… haben wir auf der Pitti das erste Mal persönlich getroffen, ihre Düfte sind uns schon etwas früher über den Weg gelaufen – jetzt sind sie endlich bei uns im Shop gelandet. Grund genug, sie mir für Euch nochmal genauer anzusehen. In einem meiner Messeberichte hatte ich schon von dem jungen Label berichtet, und zwar Folgendes:
„Nagelneu ist die Marke 27 87, die der sympathischen Romy Kowalewski gehört. 27 87 steht für ihr Geburtsdatum – ein junger Wirbelwind demgemäß. Geboren in Berlin lebt Romy seit knapp zehn Jahren in Barcelona, wo sie nach dem Studium zuerst ein Angestelltenverhältnis eingegangen ist. Wie sie mir erzählte – und es auch in diesem netten Interview nachzulesen ist – stammt sie aus einer Selbstständigenfamilie und merkte bald, dass ihr diese Arbeitsweise viel eher liegt. So gründete sie als Duftliebhaberin ihr eigenes Label, für dessen erstes Parfumtrio sie Daniela Andrier, Mark Buxton und Shyamala Maisondieu (deren Ehemann auch Parfumeur ist, Antoine Maisondieu) verpflichten konnte. Düfte für ihre Generation, die ersten Erwachsenen des 21. Jahrhunderts, möchte sie kreieren, zeitgemäß und innovativ. wanderlust, #hashtag und elixir de bombe heißen sie. wanderlust soll die frische (Berg?)Luft symbolisieren und ist ein ziemlich ungewöhnlicher und extrem moderner „Frischling“ mit Pfefferminze und den in Düften leider so seltenen, aber tollen Shisoblättern, Fenchel, zarter Anissüße und warmem Sand. elixir de bombe ist selbstredend von Mark Buxton und die „sexy Hexy“ des Trios, der Ausgehduft – Mandarine, Ingwer und Himbeere auf Karamell-Leder, mmhhh! #hashtag ist ein Minimalist und Immergeher, Aldehyde im Kopf, futuristische Fruchtnoten kreierend, ein Hauch Irispuder, kühlender Weihrauch und Veilchenblätter auf einer Basis aus puristischem Moschusweiß.“
Baujahr 1987 ist Romy also – und gehört somit zu den Jahrgängen, bei denen ich mich immer frage, wenn ich sie auf einem Nummernschild verzeichnet sehe, ob sie überhaupt schon Autofahren dürfen … um dann zu merken, dass ich alt geworden bin 😉
Sieben Jahre jünger als Harmen und ich ist Romy somit – und ich frage mich manchmal bei einer solchen „halben“ Generation Unterschied (plus minus, schon klar), ob es etwas ausmacht zwecks des Lebensgefühls, und, wenn ja, was. Ist Romy damit schon ein Digital Native? Nicht zu 200 %, aber … ja. Sie wird mit Handys aufgewachsen sein, das ist für sie selbstverständlich. Und sie wird auch in ihren Teenagerjahren einen PC samt Internetanschluss für selbstverständlich erachtet haben. Sie kennt keinen Commodore 64 mehr, sollte sie sich nicht speziell dafür interessiert haben. Einen Walkman wird sie auch nicht mehr gehabt haben genauso wenig wie Hörspielkassetten, sie wird keine aufgenommenen Kassetten mit Liebesliedern oder ähnlichem mit Freund oder Freunden getauscht haben. Wie es wohl an der Uni bei ihr war? Ein Großteil meiner Freunde, oftmals circa fünfzehn Jahre älter als ich, hat studiert mit der festen Überzeugung, danach sofort einen Job zu finden, wenn man nur wollte – und nicht noch eine Runde mit dem Bulli durch Spanien gedreht hat. Als ich studiert habe, zugegebenermaßen Geisteswissenschaften und kein Ingenieurswesen (an dem hatte ich mich vorher lustlos versucht), sind wir durch das Studium gegangen mit der ständigen Angst, was danach wird – weil selbst die Lehrenden trotz zum Teil herausragender Ausbildung keine sicheren Jobs hatten und uns demnach auch wenig Hoffnung gemacht haben, mittels der Geisteswissenschaften in einem wie auch immer gearteten nicht-prekären Arbeitsverhältnis zu landen nach den Studienjahren. Ein paar Jahre können soviel ausmachen … Nun ja, hier sind wir alle jetzt, egal welchen Baujahrs – und die sympathische Romy hat mit 27 87 Perfumes ihre eigene Marke, ihr eigenes Label.
Drei Düfte, drei Repräsentanten des Zeitgeists ihrer Generation: wanderlust, #hashtag und elixir de bombe.
