Letzte Woche war der Auftakt meiner Rezensionen zu den brandneu bei uns im Shop gelandeten Düften von Vilhelm Parfumerie – und ich war so nachhaltig begeistert, dass ich mich entschlossen habe, Euch die komplette Kollektion vorzustellen, obschon sie umfangreich ist. Heute geht es demnach weiter im Text mit den Düften des Wahl-New Yorkers Jan Ahlgren, die dieser größtenteils in Zusammenarbeit mit dem Parfumeur Jérôme Epinette kreiert(e), der im übrigen auch diverse Düfte für Byredo geschaffen hat.
Ein duftender Liebesbrief – Dear Polly
Düfte, die dezidiert einem Partner gewidmet sind und auch offen so „beworben werden … mir wollen da nicht allzu viele einfallen: Selbstredend Parfum de Thérèse von Edmond Roudnitska mit seiner anrührenden Hintergrundgeschichte, ich hatte diesen Liebling von mir hier bereits rezensiert. Acqua di Aix von Absolument Parfumeur ist der Partnerin des Markeninhabers Rolland gewidmet. Und dann ist da natürlich noch Jul et Mad, die ihre Liebe als olfaktorische Geschichte zelebrieren und somit zum Markenkonzept gemacht haben. Mehr will mir aus dem Stegreif allerdings nicht einfallen, Euch?
Wenden wir uns also Dear Polly zu und dem, was Ahlgren uns dazu offenbart:
„Dear Polly is a love letter in scent to my wife. Black tea, like the brew with which she awakes each morning, immediately warms the skin. Top notes of apple and bergamot create a sense of familiarity, while sensuous musk introduces complexity. Finally, it finds its resolution in a voluptuous spice, as piquantly punctuated as it is seductively honeyed. Familiar and new, comfortable and invigorating, it is a fragrant brew for two: lovers can wear it and recall each other. Even with distance they’re never apart.“
Heißt Polly wirklich Polly? Ich habe es nicht recherchiert – und eigentlich spielt es auch keine Rolle. Ich mag die Geschichte zum Duft. Wie schön, wenn Ahlgren, wenn er an seine Frau denkt, an die Morgen denkt, an den Duft des Tees, mit dem sie aufsteht. Ist das nicht eines der schönsten Komplimente, das einem ein Partner machen kann, der oder die Geliebte – dass man nicht mehr ohne den anderen aufwachen möchte, dass man es liebt, neben dem anderen aufzuwachen? Das Gefühl und die Sicherheit – Du bist (noch) da, immer (noch), immer wieder. Es steckt soviel in diesem einen Satz, in diesem einen Gedanken oder Wunsch.
Polly in jedem Fall scheint einen sehr guten Geschmack zu haben, denn Dear Polly beginnt rauchig, genauer: mit rauchigen Schwarzteenoten. Ich frohlocke hier, bin ich doch die einzige Person, die ich kenne, die sich für geräucherten Schwarztee (Liebling: Empereur Chen Nung von Mariage Frères) begeistern kann – gehört Polly etwa auch dazu? In jedem Fall entwickeln sich auf meiner Haut deutliche Rauch- und verhaltene Röstaromen, der Schwarztee zeigt sich vollmundig und herb … und wird nach einer Zeit dann doch zu einem Earl Grey, aber einem exzellenten. Saftig-zitrische Bergamottesprenkler kreieren hier eine gewisse Frische (Morgenstund hat Gold im Mund – oder ist zumindest bestrebt …), subtile florale Anklänge zeigen sich, darüber hinaus leise Gewürznoten, während skinniger, watteweicher, aber nur sehr verhalten süßer Moschus Reminiszenzen an das soeben verlassene Nachtlager wecken. Ich kann mir Polly so richtig gut vorstellen, wenn auch abstrakt: Eine tolle Frau, die sich da mit kühn von der Nacht zerzaustem Haar anmutig auf einem Stuhl räkelt, gähnend und im Oldschool-Pyjama, sich an einer Tasse dampfenden Tees festhaltend. Ich mag diese Idee – und den Duft auch. Ein schöner, weicher (Schwarz)Teeduft, der sich ganzjährig tragen lässt und so etwas wie der hippere (und nicht honigbehaftete) Bruder von Giacobettis Tea for Two ist.
