The Big Bad Cedar, My Fair Lily und Scilly Neroli …

… heißen die drei Neulinge aus dem Hause Atkinsons 1799, die deren Contemporary Collection angehören. Für den Fall, dass ich es noch nicht erwähnt hatte – ich mag den Humor von Atkinsons 1799, snobby mit einem Augenzwinkern und immer einer guten Portion Ironie. Dieser Tage hatten wir es ja von dem modernen Dandy, als ich Masque Fragranzes Romanza rezensierte – das Image von Atkinsons 1799 fängt für mich ziemlich gut ein, was ich darunter verstehe.

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Deshalb freue ich mich heute auf die Neuankömmlinge – und nicht nur deshalb: Ich habe mir neulich einmal überlegt, welche Düfte noch auf meiner Must-Have-Liste stehen. Es sind nicht viele gewesen, eine Handvoll (ja, eine ;)) – und Atkinsons Amber Empire ist in jedem Fall dabei. Klar, wenn die Messedüfte alle kommen und einige davon in den Dauertest gehen, wird sich mein Listchen sicherlich noch etwas erweitern, aber – man ist ja mittlerweile picky. Amber Empire war letztes Jahr definitiv einer meiner Favoriten – mal schauen, ob mich Atkinsons erneut zu begeistern vermögen!

The Big Bad Cedar – der Name gewinnt mich sofort, eine Anspielung auf Wuthering Heights („A coniferous fragrance of Wuthering Heights“), wenn auch nicht ganz ernst gemeint, trägt ihr übriges dazu bei:

„A brooding, enigmatic Heathcliffean fragrance, The Big Bad Cedar is a sublimely stormy interpretation of the Scottish Highlands and savage Virginian cedar. Imagine turbulent skies and craggy mountains. Smoky peat fires, the cold, mineral water of the lochs, and the half-light of dusk is the setting for this scarcely cultivated cedar scent – an alliance of earth, wood and fire, preserved for all eternity.“

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Oooh, ja, ich bin ganz dabei – und kämpfe gegen den Drang, mitten am Tag gen Whiskey-Regal zu stapfen und mir einen kleinen Laphroaig Quarter Cask  zu genehmigen. Ein bisschen mehr Duftbeschreibung lassen Atkinsons zu allen ihren drei Düften verlauten, so auch zu unserer Bad Boy-Zeder:

At the summit of this moody, telluric fragrance blow cold, aromatic Highland breezes perfumed with lemon and cardamom. Then, the descent into the fragrance’s woody heart: the resinous sap of Virginian cedar, left splendidly sombre and majestic in its nearly untouched state of nature, sustained solely by a dense undergrowth of gleaming cashmeran and soft, enveloping sandalwood. A cedar as noble and incorruptible as the mighty Highlands itself.“

Unsere Zeder hier hat schon die Farbe von einem Whiskey, wie ich ihn mag: Braun. Bei der Beschreibung musste ich kurzfristig an D.S. & Durga denken, die allerdings einen sehr eigenen, weil „rohen“ Stil besitzen. Aber – auch hier findet sich ein Schottland-Duft, sogar ein Whiskey-Duft. Wir haben es bei Atkinsons 1799 mit einem englischen Haus zu tun, so überrascht es nicht, dass die Düfte trotz der Revoluzzer-Snob-Attitüde keine kantigen Avantgarde-Projekte sind.

