Die Beaufortskala klassifiziert die Windstärke. Die Marke BeauFort London lässt uns definitiv eine steife Brise um die Nase wehen.
Leo Crabtree ist seit 2008 Drummer der Band The Prodigy. Das Album „The Fat of the Land“ von 1997 habe ich früher gerne und viel gehört. Bei Spotify musste ich gleich einmal hineinhören, was sie heute so machen. Es scheint sich grundlegend nicht viel geändert zu haben. Krachende Beats und Bässe, dass es eine Freude ist. Besagter Crabtree ist jedenfalls Urheber der Marke BeauFort London, die sich mit dem Thema Meer und Seefahrerei befasst. Crabtree wurde nach eigener Aussage in eine Familie von Künstlern, Psychologen und Seeleuten geboren und sein erstes Zuhause war ein Boot auf der Themse. Zum Namen schreibt er: „Der Name ‚BeauFort London‘ […] steht für einen Rahmen, in dem wir uns miteinander verständigen: Der Wind ist etwas Konstantes, Dauerhaftes, aber auch veränderlich und potenziell zerstörerisch.“
Come Hell or High Water
Die ersten drei Düfte der Marke bilden eine Trilogie mit dem Namen „Come Hell or High Water“ – die Bedeutung liegt im Deutschen irgendwo zwischen „komme, was wolle“, „auf Teufel komm raus“ und „ich fürchte weder Tod noch Teufel“. Diese drei wurden von der britischen Seefahrtsgeschichte inspiriert. Man wollte mutige, widersprüchliche, kuriose und auch bizarre Informationsfetzen schaffen, wie kleine Ausblicke zurück in die Geschichte.
In Zusammenarbeit mit den renommiertesten Parfümeuren in Großbritannien entstanden Düfte, die an das britische Fenster des kollektiven Unbewussten klopfen: Sie wollen Licht auf Momente der Vergangenheit werfen, auf Fragmente der gemeinsamen Geschichte, die in flüchtiger Form zum Leben erweckt und vom Wind getragen werden.
1805 Tonnerre – Donnergrollen
„1805 Tonnerre“ bezieht sich natürlich auf die berühmte Seeschlacht im Jahre 1805, als Vizeadmiral Horatio Nelson der französisch-spanischen Armada unter Vizeadmiral Pierre de Villeneuve eine derart empfindliche Niederlage beibrachte, dass Napoleon lieber ganz die Finger von Großbritannien ließ. Übrigens habe ich schon einmal einen Duft besprochen, der sich genau mit diesem Ereignis befasste: Washington Tremletts „Royals Heroes 1805“, den Duft gibt es meines Wissens nicht mehr, nachlesen könnt Ihr den Bericht natürlich immer noch. Wo „Royals Heroes 1805“ ganz vornehm blieb, hat sich „1805 Tonnere“ tatsächlich darauf eingelassen, ein olfaktorisches Abbild der Schlacht von Trafalgar abzuliefern. Ich sage es gleich: Die Düfte sind nicht einfach und ich werde kein Blatt vor den Mund nehmen. Auf dem Teststreifen riecht Tonnere, als hätte man Scheibenenteiser in kalte Asche geschüttet. Eine derart authentisch verbrannte Rauchnote kann ich mich in einem Parfum nicht entsinnen, wenn auch Arte Profumis „Fumoir“ in dieser Liga spielt. Vorsichtig sprühe ich mir ein bisschen auf die Haut. Ein heftiges Teil. Man muss an Holzkohle denken, hinzu kommt eine prominente Zitrusnote und tatsächlich salzig und metallisch anmutende maritime Noten.
Ich habe nicht mit einem derart direkten Duftbild gerechnet, denn im Kontext einer Seeschlacht kann man nun wirklich das Kopfkino anschalten. Kanonen donnern, Kugeln zerschlagen den Rumpf, auf dem Schiff ist Feuer ausgebrochen, die Gischt spritzt herein, metallischer Rauch- und Blutgeruch liegt in der Luft und immer wieder das Peitschen des kalten Windes. Der Duft beschönigt nichts, er zeigt ein Gemetzel, in dem geblutet und gestorben wird, kein romantisches heroisierendes Schlachtengemälde.
Die Duftkomposition
Kopfnote: Limette, Metallische Noten, Rauchige Noten
Herznote: Hölzer, Maritime Noten, Salzige Noten
Basisnote: Ambra, Tannenbalsam, Zedernholz
Man muss ihm Zeit geben, das ist ganz wichtig. Denn er wandelt sich von absolut untragbarem Konzeptduft hin zu einem gerade noch tragbaren kuriosen Außenseiter: Der Rauch verzieht sich etwas, die Holzkohle wird holziger und auch die beißende Zitrusnote verschwimmt. Wer auch sonst knackige Orientalen oder rauchige und harzige Intensivdüfte liebt, könnte auch hier einen Schatz heben.