Mit wanderlust fangen wir an:
„Auf geht’s! Entdecke das Unbekannte …
Es ist dieser unwiderstehliche Impuls, die nächste Seite des Buches aufzuschlagen, um zu erfahren, was das nächste Kapitel für uns bereithält. Es kann ein neuer Job sein, ein Ausflug ins Ungewisse oder eine neue Liebe, die uns dazu veranlasst, aufzubrechen, um das Bekannte hinter sich zu lassen und das Unbekannte zu erkunden. wanderlust ist eine Interpretation von Fernweh und der ultimative Begleiter auf der Reise unseres Lebens, der den Funken der Reiselust entfacht und einen unvergesslichen Fußabdruck in dem Buch unseres Lebens hinterlässt.“
Wenn ich meinem Vater erzählen würde, dass ein Duft für junge Leute den Namen Wanderlust trägt, würde er vermutlich erst einmal den Kopf schütteln und dann Fragen stellen: Wie passt das zusammen? Vielleicht unterschätze ich ihn diesbezüglich aber auch, hat er meiner Mutter doch, wie ich vor einiger Zeit festgestellt habe, ein Abonnement für die Zeitung Landlust geschenkt, die sie begeistert liest (womit ich ebenfalls nicht gerechnet hätte). Kennzeichen für den aktuellen Zeitgeist ist eben auch die Rückbesinnung auf … „Analoges“, so würde ich es nennen. Ich habe eine exzellente Habilitationsschrift hier liegen in gedruckter Form, die ich mir schon lange einmal komplett zu Gemüte führen wollte – es handelt sich um Madalina Diaconus „Tasten – Riechen – Schmecken. Eine Ästhetik der anästhesierten Sinne“. Auch oder gerade wegen der zum Teil geäußerten Kritik an eben jener Arbeit, sie zitiere zu viele Beispiele, arbeite zu wenig nahe an der philosophischen Theorie, macht die (zugegebenermaßen sehr anspruchsvolle) Arbeit spannend – auch und gerade für einen (ambitionierten) weiteren Kreis, und zwar außerhalb jener, die sich sonst mit philosophischen Werken befassen (gleich: Menschen an Universitäten).
Bevor ich Euch jetzt langweile 😉 komme ich zu der These, die Diaconu aufstellt hat und die ich für sehr spannend und zutreffend halte: Es hat ein Paradigmenwechsel stattgefunden. Jahrhundertelang waren Augen und Ohren, also sehen und hören, die primären Sinne. Sinne, denen man „Wahrheit“ zusprach beziehungsweise deren Eindrücke man als notwendig für Wirklichkeitserfassung, -auffassung und somit Wahrheitsfindung erachtete. Die sogenannten sekundären Sinne, Riechen, Schmecken und Tasten, galten jahrhundertelang als nicht zuverlässig, darüber hinaus auch als irgendwie „schmutzig“, weil körperlich. Diaconu zielt darauf ab, dass uns in den letzten Jahren im eigentlichen Wortsinne Hören und Sehen vergangen ist: Durch Reizüberflutung mittels Medien jeglicher Art werden sie uns bisweilen zuviel – ich denke, davon können wir alle ein Liedchen singen. Sie erkennt in vielen Strömungen des Zeitgeists oben proklamierten Paradigmenwechsel – eine Besinnung auf die früher „niederen“ Sinne, die Sekundärsinne, die dadurch eine sinnliche Aufwertung erfahren, deren Erfahrung(en) heutzutage einen ähnlichen, gleich gestellten, vielleicht auch zum Teil höhergestellten Wert beigemessen wird. Diaconu gibt dafür viele Beispiele – Stichwort: die LoHaS-Bewegung-, unter anderem die Slowfood-Bewegung, unsere heutigen Bestrebungen hinsichtlich des Essens, darüber hinaus auch Tätowierungen und, sehr ausführlich behandelt, Düfte, Parfums.
Für mich war dieses Werk in den Auszügen, in denen ich es gelesen habe, die theoretische Untermauerung meines Gefühls, meiner Überzeugung. Ich sehe diese Besinnung auf „Handfestes“ schon sehr lange in fast jedem neuen Trend, der die letzten Jahre aufpoppt: Sei es das Urban Gardening oder der Schrebergarten, der wieder in Mode gekommen ist, die neue Lust am Landleben, dem wachsenden Wunsch nach gesunder (Bio-)Ernährung, an der Selbstversorgung als Ziel oder zumindest den selbst gezogenen Tomaten auf dem Balkon, der Obst- und Gemüsekiste, die man als Abonnement in so gut wie jedem Teil Deutschlands von einem Bauern in der Nähe beziehen kann. An dem Boom von Do It Yourself, von Plattformen wie etsy und Dawanda, neuerdings auch Makerist, an der Craftbeer-Welle, durch die sich Harmen gerade fleißig trinkt, den kleinen und oftmals feinen Destillerien, die Schnäpse herstellen (neulich hier genannt, die Stählemühle und Monkey 47), Gin, Whisky und so weiter. Und, um jetzt wieder zu 2787 Perfumes zurückzukehren – auch an der Lust an der Natur. Nicht nur Landleben ist wieder hip, sondern auch das kraxeln durch die Landschaft. Nicht umsonst ist der von mir immer mal wieder zitierte Lumbersexual der neue Hipster – Ihr wisst schon, der neue Mann mit Vollbart, gepflegt, lässig und gerne mal hardcore-tätowiert.
