… habe ich als Höhepunkt meines Pitti-Besuches bezeichnet, und das obgleich die Kollektion gar nicht mehr so neu ist – Santiago Burgas hatte sie schon vorher vorgestellt, ist aber in Deutschland nicht mehr wirklich vertreten gewesen mit seiner Marke. Und auf der Mailänder Esxence hatte ich sie leider nur ganz am Ende im Vorbeihuschen geschnuppert, das reicht nicht, nein. Umso mehr freue ich mich, dass sie soeben in unserem Sortiment gelandet ist und nehme das gleich zum Anlass, sie mir mit Euch gemeinsam näher anzusehen.
Ich hatte mir das Label Santi Burgas schon früher einmal vorgenommen, das war allerdings schon 2013 – lest hier Teil 1 und Teil 2. Damals hatte man eine Layering-Kollektion namens Lôant vorgestellt, die sich zumindest bei uns leider nicht so gut verkauft hat. Layering-Konzepte sind eben immer so eine Sache – ich würde mal ins Blaue hinein vermuten, dass außer Jo Malone und eventuell Etro keines so richtig als solches „knallt“. Und gerade die Düfte dieser beiden Marken werden, obgleich zum Layern bestimmt, von vielen, ich würde gar sagen: den meisten solo getragen. Die neuen Düfte zielen in eine komplett andere Richtung, das werden wir später sehen.
Die Marke Santi Burgas wurde im Jahr 2008 gegründet, mitten im Herzen Ampuriens. Das Firmengebäude ist wohl ein altes Lagerhaus, das früher zum Trocknen von Reis verwendet wurde, und heute Santiago und seinen Kreationen ein Zuhause ist. Design und Innovation möchte man nach eigenem Bekunden bieten und lässt auch in Spanien fertigen, genauer: in Barcelona. Santiago Burgas ist das wichtig: Alle Stoffe, die für seine Marke verwendet werden, sind von handverlesener Qualität, nachhaltig produziert und umweltfreundlich, darüber hinaus arbeitet er nur mit regionalen Lieferanten zusammen und Herstellern, die ISO-zertifiziert sind. Was erzählt uns Santiago noch über sich? Er ist ein Liebhaber der Costa Brava und der Tierwelt, hat Nähen und Sticken in seiner Kindheit gelernt, später Fashiondesign studiert, danach ist er zuerst mit seiner eigenen Modemarke durchgestartet, um sich danach der Duftwelt zuzuwenden – der Beginn von Santi Burgas. Und er scheint wohl eine spezielle Vorliebe für Insekten zu haben, vor allem Ameisen, deren Verhalten er gerne studiert:
„His projects have the characteristics of being based on nature, and the life of insects, especially regarding the behaviour of ants, what is translated into a new way of thinking and acting in the perfumery field.“
Wie genau nun das Ameisenverhalten auf Düfte Einfluss nimmt? Santiago erklärt es im Zusammenhang mit seiner Lôant-Kollektion:
„Communicate through fragrances, as ants do
Santiago Burgas has created the Lôant Collection, with a sophisticated formulation system inspired by the communication theory used by ants, which takes us to a new way of creating and using fragrances.
Over the centuries, ants have developed a complex olfactory language to communicate with each other. Thanks to their art of combining different sensory pheromones, they are able to create new messages, which become aromatic communicative codes as if they were the little perfumers of the underground.
The Lôant Collection uses an innovative system by fractioning the olfactory pyramid developed by ANTCORPS company. These perfumes can be used individually or combined with one another within the perfumes of the same Lôant Collection, creating new scents instantly and without the help of an expert.“
Das ist spannend, Ameisenstaaten sind es generell – aber was rede ich, wer mich kennt weiß um meine Tiervernarrtheit 😉 Und, wie ich bereits in meinen Florenz-Artikeln erwähnt hatte, Santiago und seine Truppe wunderbar authentisch und sympathisch. Deshalb – auf ins duftende „Gefecht“, lasst uns die Düfte der White Collection entdecken!
Egnaro ist der erste Kandidat:
„Memories of cruising the Mediterranean Coast on a hot summer day in 1992. From Valencia to Palermo, stopping at Barcelona, Marseille Genova and Napoli. Idyllic childhood memories etched in my memory and the sea was my only witness. Hours and hours standing on deck, relishing the fragrances the breeze brought to me.“
Die Ingredienzen: Orange, Anis, Ingwer, Bergamotte, Zibet, Sandelholz und Ambra.
Meine erste Assoziation? Erfrischungsstäbchen – und zwar jene seltsam-einzigartige, dumpf-leuchtende Hesperidenfruchtigkeit samt ihrer pudrig-saftigen Sü9e, die ich hin und wieder so köstlich finde, einmal abgesehen davon, dass sie Erinnerungen weckt. Um die geht es hier auch, und alsbald wird klar, dass der Duft noch viel mehr zu bieten hat – er schillert und glänzt, offenbart unterschiedlichste Facetten. Zibet duftet natürlich animalisch, insofern sehe ich vor meinem inneren Auge ein paar Ziegen … nein, Pferde, die irgendwo an sachten Hängen grasen. In Verbindung mit dem stumpfen, wundervoll warm-würzigen Sandelholz erinnert mich der Zibet aber auch an knorrige, wettergegerbte Bäume, durch Sonne, Wind und Meer gräulich-weiß geworden und ihre Wurzeln über Steine streckend, von Moosen weich begrünt. Es ist warm an diesem Tag, keine Frage – und wenn überhaupt weht hier nur ein laues Lüftchen. Cruisen ist auch im Deutschen, ok: Neudeutschen genau der richtige Ausdruck: Entweder man „steht“ hier quasi mit dem Boot im Wasser, lässt sich gaaanz langsam treiben, es könnte aber auch die Impression eines gemütlichen Cabrioausflugs sein, gerne in einem hübschen Oldtimer, vielleicht einem Alfa?
