… bildet den Abschluss meiner Rezensionsreihe – vorerst, hoffe ich! Aus der Hauptstadt kommt die Marke von Mario Lombardo – und huldigt mit Saint dem pulsierenden Großtstadtleben, setzt ihm ein duftendes Denkmal.
Sich verlieren – Saint
„Saint zelebriert den Moment vom Flirt hin zum leidenschaftlichen Tanz mit dem Augenblick. Inspiriert von schillernden Festnächten, schlägt dieses Eau de Parfum die Brücke zwischen den exklusiven Pariser Partys der 20er Jahre und den exzessiven Clubnächten in den kühlen Betonclubs im Berlin von heute.
Der Duft verströmt Begierde, Lust und Eleganz zugleich. Eine frische Kopfnote aus Bergamotte eröffnet diesen Duft voller Neugier, die Herznoten aus Zeder, Amber und Leder verführen, machen ihn unmittelbar, fordernd, nah und tief, um sich in dem Strudel der Basisnoten aus Vanille, Tabak und Moschus sinnlich zu verlieren. Ein Duft für den besonderen Anlass. Sophisticated, edgy und modern.“
Party ist das Motto – und ich fühle mich fast ein wenig alt. Es ist lange her, dass ich das letzte Mal in Berlin war. Und noch länger, dass ich das letzte Mal dort feiern war. Von anderen rauschenden Partynächten wollen wir gar nicht erst sprechen, dennoch reizt mich die Beschreibung des Duftes ungemein.
Eingeschworene Leser/innen kennen die Macht der Worte, der Triggerbegriffe, die hier gefallen sind: Die Zwanziger Jahre lese ich augenblicklich als Fin de Siècle – und denke an Salonkultur (sowie ferner im Zusammenhang mit Betonclubs und Jetztzeit an diverse Kellerclubs, an das Berghain …). Und an Baudelaires und Benjamins Flaneur, der sich auch bei Rilke und Konsorten findet. Jenen Dandy, der sein weibliches Pendant in Prousts Passante findet, ein Individuum, das im Strom des Metropolenlebens untertaucht, sich treiben lässt, beobachtet, reflektiert. Jener „Mann in der Menge“ (Poe), ein sensibler Melancholiker auf der Suche nach zeitloser Schönheit, auf eine Art zerrissen im Spannungsfeld zwischen urbaner Anonymität und der bisweilen (ebenso) einsamen Individualität als Einzelner, ein Fühlender, oftmals genug Spiegel der Gesellschaft oder zumindest einem Teil davon. Einer, der sich kopfüber in die Vielfalt der Erfahrungsmöglichkeiten stürzt, danach trachtet, sich zu zerstreuen und zu verlieren, um … eins zu werden, sich zu erfahren, ja, sich schlussendlich selbst zu finden.
Ihr seht schon, genau meins 😉 Und die passende Mucke spielt schon in meinem Kopf und wird selbstredend auch gepostet, nachdem wir gestern mit Closer und Joy Division damit angefangen haben … Molly Nilsson ist im übrigen – Wahlberlinerin, war ja klar, oder?
Aber bevor ich mich jetzt hier an Ort und Stelle verliere, widmen wir uns doch unserem Heiligen – Saint. Der Name liest sich wie ein Versprechen – und eben dieses wird auch eingelöst, soviel vorab …
Sidonie Lancesseur war die Frau an den Phiolen – einmal mehr eine erfahrene Parfümeurin, die man sich mit ins Boot geholt hat. Bekannt ist sie unter anderem durch etliche Kreationen für by Kilian (unter anderem Cruel Intentions, Black Oud, Incense Oud, Straight to Heaven), den tollen Lumière Blanche für Olfactive Studio, Lippizan und Shagya für Parfums de Marly, Amouages Sunshine Woman, Nin-Shar für Jul et Mad, die beiden Schönlinge L’Humaniste (aka guter Gin Tonic im Flakon!) und 1270 für Frapin und so weiter und so fort.
Saint nebelt mein Näschen zuallererst ein wie die entsprechenden Maschinen in den Clubs. Durch den sich schnell verflüchtigen alkoholischen Auftakt dringt ein zitrisches Leuchten von Bergamotte, prickelnd, dynamisch und luzide strahlend, darüber hinaus von einer gewissen abstrakten, kühlen Sauberkeit. Hier bildet unsere Hesperidenfrucht einen interessanten Gegenpol zu dem übrigen Geschehen auf meiner Haut, das nur auf den ersten Blick, der an der Zitrusfrucht haften blieb, in den Hintergrund gerückt ist. Eigentlich ist das genau jenes Szenario, das einen erwartet, wenn man in einen Club kommt: Man steigt oftmals hinab oder läuft wenigstens einen Flur durch die Dunkelheit und steht dann erst einmal im Licht der Scheinwerfer, geblendet. Es ist – Licht. Und Nebel. Danach, nur wenige Augenblicke später wird man dessen gewahr, was sich um einen herum abspielt, entdeckt die anderen inmitten der Schwaden des Nebels. Feiervolk, Nachtschwärmer, die im Stroboskopzucken zu einer pulsierenden Masse verschmelzen, die zu den Rhythmen der Musik wogt – auf dass die Nacht kein Ende findet …
Saint wallt über meine Haut, verspielt und kokett-flirty, der Zitrusfrische der Bergamotte samtene Rauchigkeit entgegensetzend. Die Mischung aus Tabak und Vanille macht’s – und erinnert im allerbesten Sinne an ähnlich dicht gewebte rauchige Verführerungsmomente wie man sie beispielsweise in Serge Lutens‘ Chergui findet (der allerdings süßer, insgesamt orientalischer, opulenter ist) oder in dem seltenen und vollkommen zu Unrecht relativ unbekannt gebliebenen Signature von Fifi Chachnil. Wenn wir es schon von dieser wunderschönen Diva haben, die entgegen aller Erwartungen in Anbetracht ihres schnörkelig-roséfarbenen Auftretens ordentliche Tabak- und Rauchnoten entwickelt und es somit faustdick hinter den fein gepuderten Öhrchen hat – auch Saint ist nicht ganz so unschuldig, wie man es zugegegebenermaßen auch nur beim ersten Klang des Namens vielleicht erwartet hat. Genauso wie die Roséfarbene versteckt Saint in seinen samtigen, würzig-warmen Rauchschwaden Ledernoten, karamellig anmutende. Das ist kinky, meine Lieben, und ziemlich sexy.
In Saint kann man versinken, mit Saint kann man sich verlieren. Achtung, Suchtgefahr. Der könnten im übrigen auch Freunde von L’Artisan Parfumeurs Dzing! erliegen.
Fazit hinsichtlich Atelier Oblique – testen, meine Lieben, und zwar schnell! Am besten parallel dazu mal wieder die Joy Division-Platten aus dem Regal kramen, wenn schon denn schon, schaden tut es in keinem Fall. Mein persönlicher Favorit ist und bleibt Closer, der, wie ich fürchte, demnächst einziehen muss, ich kann und will mich nicht dagegen wehren …
Liebe Grüße und einen schönen Tag
Eure Ulrike
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