Schwitzen mit den Vergessenen …

… praktizieren wir heute: Ich sitze hier in meinem Stuttgarter Altbau, der sich auf „angenehme“ knapp 30 Grad erhitzt hat, und gare an meinem Schreibtisch vor mich hin. Frage mich einmal mehr, wo denn nun die Übergänge geblieben sind, ob Frühjahr (und vermutlich auch der Herbst) sich aus dem Verbund der Jahreszeiten verabschiedet haben. Es hat draußen zwar ein paar Grad weniger, trotzdem ist es dämpfig und schwül, und ich habe mich noch nicht einmal damit beschäftigt, meine Duftgarderobe umzusortieren, mich olfaktorisch an die Sommerhitze anzupassen. Von meinen normalen Klamotten gar nicht zu sprechen … Urlaub wäre jetzt sehr genehm, obschon ich noch nicht einmal weiß, wo ich gerade sitzen möchte. Zumindest könnte ich das „wie“ beantworten: Im Schatten, mit einem guten Buch in der Hand, einem gekühlten Wasser nebst Fruchtstücken und Kräutern drin. Eine Option wäre natürlich diese hier, und da ich ohnehin auf Haussuche bin, erscheint sie mir doch sehr sympathisch, obschon viel zu weit entfernt: Das Haus der Kinder aus Bullerbü steht zum Verkauf, Startpreis liegt umgerechnet bei circa 87.000 Euro. Braucht jemand ein Ferienhaus? Ich wäre auch gerne der erste Mieter, Harmen ist sicherlich auch nicht abgeneigt 😉

Wie Ihr sicherlich bemerkt habt, „jammere“ ich schon seit langem über die Flut an Neuerscheinungen, mit denen Schritt zu halten eine Herausforderung ist. Mittlerweile ist es annähernd unmöglich, es kommt einfach zuviel in den Shop und meine Pröbchenschublade quillt über. Insofern habe ich mir für heute drei Düfte herausgepickt, die bisher auf eine Rezension gewartet haben und die alleine ihres Namens wegen versprechen, den momentanen Temperaturen Tribut zu zollen und aktuell tragbar zu sein.

Vorhang auf also für: Atelier Cologne Clémentine California, Atkinson’s Californian Poppy und Maison Françis Kurkdjian Aqua Celestia.

Clémentine California, die kalifornische Clementine – eine Übersetzung des Namens war jetzt nicht allzu schwierig 😉 Die Verknüpfung mit Kalifornien lässt hoffen, und zwar auf einen sommertauglichen Duft. Ein Blick auf die Beschreibung genügt, um jene Hoffnung weiter zu schüren:

„Es war ein Rekordsommer und die Stimmung in den Filmstudios war gleichermaßen intensiv. Er hatte monatelang nach ihr gesucht, zunehmend gelangweilt von all diesen perfekten Schauspielerinnen-Typen. Er war schon kurz davor aufzugeben, als der Moment kam, an dem sich alles änderte. Da war sie, am anderen Ende der Theke ? die Frau, von der er immer geträumt hatte. Mit ihrer natürlichen Schönheit und ihrer markanten Stimme würde sie mit Sicherheit allen die Show stehlen. Er musste sie jetzt davon überzeugen, ihren weiteren Lebensweg zu ändern …“

Ich mag sie ja, diese kurzen Augenblicke, als Geschichte erzählt, die ergebnisoffen angelegt sind, die Phantasie in Gang bringen … Hitze, eine „naturschöne“ Frau … Ist hier jetzt der Gegensatz zu der Filmindustrie dort gemeint, die ja seit Jahren die immer gleichen Typen generiert, egal, ob Männlein oder Weiblein? Würde mich zumindest freuen, ich bin sehr gelangweilt von den gefakten Haaren und Brüsten, sämtlichen anderen Fakes in Richtung Alterslosigkeit wie Botox und Unterspritzungen, von der einen Nase, die so gut wie jede weibliche Schauspielerin oder Sängerin, die ein gewisses Maß an Prominenz erreicht hat, mittlerweile ihr Eigen nennt, dem vollen und zu 200% artifiziell entstandenen Kussmund und so weiter und so fort.

Atelier Cologne, die, ich hatte berichtet, mittlerweile von L’Oréal aufgekauft wurden, haben mir in der jüngeren Vergangenheit mit einigen ihrer Düfte großen Spaß und viel Begeisterung beschert: Ihre Orient Collection finde ich ausnahmslos richtig toll, vor allem aber Mimosa Indigo und Philtre Ceylon, für mich der Holy Grail in Sachen Tee neben dem gestern vorgestellten Chaì von Robert Piguet. Und Pomélo Paradis war und ist seit seinem Erscheinen einer meiner absoluten Sommerlieblinge. Sommer und leicht, darüber hinaus aber komplex und innovativ – das können Atelier Cologne, das haben sie bereits in der Vergangenheit unter Beweis gestellt. Die Hoffnung steigt also weiterhin – auf einen neuen Sommerliebling?

