zu haben, die Verwandtschaft ist da, Calone ist zu prägnant, allerdings duftet Nuda Veritas mitnichten „preiswert“, dafür ist er zu gut ausbalanciert, zu komplex. Neben besagter Anklänge finden sich auch zarte Blumen, viel cremiger Jasmin, der watteweiß und strahlend wirkt und mich wiederum an die Narciso Rodriguez-Düfte erinnert. Im weiteren Duftverlauf wärmt die Basis noch ein wenig, ohne den Duft allerdings zu einer hitzig-temperamentvollen Latina werden zu lassen – er bleibt eine Sauberfrau, eine helle, eher kühle.

Ein sanfter Seelenschmeichler, unschuldig und seidig-weiß. Einer für Frauen, das habt Ihr Euch sicherlich schon gedacht 😉

Seine beiden Nachfolger sehen wir uns bald noch an – für heute allerdings wünsche ich Euch ein schönes Wochenende und sende Euch viele liebe Grüße

Eure Ulrike

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Ulrike Knöll Verfasst von:

Meine Liebe gilt seit jeher dem Ästhetischen: Mir geht das Herz auf bei jeglichen Dingen, die durch Form, Funktionalität, Design und Herzblut zu überzeugen wissen. Und wenn dann noch ein Quäntchen Historie dazu kommt, ist es meist ganz um mich geschehen … Ich bin der Nischenparfümerie mit Haut und Haaren verfallen und immer auf der Suche nach dem – oder vielmehr: einem – neuen heiligen Gral. Diese Suche sowie mein ganzes Interesse und meine Begeisterung möchte ich gerne mit Euch teilen!

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