red cedar with rain

Big Bad Cedar ist demnach vielleicht schon etwas für Bad Boys, aber eher für den gepflegten und gut gekleideten Business Punk oder den hippen Lumbersexual. Der Duft ist schön, aber sehr viel weniger … ja, was eigentlich? Er ist natürlich, sehr authentisch, zeichnet eher ein Aquarell einer schottischen Landschaft, vielleicht ist es aber ein fotografischer Schnappschuss, einer mit Blau in allen Schattierungen, mit Grün, Braun und Naturtönen. Eine sanfte Zeder im Wind, die auf einem verwaschenen Steinhügel wurzelt, umgeben von … Natur. Keine Menschen, keine knipsenden Touris oder Wandergruppen mit Wolfskin-Jacken, hier ist Stille, Ruhe, Einsamkeit. So strahlt Big Bad Cedar Kraft aus, weil unser Baum hier mitsamt der Natur, die ihn umgibt, ein Ruhepol ist und somit ein Kraftort. Den Stamm nehme ich wahr samt Borke, leichte Spuren von Harz, das dunkle Immergrün der nadelförmigen Blätter. Wurzeln, die sich ihren Weg gebahnt haben über Stock und Stein, alt, knarzig und verwachsen. Und Sonnenstrahlen, die den dicken Stamm langsam wärmen.

Cedar Ridge

Larry Miller „Cedar Ridge“ via Flickr – CC BY-SA 2.0

Die nächste an der Reihe ist My Fair Lily:

„Like the charmingly waifish Eliza Doolittle, who blooms into a deliciously aristocratic young belle in My Fair Lady, lily is a perfumery classic that has been gilded into a divinely shimmering cloud of a fragrance. Professor Higgins could not have concocted anything more natural and naïve, yet devilishly seductive and elegant than My Fair Lily. As radiant and fair as Eliza, this floral nuage draws on a Casablanca lily brightened with wild chamomile and rhubarb, and sensually deepened with patchouli and vetiver. My Fair Lily is a most disarmingly untamed lily, pirouetting between mischievous innocence and aristocratic grace.“

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Rhabarber und Lilie, da fange ich sofort an mit den Hufen zu scharren, meine Lieben! Ich hüte ihn hier wie einen Schatz, meinen Lieblingslilienduft, der leider vom Markt verschwunden ist – Lily & Spice von Penhaligon’s. Eine Stargazer-Lilie in voller Blüte, nicht mehr und nicht weniger bildet er ab und ich könnte darin versinken. Zugegeben, Lilie ist special interest – nicht jeder mag ihn, den doch schon oft narkotisierenden Duft. Aber dass es mittlerweile so wenige Liliendüfte, prägnante, da draußen gibt ist wirklich eine Schande. Ist nicht auch Lys Carmin von Van Cleef & Arpels mittlerweile vom Markt? Ich muss es mal recherchieren, aber ich denke, dass es so ist. Keine Lilien weit und breit – könnte My Fair Lily eine für mich sein, obgleich ich außer dem Hang zu situationsbedingten Flüchen nicht viel mit Eliza gemein habe?

My Fair Lily opens with a mingling of wild chamomile, tangy rhubarb and an ethereal salicylate accord reminiscent of summer rain in London. It sets the stage for opulent, cloud-like lily, while its creamy sensuality is balanced with the luminosity of ylang and Jasmine. With a seductive woody drydown of patchouli and vetiver and delicate cloud of musk, it is the scent of an ingénue, yet of a woman of the world.“

Oh jaaa … entfährt es mir auf den ersten Schnupperer: Das, was meinem Näschen da entgegenweht, ist fein, sehr fein sogar. Es ist eine Lilie, und ja, eine Casablanca-Lilie, zu denen auch meine Stargazer-Lilien gehören. Aber – diese hier ist weiß für mich sie ist … unschuldig, so, wie eine Lilie eben unschuldig sein kann trotz ihrer ausladenden Sinnlichkeit. Ich fühle mich wirklich ein wenig an Eliza erinnert, die auf ihre Art ja auch „unschuldig“ bei dem Professor landete, der sie zuerst für seine Wette missbrauchte. Je länger ich an meinem Handgelenk hänge, desto mehr Noten lösen sich heraus, desto komplexer erscheint mir My Fair Lily – auch das passt ganz gut zu Eliza: Ich kann den Sommerregen entdecken, den versprochenen, ein Sprühregen, der sich über die üppig blühenden Lilien legt, kurze Zeit kühlt und erfrischt. Wer ganz aufmerksam ist, findet hier auch den Rhabarber, der irgendwo mit hineinfunkt, sanft und subtil, herb-bitter-fruchtig und schön. Zusammen mit der Kamille, die ich wirklich wirklich nur erahnen kann, nachdem ich es weiß, dass sie da sein soll, entstehen gaaanz zarte chyprierte Anklänge auf meiner Haut, die ich wunderschön finde. Sie finden ihren Ausklang auf einer watteweichen Moschusbasis, die von edel-unauffälligem Unterholz getragen wird.

