… ist mir bereits letztes Jahr auf einer der italienischen Messen begegnet – ich meine, es war die Esxence in Mailand.
Tubéreuse Manifeste, Couleur Fauve und Sens Abstrait heißen die drei Hübschen, mit denen wir uns heute und morgen befassen werden. Für diejenigen unter Euch, die Evody noch nicht kennen oder vielleicht die Hintergründe der Marke vergessen haben, da wir schon lange nichts mehr zu berichten hatten, hier noch eine kurze Zusammenfassung.
Französische Familienbande – Evody
Frauenpower: Hinter Evody stecken zwei Frauen, und zwar Mutter und Tochter, Régine Droin und Cérine Vasseur. Droin begann ihre Karriere in der Kosmetikindustrie und machte später mit Evody ihren Traum von der eigenen Marke wahr, an der Vasseur tatkräftig beteiligt ist. Vasseur wurde die Liebe zu Kosmetik und Düften in die Wiege gelegt, sie startete ihre Berufslaufbahn in der Fashionindustrie, um dann alsbald umzuschwenken und mit ihrer Mutter Evody zu stemmen. Dem voraus ging allerdings noch Evody, der Shop – Mutter und Tochter gründeten 2006 zuerst das gleichnamige Ladengeschäft, eine reine Nischenparfümerie mitten im Herzen von Saint Germain des Prés.
Die Marke Evody wurde benannt nach Evodia, Euodia,Tetradium daniellii, auf Deutsch auch: Tausendblütenstrauch, Bienenbaum, Honigesche, Wohlduftraute oder, mein Lieblingsname, Samthaarige Stinkesche 😀
An Düften gibt es mittlerweile einige, Evody ist unterteilt in drei Kollektionen: Die Collection Première mit zur Zeit acht Düften, die Collection d’Ailleurs mit zur Zeit fünf Düften und seit letztem Jahr unser Trio der Collection Galerie, die sich von zeitgenössischer Kunst inspiriert sieht, von der poetischen Begegnung zwischen Malerei und Parfum …
Die Königin der weißen Blüten – Tubéreuse Manifeste
Tubéreuse Manifeste widmet sich, wie der Name schon verrät, der Tuberose, jenem Vorzeigeweißblüher, der normalerweise geschmacklich ein Spalter ist – entweder man liebt sie oder man hasst sie, viel dazwischen gibt es kaum. Meine Liebesgeschichte bezüglich der Tuberose war eine nicht einfache, über die ich schon mehrfach im Blog berichtet hatte, vor allem aber in diesem älteren Artikel sowie in diesem Blogbeitrag. Werfen wir doch mal einen Blick darauf, wie Evody diese verehrte und gleichermaßen gefürchtete Ingredienz umzusetzen gedachten:
„Tubéreuse Manifeste wurde vom Surrealismus inspiriert und ist eine vollständige Neuinterpretation einer Blüte. Den Duft verfremden, das Unterbewusstsein wachrufen, die Regeln sprengen, die Tuberose, die unerwartete Facetten der Provokation vermittelt … Sie wird narkotisch, süchtig machend, gar berauschend sein. Ein Ausflug in einem erotischen Traum, lustvoll und sinnlich.“
Die Ingredienzen: Kopfnote: Rum, Kamille, Grüne Noten; Herznote: Davana, Tuberose, Rose, Iris; Basisnote: Labdanum (Zistrose), Vanille, Animalische Noten, Leder.
Der Name von Tubéreuse Manifeste kann sich in diesem Zusammenhang eigentlich nur auf André Bretons zwei Manifeste beziehen, die er 1924 und 1930 verfasste und die 1962 mit einigen anderen Texten als Les Manifestes du Surréalisme (erneut) erschienen. Sie legten die intellektuellen Grundlagen für den Surrealismus als Kunstrichtung. Bevor ich mich jetzt selbst an einem knackigen Exkurs versuche, zitiere ich der Einfachheit halber Wiki:
„Ausgehend von der dadaistischen Bewegung in Paris war der Surrealismus eine revolutionäre Bewegung, die gegen die unglaubwürdigen Werte der Bourgeoisie antrat. Im Unterschied zum satirischen Dadaismus wurde im Surrealismus eine neuartige Sicht der Dinge, beeinflusst von Symbolismus, Expressionismus, Futurismus, den Schriften Lautréamonts, Arthur Rimbauds, Alfred Jarrys und den Theorien Sigmund Freuds propagiert.“
André Breton war eine der Hauptfiguren der französischen surrealistischen Bewegung, die von der Auffassung ausging, dass es keine objektiv gegebene äußere Wirklichkeit gibt. Die Manifeste finden sich (in Auszügen) im Netz – seht hier auf einer Seite der Uni Graz das erste Manifest.
