Ein neuer Tag mit der New Yorker Duftschmiede Vilhelm Parfumerie, den ich sogleich einleite mit einem Zitat von Ahlgren, dem Gründer: „I was overcome by their power to capture, convey and elicit emotions.“ Um Emotionen geht es also – ein alter Hut, aber ein nach wie vor wesentlicher und einer der spannendsten, wenn es um Düfte geht, oder nicht? Meine nachhaltige Begeisterung für die Kollektion habt Ihr schon mitbekommen, solltet Ihr Euch der Lektüre der vorangegangenen Rezensionen gewidmet haben – und ich bin rasend gespannt, ob mich, ob uns noch weitere Düfte erwarten, die zum Holy Grail werden könnten … Die heutigen potentiellen Anwärter: Stockholm 1978, The Oud Affair und Modest Mimosa.
Summer in the City – Stockholm 1978
„Fresh and calming memories – Summer in Stockholm. The sun is an amulet, suspended above the city. Each evening, it contemplates its descent only to change its mind and return to its position overhead. Under its perennial glow, night fuses with day, creating a feeling of limitless possibility. Crisp lemon zest, warm almond, the uplift of geranium, with a tinge of patchouli and a drift of faraway green fields in the breeze.“
Stockholm 1978 ist nach Morning Chess der zweite Skandinavien-, vielmehr Schwedenduft von Ahlgren. Warum, wieso, weshalb – diese Fragen stellen sich logischerweise nicht, Ahlgrens Wurzeln sind schwedisch, wie der Name schon verrät.
Ich selbst war genau ein Mal in meinem Leben in Skandinavien, mit ungefähr 15 Jahren. Es war eine Jugendfreizeit, bei der Zelten, Kajakfahren, Schlafen unter freiem Himmel am Fjord und selbstredend auch ein Stockholmbesuch auf dem Programm standen. Ich kann mich an unterschiedlichste Eindrücke erinnern, die zugegebenermaßen persönlich gefärbt sind … Merke: Schweden kann auch richtig heiß werden im Sommer. Die Stechmücken dort sind Killer. Die Schweden sehen alle aus wie Götter, und zwar ganz unabhängig von ihrem Geschlecht. Dort sind alle Menschen schön – ok, fast alle 😉 Stockholm ist – toll. Und voller wunderschöner und freundlicher Menschen. Soweit so gut und so viel zu meinen Teenagererinnerungen 😉
Stockholm 1978 unterscheidet sich davon: Er ist so modern wie die angesagte Mode der Skandinavier – und ich meine jetzt nicht H&M, sondern die ganzen Avantgarde-Labels im Midi- und Hochpreissegment, die trendaffine Großstädter begeistern. Extrem cool ist er, der Duft, „crisp“ trifft es wahnsinnig gut – zitrische Noten, von Kräutern umrankt, die eine Kühle evozieren, die erfrischend ist und kontemporär. Warum? Weil sie definitiv synthetisch daherkommt, abstrakt ist, in großen Teilen nicht natürlich wirkt und auch nicht so wirken möchte. Es sind weniger die Zitrusfrüchtchen, die von Mandelpuder kontrastiert werden, als vielmehr eine Dämpfigkeit ähnlich derjenigen in Textilreinigungen, sauber, verdichtet und auf eine seltsame Art und Weise luftig. Eine Prise Pfeffer konturiert, Geranium haucht Minzfrische ein und dann haben wir da noch eine Basis von Patchouli, Ambra und Moos, die sich in erster Linie moosig-tief und subtil erdig zeigt, auf meiner Haut aber keinerlei Wärme entwickelt.
Für mich ist Stockholm 1978 eben nicht 1978, sondern eher 2016, 2017, und zwar ein Abend in einer Hipsterbar mit Streetart. Passt – und gefällt sicher einigen, auch schon aufgrund seiner absolut hochsommertauglichen Leichtigkeit. Ich allerdings bin hier raus, was zugegeben auch an meiner verfehlten Erwartungshaltung liegt.
Eine spektakuläre Amour Fou – The Oud Affair
„A passionate love affair – An intoxicating scent inspired by the tempestuous affair between the actress Ava Gardner and the famed bullfighter Luis Miguel Dominguin. Dominiguin once said of his lover, “She was the prettiest and the most fierce. I had a fierce wolf in a cage.” The Oud Affair encompasses the push and pull of this passionate love affair, simmering with both tender sweetness and intense mystery. Featuring top notes of Wild Honey and Ginger Butter, a middle note of Tobacco Leaves and base notes of Agar Wood and Black Vanilla Bean.“
Ava Gardner – eine Ikone. Und ihre Liebesaffäre mit dem Stierkämpfer natürlich „hot“ – hier muss ein Marketing-Mensch so gar nichts dazu erfinden, das reicht schon für sämtliche Phantasien, erst recht, wenn der Stierkämpfer Ava quasi als Naturgewalt beschreibt. Es gibt auf Youtube natürlich auch Videos von den beiden, unter anderem eines, wo man sie beim gemeinsamen Stierkampf sieht. Da ich allerdings erklärter Gegner dieser und ähnlicher spanischer „Traditionen“ bin, habe ich darauf verzichtet, es hier zu verlinken.