Ojos de lluvia

Dani Vázquez „Ojos de Iluvia“ via Flickr – CC BY 2.0

Ich mag sie, diese Schönheit, stolz und gleichermaßen zart. Und ich bin mir fast sicher, dass sie einen seltenen Spagat schaffen wir, ähnlich wie Eliza auch – My Fair Lily vermag es, sowohl Lilienliebhaber als auch Lilienzögerer zu vereinen.

My Fair Lily kommt zwar nicht an meinen Lilienliebling von Penhaligon’s ran, fairerweise muss ich aber sagen, dass dieser ohnehin nur für ganz Hartgesottene zu genießen ist 😉 Atkinsons 1799 schenken uns mit ihrer Lilieninterpretation eine schöne Vertreterin einer viel zu raren Gattung, die bei mir nichtsdestotrotz in den Dauertest gehen wird. Wem reicht denn schon eine oder zwei Lilien, wenn man diese Blüten so toll findet … aber Ihr kennt das ja 😉

Scilly Neroli macht unser heutiges Trio perfekt:

„South meets North in this sea-drenched, sunlit floral fragrance of Tunisian Neroli essence. It is a resolutely Mediterranean fragrance transplanted most beguilingly to the Scilly Isles of the North Atlantic, a lush, misty archipelago, warmed by the currents and breezes of the Gulf Stream. Stupendously solar, optimistic and bracing, this citrus fragrance is tempered by the mineral mists and crashing sea-spray of Albion. A fragrance of dazzling contrast that is both tropical and temperate.“

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Mediterrane Gefilde und Neroli, das gehört unzweifelhaft zusammen. Mit Harmen habe ich immer wieder Diskussionen, was Neroli jetzt genau ist – und in der Tat ist die Beantwortung dieser Frage gar nicht so einfach: Der Begriff Neroli wird häufig doppelt verwendet, und zwar einerseits für Orangenblüten generell, andererseits aber speziell nur für die Blüten der Bitterorange. Darüber hinaus gibt er wohl streng genommen auch Auskunft über den Herstellungsprozess, unabhängig davon, welche Orangenblüten jetzt verwendet werden, wie hier bei Perfumeshrine zu lesen ist.

Ich sage Euch, das mit den Hesperidenfrüchtchen ist ohnehin nicht so einfach: Es gibt so viele Hybride, die Bezeichnungen seitens der Dufthersteller sind oftmals etwas schwammig und das stellt Menschen wie mich, die es dann gerne ganz genau wissen möchten und korrekt wiedergeben, häufig vor Probleme: Mandarine oder Clementine? Grapefruit oder Pampelmuse, und was ist dann mit Pomelo gemeint? Übersetzungen, meist über mehrere Sprachen hinweg, machen das nicht einfacher. Die Unterschiede mögen marginal sein, aber sie sind botanisch gesehen existent. Und ich möchte auch behaupten, dass man sie in vielen Fällen auch schmeckt oder riecht.