Vi et Armis – Waffengewalt
„Vi et Armis“ bedeutet in der Zunge der germanischen Barbaren „mit Kraft und Waffen“, was „mit Waffengewalt“ bedeutet. Das Kriegsthema wird also fortgesetzt, aber nur insofern, dass sich Crabtree hier auf die auch mit Gewalt durchgesetzte Vormachtstellung Britanniens im internationalen Seehandel bezieht. Die Ladungen der Schiffe sollen hier die Noten zu dieser Kreation beisteuern sowie George Bernard Shaws Bonmot widerspiegeln: „Emotionale Erregung erreichen Männer durch Tee, Tabak, Opium, Whisky und Religion.“ Diese Ingredienzen lassen sich auch in den Duftnoten ausmachen. Schwarzer Pfeffer und Tee im Kopf. im Herzen Whisky, für die Religion Weihrauch und frei nach Marx auch Opium. Tabak, Birke und Adlerholz in der Basis dürften dem Rauchen gewidmet sein.
„Vi et Armis“ ist nach dem ganzen Rauch eine wahre Wohltat. Eine wunderbare Earl-Grey-Note ist auszumachen, Gewürze, Hölzer, aber auch eine Rauchnote, nur lang nicht ganz so präsent wie bei „1805 Tonnerre“. Auf der Haut harzig, animalisch, eine dunkle Salzlakritznote, vom Whisky die Holznoten, Birke ist als Birkenteer zu verstehen, daher auch der Rauch, gewürzig und auch frisch, irgendetwas Frisch-Fruchtiges wurde verschwiegen oder ich liege mit der Bergamotte im Earl Grey richtig. Wie Opium riecht, weiß ich nicht, aber man kann sich hier durchaus lustige Spirituosen und Rauchwaren aller Art vorstellen.
Auch wenn „Vi et Armis“ nicht die Heftigkeit seines Vorgängers erreicht, auch er ist ein ganz schönes Kaliber. Die Mischung aus Rauch und frisch-würzig-harzigen Noten ist sicher nicht jedermanns Sache.
Cœur de Noir – Herz der Finsternis
„Cœur de Noir“ – ich musste hier gleich an Joseph Conrads Roman „Heart of Darkness“ denken, in dem ja auch für den berühmten Film „Apocalypse Now“ reichlich gewildert wurde. Laut Produkttext dachte Crabtree hier an Federzeichnungen von Luxusyachten, die sein Großvater anfertigte, und an die Bibliothek seine Vaters mit nautischer Literatur, Seefahrerromanen, aber auch seine eigenen Tätowierungen und die damit verbundene schwarze Tinte inspirierte ihn.
Die Duftkomposition
Kopfnote: Rum, Ingwer, Tinte
Herznote: Leder, Vanille
Basisnote: Zedernholz, Tabak, Birke
„Ein dunkles Herz schlägt sanft in staubigen, verdunkelten Räumen …“ Rum und Ingwer sorgen für einen frisch-schnapsigen Einstand, sehr schnell ist aber auch die Vanille präsent, nur in ihrer herben ursprünglichen Verfassung – herb-würzig und nicht süß. Holzige Noten und Tabak machen die Illusion eines mit Vanille aromatisierten Tabaks perfekt. Der Grat ist ein schmaler. Böse Zungen würden sagen: Raucherauto und vom Rückspiegel baumelt ein Vanille-Wunderbaum. Ganz so krass ist es nicht, aber die Mischung aus Tabak, Rauch, Leder und Vanille ist nicht einfach. Auch hier wird Geduld belohnt, der Duft wird feingliedriger und weicher.
Windstärke Orkan
Mein Fazit: Bei État Libre d’Orange hatte ich bereits beklagt, dass große Sprüche gemacht werden, die Düfte dann aber doch immer recht zahm bleiben. Hier hingegen wurden Nägel mit Köpfen gemacht. BeauFort London macht keine Gefangenen und zieht die Duftkonzepte eisenhart durch. So werden aus Duftkonzepten Konzeptdüfte, die hart an der Grenze zur Tragbarkeit liegen. So finden wir uns in einem olfaktorischen Kuriositätenkabinett wieder, das ja auch gewollt eines ist, denn die Düfte sollen explizit kurios und bizarr sein. Dies ist gelungen. Ich bewundere BeauFort London für den Mut und die Konsequenz, diese Ideen so durchgezogen zu haben. Ich bin gespannt auf die noch kommenden Duftkapitel aus der Geschichte Großbritanniens und der Seefahrt.
Ich bin gespannt, habt Ihr sie schon getestet? Wie ist Eure Meinung dazu?
Liebe Grüße
Harmen
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