Die Ingredienzen: Kopfnote: Clementine, Mandarine, Wacholderbeeren; Herznote: Sternanis, Szechuanpfeffer, Basilikum; Basisnote: Vetiver, Sandelholz, Zypresse.

Oh jaa, ein herzliches Dankeschön bereits an dieser Stelle – schon als die Clementine (im übrigen genau genommen ein Hybrid aus Mandarine und Pomeranze, läuft bei uns hier aber meistens unter Mandarine) auf meiner Haut landet, erfrischt sie angenehm kühlend und schmeichelt meinem Näschen, dass es eine wahre Freude ist. Genau so möchte ich duften, wenn es draußen warm ist! Das Zitrusfrüchtchen schickt sich an, auf meiner Kaufliste zu landen – warum? Weil es eine saftige, überaus satte Mandarine ist, die authentischer nicht wirken könnte. Das alleine ist eigentlich schon Kaufargument genug, sieht sich hier aber getoppt durch wahnsinnig schöne Noten herben Wacholders, subtil, aber dennoch sehr gut wahrnehmbar. Sternanis und Sandelholz stiften eine gewisse warme Süße, verhalten, als Gegengewicht fungierend und dem Duft Komplexität und Tiefe verleihend, der dennoch seines Charakters nach ein (zitrus)fruchtiger Frischling bleibt.

Oben habe ich von Kräutern im gekühlten Fruchtwasser gesprochen, das ich gerne an heißen Tagen trinke – in die Flasche von Clémentine California ist mein Lieblingskraut gehüpft, und zwar Basilikum, der ein exzellenter Partner ist hinsichtlich der Clementinen und Mandarinen. Zypresse holzt und säubert, Vetiver grast und salzt, während eine Prise Pfeffer weitere Kontraste einhaucht. Baden möchte ich ihn Clémentine California – und bin mir sicher, dass er sich ganz hervorragend neben meiner Pampelmuse Pomélo Paradis im Regal machen wird 😉

Mit Atkinson’s bleiben wir in Kalifornien: Californian Poppy heißt unser zweiter Kandidat, der dem Mohn gewidmet ist und den Geist der Siebziger aufleben lässt:

„Californian Poppy – Here comes the sun! Ein weiteres Highlight der Legendary Collection – Californian Poppy – ist ein glanzvolles Retro-Update des Atkinsons Originaldufts aus dem Jahr 1908. Ein von der Sonne geküsster, vom Licht durchfluteter Duft – Symbol für den ewig kalifornischen Hedonismus. Atkinsons orangerot leuchtende Mohnblüten blühen erneut auf – als strahlendes Flower-Power-Kind des 21. Jahrhunderts.

Poppig und ein wenig old-fashioned, modern und Vintage zugleich: Californian Poppy verströmt „Bohemian Chic“ pur! Californian Poppy ist ein umwerfend freizügiger floraler Duft – irgendwie wild und ungestüm. So herrlich unbekümmert wie Mia Farrow in ihrer Maharishi- Yogi-Phase, aber auch so glamourös wie Partylöwin Talitha Getty und so unberechnend wie die junge Angelica Huston. Die legendären feengleichen Schönheiten des Jetsets jener Jahre waren stark und doch auch zart und fragil.

Auch Californian Poppy hat all diese Facetten: Die Unschuldigkeit, die magische Ausstrahlung und den unvergleichlichen Stil. Anrührend und verführerisch wie das Dufterlebnis selbst.“

Die Ingredienzen: Kopfnote: Jasmin, Zitrische Noten, Rosa Pfeffer; Herznote: Orangenblüte, Aquatische Noten, Mohn; Basisnote: Moschus, Zedernholz, Weihrauch.