wanderlust ist eine Schöpfung von Shyamala Maisondieu, der wir erst neulich bei Teresa Helbigs A Bulldog in the Atelier über den olfaktorischen Weg gelaufen sind. Ich hatte es in der Rezension zum Duft bereits erwähnt, Shyamala Maisondieus Mann ist ebenfalls (bekannter) Parfumeur, sie selbst kennen wir von wie unter anderem Charogne für État Libre d’Orange, Palo Santo und Costarela für Carner Barcelona, Lavandes Trianon und Tubéreuses Castanes (testen, tolle Neuveröffentlichung aus 2016!) für Lancôme, Saltus und Succus für Les Liquides Imaginaires, Velvet Orchid für Tom Ford.
Die Lust am Wandern hat sie mit folgenden Zutaten umgesetzt: Kopfnote: Minze, Shiso (Perilla) Blätter, Maritime Noten; Herznote: Anis, Fenchel, Weiße Blüten; Basisnote: Moschus, Sand.
wanderlust ist zeitgemäß, sehr modern und absolut unisex-tauglich, keine Frage. Er atmet die Weite und die Freiheit, deren Erfahrung so gut wie jeden Backpacker ins Freie treibt und oftmals, wie in diesem Falle, in die Berge. Frisch ist er – auf eine eigen- und einzigartige Weise, die fernab von Sauberdüften zu finden ist. Verantwortlich dafür ist vor allem die Pfefferminze, der zudem wie so oft eine feine, subtile Süße innewohnt. Diese wird von Anis und Fenchel aufgegriffen, die derselben eine Tiefe verleihen, ihr Körper geben, den ihnen genuinen Charakter einflößend. Von maritimen Noten ist die Rede, die tatsächlich einen Teil der Frische ausmachen, allerdings weniger an See im Sinne von Meer erinnern als an … einen romantisch verborgenen, einsamen Bergsee, dessen Wasser so klar, rein und blau ist wie die Verpackung von wanderlust. Er prickelt auf eine Art auf der Haut dank seiner dynamischen Frischheit, die umrankt und ergänzt sich zeigt durch besagte Shisoblätter. Einige von Euch kennen sie vielleicht aus der asiatischen, vor allem der japanischen Küche – ihr Geschmack ist nur schwerlich in Worte zu fassen, er hat etwas zitrisches, darüber hinaus aber auch anishaftes sowie minziges, ist aromatisch und bisweilen auch korianderartig. Hier untermalt er, da bin ich mir sehr sicher, obgleich die letzten Shisoblättchen schon etwas her sind … Und, unabhängig ob nun von Shiso oder Minze stammend – wanderlust besitzt eine kleine, gekonnt gesetzte Kante: Eine gewisse Herbheit, eine grüne, wohnt im inne, die irgendwo in der Frische des Duftes den Gegenpol zu der Minzsüße setzt, die sich wiederum von den Sandnoten verstärkt sieht. Warmer Sand, ja, ich sehe ihn hier. Es ist keine Erde, kein Stein, es ist – Sand, sonnengewärmter, vielleicht am Rande von besagtem Bergsee, dessen steiniger schmaler Zugangspfad von zarten Alpenblümelein gesäumt wird?
wanderlust macht Lust – und zwar auf eine ganz neue Generation frischer Düfte, jenseits der Saubermänner, deren Fan ich noch nie war, wie geneigte Leser sicherlich wissen. Er ist ein Immergeher, ein unkomplizierter, dem es dennoch nicht an Persönlichkeit fehlt und der bei wärmeren Temperaturen eine mehr als gelungene Abwechslung ins Duftrepertoire vieler zu bringen vermag!
Morgen geht es weiter mit den beiden anderen Düften von 27 87 Perfumes – bis dahin alles Liebe und viele Grüße,
Eure Ulrike
Liebe Ulrike,
Welch ein schöner Artikel! Von der Duftbeschreibung her klingt das für mich wie eine Sammlung aller möglichen Reiseziele – eine perfekte Umsetzung von wanderlust (oft übersetzt mit Fernweh/Reiselust). Das wäre in der Tat perfekt für all die Reisejunkies- egal welchen Alters 😉
Hallo liebe Sophia,
das ist es in der Tat auch: wanderlust ist mehr Fernweh, mehr Freiheitsstreben als konkretes Wanderziel auf der Schwäbischen Alb (bei mir um die Ecke) oder sonst wo 😉 Ein schöner, eigenwilliger, aber dennoch massentauglicher Sonderling. Berichte mal, wenn Du ihn testen solltest!
Viele liebe Grüße,
Ulrike