Egnaro ist eine Reminiszenz an jenen Sommertag, von dem Burgas schreibt, in jedem Fall ist es aber ein Sonderling, ein schöner – wir haben es hier nämlich absolut nicht mit einem typischen Zitrusfrüchtchen oder gar einem Cologne zu tun. Egnaro evoziert zwar Sommer, Sonne und Urlaub mitsamt der Landschaft drumherum, ist aber aufgrund seiner Tiefe, seiner würzig-harzigen Süße einer der wenigen Hesperidendüfte, den ich mir ganzjährig, ergo auch im tiefsten Winter vorstellen kann.
Unsere nächste Kandidatin ist Miss Betty Vair:
„Her profound roots portray effort and perseverance. Her tears from suffering are engraved on her face. Her attitude of dedication radiates peace. Her smile transmits joy and happiness and assures you she will never let you down. Miss Betty Vair brings you hope.“
Wir haben hier eine Vetiverschönheit, das sei schon mal verraten – die weiteren Zutaten: Muskat, Patchouli, Eichenmoos und Moschus.
… nein, es ist kein Insekt im Hintergrund 😉 Habt Ihr das zuerst auch gedacht – oder sehe nur ich hier auf den ersten Blick eine Biene? Einmal abgesehen davon, dass das Vetivergras auch Cannabis sein könnte – aber: Cannabis ist heilsam, das ist mittlerweile hinlänglich bewiesen. Und Vetiver hat auf mein Gemüt schon immer eine klärende und beruhigende Wirkung. Wie hat das neulich auf einem Training, dass ich gehalten habe, eine sehr sympathische Sie bekundet? „Vetiver geht immer.“ Dem schließe ich mich vollumfänglich an! Und, ganz ehrlich – man kann wirklich mehr als einen gebrauchen …
Zwei Standardkandidaten, die ich nie mehr missen möchte, sind Chanels Sycomore und LeLabos Vetiver 46. Zwei Mainstreamer habe ich auch – Lalique Encre Noir, selbstredend die Herrenvariante, sowie, nicht lachen (ich mag das Label sonst überhaupt nicht), La Martina Bayres, ebenfalls für Herren. Ich sollte eigentlich beide mal in unserer Feines für Kleines-Kategorie vorstellen, es sind echte Schnäppchen und beide sehr sehr schön, vor allem Bayres, der für mich wie der schönere Bruder von Terre d’Hermès duftet. Sammarcos Vitrum ist ein wundervoller Bestandteil meines Sortiments, darüber hinaus zwei warme Vetiver, Vetiver Tonka von Hermès sowie Byredos Bal d’Afrique, ein Minirestchen, ein klägliches, von Malles grandiosem Vetiver Extraordinaire, Etros Vetiver … wenn ich noch länger darüber nachdenke, habe ich sicher auch noch ein paar mehr.
Trotzdem, meine Lieben, überlege ich ernsthaft, mir Santiagos Betty noch danebenzustellen! Sie ist so schön – das ist mir auf der Messe auch schon aufgefallen. Und so schwer zu beschreiben … Ich vermute, dass hier, ähnlich wie bei Giovannis Vitrum, die Ingredienzen ziemlich gut sind, denn dieser Vetiver hat nichts Harsches, Kratziges an sich – ich mag das zwar auch, diejenigen, die sich nicht mit Vetiver anfreunden können, scheitern aber meist genau daran. Miss Betty Vair ist – eine Verführerin. Als schillernd-leuchtendes Smaragdgrün stellt sich mir der Duft dar, und entwickelt Facetten, deren Ursprung ich mir nur schwer erklären kann: Mein Näschen nimmt ganz sachte Anklänge von Lakritze wahr, vor allem aber neben dem Grün-Grasigen auch Waldmeisternoten sowie Absintharomen. Ein Hauch Sonne, ein bisschen Unterholz und Muskat, das extrem subtil eine gewisse pfeffrig-scharfe Würzigkeit einhaucht, darüber hinaus im Zusammenspiel mit „dem Rest“ auch eine Süße entwickelt, die wiederum von herb-bitterem Dunkelgrün kontrastiert wird.
Für mich war das ein mehr als gelungener Auftakt – ich freue mich schon auf den Rest der White Collection, und Ihr? Morgen geht es weiter – bis dahin alles Liebe und viele Grüße,
Eure Ulrike
P.S.: Beide Düfte haben eine sehr gute Sillage und sind meines Erachtens nach sowohl für Männlein als auch Weiblein gleichermaßen geeignet 🙂
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