Scilly Neroli unterstelle ich jetzt einfach mal, dass hier, wie in der weiteren Duftbeschreibung auch erneut erwähnt, mit Neroli die ganz „normale“ Orangenblüte gemeint ist:

„Embracing each Mediterranean facet of Orange Blossom, from the essence of petitgrain to neroli and flower absolute, the solar white florality of Scilly Neroli is enhanced by Sambac Jasmine. Cool Lemon and Petitgrain overtop a subtropical breeze of salycilate. An Atlantic spume accord against granite rocks gives this fragrance its English seaside character before trailing off into a vaporous ambergris accord. The scent of sunbathing in marvellously mineral sea air.“

Orangenblütendüfte, monothematische, oder Düfte mit prominenten Orangenblüten gibt es viele, die Auswahl ist groß. Sicher – wer schon dreizehneinhalb Vertreter dieser Gattung zu Hause stehen hat, der wird vermutlich Scilly Neroli nicht unbedingt ein Plätzchen daneben einräumen müssen. Darüber hinaus, das muss man nicht verschweigen, finden sich gerade bei Orangenblütendüften (absichtlich hier als schwammiger Begriff verwendet ;)) auch viele ordentliche Vertreter im günstigen Preissegment.

Scilly Neroli unterscheidet sich allerdings durchaus von seinen Gattungsgenossen. Orangenblüten, vielmehr: deren Duft, werden wohl die meisten von Euch kennen – sonnig trifft auf nicht viele andere Blumen in diesem Ausmaß zu. Strahlend, meist auch von einer Nektarsüße, wirken sie beschwingt und heiter, lebensfroh, ausgelassen und fröhlich sowie unbeschwert. Scilly Neroli fängt nicht nur die Blüten ein und zeichnet den Baum, an dem sie blühen, nur sacht nach – fängt dafür aber die Weite der Landschaft drumherum ein. Eine laue Brise liegt in der Luft, kühlend und sonnengewärmt gleichermaßen. Eine, die vom nahen Nass erzählt, vom Meer, das von Felsen eingerahmt wird. Mineralische Noten sind es, die mich hier faszinieren: Sie sind keinesfalls harsch, lassen nur die Felsen erahnen, helle Felsen, und das Wasser, das diese seit Jahrtausenden umspielt und ebenfalls mineralisch duftet. Flirrend liegt dieser Geruch in der Luft, begleitet von den Anklängen anderer Blüten, die eher als Hintergrundrauschen, florales, zu vernehmen sind denn als konkrete Vertreter einer bestimmten Art.

Porthcressa

Paul „Porthcressa“ via Flickr – CC BY 2.0

Scilly Neroli kann ich mir wunderbar als Sommerbegleiter für richtig heiße Tage vorstellen: Er ist ein Immergeher, den Frauen als auch Männer gleichermaßen gut tragen können. Darüber hinaus vermittelt er mit seiner maritim-ozonigen, mineralisch veredelten Luftigkeit eine herrliche Frische, die von den hier sauber, sacht-süß und seifig interpretierten Orangenblüten verstärkt wird. Selten habe ich eine Duftbeschreibung eines Herstellers gelesen, die den Nagel so genau auf den Kopf trifft: „The scent of sunbathing in marvellously mineral sea air“ – das ist es, Punkt.

Ein adrettes neues Trio hat der englische Dandy-Bär uns hier beschert! Mein Favorit ist klar – es ist die Lilie, My Fair Lily. Und Eurer?

Viele liebe Grüße,

Eure Ulrike

Neueste Kommentare

Ulrike Knöll Verfasst von:

Meine Liebe gilt seit jeher dem Ästhetischen: Mir geht das Herz auf bei jeglichen Dingen, die durch Form, Funktionalität, Design und Herzblut zu überzeugen wissen. Und wenn dann noch ein Quäntchen Historie dazu kommt, ist es meist ganz um mich geschehen … Ich bin der Nischenparfümerie mit Haut und Haaren verfallen und immer auf der Suche nach dem – oder vielmehr: einem – neuen heiligen Gral. Diese Suche sowie mein ganzes Interesse und meine Begeisterung möchte ich gerne mit Euch teilen!

2 Kommentare

  1. Ulrike Knöll
    23. Juni 2016
    Antworten

    Vielen Dank für das Kompliment, das läuft runter wie (Parfum)Öl 😉

    Liebe Grüße,

    Ulrike

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