Californian Poppy kommt zwar rötlich daher, was die Farbe des Parfums angeht und bei der Reminiszenz auch naheliegt, ist aber ein leises, leichtfüßiges und leichtes, transparentes Düftchen. Vertreter der „Viel hilft viel“-Fraktion werden mit diesem Duft nicht glücklich – da ich nicht zu ihnen gehöre, stört mich das überhaupt gar nicht, ganz im Gegenteil. Unser kalifornischer Mohn zielt auf den Sommer, die unbeschwerte Lebenslust der Hippie-Generation, und selbst wenn deren Lifestyle hinsichtlich seiner halluzinogenen Ausschweifungen sicherlich auch genügend Material für einen opulenten und schweren Orientalen hergeben würde – diese Mohnblüte ist es nicht und will es auch gar nicht sein. Gemeint ist wirklich die Blume, nicht das Opium, das man daraus gewinnen kann. Californian Poppy ist ein herrlich leichtes Blümchen, das von allem etwas enthält und zitiert, ohne sich dabei zu verlieren: Ich nehme tatsächlich den Mohn war, der hier eine gewissene Trockenheit ausstrahlt, eine Würze, die allerdings luftig-leicht und locker aufgefangen und ausbalanciert wird von einer frischen Brise, die von nahen Gewässern künden könnte, aber nicht muss. Darüber hinaus finden sich saubere Hölzer, eine zarte Seifennote, zitrisch-frische und erfrischende Sprenkler als auch florale Anklänge, cremig und von einer sachten Süße.

Ein hübscher und heiterer Begleiter für warme sowie für wirklich warme Tage, meine Lieben!

An eben jenen lieben wir Frisches, die ideale Überleitung auf unseren dritten und letzten Duft für heute, Kurkdjians Aqua Celestia:

Himmlische Frische – Aqua Celestia ist ein weiterer Zugang bei der Aqua-Linie, die bisher aus Aqua Universalis und Aqua Vitae besteht. Das Duft-Trio ist Francis Kurkdjians Interpretation der Frische von Wasser, die verschiedene Facetten besitzt und die ein wesentliches Element des Lebens ist.

Während Aqua Universalis mit seinen luftigen, strahlenden Noten eine unsichtbare Verbindung zwischen Haut und Kleidung schafft, betört Aqua Vitae mit einer frischen, würzigen Sinnlichkeit, die einen intensiven Dialog zwischen seinem Träger und dessen Gegenüber eingeht.

Mit Aqua Celestia schafft Francis Kurkdjian eine neue Form von Frische, die aus der Verbindung von Limette aus Mexiko, Minze aus England und Schwarzer Johannisbeere aus Burgund entsteht. Zusammen bilden sie eine frische, farbenfrohe und großzügige Kopfnote, die mit der sonnigen Leuchtkraft der Mimose aus der Provence und dem himmlischen Geflüster von Moschus sanft nachhallt.

Aqua Celestia bildet die nahtlose Verbindung zwischen dem Blau des Himmels und dem Blau des Meeres – eine Linie absoluter Ruhe und Heiterkeit.

Mit diesen Zutaten kann man eigentlich nichts falsch machen, erst recht nicht, wenn man Kurkdjian heißt: Limette, zitrisch-frisch und prickelnd, saftig und, wie häufig, eine gewisse tropische Exotik ausstrahlend (weil sie eben weniger häufig eingesetzt wird als Bergamotte oder Zitrone und sich für uns, zumindest für mich gedanklich immer mit Gefilden verknüpft, die weiter weg sind als Italien und Konsorten) im Duett mit herrlich anregender Pfefferminze, dazu ordentlich Cassis – die schwarze Johannisbeere ist gerade ohnehin eine Trendfrucht in Düften, mir soll es recht sein, ich liebe sie. Zarte Mimosenblütchen umranken und locken, gebettet auf ordentlich watteweichem Moschus. Darin kann man getrost baden, egal bei welchen Temperaturen – Aqua Celestia erfrischt auf adrette Weise, kann aber ganzjährig getragen werden, wobei selbstredend die wärmere Jahreszeit diesen Duft am besten zur Geltung bringt. Und: Ich sehe ihn an beiden Geschlechtern, auch alterstechnisch würde ich ihn nicht begrenzen wollen – ich kann mir niemand vorstellen, die persönliche „Hautchemie“ einmal ausgenommen, der ihn nicht tragen könnte.

So meine Lieben, damit wären wir für heute am Ende angekommen – ist denn ein Duft dabei, der Euch interessiert? Wie sieht es aus, was steht in Eurer Sommergarderobe, hat sie noch Luft, gibt es noch Platz? Und was tragt Ihr so dieser Tage? Ich bin gespannt!

Herzlichst,

Eure Ulrike

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Ulrike Knöll Verfasst von:

Meine Liebe gilt seit jeher dem Ästhetischen: Mir geht das Herz auf bei jeglichen Dingen, die durch Form, Funktionalität, Design und Herzblut zu überzeugen wissen. Und wenn dann noch ein Quäntchen Historie dazu kommt, ist es meist ganz um mich geschehen … Ich bin der Nischenparfümerie mit Haut und Haaren verfallen und immer auf der Suche nach dem – oder vielmehr: einem – neuen heiligen Gral. Diese Suche sowie mein ganzes Interesse und meine Begeisterung möchte ich gerne mit Euch teilen!

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