„Ich glaube an die künftige Auflösung dieser scheinbar so gegensätzlichen Zustände von Traum und Wirklichkeit in einer Art absoluter Realität, wenn man so sagen kann: Surrealität. Nach ihrer Eroberung strebe ich, sicher, sie nicht zu erreichen, zu unbekümmert jedoch um meinen Tod, um nicht zumindest die Freuden eines solchen Besitzes abzuwägen.“ André Breton, Erstes Manifest des Surrealismus
Falls Ihr Euch fragt, welche Künstler dem Surrealismus zuzurechnen sind – eine Menge, mal mehr und mal weniger: Angefangen von Antonin Artaud, Louis Aragon, Georges Batailles, Luis Buñuel, Philippe Soupault, Robert Desnos, Paul Éluard, René Magritte, Man Ray, Max Ernst, Salvador Dalí, Joan Miró, Dora Maar, Frida Kahlo und so weiter und so fort. Eine durchweg beeindruckende Liste.
An Filmen sind vor allem Ein andalusischer Hund und Das goldene Zeitalter zu nennen von Buñuel und Dalí – letzterer schuf auch eine Traumsequenz für Hitchcocks Spellbound, seht hier:
Heutzutage gibt es ebenfalls etliche Filmemacher, die sich vom Surrealismus inspiriert sehen – Ihr kennt ganz bestimmt David Lynch (z.B. Eraserhead, Blue Velvet, Mulholland Drive, Lost Highway und seine Serie Twin Peaks), darüber hinaus vielleicht auch den Chilenen Alejandro Jodorowsky?
Und was ist der Surrealismus jetzt genau? Eine geistige Bewegung, die in den Zwanziger Jahren ihren Anfang nahm und sich als Lebenseinstellung, -haltung, -perspektive, -zugang gegen die Norm(en) richtete. Eine Bewegung, die sich auf Kunst, Literatur, Kultur, Film und Medien erstreckte, sich philosophisch mit den Gegebenheiten auseinandersetzte und psychoanalytisch durchdrungen war. Der Fokus lag auf den „Nachtseiten“, bei Freud dem Es, jenen Trieben, dem Unbewussten, dem Traumhaften, Phantastischen. Hier passt eine Tuberose natürlich außerordentlich gut, ist sie doch eine narkotisierende, rauschhafte Blüte, die ebenfalls mit den „Nachtseiten“ assoziiert wird.
Tubéreuse Manifeste startet mit Klassikerzitaten, jene Facetten der Tuberose beleuchtend, für die man sie liebt … oder eben fürchtet 😉 Einerseits meine ich damit jene an Kampfer erinnernden, fast schon mentholisch anmutenden kühlen und abstrakt-metallischen Noten, andererseits aber auch eine pastellrosafarbene Kaugummiblase, die an Piguets Ikone Fracas erinnert. Das ist gleichermaßen distanziert und distinguiert als auch lockend und lüstern, erotisch, verführerisch, kokettierend. Und das gleich doppelt, weil Tubéreuse Manifeste etwas anders macht als die meisten Tuberosen: Die Basis des Duftes schwelt, glimmt und glüht und sorgt so für Ambivalenz.
Wenn ich kurz brainstorme, fallen mir unzählige Tuberosen ein, auch viele wahre Tuberosenschönheiten, wenn ich jetzt an thematisch solifloral angelegte Tuberosendüfte denke. Die meisten zelebrieren die kühne Kühle, die kühle Kühnheit dieser floralen Femme Fatale. Wärmere, eventuell gar orientalisch anmutende Tuberosen gibt es ganz ganz wenige … eine Herbsttuberose wärmereren Naturells ist beispielsweise der wundervolle Amoureuse von Delrae Roth. Der neue Knaller von Atelier Cologne, Café Tuberosa, sowie Olfactive Studios Ombre Indigo. Bei Histoires de Parfums findet sich das extravagante Tuberosentrio Les Tubéreuses, die ich einmal wieder testen sollte – ich habe sie als sehr spannend und schön in Erinnerung. Da waren auch ein, zwei wärmere Tuberosen dabei. Lancômes Tubéreuses Castane ist eine interessante Kombination aus Tuberose mit Kastanie und Gourmandnoten – da verließen sie ihn oder besser mich aber auch schon wieder … ich weiß, dass ich noch ein paar vergessen habe, dennoch ist die Auslese nicht so üppig. Tubéreuse Manifeste spielt nun mit diesen beiden Seiten – und es funktioniert hervorragend. Irgendwo mittendrin nehme ich Anklänge von Papiernoten wahr, die einer ganz leicht pudrigen, sehr einzigartigen Trockenheit geschuldet sind, die darüber hinaus einen Hauch fruchtig-likörige Üppigkeit, sacht verstaubte atmet – das ist definitiv Davana, die bisweilen in ein Schlückchen Rum geplumpst ist. Und hat etwas von einer belesenen Diva, die gleichzeitig ein Freigeist ist. Dazu wiederum passen die äußerst subtilen, weichen, sanften Noten von Wildleder, das eine Ahnung von Vanille verströmt …
Dabei ist Tubéreuse Manifeste auch noch vollkommen tragbar – dazu bedarf es noch nicht einmal unbedingt des Nebensatzes „für einen Weißblüher, für eine Tuberose“, dennoch … Tuberosen sollte man mögen, ganz klar. Und man sollte eine Frau sein 😉
Morgen geht es weiter mit dem Rest des Trios – bis dahin alles Liebe und viele Grüße
Eure Ulrike
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