Wenden wir uns wieder dem heißblütigen Liebespaar zu: Diese Glut einzufangen mit Oud, Honig, einem Hauch Ingwer und Vanille, das liest sich ganz vortrefflich, zumal ich … Oud liebe, immer noch und immer wieder. Gourmand-Ouds gerade en vogue sind, es aber immer noch viel zu wenige Honig-Ouddüfte gibt, obgleich das hervorragend harmoniert (siehe die beiden Vorzeigekandidaten Oud Délice von Piguet und Xerjoffs Mamluk aus deren Oud Stars-Kollektion).The Oud Affair ist wahnsinnig toll – für mich allerdings kein Must-have. Warum? Weil ich bereits (Mamluk und …) Oud Délice von Piguet besitze. Die beiden haben eine gewisse Ähnlichkeit, weil der darin enthaltene Honig in beiden Fällen seine Herkunft erahnen lässt oder vielmehr die Pflanzen, aus deren Pollen er gewonnen wurde. Oud Délice zitiert Lavendel, bei The Oud Affair ist es der Ingwer mit seiner fruchtigen Herbheit, der den goldenen Honig, den zuckersüßen, zusammen mit dem warmen, rauchigen, balsamisch-holzigen Oud daran hindert, „zuviel“ zu werden. Die Honignote ist opulent, wollüstig und überbordend, sie erinnert mich ganz stark an die wunderschöne Honigreferenz Botrytis von Ginestet. Man muss ihn lieben, verehren, wenn man Honig mag – und er passt perfekt zu einer solchen Liebesglut, finde ich.
Die stille Schönheit – Modest Mimosa
„Nähert man sich einer Mimose zu rasch, schließt sie schützend ihre Blätter nach innen. Die Mimose ist ein herrliches Studienobjekt der Gegensätze: Sie heischt nicht laut nach Aufmerksamkeit – ihre Schönheit und Anmut drängen sich nie auf. Bringt man jedoch Geduld auf und kann den Moment nach dem ersten scheuen Zurückziehen abwarten, dann belohnt sie ihren Betrachter und öffnet sich wieder.Um diesen filigranen wie auch selbstbewussten Rhythmus und koketten Tanz der Pflanze einzufangen, kreierte man einen Duft, der sanft und subtil beginnt und sich erst im Kontakt mit der Haut entwickelt und an Intensität gewinnt. Die Sillage des eigentlich sehr koketten Duftes hallt verblüffend lange in der Luft nach – und vermittelt den Eindruck, als ob die Quelle seiner Schönheit ganz in der Nähe wäre.“
Modest Mimosa ist, unschwer zu erkennen, der Mimose gewidmet, die leider viel zu selten die Paraderolle in Düften abbekommt – ich habe es schon öfter moniert. Und dann hätte ich ganz persönlich die Mimose gerne frisch-floral, keinesfalls dumpf, betörend süß oder warm. Sondern so luftig und leicht wie dieses Blümelein ist, aber dennoch eben mit Schmiss, das heißt ausdrucksstark und präsent. Für mich hat das bisher eigentlich nur einer geschafft – Mimosa Pour Moi von L’Artisan Parfumeur, den ich seit seinem Erscheinen liebe mit seinen feinen Melonennoten. Armani Privés Rose Alexandrie wohnt eine schöne Mimose inne und Atelier Colognes Mimosa Indigo ist eine herrliche ledergeküsste Mimosenverführerin, allerdings nicht ganz so unschuldig und unbeschwert, wie ich Mimose am liebsten habe.
Modest Mimosa listet auch Leder – nebst salzigen Anklängen, Veilchen, Karotte, Neroli und Moschus – das bekomme ich auch irgendwann im weiteren Verlauf, allerdings ist das eher eine Art abstraktes „Creme-Leder“, nichts Krachledernes. Das ist auch gut so, denn Modest Mimosa füllt die Lücke zwischen meinen beiden Lieblingen, dem von L’Artisan Parfumeur und dem von Atelier Cologne: Im Auftakt von einer wahnsinnigen floralen Frische eines ganzen Mimosenmeeres wird der Duft im weiteren Verlauf zu einer koketten, aber immer natürlich bleibenden Verführerin, einer sinnlichen femininen. Die Mimose bleibt ihm prägnant erhalten, Karotte oder deren Samen fügen trocken-fruchtige Holzigkeit hinzu (Karotten in Düften ist ähnlich eigenartig wie Ingwer, trocken-fruchtig-holzig, ohne eine Frucht zu sein), ein klitzekleines Quentchen Salz und dieses feine abstrakte Leder … Sehr sehr schön, der geht gleich mal in den Dauertest!
Einen schönen Tag Euch Ihr Lieben und viele herzliche Grüße,
Eure Ulrike
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