Dekadente Blüten – Fleur Burlesque
„Exquisite femininity – Unflinching, exquisite femininity. Inspired ?by La Belle Époque. A woman, alive in the spotlight at the Moulin Rouge, enchantingly aglow in the soft candlelight of Maxim’s. Fleur Burlesque’s botanic notes of jasmine and gardenia bloom unadorned, while decadent undertones of amber and sandalwood smolder below. Nimble, sultry and playful, this fragrance captures the sensory indulgence of the fin de siècle.“
Ach ja … ich gerate, wie regelmäßige Leser/innen wissen, bei der Jahrhundertwende immer ins Schwärmen – tolle Literatur, tolle Kunst, Salonkultur, das muss traumhaft gewesen sein damals … vielleicht stellt man es sich auch nur so vor, zumindest lässt sich schön schwelgen in den Zeugnissen der Zeit.
Ahlgren spielt selbstredend hier auch auf die „Tanzlokale“ an, ich denke ergo umgehend an Boudoir-Düfte, deren schönster Vertreter zweifelsohne Histoires de Parfums 1889 Moulin Rouge darstellt, dicht gefolgt von Byredos Seven Veils. Ob Fleur Burlesque in eine ähnliche Richtung tendiert?
… nein. Und hätte ich nicht nur „Ambra, Ambra“ gelesen, dann wäre ich früher draufgekommen 😉 Entsprechend überrascht sah ich mich gerade mit einem opulenten Weißblüher ausgestattet, der selbstredend in seiner Sirenenhaftigkeit ebenfalls perfekt zum Thema passt. Dita von Teese sehe ich vor meinem geistigen Auge in einem überdimensionalen Schampusglas baden mit ihrer Alabasterhaut … Fleur Burlesque ist – Alabasterhaut. Ist Baudelaire und Tuberose (die für Gardenien benutzt wird bzw. deren olfaktorische Darstelleung), die mich beide immer an die Gaultierwerbung erinnern mit der herrlich kreidebleichen und rotschopfigen Schönen. Und dennoch, genauso wie im Falle von Don’t Disturb, der bereits ein echter Kracher war, ein floraler – auch Fleur Burlesque erschlägt nicht. Für mich ist der Duft eine Femme Fatale, aber eine sehr moderne, eine pinkfarbene. Eine, die cremig-narkotisierend ist, aber dennoch auch Jeans tragen könnte, was mich an meinen neuen Tuberosenliebling OH Denim von UERMI erinnert (der ebenfalls pink ist). Ein Gardenientuberosenjasmintraum, der opulent, aber gleichzeitig auf eine bezaubernde Weise leicht ist, ohne jedoch wirklich leicht zu sein … Hach, ich mag Fleur Burlesque, aber das habt Ihr schon gemerkt 😉 Wer die olfaktorische Jeans mag, der wird hier auch auf seine Kosten kommen, auf jeden Fall. Fleur Burlesque ist die postmoderne Schwester von Fracas.
Ab nach Bullerbü – Morning Chess
„Verdant Swedish Sommar – Inspired by the memory of the summer holidays we shared with my grandfather, Morning Chess mimics the ripe, green lushness of summer on coastal Falkenberg. There, in a summer cottage, my grandfather, with his two sons, would pass hours battling wits over a chessboard. Sweden would save all its light for those summer moments, endless, bright mornings. The grassy greenness is light enough to hint at the evergreen sharpness of the distant winter air.“
Ich bin nach wie vor begeistert – und freue mich auf die Restwoche und die Restkollektion von Vilhelm Parfumerie! Bis bald meine Lieben und viele Grüße,
Eure Ulrike
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